Feiere Sylvester nicht auf einem Bahnhof

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Nun kehrt wieder ein wenig Ruhe ein, nach einem Sylvester, dass der Presse reichlich Schlagzeilen lieferte, wegen der Vorkommnisse schwerpunktmäßig auf dem Kölner Hbf., aber auch in anderen Städten, z. B. in Hamburg.

Ich frage mich natürlich auch, was einen dazu bringt, den Jahreswechsel ausgerechnet auf einem Bahnhof zu feiern. Doch ich bin da auch kein Maßstab. Wer in einem 8. Stock wohnt, mit Blick über ganz Offenbach, Frankfurt bis hin zum Feldberg im Taunus, der wird den Teufel tun und woanders feiern, weil ihm dann ein Feuerwerk entgehen würde, wie es in dieser Dimension nur wenige zu sehen bekommen.

Eigentlich wollte ich mich ohnehin nicht zu diesem Thema äußern, weil es zu viele Fettnäpfchen gibt, in die man treten kann. Nun tue ich es trotzdem und werde kaum vermeiden können, dass ich dabei in Fettnäpfchen trete. Aber egal, schließlich habe ich im Laufe der Jahre darin einige Übung erlangt.

Die Zeit (1) titelte einen Bericht mit den Worten: „Was geschah in Köln“. Es ist eine recht unaufgeregte Zusammenfassung der Schilderung der Vorkommnisse im Kölner Hbf. mit Verweis auf unterschiedliche Medien. Aus den verschiedenen Links in diesem Bericht habe ich einen heraus gepflückt(2), weil es nach Aussagen der ZEIT um die Recherche geht, was es mit dem angesprochenen Zerreißen der Aufenthaltstitel lt. Polizeiaussagen auf sich hat.

Liest man die Vorkommnisse in verschiedenen Gazetten, sind die Aussagen dazu auch sehr widersprüchlich. im Focus(3) ist zunächst von ca. 1.000 Personen, überwiegend jungen Männern die Rede. Später soll die Menge auf ca. 2.000 „Feiernde“ angewachsen sein.

Nun sollte man mir verzeihen, aber ein wenig merkwürdig finde ich einige Aspekte schon. Da sind zunächst die ca. 1.000 Personen, überwiegend „junge Männer“. Man mag mir verzeihen, aber dass sich rund 1.000 junge Männer so einfach zusammenrotten und in gleicher Weise agieren, erscheint mir nicht so ganz realistisch. 50 oder in der Umgebung eines Hbf. 100, meinetwegen auch 150 Personen, das würde ich ja noch akzeptieren. Aber rund 1.000, dazu noch quasi unter den Augen der Polizei? Das würde ich, auch an einer Nacht wie Sylvester nur für möglich halten, wenn das geplant und organisiert gewesen wäre.

Auch die Aussage des Polizisten über das Zerreißen der Papiere finde ich merkwürdig, denn die „Frischlinge“ unter den Asylsuchenden sind aus meiner Sicht weder ausreichend informiert, was rechtlich passiert, wenn sie ihre bestehenden Papiere zerreißen, noch wagemutig genug, ihre sofortige Abschiebung zu riskieren, wenn sie solche Aktionen durchziehen.

Merkwürdig finde ich auch die Vergleiche zum Münchener Oktoberfest. Ich sehe da keinerlei Vergleichspotential. Die Wies’n, ein über mehrere Tage dauerndes Fest mit Zelten, allen möglichen Buden usw. Ich war nie dort, deshalb kann ich es nicht beschreiben, aber es hat völlig andere Dimensionen, als der Kölner Bahnhof. Dieses Fest, mit den Aktivitäten einer Sylvesternacht auf einen Bahnhof zu vergleichen, ist in meinen Augen mehr als gewagt. Kann es sein, dass man dabei darauf spekuliert, dass der deutsche Leser sich über solche „poetischen Einlagen“ in einem Zeitungsartikel keine Gedanken macht, weil er die Nachrichten der Presse als einzige „Quelle der Wahrheit“ in diesen unruhigen Zeiten sieht? Nun ja, ich frage mich oft, was die Presseschreiber so reitet, wenn sie ihre zielgerichtete Propaganda betreiben und dabei zumeist vergessen, dass es noch Menschen gibt, denen Fehler innerhalb einer logischen Folge auffallen.

Doch lassen wir das Geschehen an Sylvester mal ein wenig beiseite und schauen wir auf die Folgen. Dabei interessiert mich die Absetzung des NRW-Polizeidirektors und das Wackeln des Pöstchens vom NRW-Innenminister nicht wirklich, denn es ist etwas wesentlich Gravierenderes geschehen. Als Folge eines Gastbeitrags von Ross Douthat in der New York Times lese ich zum ersten Mal in einer der großen deutschen Zeitungen eine Überschrift: US-Medien zu Köln – „Das bedeutet, dass Angela Merkel gehen muss(4)“.

Darauf warte ich inzwischen rund 10 Jahre und nun macht es mir Angst. Warum? Nun, ich mache mir Gedanken darüber, was passieren würde, wenn Merkel zurücktreten würde, weniger wegen eines Zeitungsartikels, sondern eher, weil sie spürt, dass die Stimmung in den USA sich gegen sie zu richten droht, weil ihre Flüchtlingspolitik nicht den Interessen der USA entspricht. Und die USA haben schon immer Leute, die ihnen nicht mehr nützlich erscheinen, wie eine heiße Kartoffel fallen lassen oder sogar ganz aus dem Wege geräumt (siehe Saddam Hussein).

Doch wie sähe es aus, wenn Merkel wirklich die Konsequenzen zieht und die Vertrauensfrage stellt? Da stellt sich zunächst die Frage, ob die CDU und vor allem die CSU noch wirklich hinter ihr steht und auch, wie Gabriel die Lage einschätzt.

Das wiederum eröffnet 2 Optionen. Die erste Option wäre, dass Gabriel ihr den Rücktritt nahelegt, um die Groko nicht durch Neuwahlen zu gefährden, was ihr gleichzeitig einen sauber wirkenden Abtritt verschaffen würde, immer vorausgesetzt, er rechnet damit, dass CSU-Chef Seehofer schon mit den Hufen scharrt, in Erwartung einer Kanzler-Kandidatur bei Neuwahlen. Doch auch Ursula von der Leyen würde die Gunst der Stunde nutzen, sich der CDU als Kanzler-Kandidatin zu präsentieren, wenn es zu Neuwahlen kommen würde.

Würde Gabriel dann mit seiner (von mir angenommenen) Version Merkel zum Rücktritt bewegen, würden die CDU-Abgeordneten und wohl auch einige CSU-Abgeordnete bei einer Vertrauensfrage vermutlich pro Merkel stimmen, um ihre Pöstchen nicht zu verlieren. Merkel tritt dann mit fadenscheiniger Begründung zurück und Gabriel wird als Vize-Kanzler nun Kanzler und ich glaube, dass ihm das weitaus sicherer für eine SPD-Kanzlerschaft mit ihm als Kanzler erscheint, als wenn er als Kanzlerkandidat der SPD bei Neuwahlen antreten müsste. Denn die Wähler, die zur Wahl gehen, würden doch wieder mehrheitlich die CDU oder in Bayern die CSU wählen, trotz eventueller Grabenkämpfe um die Kanzlerschaft zwischen Seehofer und von der Leyen. Und die SPD würde einmal mehr erfahren, dass ihre Wirtschaftsschleimerei bei ihrem Wählerpotential nicht so gut ankommt.

Einen Vorteil sähe ich dabei allerdings, die CETA-Ratifizierung würde vermutlich dann in die Zeit nach den Wahlen verschoben, denn das Risiko würde Gabriel wohl nicht eingehen, diese Aktion dann noch vorher durchzuziehen. Im Falle eines Rücktritts der Kanzlerin würde diese Gnadenfrist allerdings wesentlich kürzer ausfallen und CETA wohl zu einer der ersten Amtshandlungen eines Kanzlers „Siegmar Gabriel“ werden.

Wenn ich überhaupt Bedenken habe, dass mein seit ca. 10 Jahren gehegter Wunsch in Erfüllung geht, liegt das ausschließlich in der Frage begründet, was kommt danach und keine der hier genannten Optionen würde ich als akzeptable Lösung ansehen. Ich sehe im politischen Spektrum derzeit niemanden, der eine Politik fürs Volk begründen würde. Lediglich die politischen Floskeln würden ein wenig anders aussehen. Aus meiner Sicht wird schon seit geraumer Zeit die Politik ohnehin nicht mehr von Politikern gestaltet, sondern von einer eher unbekannten, aber Interessen geleiteter Berater-Riege, unterstützt von „Ehemaligen“, die ihre politische Laufbahn genutzt haben, in der Wirtschaft aufgrund ihrer politischen Kontakte lukrative Posten zu erhalten. Eine Änderung dieser Politik bedürfte eines Politikers, der seinen Amtseid nicht nur spricht, sondern auch als Maßstab seiner Politik versteht und entsprechend handelt (Sie sehen, ich habe auch noch andere Träume).

Natürlich ist das alles reine Spekulation, die außer acht lässt, welche Klebefähigkeit der Kanzlersitz für Merkel aufweist. Trotzdem bin ich natürlich hoch erfreut, eine solche Überschrift in der ZEIT zu lesen. Den Opfern der Sylvesternacht würde ich dann sagen: „Ihr habt Schreckliches erlebt, aber Euer Opfer hat Großes bewirkt.“ Das wäre natürlich kein wirklicher Trost, könnte aber bei der/dem einen oder anderen dennoch ein wenig Beruhigung schaffen.

Dass die Vorkommnisse auch genutzt werden, eine aus meiner Sicht besonders miese Propaganda gegen Islamgläubige zu verbreiten, beweist der Artikel von Sonja Zekri im Schweizer Tagesanzeiger(5). Eigentlich schreibt sie ja für die Süddeutsche und gilt dort als Nah-Ost-Expertin. Doch diesen Artikel sehe ich als abscheuliche Hetze an. Ich halte nichts von Religionen, weder der christlichen, noch der islamischen oder der israelischen Religion. Doch das ist meine ganz persönliche Meinung, die nichts damit zu tun hat, Gläubige, gleich welcher Religion, zu verdammen oder zu stigmatisieren. Ich wohne in einem Hochhaus und in diesem Haus leben etliche Mieter, deren Glaube der Islam ist. Und ich kenne keinen der Männer davon, der seiner Frau gegenüber einen respektvollen Umgang vermissen lässt. Und die Frauen wirken auf mich nicht, als ob sie unter einem religiösen Druck oder der Unterdrückung durch ihren Mann leiden. Sie machen auf mich durch die Bank einen fröhlichen und höflichen Eindruck und ich glaube auch, dass die Frage des Tragens des Kopftuches nicht eine Frage des Zwanges ist, sondern dem ritualisierten Text des Korans entsprechend getragen wird, so wie gläubige Christinnen fast immer ein Kettchen mit dem Kreuz um den Hals und/oder am Handgelenk tragen.

Sicher, es gibt sie, die Muslime, die ihre Frauen unterdrücken und ihnen nicht die Achtung erweisen, die sie verdienen. Aber dann sollte man mal in die eigenen Reihen schauen. Wie viele Männer in der christlichen Gesellschaft gibt es, die ihre Frauen unterdrücken oder ihre Leistungen missachten?

Die NRhZ(6) hat über Zekri schon vor einiger Zeit einen Beitrag geschrieben, dem ich nur zustimmen kann. Wir haben in Deutschland viele Muslime und es gibt sicherlich viele Ressentiments gegen sie und wohl ebenfalls viele Ressentiments auch seitens der Muslime gegen uns. Diese gilt es abzubauen, von beiden Seiten und es wäre auch Aufgabe der Presse, solche Ressentiments nicht noch zu schüren. Bibel und Koran preisen den gleichen Gott und sind dennoch unterschiedlich. Aber wer dem Koran vorwirft, dass er ziemlich aggressive Sentenzen enthält, hat vermutlich das Alte Testament nicht gelesen und beiden Anhängern der jeweiligen Religion sei gesagt, dass die niedergeschriebenen Texte von Menschen geschrieben wurden und das vor langer Zeit, als die Gewalt unter den Menschen zwar nicht größer, aber zumindest wesentlich persönlicher war. Und ob nun Päpste oder Imame die Schriften interpretieren und auslegen, beides sind Menschen und in ihren Interpretationen kommen bewusst oder unbewusst Elemente ihrer eigenen Vorgeschichte und ihrer Akzeptanz von dem, was andere zuvor dazu meinten und niederschrieben, zum Tragen. Berufen wir uns nicht alle irgendwann auf Aussagen und Handlungen von Menschen, die früher einmal zu einem Thema Stellung bezogen haben und interpretieren wir nicht das Gesagte stets auf eine Weise, wie sie uns persönlich am besten gefällt?

Lese ich den Bericht von der Zekri, komme ich zu dem Schluss, dass der ebenso gut von Alice Schwarzer stammen könnte. Kommt darin nicht ein bei Feministinnen oft vorhandener Männerhass zum Vorschein, ein Hass, dem es nicht möglich ist, zu begreifen, dass die Natur Männer und Frauen als Spezies geschaffen hat, die sich gegenseitig ergänzen sollen? Und nicht nur Frauen werden vom anderen Geschlecht unterdrückt, Opfer von Gewalt (nur eben subtiler), die ausgebeutet und deren Leistungen missachtet werden, die gibt es auch bei Männern. Nur die Form ist mitunter unterschiedlich.

Fußnoten

(1) Was geschah in Köln ZEIT
(2) Polizeibericht wirft weitere Fragen auf ZEIT
(3) Was geschah am Kölner Hauptbahnhof? Das Minutenprotokoll der Horror-Nacht Focus
(4) Das bedeutet, dass Angela Merkel gehen muss Die ZEIT
(5) Eine Erziehung, die Frauen verachtet tagesanzeiger.ch
(6) Ziel: Verwirrung der Öffentlichkeit NRhZ

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