Der faustische Pakt

Von Michael Winkler

Der faustische Pakt (23.11.2011)

Haben Sie Ihre Seele schon mal an den Teufel verkauft? Damit meine ich weder Ihre Unterschrift unter Ihrem Arbeitsvertrag, noch das kleine Protokoll, das die netten Herren vom Verfassungsschutz für Sie aufgesetzt haben. Selbst Ihre Parteimitgliedschaft bei den Grünen ist noch kein Vertrag mit dem Teufel.

Im klassischen Märchen erscheint der Teufel, wenn Sie in tiefster Verzweiflung nach ihm rufen. Der Teufel bietet Ihnen wunderbare Geschenke, eine immervolle Geldbörse, einen magischen Diener, Macht, Reichtum, Gesundheit – für sieben, zwölf oder zwanzig Jahre, das ist Verhandlungssache. Dafür bekommt er Ihre Seele, und das für alle Ewigkeit. Meistens müssen Sie noch ein wenig Blut spenden, weil entweder der ganze (kurze) Vertrag oder zumindest Ihre Unterschrift damit geschrieben werden. 1.500 Seiten mit Kleingedrucktem entsprechen eher der Phantasie Hollywoods.

Jedenfalls ist das Prinzip dieser Verträge eindeutig: Nach einem kurzen Genuß folgt eine lange Reue, eigentlich sogar eine unendliche Reue. Das ist so ähnlich wie mit den Pilzen: Essen kann man sie alle, aber nur bestimmte Sorten mehr als einmal.

Der faustische Pakt, den wir am häufigsten unterschreiben, ist der Kreditvertrag. 14 Tage Luxusurlaub, für die Sie danach vier Jahre Kreditraten bezahlen, wirken so, wie es dem Teufel gefällt, obwohl Sie gar nicht mit Ihrem Blut unterschrieben haben. Mit Geld sind Sie ein Drache, ohne ein Wurm – so soll in Asien für Kredite geworben worden sein. Was die netten Damen und Herren in der Bank allerdings verschwiegen haben: Mit Ihrem Kredit sind Sie anschließend kein Geldbesitzer, sondern ein Geldschuldner, also jemand, der kein Geld hat, eben ein Wurm. Und der Wurm kann nicht einmal zu Kreuze kriechen, weil ein wirbelloses Wesen keinerlei Rückgrat hat.

Genieße jetzt, bezahle später hat folglich seine Nachteile. Es gibt jedoch Verträge mit dem Teufel, bei denen ein Anderer daran glauben muß. Das klassische Beispiel sind Brücken, wie die Steinerne Brücke in Regensburg. Deren Bauherr soll dem Teufel die Seele des ersten Wesens versprochen haben, das über die fertige Brücke gehen würde. Als der Bischof die Brücke einweihen wollte, hat der Bauherr seinen Hut geworfen und damit seinen treuen Hund auf die Brücke gejagt. Ja, ja, damals gab es noch keine Tierschutzvereine.

In der Demokratie gibt es eine vergleichbare Taktik, die mit der Zauberformel „nicht mehr im Amt“ umschrieben wird. In vordemokratischen Zeiten gab es diese Zauberformel nicht. Es gab einmal einen absolut wohlmeinenden, großzügigen römischen Kaiser namens Nero. Er war ein großer Förderer der Künste und er verehrte das damals bereits alte Griechenland derart, daß er die Provinz Griechenland von den Steuern befreit hatte. Warum hat dieser Menschenfreund heute eine derart schlechte Presse? Nun, Nero wurde vom großzügigen Drachen zum hinterhältigen Wurm, als ihm das vom Vorgänger Claudius angesammelte Geld ausging. Danach hat er gerne seine reichen Mitbürger darum gebeten, ihm letztwillentlich ihr Vermögen zu hinterlassen – und danach von eigener Hand den Erbfall herbeizuführen. Dieser Selbstmord auf Befehl war bei den Betroffenen nicht sehr beliebt, weshalb ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wurde.

Die Schulden, die ein Herbert Frahm angehäuft hatte (Kriegsname: Willy Brandt), wurden einem Helmut Schmidt übergeben, denn Herbert war dann nicht mehr im Amt. Natürlich hat dieser Helmut nichts dagegen getan, sondern fünf Prozent Inflation und fünf Prozent Arbeitslosigkeit angehäuft, bevor ein weiterer Helmut, diesmal ein Kohl, das Schuldbuch geerbt hat.

Kohls erster Finanzminister Stoltenberg hat es wenigstens versucht. Er hat zwar keinen Pfennig Schulden zurückbezahlt, aber immerhin die Neuverschuldung stetig zurückgefahren. Nur, leider, ist Sparsamkeit zwar eine Tugend, aber nichts, weswegen man wiedergewählt wird. Helmut der Verkohler war am Ende, hätte ihm die DDR-Führung nicht geholfen. Just in dem Moment, in dem „Birne“ zur Abwahl anstand, ließ die DDR die Mauer fallen und die Saumagen-Werbeikone verklärte sich zum Kanzler der Einheit.

Und dann kam die Stunde des Mephisto. Leider hielt sich diese Ausgabe nicht an die literarische Vorgabe, denn dieser Geist wollte offenkundig immer nur das Gute und hat trotzdem unablässig das Böse geschaffen. Immerhin, mit Mitterand hätten wir einen veritablen Höllenfürsten, der Versailles ohne Krieg herbeiführen wollte. Kohl, Genscher und Waigel, die „Väter des Euro“, fühlten sich vielleicht als Dr. Faust, waren jedoch in Wahrheit allenfalls das naive Gretchen, das nicht einmal fähig war, die richtige Frage zu stellen: „Wie haltet Ihr es mit der wirtschaftlichen Disziplin?“

Damals wurde die Verlockung geboren, mit der ganzen Volkswirtschaft eines Landes einen faustischen Pakt einzugehen. Die Verlockungen des Teufels waren großartig: Die alte Inflationswährung mit ihrem schlechten Ruf würde man los, die neue Währung versprach niedrige Zinsen, also billiges Geld. Ein warmer Regen würde über die Wirtschaft niedergehen, der schon alle Düngemittel enthielte. Was bisher dem geldlosen Wurm nicht möglich gewesen war, würde der reiche Drache spielend schaffen.

Es gab noch ein Versprechen, daß unsere naiven Politiker geflissentlich überhört haben: Deutschland zahlt alles! Da lag sie, die immervolle Geldbörse, man brauchte nur hineinzugreifen. Versailles ohne Krieg, diesmal für ganz Europa. Klar, daß Spanien und Griechenland, daß Italien und Portugal sich aufgehübscht hatten, um an die sprichwörtlichen Fleischtöpfe zu gelangen.

Die Maastricht-Kriterien waren Sand in die Augen des deutschen Volkes, des auserwählten Zahlmichels. In die große europäische Gemeinschaftswirtschaft wurden alle Bankrott-Staaten bereitwillig aufgenommen, solange sie nur brav die Händchen falteten und ein Gedicht aufsagten. Dann öffnete Sankt Nikolaus den Sack und Knecht Ruprecht lächelte weise, anstatt die Rute zu benutzen.

Der Euro kam und er wurde sogleich geschrödert. Wo ein Waigel noch ganz ernsthaft von Stabilität und Disziplin fabulierte, haben Schröder, Fischer und Eichel die Axt angesetzt. Das schwere Erbe der Versäumnisse Kohls mag das erfordert haben, doch ob wirklich der Weg des geringsten Widerstands und des geringsten Intelligenzaufwands nötig gewesen wäre, wage ich zu bezweifeln. Altkommunisten und Kleingeister waren die Falschen, um eine solche Währung zum Erfolg zu führen.

Der Teufel verspricht ein paar gute Jahre, im Austausch gegen die ewige Verdammnis, die jenen guten Jahren folgt. In Spanien und Griechenland wurden die guten Jahre ausgenutzt, wurden Straßen gebaut und das Füllhorn staatlicher Leistungen ausgegossen, in Deutschland wurde gespart. Hier verfallen Straßen und Brücken, hier gibt es Hochgeschwindigkeitsnetze nur in großen Städten, hier wurden die Schulen zu Spielwiesen von Bildungsideologen herabgewirtschaftet.

Deutschlands Handelsüberschüsse flossen in die Kassen jener EU-Staaten, die zu wenig erwirtschaftet haben, um sich unter normalen Umständen ihre Importe leisten zu können. Im faustischen Pakt der Euro-Staaten fiel Deutschland die Rolle des Mephisto zu, des Dieners, der die Wünsche des Vertragspartners auszuführen hat. Diese Rolle ist die undankbarste im ganzen Vertrag. Der Geist aus der Hölle muß die Wünsche des Doktor Faustus erfüllen, schnell wie der Gedanke alles leisten, was die Launen seines Herrn erfordern. Und am Ende, nachdem die gute Zeit abgelaufen ist, wenn die Sklaverei des Geistes endet, steht auch für ihn die Rückkehr in die Hölle.

Deutsche Arbeiter haben die Überschüsse für die EU erwirtschaftet, dafür wurde ihnen der gerechte Lohn vorenthalten, denn seit Einführung des Euros stagnieren die Reallöhne. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, das gilt nur, wenn man die offizielle, die geschönte Statistik zugrunde legt. Berücksichtigt man die realen Preiserhöhungen, so werden daraus Verluste. Die einstigen Spitzenverdiener sind sozial abgestiegen, ihre Arbeitsplätze wurden ins Ausland verlagert, ihre Tarifverträge mit Leiharbeit ausgehebelt. Das Sozialsystem, das mit ihrer Hände Arbeit aufgebaut wurde, hat nur noch Almosen für sie. Almosen, zu denen jeder Zugang erhält, der sich in dieses Land hineinschleicht.

Deutsche Sparer haben bei Banken und Versicherungen jenes Geld eingezahlt, das die zerfallenden Regierungen Südeuropas heute den Banken schulden. Was immer die deutschen Hetzblätter über Griechenlands ausufernde Sozialleistungen berichten, wurde mit diesem Geld finanziert. Dieses Geld ist verschwunden, uneinbringlich versickert. Nur wer die letzten Tage des Euros nutzt und seine Ersparnisse abräumt, sie in Edelmetalle und Sachwerte umwandelt, kann noch ein wenig retten.

Dafür wird Deutschland heute als Vorbild hingestellt, die Kanzlerin wuchert mit dem Blut, dem Schweiß und den Tränen, die den Deutschen als dienstbare Höllengeister abverlangt worden waren. Für das bißchen Schulmeisterei werden wir, denen die guten Jahre versagt geblieben sind, als die Schuldigen an der Höllenfahrt der Bankrott-Länder hingestellt.

Dabei hat Deutschland längst seinen eigenen Höllenpakt geschmiedet. Frahm, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel – ein Schuldenkönig wird vom nächsten übertroffen. Die am höchsten verschuldete Nation Europas ist nicht Italien, es ist auch nicht Griechenland, Belgien oder Frankreich, mit mehr als zwei Billionen Euro ist es das ausgemerkelte Deutschland.

Wir leben nicht von der Hand in den Mund, wir schneiden uns die nächste Mahlzeit aus dem eigenen Fleisch. Was immer wir so großartig exportieren, wir liefern das Geld, um diese Waren zu bezahlen, gleich mit. So läßt sich nichts verdienen, bestenfalls die Bonuszahlungen für Manager und Bank-Ganoven. Die Wirtschaft erlebte eine Scheinblüte, die sich jetzt auflöst, weil die Konsumenten der Welt bereits bis zur Halskrause verschuldet sind.

Der faustische Pakt existiert jedoch in der realen Welt, der Höllenfürst ist nicht involviert, zumindest soweit man Leute wie Herrn Blankfein von Goldman Sucks nicht als solchen bezeichnen möchte. Zinsknechtschaft mag zwar als ewig angesehen werden, doch in der realen Welt gibt es keine Unendlichkeit. Oh ja, die Hölle wird ausbrechen, uns stehen harte Jahre bevor. Schuldbücher werden aber nicht im Himmel geführt, sondern bei irdischen Banken. Nicht nur Schuldner, auch Gläubige gehen unter, wenn die Krise voll ausbricht.

Wer stetig strebend sich bemüht, den können wir erlösen…

Ja, die Erlösung ist möglich, aber nur, wenn wir alle uns wirklich stetig – also ständig, ohne nachzulassen – und strebend – also zielgerichtet, zum Wohl unseres Volkes – bemühen. Man hat uns verkohlt, geschrödert und ausgemerkelt, und ja, wir liegen am Boden, auch wenn es die Mehrheit dieses Volkes noch nicht gemerkt hat. Wir werden den aufgehäuften Dreck zu fressen bekommen, doch das ist nicht wichtig. Wichtig ist, die Hölle zu überleben, wichtig ist, nur ein einziges Mal öfter aufzustehen, als wir mit dem Kopf voran in den Dreck geschickt werden.

Wir sind Deutschland, hier wurden Faust I und Faust II geschrieben, Dr. Faustus ist ein Landsmann von uns. Wer also sollte einen faustischen Pakt besser verstehen als wir? Und wer sollte aus diesem Verständnis heraus besser in der Lage sein, dem Pakt zu entkommen, als wir? Lesen Sie ruhig in den Märchen nach, der Teufel ist mächtig, er ist raffiniert, er ist hinterhältig – und trotzdem hat er am Ende immer verloren.

Quelle: http://www.michaelwinkler.de/Pranger/Pranger.html

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