Vertrauen in die spanische Demokratie? Wie denn bloß?

von peregraurovira

Man kann die europäischen Beobachtern nicht oft genug daran erinnern (und ich tue es oft in diesen Seiten): für die spanischen Nationalisten ist die Einheit Spaniens ein heiliges Gut und um es zu verteidigen ist ihnen jedes Mittel recht, egal ob damit die Wahrheit, die Demokratie oder die Menschenrechte zertreten werden. Da helfen alle Beteuerungen nicht, dass Spanien eine ach so vorbildliche Demokratie sei. Wenn die Pferde des nationalistischen Fanatismus durchgehen, bleiben sowohl die Vernunft wie auch die genannten Werte auf der Strecke. Jetzt auch wieder mal.

Jeder kennt die überragende Rolle, dass Internet und soziale Netze in der Bevölkerungsprotesten und -aufständen der letzten Jahre gehabt haben. Auch jetzt in dem katalanischen Konflikt. Und es ist sattsam bekannt, wie Diktaturen und autoritäre Staaten dagegen reagiert haben. Ob Russland oder China, ob Iran oder die Türkei, alle versuchen, mit oder ohne Gesetze, die Netze mundtot zu machen. Jetzt hat sich Spanien in diese „erlauchte“ Gesellschaft eingereiht.

Jetzt wurde das „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ (im Volksmund „Maulkorbgesetz“ genannt) mit einem „Dekret zur öffentlichen Sicherheit im Bereich der Digitalen Verwaltung“ ergänzt. Ein katalanischer Journalist hat es ironisch anders getauft: „Dekret gegen die vermaledeiten Separatisten des verdammten  teuflischen Tsunamis“. Schon viel früher ist die spanische Polizei in Katalonien auf illegale Weise mehrmals gegen die Kommunikationsfreiheit vorgegangen. Mit den neuen Dekret wird versucht, den Übergriffen ein Firnis von Legalität zu verleihen. Detailliert und gut recherchiert wie immer, erklärt der Journalist Ralf Streck hier den ganzen Vorgang: https://www.heise.de/tp/features/Spanien-Internetsperren-wie-in-Iran-und-China-ohne-Richterbeschluss/459809.html .

Ich habe auch sehr oft hier darauf hingewiesen, dass das Vertrauen der Mehrheit der katalanischen Bevölkerung in das Wort das Versprechen der spanischen Machthabern vollkommend zerstört worden ist. Und jetzt ist noch ein Grund dafür dazugekommen.

Erinnern wir uns. Nach dem Referendum am 1.10.17, das laut den spanischen Machthabern illegal aber laut den Experten der ONU doch legal war, hat die katalanische Regierung am 27.10.17 die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen, aber sie gleichzeitig zunächst vorläufig ausgesetzt, um Verhandlungen mit Spanien zu führen. Der katalanische Präsident Puigdemont hat damals Druck aus allen Seiten bekommen (auch von europäischen Politikern), um anstatt die Unabhängigkeit auszurufen, erst Neuwahlen in Katalonien anzusetzen. Das Argument war: nach Ausrufung der Unabhängigkeit würde Spanien den umstrittenen Artikel 155 der Verfassung anwenden und die totale Kontrolle über Katalonien übernehmen. Mit Neuwahlen könnte das vermieden werden. Puigdemont hat eine formelle Bestätigung davon aus Madrid erbeten. Da diese ausblieb, hat es entschieden, das Mandat der Wähler durchzuführen und die Unabhängigkeit (sagen wir, bedingt) auszurufen. Seitdem hat man Puigdemont vorgeworfen als naiver Träumer der Verantwortliche für die Intervention Spaniens zu sein.





Diejenigen, welche diesen Vorwurf selbstgerecht immer wieder widerholt haben, sind jetzt aber selbst als naive Träumer entlarvt worden. Und das gerade durch den Mann, der es am besten wissen kann. den ehemaligen spanischen Ministerpräsident Mariano Rajoy.

In diesen Tagen sind die Memoiren Rajoys erschienen. Aber schon vorher sind davon die Teile durchgesickert, welche die Ereignisse in Oktober 2017 kommentieren. Und da ist Rajoy ganz kategorisch: ganz egal was Puigdemont getan oder gelassen hätte, die Anwendung des Artikels 155 war schon seit langem beschlossen. Keine Blitzentscheidung, sondern etwas, das schon seit November 2014 nach der ersten katalanischen unverbindlichen Volksbefragung langsam aber beharrlich borbereitet wurde. Dazu gehörte die Ablehnung jeden Dialogs, die Diffamierung katalanischer Politiker, die Kriminalisierung von Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung u.s.w. Dazu gehörte am Ende auch die unrechtsmäßige Anwendung des Artikels 155, die widerrechtlich als Freibrief für Madrid benutzt wurde, um die katalanischen Institutionen zu überrollen.

Diese Entscheidung war aber nicht allein von Rajoy bestimmt, sondern auch von seiner Regierung, auch von jenen Minister, die bewusst lügend den Katalanen eine spanische Bereitschaft vortäuschten, die nicht vorhanden war. Keine Voraussetzung, um  das Vertrauen des katalanischen Volkes zu behalten.

Der von mir oft zitierte katalanische Starjournalist Vicent Partal, schreibt in diesem Zusammenhang: „Man fragt mich oft, ob wir zu naiv waren, als wir glaubten, dass die Unabhängigkeit einseitig durch unsere Institutionen erreicht werden könnte. Ich antworte darauf, das wir eher als zu naiv zu demokratisch waren; es war doch der erste Weg, den wir nehmen mussten denn er war der logischte in eine europäischen Demokratie. Sie [die Spanier] wollten schon seit 2014 von Demokratie nichts wissen, aber wir mussten gerade dem demokratischen Weg folgen, um ihnen den Spiegel vorzuhalten. (…) Vor zwei Jahre sind Rajoy und Pedro Sánchez in Brüssel vorstellig geworden, um zu bitten, dass man ihnen freie Bahn ließe, so dass sie das katalanische Problem schon lösen würden, ohne das Europa zu intervenieren brauchte. (…) Aber zwei Jahre später ist das katalanische Problem viel schwerer und schärfer als 2017 geworden, und zeigt was die gefühllosen EU-Bürokraten schon 2017 befürchteten, dass das wahre Problem  Spanien ist“.

Vor kurzem waren die Vorsitzende des größten katalanischen Zivilvereins „Katalanische Nationalversammlung“ (ANC) und der Vizepräsident des katalanischen Parlaments in Berlin, um den Versuch zu machen, en deutschen Parteien die jetzige Lage in Katalonien zu erläutern.  Außer von Die Linke haben sie von allen anderen Parteien nur Absagen bekommen. Gewiss, das aktuelle politische Panorama in Deutschland ist voll mit Ungewissheiten, die den Parteien viele Kopfzerbrechen bereiten. Aber trotzdem ist es traurig bis unverständlich, dass sich niemand an der heißen  Kartoffel des katalanischen Konflikts verbrennen wollte. Weil das sollte man doch bedenken: jede Bestätigung davon, das Katalonien von Europa allein gelassen wird, kann leider den Konflikt weiter radikalisieren.

 

Wandere aus, solange es noch geht!

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