Sechs widersprüchliche Weltordnungs-Projekte

von Thierry Meyssan (voltairenet)

Die sechs großen Weltmächte beginnen die Neuordnung der internationalen Beziehungen auf der Grundlage ihrer Erfahrungen und Träume. Vorsichtig beabsichtigen sie zuerst, ihre Vorstellung von der Welt zu verteidigen, bevor sie ihre Weltanschauung voranbringen. Thierry Meyssan beschreibt ihre jeweiligen Positionen, bevor der Kampf beginnt.

Der Rückzug der USA aus Syrien, auch wenn er sofort korrigiert wurde, zeigt mit Sicherheit, dass Washington nicht mehr der Weltpolizist, das „notwendige Imperium“ sein will. Er destabilisierte sofort alle Regeln der internationalen Beziehungen. Wir sind in eine Übergangsphase eingetreten, in der jede Großmacht eine neue Agenda verfolgt. Hier sind die wichtigsten.

Die drei „Großen“

Die Vereinigten Staaten von Amerika

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hätte den der Vereinigten Staaten insofern provozieren können, als die beiden Imperien sich auf einander stützten. Es kam nicht so. Präsident George Bush Senior sorgte mit der Operation „Wüstensturm“ dafür, dass Washington zum unumstrittenen Führer aller Nationen wurde, dann eine Million Soldaten demobilisierte und die Suche nach Wohlstand verkündete.

Die Transnationalen Konzerne besiegelten dann einen Pakt mit Deng Xiaoping, um ihre Produkte von chinesischen Arbeitern herstellen zu lassen, zwanzigmal niedriger bezahlt als ihre amerikanischen Kollegen. Dies führte zu einer beträchtlichen Entwicklung des internationalen Güterverkehrs, gefolgt vom allmählichen Verschwinden von Arbeitsplätzen und der Mittelschicht in den Vereinigten Staaten. Der Industriekapitalismus wurde durch den Finanzkapitalismus verdrängt.

Ende der 1990er Jahre analysierte Igor Panarine, Professor an der Russischen Diplomatischen Akademie, den wirtschaftlichen und psychologischen Zusammenbruch der amerikanischen Gesellschaft. Er vermutete die Zerschlagung dieses Landes nach dem Vorbild dessen, was mit der Sowjetunion durch die Entstehung neuer Staaten geschehen war. Um den Zusammenbruch abzuwehren, setzte Bill Clinton sich und sein Land mit der NATO-Aggression in Jugoslawien über die völkerrechtlichen Verpflichtungen hinweg. Diese Bemühungen erwiesen sich als unzureichend, und US-Persönlichkeiten dachten daran, ihr Land den Erfordernissen des Finanzkapitalismus anzupassen und mit Gewalt den internationalen Austausch so zu organisieren, dass die kommende Periode ein „neues amerikanisches Jahrhundert“ werden würde. Mit George Bush Jr. gaben die Vereinigten Staaten ihre Position als führende Nation auf und versuchten, sich in eine absolute unipolare Macht zu verwandeln. Sie starteten den „endlosen Krieg“ oder den „Krieg gegen den Terror“, um alle staatlichen Strukturen des „Erweiterten Nahen Ostens“ nacheinander zu zerstören. Barack Obama setzte diesen Versuch mit der Einbindung einer Vielzahl von Verbündeten fort.

Diese Politik brachte ihre Früchte, aber nur sehr wenige Leute profitierten davon, nämlich die „Superreichen“. Die Vereinigten Staaten reagierten, indem sie Donald Trump zum Präsidenten des Bundesstaates wählten. Er brach mit seinen Vorgängern und versuchte, wie Michail Gorbatschow in der UdSSR, die Vereinigten Staaten zu retten, indem er sie von ihren teuersten Verpflichtungen befreite. Er reanimierte ihre Wirtschaft, indem er die heimische Industrie gegen jene förderte, die ihre Arbeitsplätze ausgelagert hatten. Er subventionierte die Schieferölförderung und konnte trotz des von der OPEC und Russland gebildeten Kartells die Kontrolle über den globalen Kohlenwasserstoffmarkt übernehmen. Er war sich bewusst, dass seine Armee zunächst eine riesige Bürokratie war, die ein riesiges Budget für unbedeutende Ergebnisse verschwendete, und hörte auf, Daesch und die PKK zu unterstützen, verhandelte mit Russland über einen Weg, den „endlosen Krieg“ zu beenden und dabei so wenig wie möglich zu verlieren.

In der kommenden Periode werden die Vereinigten Staaten in erster Linie von der Notwendigkeit getrieben sein, bei all ihren Aktionen im Ausland zu sparen, bis sie sie notfalls aufgeben. Das Ende des Imperialismus ist keine Wahl, sondern eine Existenz-Frage, ein Überlebensreflex.

Die Volksrepublik China

Nach Zhao Ziyangs Putschversuch und dem Tienanmen-Aufstand begab sich Deng Xiaoping auf seine „Reise in den Süden.“ Er kündigte an, dass China seine wirtschaftliche Liberalisierung fortsetzen würde, indem es Verträge mit US-Multis schmiedete.

Jiang Zemin setzte diesen Weg fort. Die Küste wurde zur „Werkstatt der Welt“ und verursachte eine enorme wirtschaftliche Entwicklung. Nach und nach säuberte er die Kommunistische Partei von ihren Bonzen und sorgte dafür, dass gut bezahlte Arbeitsplätze ins Landesinnere gingen. Hu Dschintao, bemüht um eine „harmonische Gesellschaft“, hob die Steuern auf, die von den Landwirten in den Binnenregionen gezahlt wurden, die noch nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung betroffen waren. Aber es gelang ihm nicht, die regionalen Mächte zu bändigen und ging in einem Korruptionsfall unter.

Xi Jinping schlug vor, neue Märkte zu erschließen, durch die Verwirklichung eines titanischen Projektes internationaler Handelsrouten, die „Seidenstraßen“. Dieses Projekt kam jedoch zu spät, weil China im Gegensatz zur Antike keine Originalprodukte mehr anbietet, sondern Artikel günstiger verkauft als die transnationalen Unternehmen. Dieses Projekt wurde von armen Ländern als Segen begrüßt, aber von den Reichen gefürchtet, die sich darauf vorbereiten, es zu sabotieren. Xi Jinping gewinnt seine Position auf allen Inseln zurück, die sein Land im Chinesischen Meer verlassen hat, während des Zusammenbruchs des Qing-Imperiums und der Besetzung durch die acht ausländischen Armeen. Der zerstörerischen Macht des Westens bewusst, verbündete er sich mit Russland und verbot sich jegliche internationale politische Einmischung.

In der kommenden Zeit sollte China seine Positionen in internationalen Foren behaupten, indem es daran denkt, was ihm die Kolonialreiche im 19. Jahrhundert zufügten. Aber China sollte davon absehen, militärisch einzugreifen und eine rein wirtschaftliche Macht bleiben.

Die Russische Föderation

Als die UdSSR zusammenbrach, glaubten die Russen, sie könnten sich retten, indem sie sich an das westliche Modell halten. Tatsächlich organisierte das Team von Boris Jelzin, das von der CIA ausgebildet wurde, die Plünderung von kollektivem Eigentum durch einige wenige Personen. Innerhalb von zwei Jahren übernahmen etwa 100 von ihnen, zu 97 % aus der jüdischen Minderheit, alles, was zur Verfügung stand, und wurden Milliardäre. Diese neuen Oligarchen lieferten sich mitten in Moskau einen gnadenlosen Kampf mit Maschinengewehren und Bombenattentaten, während Präsident Jelzin das Parlament beschießen ließ. Ohne eine wirkliche Regierung war Russland nichts anderes als ein Wrack. Warlords und von der CIA bewaffnete Dschihadisten organisierten die Abspaltung Tschetscheniens. Der Lebensstandard und die Lebenserwartung brachen zusammen.

1999 rettete FSB-Direktor Wladimir Putin Präsident Jelzin vor einer Korruptionsuntersuchung. Im Gegenzug wurde er zum Präsidenten des Ministerrats ernannt; er benutzte den Posten, um den Präsidenten zu zwingen, zurückzutreten und an seiner Stelle gewählt zu werden. Er setzte eine breite Politik der staatlichen Wiederherstellung durch: Er beendete den Bürgerkrieg in Tschetschenien und brachte methodisch alle Oligarchen zur Strecke, die sich weigerten, sich dem Staat zu unterstellen. Die Rückkehr der Ordnung war auch das Ende der russischen Fantasievorstellung vom Westen. Der Lebensstandard und die Lebenserwartung erholten sich.





Nach der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit kandidierte Wladimir Putin nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht mehr. Er unterstützte einen blassen Juraprofessor, Dmitri Medwedew, der von den Vereinigten Staaten verehrt wurde, um seine Nachfolge anzutreten. Doch da er nicht die Absicht hatte, die Macht in schwachen Händen zu lassen, ließ er sich bis zu seiner Wiederwahl zum Präsidenten im Jahr 2012 zum Premierminister ernennen. In dem Irrglauben, dass Russland wieder zusammenbrechen würde, griff Georgien Südossetien an, aber traf sofort auf Premier-Minister Putin, der sich in den Weg stellte. Dieser bemerkte dann den erbärmlichen Zustand der Roten Armee, konnte aber dank der Überraschungswirkung den Sieg davontragen. Er wurde als Präsident wiedergewählt und konzentrierte sich auf die Reform der Verteidigung. Er versetzte Hunderttausende, oft desillusionierte und manchmal betrunkene Offiziere in den Ruhestand, und setzte einen Tuwan (türkisch sprechenden Mann), Sergej Choigou, in das Verteidigungsministerium.

Mit einer traditionellen russischen Managementmethode trennte Wladimir Putin das zivile Budget von einem Teil des Militärbudgets. Das erste wird von der Duma gewählt, das zweite ist geheim. Er stellte die militärische Forschung wieder her, während die Vereinigten Staaten dachten, nicht mehr in diesen Bereich investieren zu müssen. Er testete eine Reihe neuer Waffen – einschließlich der Hyperschallwaffen, die die Strategie umwälzten – bevor er die neue Rote Armee zur Rettung Syriens einsetzte. Er experimentierte seine neuen Waffen in Kampfsituationen und entschied, welche hergestellt und welche aufgegeben werden sollten. Er organisierte einen vierteljährlichen Austausch seiner Truppen, damit alle, nacheinander, Kriegserfahrung bekommen. Die Russische Föderation, die 1991 nichts mehr war, wurde in 18 Jahren zur weltweit führenden Militärmacht.

Gleichzeitig nutzte er den Nazi-Putsch in der Ukraine, um die Krim zurückzuerobern, ein russisches Territorium, das von Nikita Chruschtschow administrativ an die Ukraine angeschlossen wurde. Er sah sich dann einer Kampagne von Agrarsanktionen der Europäischen Union gegenüber, die er ausnutzte, um eine autarke heimische Produktion herzustellen.

Er schloss ein Bündnis mit China und verlangte von ihm, sein Seidenstraßenprojekt zu ändern, indem es die Kommunikationsbedürfnisse des russischen Territoriums integriert, um eine „erweiterte Eurasien-Partnerschaft“ zu gründen.

In den kommenden Jahren wird Russland versuchen, die internationalen Beziehungen auf zwei Grundlagen neu zu organisieren:
 politische und religiöse Mächte trennen;
 das Völkerrecht auf der von Zar Nikolaus II. formulierten Grundlage wiederherstellen.

Die Westeuropäer

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland

Zum Zeitpunkt des Falls der UdSSR schloss sich das Vereinigte Königreich dem Vertrag von Maastricht mit Vorbehalten an. Der konservative Premierminister John Major beabsichtigte, den im Aufbau befindlichen supranationalen Staat auszunutzen und gleichzeitig seine eigene Währung davon fernzuhalten. Er freute sich daher, als George Soros das englische Pfund angriff und es aus dem SEM („Monetäre Schlange“) zwang. Sein Nachfolger, Tony Blair von der Labour Partei, stellte die volle Unabhängigkeit der Bank of England wieder her und erwog, die EU zu verlassen, um der NAFTA beizutreten. Er änderte die Verteidigung der Interessen seines Landes, indem er Verweise auf die Menschenrechte durch die Achtung des Völkerrechts ersetzte. Er warb für die US-Politik von Bill Clinton und dann von George Bush Jr., um die Erweiterung der Europäischen Union, den „humanitären Krieg“ gegen den Kosovo und den Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein zu fördern und zu rechtfertigen. 2006 entwarf er den Plan für den „arabischen Frühling“ und schickte ihn in die Vereinigten Staaten.

Gordon Brown zögerte, diese Politik zu verfolgen und versuchte, wieder etwas Spielraum zu gewinnen, aber seine Energie wurde durch die Finanzkrise von 2008 erfasst, die er trotzdem überwinden konnte. David Cameron setzte zusammen mit Barack Obama den Blair-Bush-Plan für den „arabischen Frühling“ um, einschließlich des Krieges gegen Libyen, aber letztlich gelang es ihm nur teilweise die Muslimbruderschaft im Erweiterten Nahen Osten an die Macht zu bringen. Am Ende trat er nach der Abstimmung der Wähler über den Brexit zurück, obwohl der Plan, der NAFTA beizutreten, nicht mehr auf der Tagesordnung stand.

Theresa May se proposa d’appliquer le Brexit en ce qui concerne la sortie de l’État supranational du Traité de Maastricht, mais pas en ce qui concerne la sortie du marché commun antérieur à Maastricht. Elle échoua et fut remplacée par le biographe de Winston Churchill, Boris Johnson. Celui-ci décida de sortir totalement de l’Union européenne et de réactiver la politique étrangère traditionnelle du royaume : la lutte contre tout État concurrent sur le continent européen.

Theresa May schlug vor, den Brexit im Hinblick auf den Ausstieg des supranationalen Staates aus dem Maastrichter Vertrag umzusetzen, aber nicht im Hinblick auf den Ausstieg aus dem gemeinsamen Markt vor Maastricht. Sie scheiterte und wurde durch Winston Churchills Biographen Boris Johnson ersetzt. Er beschloss, die Europäische Union ganz zu verlassen und die traditionelle Außenpolitik des Königreichs zu reaktivieren: den Kampf gegen jeden konkurrierenden Staat auf dem europäischen Kontinent.

Si Boris Johnson reste au pouvoir, le Royaume-Uni devrait dans les prochaines années tenter de dresser l’Union européenne et la Fédération de Russie l’une contre l’autre.

Wenn Boris Johnson an der Macht bleibt, sollte das Vereinigte Königreich in den kommenden Jahren versuchen, die Europäische Union und die Russische Föderation gegeneinander auszuspielen.

Die Französische Republik

Francois Mitterrand hat nicht die Auflösung der UdSSR verstanden und ging sogar so weit, den Putsch der Generäle gegen seinen russischen Amtskollegen Michail Gorbatschow zu unterstützen. Auf jeden Fall sah er darin eine Gelegenheit, einen europäischen supranationalen Staat aufzubauen, der groß genug ist, um in der Kontinuität des napoleonischen Versuchs mit den USA und China zu konkurrieren. So hat er auch mit Bundeskanzler Helmut Kohl für die deutsche Einigung und den Vertrag von Maastricht geworben.

Aus Sorge über das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa, und überzeugt von der „Wolfowitz-Doktrin“, zwang Präsident Bush Senior ihn, um das Entstehen eines neuen Konkurrenten der US-Führung zu verhindern, den Schutz der NATO für die EU und ihre Erweiterung auf die ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Paktes zu akzeptieren. François Mitterrand nutzte die „cohabitation“ (Präsident und Regierung aus oppositionellen Lagern Anm.d.Ü) mit dem gaullistischen Innenminister Charles Pasqua, um gegen die Muslimbruderschaft zu kämpfen, die die CIA ihn gezwungen hatte in Frankreich zu akzeptieren und die der MI6 benutzte, um Frankreich aus Algerien zu vertreiben.

Jacques Chirac entwickelte die französische Abschreckung, indem er die atmosphärischen Atombombenversuche im Pazifik beendete, bevor er zu Simulationen überging und den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTTC) unterzeichnete. Gleichzeitig passte er die Armeen an die Bedürfnisse der NATO an, indem er die allgemeine Wehrpflicht aufgab und dem militärischen (Planungs-)Komitee der Allianz beitrat. Er unterstützte die NATO-Initiative gegen Jugoslawien (Kosovo-Krieg), führte aber — nach der Lektüre und dem Studium der L’Effroyable imposture [1] — die globale Opposition gegen die Aggression im Irak an. Diese Episode ermöglichte es ihm, sich mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zu verbinden und den europäischen supranationalen Staat voranzubringen, den er immer als Instrument der Unabhängigkeit rund um das deutsch-französische Paar sah. Destabilisiert durch die Ermordung seines Geschäftspartners Rafik Hariri wandte er sich gegen Syrien, welches die Vereinigten Staaten als Drahtzieher des Mordes identifizierten.





Nicolas Sarkozy, der eine radikal andere Politik befürwortete, unterstellte die französische Armee dem US-Kommando, durch den Eintritt in das Integrierte Kommando der Nato. Er versuchte, die französische Einflusszone durch die Organisation der Union für das Mittelmeer zu erweitern, aber dieses Projekt funktionierte nicht. Er bewies seinen Wert, indem er Laurent Gbagbo in der Elfenbeinküste stürzte, und obwohl er vom Arabischen Frühling in Tunesien und Ägypten überholt wurde, leitete er den NATO-Einsatz gegen Libyen und Syrien. Aus Realismus sah er jedoch den syrischen Widerstand und zog sich aus dem Schauplatz zurück. Er setzte den Aufbau der Vereinigten Staaten von Europa fort, indem er den Vertrag von Lissabon vom Parlament annehmen ließ, obwohl die Wähler denselben Text unter dem Namen „Europäische Verfassung“ abgelehnt hatten. In Wirklichkeit verwandelt die Veränderung der Institutionen, die mit 27 Mitgliedsstaaten effektiver werden sollten, den supranationalen Staat tiefgreifend, der nun seinen Willen den Mitgliedsstaaten aufzwingen kann.

Nachdem er unvorbereitet an die Macht gekommen war, trat François Hollande etwas steif in die Fußstapfen von Nicolas Sarkozy, was ihn dann zwang, dessen Ideologie anzunehmen. Er unterzeichnete alle Verträge, die sein Vorgänger ausgehandelt hatte – einschließlich des Europäischen Fiskalpakts zur Sanktionierung Griechenlands –, indem er jedes Mal eine Erklärung mit seinem eigenen Standpunkt hinzufügte, allerdings ohne jegliche bindende Wirkung, so als ob er sich für seinen Sinneswandel entschuldigen müsse. So genehmigte er die Errichtung von NATO-Militärstützpunkten auf französischem Boden und beendet damit die gaullistische Doktrin der nationalen Unabhängigkeit endgültig. Oder er verfolgte die Aggressions-Politik gegen Syrien, indem er sich einen verbalen Ausbruch leistete, bevor er auf Befehl des Weißen Hauses nichts unternahm. Er beauftragte die französische Armee mit einer Intervention in der Sahelzone, die auf dem Boden die Hilfstruppen des AfriCom spielt. Schließlich rechtfertigte er die CO2-Handelsbörse im Rahmen des Pariser Klimaabkommens.

Emmanuel Macron, der dank des US-Investmentfonds KKR gewählt wurde, ist zuerst ein Verfechter der Globalisierung mit Bill Clinton, George Bush Jr. und Barack Obama. Er übernahm jedoch schnell die Sicht von François Mitterrand und Jacques Chirac, dass nur ein europäischer supranationaler Staat Frankreich erlauben würde, weiterhin eine bedeutende internationale Rolle zu spielen, aber in seiner Sarkozy-Hollande-Version: die Union ermöglicht den Zwang. Diese beiden Haltungen führen ihn manchmal zu Widersprüchen, vor allem mit Russland. Sie vereinen sich jedoch darin, dass sie den Nationalismus der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, einen kurzen Brexit oder den Wunsch nach Wiederherstellung des Handels mit dem Iran verurteilen.

In den kommenden Jahren sollte Frankreich seine Entscheidungen an den Auswirkungen auf den Aufbau der Europäischen Union messen. Es wird als Priorität versuchen, sich mit jeder Macht zu verbünden, die in diese Richtung arbeitet.

Bundesrepublik Deutschland

Bundeskanzler Helmut Kohl sah in der Auflösung des Sowjetreichs eine Gelegenheit, die beiden Teile Deutschlands zu vereinen. Er erhielt grünes Licht von Frankreich im Austausch für die deutsche Unterstützung für das Gemeinschaftswährungsprojekt der Europäischen Union, den Euro. Er erhielt auch die Zustimmung der Vereinigten Staaten, die darin eine Hintertür sahen, um die ostdeutsche Armee in die NATO zu bringen, trotz des an Russland gegebenen Versprechens, die Deutsche Demokratische Republik ihr nicht einzuverleiben.

Nach der deutschen Wiedervereinigung warf Bundeskanzler Gerhard Schröder die Frage nach der internationalen Rolle seines Landes auf, das noch immer unter der Niederlage im Zweiten Weltkrieg leidet. Obwohl Deutschland nicht mehr militärisch von den vier Großmächten besetzt ist, beherbergt es dennoch riesige US-Garnisonen und das Hauptquartier von EuCom und bald von AfriCom. Gerhard Schröder nutzte den „humanitären“ Krieg gegen den Kosovo, um erstmals seit 1945 deutsche Truppen legal ins Ausland zu entsenden. Aber er weigerte sich, dieses von der NATO eroberte Gebiet als Staat anzuerkennen. In ähnlicher Weise engagierte er sich sehr stark an der Seite von Präsident Chirac gegen den Krieg zwischen den USA und Großbritannien im Irak und betonte, dass es keine Beweise für die Beteiligung von Präsident Saddam Hussein an den Anschlägen vom 11. September 2001 gebe. Er versuchte, die europäische Integration friedlich zu beeinflussen. Er stärkte daher auch die Energiebeziehungen zu Russland und schlug ein föderales Europa (langfristig auch mit Russland) nach deutschem Vorbild vor, stieß aber auf den Widerstand von Frankreich, das an dem Projekt eines supranationalen Staates sehr hängt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kehrte zur Politik ihres Mentors Helmut Kohl zurück, der sie in einer Nacht aus ihrem Verantwortungsposten für die Kommunistische Jugend des Demokratischen Deutschlands in die Bundesregierung geführt hat. Sie wird von der CIA, die nicht sicher ist, wie sie sie zu definieren ist, genau überwacht, und stärkt die Beziehungen Deutschlands zu Israel und Brasilien. 2013 bat sie Volker Perthes auf Vorschlag von Hillary Clinton, die Möglichkeit einer Entwicklung der deutschen Armee zu einer zentralen Rolle bei CentCom zu prüfen, wenn die Vereinigten Staaten ihre Truppen in den Fernen Osten verlegen sollten. Dann gab sie Studien in Auftrag, wie deutsche Offiziere die Armeen Mittel- und Osteuropas überwachen könnten, und beauftragte Volker Perthes, einen Plan für die Kapitulation Syriens zu entwerfen. Sehr verbunden mit den atlantischen und europäischen Strukturen, distanzierte sie sich von Russland und unterstützte den Nazi-Putsch in der Ukraine. Aus Gründen der Effizienz fordert sie, dass die Europäische Union fähig sein muss, kleinen Mitgliedstaaten ihren Willen aufzuzwingen (Vertrag von Lissabon). Sie zeigte sich während der griechischen Finanzkrise sehr hart und hat ihre Schachfiguren in der Europäischen Bürokratie geduldig aufgestellt, bis Ursula von der Leyen zur Präsidentin gewählt wurde. Als sich die Vereinigten Staaten aus Nordsyrien zurückzogen, reagierte sie sofort mit dem Vorschlag an die NATO, die deutsche Armee zu entsenden, um diese dort gemäß dem Plan von 2013 zu ersetzen.

In den kommenden Jahren sollte sich Deutschland auf die Möglichkeiten einer militärischen Intervention innerhalb der Nato, insbesondere im Nahen Osten, konzentrieren und sich vor dem vorgeschlagenen zentralisierten europäischen supranationalen Staat hüten.

Machbarkeit

Es ist sehr seltsam, heute die Worte von „Multilateralismus“ und „Isolationismus“ oder „Universalismus“ und „Nationalismus“ zu hören. Diese Fragen stellen sich nicht, insofern alle seit der Haager Konferenz (1899) wissen, dass der technologische Fortschritt alle Nationen solidarisch macht. Dieses Geschwafel verbirgt schlecht unsere Unfähigkeit, das neue Kräfteverhältnis zu akzeptieren und eine so wenig wie möglich ungerechte Weltordnung zu schaffen.

Nur die drei Großmächte können hoffen, über die Mittel ihrer Politik zu verfügen. Sie können ihre Ziele ohne Krieg nur erreichen, wenn sie der russischen Linie folgen, die auf dem Völkerrecht beruht. Die Gefahr innenpolitischer Instabilität in den Vereinigten Staaten birgt jedoch mehr denn je die Gefahr einer weitverbreiteten Konfrontation.

Durch den Austritt aus der EU haben sich die Briten gezwungen, den Vereinigten Staaten beizutreten (was Donald Trump verweigert) oder politisch zu verschwinden. Während Deutschland und Frankreich im Niedergang sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig als der Aufbau der Europäischen Union. Vorerst beurteilen sie jedoch die zur Verfügung stehende Zeit sehr unterschiedlich und sehen sie auf zwei unvereinbare Weisen, die sie selbst dazu bringen könnten, die Europäische Union aufzulösen.

Thierry Meyssan

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1] 11. September 2001: Der inszenierte Terrorismus. Auftakt zum Weltenbrand?: Kein Flugzeug traf den Pentagon!, Thierry Meyssan, Editio de facto, 2012.

 

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Sechs widersprüchliche Weltordnungs-Projekte
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1 Kommentar

  1. Schade, dass die Analyse in den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich und ihrer Sicht auf die EU nicht ausführlicher ist. Hier kann man nur mutmaßen, was der Autor denn sagen wollte.

    Mit den Euro hat uns Frankreich ein riesiges Kuckuksei ins Nest gelegt…

    Bei Merkel wird immer deutlicher, dass die Interessen Israels an der Vertreibung der Syrischen jungen Männer größer ist als das Interesse an wirtschaftlicher Stabilität im Deutschland. Hier wurde und wird Deutschland wieder mal koscher verraten und verkauft.

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