Argumente zur Rente

Von Gert Flegelskamp

Argumente gegen die politische und auch rechtliche Sicht auf das System der gesetzlichen Rentenversicherung.

1. Demographie

Begründet werden alle Einschnitte in das gesetzliche Rentensystem mit der so genannten Alterspyramide, gerne auch als demographischer Faktor bezeichnet. Obwohl diese Argumentation bereits bei der Einführung von den Professoren Schreiber und Höpfner, auf deren Ausarbeitung zur Umstellung des Rentensystems auf eine durch Umlagen finanzierte Rentenzahlung basiert, das Problem der Demographie angeschnitten haben, wurde es erst durch die von Kanzler Schröder eingesetzte Rentenkommission unter Leitung des damaligen Wirtschaftsweisen Prof. Bert Rürup in die öffentliche Diskussion gebracht.

Diese Kommission, bestehend aus 26 Mitgliedern, war mehrheitlich von Vertretern der Wirtschaft, der Banken, der Versicherungswirtschaft und der Wirtschaft nahestehenden Wirtschaftswissenschaftlern besetzt sowie Vertretern des ebenfalls der Wirtschaft nahestehenden Think Tanks INSM (Initiative Neue soziale Marktwirtschaft), dessen Methoden der Desinformation bereits mehrfach die deutsche Presse beschäftigten. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass keines der Mitglieder dieser selbst von Einschnitten in das Rentensystem wirklich tangiert sein würde, auch nicht die beiden Gewerkschaftsmitglieder in führenden Positionen Engelen Kefer oder Wiesenhügel, noch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der BMW-AG Schoch.

Der Einsatz dieser Kommission war wohl den in Brüssel abgeschlossenen Verträgen mit den Anforderungen von GATS der WTO bei ihren „Erkenntnissen“ zugeneigt, nach denen es vor allem darum ging, die vom Staat betriebenen sozialen Systeme weitgehend zu privatisieren, indem eine private und nur durch die Arbeitnehmer zu zahlende Versicherung als bevorzugtes Modell der Rentenversicherung herausgestellt wurde.

Wie sich später herausstellte, standen vor allem der Leiter der Kommission Prof. Bert Rürup und der INSM-Botschafter Prof. Bernd Raffelhüschen in mehr als enger Verbindung zur privaten Versicherungswirtschaft. Vor allem Bernd Raffelhüschen übte sich in den folgenden Jahren darin, Rentner und das Rentensystem insgesamt zu diskreditieren und in übler Weise zu verunglimpfen (siehe bspw. Artikel in der Ostfriesenzeitung „Schneeball wächst zur Lawine“ im Mai 2011).

Es lohnt, diese „demographische Katastrophe“ einmal näher zu betrachten. Die Kernaussagen sind der Rückgang der Geburtenziffern und die Alterung der Gesellschaft. Unbestreitbar ist, dass seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Fertilitätsrate in Deutschland rückläufig ist, was allgemein dank intensiver Werbung der Politik und der Versicherungswirtschaft und auch der Politik als Katastrophe angesehen wird. Doch angesichts einer rapide wachsenden Weltbevölkerung sollte dieser Umstand als eine Vorreiterrolle betrachtet werden. Hinzu kommt der durch die Industrialisierung und Computerisierung mit immer ausgefeilteren Techniken Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und Computer. Man braucht nicht mehr die Menge an menschlichen Arbeitskräften, wie das noch Mitte des 20. Jahrhunderts der Standard war. Das ist sowohl der Wirtschaft wie auch der Politik durchaus bekannt, wird aber immer gezielt ausgeblendet, um erst gar nicht die Idee wachsen zu lassen, dass es Aufgabe der Wirtschaft und der Politik wäre, die arbeitende Bevölkerung, die den herrschenden Wohlstand erst ermöglichte, auch an den Erfolgen partizipieren zu lassen.

Die weitere Argumentation ist die Alterung der Gesellschaft. Dabei bleiben 3 Aspekte völlig außerhalb der offiziellen Betrachtung:

    1. Die längere Lebenserwartung der Modellrechnungen im Vergleich zur Vergangenheit ist vor allem den heute besseren Standards in der Medizin und in der Verkehrs- und Arbeitsplatzsicherheit zu suchen. Dabei bleibt stets unberücksichtigt, dass dieser Umstand auch dazu beiträgt, dass die heutigen Arbeitskräfte damit den Arbeitsprozessen länger erhalten bleiben, weil sie das ursprüngliche Renteneintrittsalter von 65 Jahren auch erreichen. Der Wirtschaft scheint dieser Umstand weniger zu gefallen, denn sie gibt sich schon lange Zeit alle Mühe, ältere Arbeitnehmer möglichst früh aus dem Arbeitsprozess auszugliedern und wurde dazu von der Politik intensiv unterstützt, wie die Frühverrentungsmodelle der Vergangenheit deutlich machen. Das stets verwendete Argument, dass die älteren Arbeitnehmer nicht mehr so leistungsfähig und unflexibler seien, ist weitab der Wirklichkeit angesiedelt. Die Realität ist, dass die nachrückenden jungen Arbeitskräfte erheblich billiger und heute durch die hohe Arbeitslosigkeit auch leichter unter Druck sind, sich mit niedrigen Löhnen abzufinden.
    2. Die statistischen Rechenmodelle der zunehmenden Alterung beziehen sich stets auf die gesamte Gesellschaft. Es gibt keine öffentlich bekannte Statistik, die ausschließlich die Lebensdauer des Personenkreises darstellt, um den es in der Rentendiskussion wirklich geht, die Arbeitnehmer der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Der Bevölkerungsanteil dieser Gruppe beträgt aber lt. Statistik des stat. Bundesamtes (Heft März 2011 Wirtschaft und Statistik auf Seite X, Abschnitt Tabellen) mit Stand 30.06. 2010 nur 27,710 Millionen Erwerbspersonen, davon 5,389 Millionen in Teilzeitbeschäftigungen. Zählt man nun noch die 16,490 Millionen Rentner der GRV (Stand Nov. 2010) hinzu, kommt man auf die Zahl von 44,2 Millionen Versicherte der GRV insgesamt, das macht ca. 54% der Bevölkerung aus. Der Rest ist entweder anderweitig in der Altersvorsorge versichert, wobei versichert ein zu weit gefasstes Argument ist, da ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung keinerlei Versicherungsbeiträge für die Altersvorsorge aufbringen muss, sondern aus staatlichen Mitteln „alimentiert“ wird (Beamte und Politiker). Weil aber gerade bei den GRV-Versicherten der wohl größte Teil der Bevölkerung in eher einfacheren Verhältnissen lebt und sich deshalb auch nur die normale von der staatlichen (und beitragsfinanzierten) Gesundheitsvorsorge bezahlten medizinischen Versorgung leisten kann, dazu noch oft in Berufen tätig ist, deren verschleiß- und Gefährdungspotential erheblich höher ist, als das alimentierter oder in ständischen Versicherungen organisierten Personen der Fall ist, könnte nur eine spezifische Sterbetabelle, bezogen auf ausschließlich GRV-Versicherte, Aufschluss darüber geben, wie hoch die Lebenserwartung dieses Personenkreises real ist.
    3. Stets vernachlässigt wird der andere Teil der demographischen Betrachtung, also Kinder und Jugendliche, die, wie das Mackenroth Theorem beweist, ebenfalls von dem aktiven Bevölkerungsteil zwischen ca. 20 und 65 Jahren finanziert werden muss. Das zu diesem Beginn der Demographie auch die Personen zählen, die sich später dem Solidarsystem GRV verweigern und eine berufliche Laufbahn außerhalb der GRV-Versicherten einschlagen, dabei nicht selten sogar wesentlich länger als bis zum 20. Lebensjahr von der staatlichen Fürsorge wegen Studiums partizipieren, ist ein Umstand, der in der demographischen Debatte konsequent unterschlagen wird.

2. Fremdlasten

In der politischen und justiziellen Diskussion werden die der GRV aufgebürdeten Fremdlasten stets weitgehend unterschlagen. Als Argumentation dient vor allem der Justiz der Hinweis, dass es sich bei der GRV um ein Solidarsystem handle. Diese im Prinzip richtige Aussage wird aber politisch und justiziell dahingehend persifliert, dass die „Solidareigenschaft“ auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt wird. Ein Solidarsystem ist aber in sich stets ein geschlossener Kreis, kann also nicht auf einen Personenkreis ausgedehnt werden, der sich dieser Solidargemeinschaft entzieht und damit auch von Einschränkungen, die dieser Solidargemeinschaft aufgebürdet werden, nicht betroffen sind.

Das Rentensystem ist ein grundgesetzlich geschütztes Versicherungssystem und die dem System aufgebürdeten Fremdlasten sind ausschließlich versicherungsfremde Leistungen, die als gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht aus den Rentenbeiträgen der Versicherten, sondern aus Steuermitteln zu tragen wären. Die Universität Gießen hat als Fremdlasen

      • Kriegsfolgelasten (Kriegerwitwen-, Kriegswaisen-, Kriegsversehrtenrenten)
      • Anrechnungszeiten, z. B. für Ausbildung, wegen Arbeitslosigkeit oder wegen Krankheit
      • Kindererziehungsleistungszeiten (KLG)
      • Kindererziehungszeiten (wobei hierfür mittlerweile vom Bund Pflichtbeitragsleistungen aufgrund eines Urteils des BVerfG erbracht werden)
      • Rentenberechnung nach Mindesteinkommen
      • Absicherung des Arbeitsmarktrisikos durch Rentenzahlung
      • Bestandsschutz für Renten in den neuen Bundesländern
      • Renten für Aussiedler
      • Ausgleich von NS-Unrecht
      • Ausgleich von SED-Unrecht.

definiert. Der immer wieder von Politik und Justiz angeführte „Bundeszuschuss“ ist kein Zuschuss, sondern ein unzureichender Ausgleich für eben diese gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen, die von der Politik von Beginn an, also schon seit Beginn der Umlagenfinanzierung, einseitig den GRV-Versicherten aufgebürdet wurden. Mit der Betonung auf diesen Bundeszuschuss hausiert die Politik in der öffentlichen Diskussion über die mit den vielen Rentenreformen und zusätzlichen Belastungen der Rentner einschließlich der Nullrunden als „alternativlose“ Maßnahmen. Dass sie dabei von den eher als Versicherungsvertreter anzusehenden Wirtschaftsprofessoren wie z. B. Rürup, Raffelhüschen, Miegel, Biedenkopf u. a. massiv unterstützt werden, liegt in der Natur der Sache, schließlich ist es das erklärte Ziel, der privaten Versicherungswirtschaft Aufträge in Form von Riester- oder Rürup-Renten zuzuschustern. Selbst in der Presse und im Fernsehen wurden dabei diese privaten Verträge zur Riester- oder Rürup-Rente schon häufig als wenig effiziente und wegen der Finanzkrise ausgesprochen unsichere Anlagen zur Altersvorsorge angeprangert und zu Recht behauptet, dass davon lediglich die Versicherungskonzerne profitieren.

Mit ihren Aussagen über die GRV und die Rentner wird dabei ganz massiv versucht, die Gesellschaft zu spalten und einen Keil zwischen die Generationen zu treiben. Keine Statistik offenbart dabei, mit wie vielen Milliarden die Politik diese privaten Versicherungsverträge subventioniert. Dass sie sich dabei auch mit den so genannten Riesterfaktor aus den Renten der Versicherten bedient, ist ein weiterer unhaltbarer Bestandteil dieser Kampagne. Die politische Aussage, dass es darum ginge, die Rentenbeiträge auf einem stabilen Niveau zu halten, ist eine weitere Verdummungsstrategie, weil der Riester-Rentenanwärter ja zusätzlich 4% seines Einkommens als Beitragsleistung aufbringen muss, wenn er in den Genuss der Riester-Förderung kommen will. Vorteile davon hat nur die Wirtschaft, deren anteilige Beitragsleistung damit eingefroren wird.

3. Abwägung der Vorteile der GRV gegenüber der privaten Versicherungswirtschaft

Das Prinzip der Umlagenfinanzierung weist gegenüber der privaten Versicherung eindeutige Vorteile aus.

    1. Es kommt mit wesentlich geringeren Verwaltungskosten aus
    2. Es fallen keine Kosten durch Gewinnausschüttungen an Aktionäre an
    3. Es ist ökonomischer und politisch vorteilhafter. Ökonomischer deshalb, weil es dem Mackenroth-Theorem gerecht wird, das besagt, dass eine Generation nicht für eine künftige Generation ansparen kann, sondern immer aus seinen Wirtschaftsleistungen sowohl die junge, wie auch die alte Generation finanzieren muss. Die aus den aktuellen Beiträgen aktuell finanzierten Renten fließen fast zu 100% sofort zurück in die Wirtschaft und zwar hauptsächlich in die Binnenwirtschaft in Form von Lebensmitteln, Mieten, Energiekosten usw. Aus diesen Ausgaben werden unmittelbar wieder Steuern in Form von Umsatzsteuern und den indirekten Steuern an den Fiskus generiert. Die Einnahmen aus den Beiträgen fließen somit sofort wieder zurück in den Wirtschaftskreislauf und stärken so die Binnenwirtschaft, sichern Arbeitsplätze und bringen Steuereinnahmen.
    4. Es ist weitaus anpassungsfähiger an währungspolitische Schwankungen, als jedes private Rentensystem und es fließt kein Kapital an von der Bevölkerung unerwünschte Industriebeteiligungen wie z. B. die kürzlich aufgedeckte Beteiligung privater Rentenfonts an die Waffenproduktion, dazu zum Teil geächteter Waffensysteme. Die von der privaten Versicherungswirtschaft danach erfolgten Beteuerungen, man wolle dort künftig nicht mehr investieren, sind eher unglaubwürdig, weil die dort eigehenden Beitragsleistungen in jedem Fall Gewinne erzielen müssen, um den deutlich höheren Kostenaufwand für Verwaltung, Aktionärsrendite und als letztes eine evtl. Überschussbeteiligung für die Anleger zu erwirtschaften.

4. Generationengerechtigkeit

Generationengerechtigkeit ist ein politisches Schlagwort, das benutzt wird, um die Generationen gegeneinander auszuspielen, während man das genaue Gegenteil von einer Generationengerechtigkeit praktiziert. Jede Absenkung des Rentenstandards, der durch eigene Beitragsleistungen von der Rentnergeneration in 40 bis 50 Jahren Erwerbstätigkeit mit Lohnverzicht (denn die Sozialsysteme werden mit Lohnverzicht finanziert) finanziert wurde, ist eine schreiende Ungerechtigkeit den Menschen gegenüber, die dieses Land nach der Katastrophe von WK II erst wieder aufgebaut haben, ohne die Annehmlichkeiten der heutigen Zeit, die erst wesentlich später verwirklicht wurden. und sie hatte ganz sicher auch keine Mitverantwortung für diesen Krieg, denn die, die noch an diesem Krieg in jungen Jahren teilgenommen haben, sind heute alle über 90 Jahre alt. Und 19 bis 20-Jährigen kann man wohl keine Mitverantwortung anlasten. Sie wurden zwangsrekrutiert oder waren durch die jahrelange Gehirnwäsche dieses Systems vielleicht auch verblendet genug, sich freiwillig zu melden. Die wirkliche Verantwortung aber lag bei der so genannten Elite, die wie heute die Lebensgrundlagen der Bevölkerung in der Weimarer Republik zerstört haben und damit erst den Nazis den Weg bahnten. Und es waren die liberalen und die christlichen Parteien, die dem Ermächtigungsgesetz zu Beginn der Naziherrschaft zugestimmt haben, durch dass sich Hitler erst zum Alleinherrscher aufschwingen konnte. Es waren die Mächtigen der damaligen Zeit, die diese Partei finanziert haben und nicht nur deutsche Finanziers wie Krupp, Thyssen, Bosch, Siemens und die IG-Farben, sondern auch Finanziers aus Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und den USA.

Aber auch für die junge Generation wird mit den Maßnahmen zur Rentenkürzung keine Rentenkürzung hergestellt. Ganz im Gegenteil, denn jede Kürzung heute setzt sich für die junge und die kommende Generation fort, wird aber noch verschärft, weil die Erwerbsvita der jetzigen und der kommenden Generation wesentlich lückenhafter sein wird, als die der heutigen Rentner. Damit erfahren auch diese Generationen keine Gerechtigkeit. Sie werden schlichtweg politisch veralbert und das von Leuten, die mehrheitlich selbst von solchen Beschlüssen gar nicht oder nur minimal betroffen sind. Es sind die Leute, die selbst keinen Beitrag zu ihrer Altersvorsorge leisten, aber im Alter wesentlich besser dastehen, als es Rentner der GRV jemals vergönnt sein wird.

Quelle: http://www.flegel-g.de/

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