Afghanistan – Invasion gescheitert

Redaktion politonline

d.a. Der 2001 von der USA und ihren NATO-Verbündeten in Afghanistan begonnene Krieg, mitunter verharmlosend auch nur als »Militäroperation« bezeichnet, findet sein Ende. Einige der den US- resp. NATO-Angriffen des öfteren zugeteilte Namen kann man lediglich unter dem Aspekt eines unverhohlenen Zynismus betrachten, so auch die dem Einfall in Afghanistan verliehene Bezeichnung »Enduring Freedom«, da bei genauer Verfolgung der dort zum Einsatz gelangten Strategien von Anfang an ersichtlich gewesen sein musste, dass diese keinen Frieden schaffen würden.

Im vergangenen Jahr hatten die USA und die Taliban erstmals seit mehr als 18 Jahren ein Abkommen unterzeichnet, das den Abzug der fremden Truppen im Verlauf dieses Monats festlegte. Gegenwärtig halten sich in Afghanistan knapp 10.000 Soldaten der NATO und der Partnerländer der Allianz auf, darunter 2.500 US-Militärs; die Hauptaufgabe – wird erklärt – besteht in der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte.

Dem Wall Street Journal zufolge, dies unter Berufung auf Offizielle, drängen jedoch die US-Verbündeten in Europa, darunter auch Deutschland, inzwischen darauf, dass die USA ihren Truppenabzug aus Afghanistan verschieben und den anderen Teilnehmern des NATO-Einsatzes so mehr Zeit und Unterstützung für ihren eigenen Rückzug aus dem Land geben. Es wird darauf verwiesen, dass Washington seinen Koalitionspartnern für die Zeit ihres Truppenabzugs materielle und technische Unterstützung zugesagt hat. Einige der Verbündeten haben erklärt, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würden, Afghanistan zu verlassen, so dass sie darum baten, dass auch nach dem 4. Juli US-Soldaten in Afghanistan verbleiben. Wie es heisst, besteht ein weiteres Problem offenbar darin, dass die Türkei, die seit Jahren die Sicherheit am Flughafen von Kabul gewährleistet hat, die NATO wissen liess, dass sie ihre Truppen ebenfalls abziehen könnte. Der mögliche Abzug letzterer Kräfte könnte einige westliche Länder dazu bewegen, ihre Pläne zum Verbleib ihrer reduzierten diplomatischen Kontingente im Land zu revidieren. [1]

Wie der Bericht von German Foreign Policy darlegt [2], ist der erste große Militäreinsatz der Bundeswehr außerhalb Europas komplett gescheitert. Zum Schutz ihres Abzugs mußte jetzt eigens noch ein Mörserzug, eine Panzerabwehr- und Feuerunterstützungskompanie, an den Hindukusch geflogen werden. Zuvor hatte die Biden-Administration ihre Verbündeten mit einem neuen Alleingang bei der Entscheidung über die Beendigung des Einsatzes düpiert. Seit Ende April gilt die Zusage der Taliban, dem Westen erstmals in der Geschichte des Landes freies Geleit einzuräumen, nicht länger; auch ihre Zusage, die westlichen Militärbasen vor Angriffen anderer afghanischer Milizen zu schützen, ist abgelaufen.

Dem Abzugsbeginn waren erhebliche transatlantische Verstimmungen vorausgegangen. Präsident Trump hatte die verbündeten westlichen Mächte bereits vor den Kopf gestoßen, als er nach dem Abschluß des Abkommens vom 29. Februar 2020 zwischen den USA und den Taliban immer wieder Truppen im Alleingang reduzierte, so dass speziell die Staaten Westeuropas nach dem Amtsantritt Biden auf einen Kurswechsel in Washington gehofft hatten. Biden hat   den Abzug dann tatsächlich zunächst gestoppt und angekündigt, diesen einer sorgfältigen Revision unterziehen zu wollen. Das war als Einwilligung in die Forderungen der meisten anderen NATO-Staaten, den Taliban vor dem endgültigen Abzug noch so viele Zugeständnisse wie möglich abzuverlangen, verstanden worden. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte nach Bidens Revisions-Ankündigung wiederholt betont, das Kriegsbündnis werde seine militärische Präsenz am Hindukusch nur beenden, sofern die Taliban gestellte Bedingungen erfüllten, während Außenminister Maas im März geäußert hatte, dass man sich in der Sache einig sei, dass wir einen ‚condition-based Abzug wollen; die europäischen NATO-Staaten schienen sich damit durchgesetzt zu haben.

Von Bedingungen dieser Art nahm die Biden-Administration jedoch Mitte April in einem neuen Kurswechsel Abstand, ohne die verbündeten Staaten vorab auch nur zu konsultieren, was nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten und in der NATO zu weiteren Spannungen führte; die Bundeswehr sah sich ebenfalls in Nöte gestürzt: Sie hatte für ihren Abzug ursprünglich drei Monate veranschlagt, muß nun aber um einiges schneller vorgehen, da die Vereinigten Staaten ihren eigenen Abzug schon am 4. Juli, ihrem Unabhängigkeitstag, abschließen wollen.

Wie GFP weiter schreibt, ist nicht klar, ob es der Bundeswehr bis dahin gelingt, ihr gesamtes Material aus Afghanistan abzutransportieren, da womöglich zu wenig Transportflugzeuge zur Verfügung stehen. Die einst verfügbare Option, Militärmaterial auf dem Schienenweg über russisches Territorium aus dem Land zu bringen, steht heute wegen der Eskalation des Machtkampfs gegen Russland nicht mehr zur Verfügung. Sollte nicht genügend Zeit für den Abtransport verbleiben, müssen Teile des Materials möglicherweise vor Ort zerstört werden, um es nicht den Taliban oder anderen feindlichen Milizen in die Hände fallen zu lassen.





Nach dem Scheitern aller hochfliegenden Pläne befindet sich Afghanistan, was die Lage der Bevölkerung, die Gewalt und die politischen Perspektiven angeht, in einem desolaten Zustand, der auch die deutsche Präsenz am Hindukusch prägt.

Die Arbeit des deutschen Generalkonsulats in Masar-i-Sharif, die seit einem Anschlag im Jahr 2016 nur noch innerhalb des nahe der Stadt eingerichteten deutschen Militärlagers weitergeführt worden war, wird nach dem Abzug der deutschen Truppen eingestellt. Die deutsche Botschaft in Kabul war schon 2017 bei einem Anschlag zerstört worden, so dass der Botschafter und sein Stab in Containern auf dem Gelände der stark gesicherten US-Botschaft arbeiten. Als Maas Ende April nach Afghanistan reiste, um mit der dortigen Regierung über den bevorstehenden Abzug zu sprechen, wurde er mit einem explizit gegen Raketenbeschuß gesicherten Transportflugzeug A400M nach Kabul sowie vom dortigen Flughafen mit einem US-Hubschrauber zu den hochgesicherten Regierungsgebäuden geflogen. Die afghanische Hauptstadt mit gepanzerten Fahrzeugen zu durchqueren, gilt schon lange als viel zu gefährlich.

Das US-Abkommen vom 29. 2. 2020 sah den 30. April als endgültiges Abzugsdatum für die westlichen Truppen vor; es herrscht nun die Befürchtung, dass die Taliban jetzt zu Attacken auch auf deutsche Soldaten und das Militärlager in Mazar-i-Sharif übergehen könnten. Dass es seit der Unterzeichnung des US-Abkommens mit den Taliban nicht mehr zu gravierenden Angriffen auf westliche Militärlager kam, liegt laut Berichten an einem geheimen Anhang zu dieser Vereinbarung: Demnach haben die Taliban nicht nur zugesichert, keine westlichen Truppen mehr zu bekämpfen, sondern nur noch einheimische Ziele; sie haben ferner zugesagt, westliche Militärlager vor Überfällen anderer Milizen zu schützen, so etwa des afghanischen Ablegers des IS: Die Rede ist von einem Taliban-Schutzring. Auch diese Zusicherung ist jetzt allerdings hinfällig. Stattdessen haben die Taliban, wie berichtet wird, begonnen, die westlichen Stützpunkte locker einzukreisen. Ob sie noch vor dem Abzug angreifen oder nur danach die geräumten Militärbasen übernehmen wollen, ist nicht klar.

Es steht zu befürchten, dass die Taliban, die schon jetzt mehr als die Hälfte Afghanistans kontrollieren, nach den Rückzug der USA zunehmend die Macht im Land übernehmen. Fakt bleibt, dass der 20-jährige Krieg am Hindukusch, der über eine halbe Million Tote verursacht hat [3], Afghanistan in einem katastrophalen Zustand zurücklässt. So bestehen in dem Land weiterhin Korruption, Drogenhandel und die Diskriminierung von Frauen. Die Wahnsinnskosten, die dieser Krieg dem Steuerzahler aufgebürdet hat, sie werden derzeit mit 1 Billion $ beziffert, dürften in ihrer aktuellen Gesamtheit noch weitaus höher und im Endeffekt gar nicht mehr nachzurechnen sein, haben doch allein die zahlreichen Geberkonferenzen Milliarden verschlungen.

Es müsse beim Neuaufbau nach dem militärischen Sieg über die Taliban darum gehen, den tragischen Konflikt in Afghanistan zu beenden und die nationale Aussöhnung, einen dauerhaften Frieden, Stabilität und die Achtung der Menschenrechte im Lande zu fördern, hatte es im Petersberger Abkommen vom 5. 12. 2001, das Afghanistans Übergang zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild regeln sollte, geheissen. Dementsprechend hatte Berlin von Beginn an eine führende deutsche Rolle bei Afghanistans bevorstehendem Wiederaufbau im Visier gehabt.

Während weithin Konsens über das Scheitern des 20-jährigen NATO-Kriegs am Hindukusch herrscht, findet die deutsche Verteidigungsministerin lobende Worte. »Wir verlassen Afghanistan mit Stolz«, erklärt Annegret Kramp-Karrenbauer: »Wir haben alle Aufträge erfüllt, die uns vom Parlament gegeben wurden«. [2]

Da bleibt man sprachlos zurück ……

Das in der Presse immerhin breit bekannt gemachte brutale Attentat vom Samstag, 8. Mai auf eine Schule, das sich nur 2 Tage nach dem Beginn des Abzugs der restlichen US-Soldaten ereignet hat, könnte zu der Annahme führen, dass die afghanische Regierung unter Umständen mit weiteren Taliban-Attentätern konfrontiert wird, sobald der Abzug der US-Truppen abgeschlossen ist. Die Explosion erfolgte, als die Schüler, in ihrer Mehrzahl Mädchen, die Schule verliessen; 58 Schüler wurden getötet, Dutzende verletzt. Vor einem Jahr erfolgte fast zur selben Zeit, nämlich am 13. Mai 2020, ein Angriff auf die Station für Mütter im Krankenhaus von Kabul, der 24 Frauen, Kinder und Babys das Leben kostete. [4]

Wie sich die Entwicklung des Landes gestaltet, lässt sich nicht abschätzen; sie bleibt abzuwarten, zumal sich Afghanistan schwerlich erneut unter den Einfluss des Westens begeben wird.

 

[1] https://snanews.de/20210508/wsj-partner-usa-verschiebung-truppenabzug-afghanistan-2013211.html   8. 5. 21
[2] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8588/
4. 5. 21
[3] https://www.infosperber.ch/politik/welt/nato-krieg-in-afghanistan-forderte-ueber-eine-halbe-million-tote/   26.04.2021  Urs P. Gasche
[4] https://www.bbc.com/news/world-asia-53059022 16.. 6. 2020
MSF Afghan maternity ward to close after deadly gun attack

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3 Kommentare

  1. Wieso braucht die Bundeswehr 3 Monate, um die Leute da ausfliegen? Das sind wohl 1300 Soldaten. Die passen in 2-3 Ferienflieger, die sicher gerade günstig zu chartern sind. Ihr Material können sie ja der Taliban schenken und sich so den freien Abzug erkaufen.

    Bisher lief das ja immer so: Weil die NATO bei Versorgungstransporten keine Verluste haben wollte, wurden Pakistanische Transportunternehmer eingesetzt, die die Transporte durch Bestechungszahlungen an die Taliban abgesichert haben. Und mit dem Bestechungsgeld hat die Taliban ihre Kämpfer ausgerüstet und bezahlt.

    Die haben keinerlei Interesse, den Krieg gegen die NATO zu gewinnen. Denn dann bleibt das Geld aus und sie müssten sich aus der Bevölkerung finanzieren, was sie schnell unpopulär machen würde.

    Der einzige Grund, warum die NATO trotzdem in Afghanistan war, ist die Kontrolle des Opiumanbaus, der nicht zu Erliegen kommen durfte und über die Transportmöglichkeiten der NATO logistisch sehr profitiert hat. Das Opium wird zu Heroin und damit kann man andere Länder destabilisieren. Z.B. den Iran, der jedes Jahr mehrere Tausend Grenzschützer und Polizisten im Kampf gegen Heroinschmuggler verliert.

    Vermutlich haben die Verhandlungen mit der Taliban so lange gedauert, weil man den Heroinanbau sicherstellen wollte. Und im Gegenzug wird auch weiter Geld an die Taliban fließen.

    • "Es müsse beim Neuaufbau nach dem militärischen Sieg über die Taliban darum gehen, den tragischen Konflikt in Afghanistan zu beenden und die nationale Aussöhnung, einen dauerhaften Frieden, Stabilität und die Achtung der Menschenrechte im Lande zu fördern, hatte es im Petersberger Abkommen vom 5. 12. 2001, das Afghanistans Übergang zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild regeln sollte, geheissen. Dementsprechend hatte Berlin von Beginn an eine führende deutsche Rolle bei Afghanistans bevorstehendem Wiederaufbau im Visier gehabt."

        Ja logo! Nichts anderes!  Man muß es nur richtig verpacken!  Westliche Werte am Hindukusch!  Da freut sich nicht nur der Taliban, sondern der Muslim obendrein!  Dann schlagen sie sich, in Zukunft, eben mit Privatarmeen herum, die den Mohnanbau absichern!  Die im siebten Stock, werden den Etat dann halt etwas umschichten müssen?  No problem! Schließlich ist es eine win-win-situation! 

  2. Dass Deutschland überhaupt dort mitmachte war eine illegale Katastrophe. Der englische Kolonialdichter Rudyard Kipling schrieb während der britischen Besetzung des Landes, ¨save the last bullet for yourseves¨.  Das dürfte auch für die lächerliche Bundeswehr gelten.

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