Ein Titel, der es in sich hat – von zwei Autoren, die es draufhaben

Am 04. September 2023 kam das Buch, „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende. Aber ein Ende ist nicht in Sicht“ in den Handel. Eine geballte Ladung des Verlags Fifty-Fifty, Frankfurt a.M. krisenfrei.com hat die Autoren Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam dazu befragt.

krisenfrei.com :

Sehr geehrter Herr Bräutigam, sehr geehrter Herr Klinkhammer, beschreiben Sie doch erst Ihre langjährigen Tätigkeiten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Bräutigam:

Im Juli 1975 – meine Güte, das ist nun fast ein halbes Jahrhundert her – bekam ich eine Redakteursstelle in der Hamburger Zentralredaktion der Tagesschau. Ich hatte schon 12 Jahre Erfahrung bei Tageszeitungen auf dem Buckel, war also eine Art Seiteneinsteiger. Mit den entsprechenden Startschwierigkeiten.

Wir arbeiteten nicht, wie das heute üblich ist, mit einem rechnergestützten Redaktionssystem am Bildschirm, denn damals gab es noch keine Digitalisierung. Nachrichten wurden per Fernschreiber auf Papier übertragen und kamen in losen Blättern auf den Redaktionsschreibtisch. Filme wurden mit dem Flieger geliefert, die Zelluloidstreifen in eigenen Schneideräumen begutachtet und von Cutterinnen nach redaktioneller Anweisung geschnitten. Daneben gab es Video-Übertragungen per Leitung und Aufzeichnung auf Magnetbändern. Der Video-Schnitt wurde von MAZ-Technikern ausgeführt.

Meine Tätigkeit ist also mit dem, was heute in einer TV-Nachrichtenredaktion vorgeht, nicht vergleichbar.

 

krisenfrei.com

Wenn Sie sich an Ihre Zeit bei ARD-aktuell erinnern: Was war gut, was lief schon damals falsch?

Bräutigam:

Zu meinen angenehmsten Erinnerungen an jene Jahre gehören die diskussionsreichen Redaktionskonferenzen mit dem seinerzeitigen Chefredakteur Dieter Gütt – und die telefonischen Arbeitskontakte mit journalistischen Vorbildern, fähigen und seriösen Auslandskorrespondenten vom Kaliber Lutz Lehmann, Gabriele Krone-Schmalz, Fritz Pleitgen, Wolf von Lojewski und Lutz Mahlerwein.

Im letzten Jahr meiner Zugehörigkeit zur Tagesschau, 1984, wurde ich gelegentlich als Dienstleiter für die Vorausgaben (10 Uhr, 13 Uhr) eingesetzt. 1985 kandidierte ich erfolgreich für den NDR-Personalrat und wurde dort freigestellt. In den letzten vier Jahren meines Angestellten-Daseins beim NDR habe ich Feature-Produktionen für das Bildungsprogramm in der Hauptabteilung Kultur im NDR-Fernsehen („N3“) organisiert und betreut. Mit allenfalls halber Kraft allerdings, denn ich war weiterhin mehr als Personalrat und Gewerkschafter aktiv. Was schon damals falsch lief, nicht nur in der Tagesschau, sondern in allen Nachrichtenredaktionen: Mit der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugedachten Staatsferne war es nie weit her. Anpassungszwänge, sachfremde Einflussnahme auf die Programmgestaltung und Konformismus gab es damals schon auch. Nur noch nicht so massiv und folgenreich wie heute.

Nach insgesamt 21Jahren, in denen ich zunehmend unter teils heftigen Auseinandersetzungen mit meinen Chefredakteuren und einem Hauptabteilungsleiter sowie dem schleichenden Substanzverlust im Rundfunkjournalismus litt, der sich nach Einführung des Kommerzfunks 1984 verstärkt hatte, habe ich schließlich meinen Vertrag mit dem NDR aufgelöst.

Klinkhammer:

Nach kurzer Tätigkeit als Rechtsanwalt wechselte ich 1975 zum NDR, um an der Neugestaltung des Rundfunkgebühreneinzugs (von der Deutschen Bundespost zur GEZ) mitzuarbeiten.

Danach war ich seit 1981 Mitglied der Personalvertretungen, seit 1988 Vorsitzender des Gesamtpersonalrates und des IG Medien-Betriebsverbandes. 1992 wechselte ich ins NDR-Landesfunkhaus Niedersachsen, als Referent der ersten Direktorin der ARD, Lea Rosh. Nach ihrer Pensionierung war ich in der Fernsehredaktion des Funkhauses tätig.

 

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Was hat Sie dazu bewogen, ein kritisches Buch über Ihren ehemaligen Arbeitgeber zu schreiben?

Bräutigam:

Jetzt darf ich den geschätzten, vor Jahren gestorbenen ZDF-Journalisten Peter Scholl-Latour zitieren:

Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung“.

Ist das keine dringliche Aufforderung, aktiv zu werden?

Stellen Sie sich mal vor, unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk würde seine Informationsprogramme tatsächlich exakt nach dem gesetzlichen Programmauftrag gestalten, gemäß den Programmrichtlinien des Medienstaatsvertrags. Ich zitiere wörtlich:

„…der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Meinungsvielfalt verpflichtet … Glauben und Meinungen anderer stärken … unabhängig und sachlich … Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft prüfen … einen umfassenden Überblick über das internationale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen geben… die internationale Verständigung fördern … wahrheitsgetreue Berichte …

Vergleichen Sie das mit dem Tagesschau-Angebot unserer Gegenwart: kriegstreiberisch, russlandfeindlich, antichinesisch, USA-liebedienerisch, regierungsfromm, konformistisch, parteipolitisch grün-versifft. Mit Interviews im Stiefellecker-Stil. Mit Nachrichten, die unsere sozialen Missstände verschleiern. Tendenziös, unaufrichtig, faktenwidrig, manipulativ – und obendrein in einer schlampigen, fehlerhaften Sprache, gewürzt mit schiefen Metaphern, dummen Phrasen, verarmtem Vokabular und gespickt mit Anglizismen, dass es die Sau graust.

Stellen Sie sich jetzt die Frage: Würden gut und umfassend informierte Bürger mit politischem Durchblick sich ein hochverdächtiges „Ich-kann-mich-nicht-erinnern“-Kanzlerchen jahrelang gefallen lassen? Würden sie eine unreife, selbstverliebte, unaufrichtige, bildungsferne, aggressive Beißzange als Außenministerin ertragen? Einen eitlen, notorisch ahnungslosen, aber missionarisch eifernden, machtversessenen und hinterhältigen Schwätzer als Wirtschaftsminister?

Und weiter: Hätten wir dann Kinder- und Altersarmut? Gäbe es permanent fast 40 000 Obdachlose? Grundgesetzwidrige Auslandseinsätze der Bundeswehr? Milliarden Unterstützung und Waffenlieferungen en masse in mörderische Kriege wie den im Jemen und den in der Ukraine? Marodes Gesundheitssystem, Bildungsnotstand – und begründete Zukunftsangst?

Nochmal gefragt: Wären unsere skandalösen Lebensumstände überhaupt denkbar, wenn wir wissende, von einer seriösen Tagesschau informierte, mündig gemachte Wähler hätten, ausgestattet mit fundierter politischer Urteilskraft? Würden die das kleine Karo gewählt haben, das uns heute regiert? Würden sie es gar mehrmals wählen, nur in wechselnder farblicher Zusammensetzung?

Sehen Sie, da haben Sie Ihre Antwort. Darum haben wir das, wie Sie formuierten, „kritische Buch über unseren ehemaligen Arbeitgeber“ geschrieben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist schließlich der Hauptverantwortliche für die „mediale Massenverblödung“. Er ist Mitschuldiger am zivilisatorischen und kulturellen Niedergang unserer Gesellschaft. Deutschland erlebt deswegen einerseits sozialen Verfall und entwickelt sich andererseits zur aggressiven Kriegsteilnehmer-Nation.

Dagegen schreiben wir an, so gut und so lange wir noch können.

 

Klinkhammer:

Schon in meiner aktiven Zeit habe ich propagandistische und realitätsverzerrende Programminhalte und die Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Parteipolitik betriebsintern wiederholt massiv kritisiert. Das war möglich, weil ich aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes als Personalrat relativ repressionsfrei agieren konnte.

Nach meinem Eintritt in den Ruhestand habe ich dann feststellen müssen, dass sich insbesondere ARD-aktuell – als wichtigste deutsche Nachrichtenredaktion – immer weiter von den für ihre Arbeit gesetzlich festgelegten Programmrichtlinien entfernte. In mehr als 400 sorgfältig begründeten Programmbeschwerden hatten wir versucht, die aufsichtführenden Rundfunkräte von den eklatanten Mängeln in der Berichterstattung zu überzeugen. Vergeblich. Ignoranz, Unfähigkeit, Rechthaberei und parteipolitische Interessen waren stärker als unsere Argumente.

Wir wollten nicht aufgeben, weil es nach unserer Auffassung wichtig ist, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht lediglich als „Lügenmedien“ zu beschimpfen, sondern argumentativ den propagandistischen und realitätsverzerrenden Charakter seiner Berichterstattung bloßzustellen. Deshalb gaben wir das Mittel der direkten Programmbeschwerden auf und gingen dazu über, unsere Kritik in Artikeln und Essays zu veröffentlichen. Wir freuen uns sehr darüber, dass viele alternative Medien (russische inklusive) unsere Beiträge übernehmen.

 

krisenfrei.com

Herr Klinkhammer, erklären Sie unseren Lesern doch bitte, was es genau mit der Neugestaltung des Rundfunkgebühreneinzugs auf sich hatte und wie hoch damals, während Ihrer Tätigkeit Ende der 70er Jahre, die GEZ-Zwangsgebühren waren.

Klinkhammer:

Jahrzehntelang hatte die Deutsche Bundespost bis Mitte der 70er-Jahre die Rundfunkgebühren über den Postboten eingezogen und dann den Rundfunkanstalten überwiesen. Die fortschreitenden technischen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung (heute sagt man „Digitalisierung“) ermöglichten es, große Datenbestände zu verwalten und mit relativ geringem Aufwand die Gebühren von den Bankkonten der Millionen Rundfunkteilnehmer und -teilnehmerinnen abzubuchen oder sie sich überweisen zu lassen. Bereits damals bestand grundsätzlich die Rundfunkgebührenpflicht für alle Haushalte, die in aller Regel auch mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden konnte.

Nach meiner Erinnerung betrug die Höhe der monatlichen Gebühr 6 DM. Der Unterschied zu heute: Das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgerätes war Voraussetzung für die jeweilige Zahlungsverpflichtung, das heißt also: Wer kein Fernsehgerät zum Empfang bereithielt, brauchte auch nicht zu zahlen. Heute besteht die Zahlungsverpflichtung dagegen für jeden Haushalt, egal, ob ein Gerät bereitsteht oder nicht. Dieses Verfahren ist vom Bundesverfassungsgericht als rechtlich korrekt anerkannt worden.

 

krisenfrei.com

Sind Sie der Meinung, dass die GEZ-Zwangsgebühren heute, bei diesem Angebot, noch gerechtfertigt sind?

Klinkhammer:

Zunächst einmal: Der Begriff „GEZ-Zwangsgebühr“ ist nicht korrekt, denn die GEZ gibt es seit Jahren nicht mehr, genau wie die „Gebühr, sie heißt richtigerweise „Beitrag“.

Ich halte es für kontraproduktiv, fundamentale Programmfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer sofort mit Finanzierungsfragen zu verquicken. Man ruft ja auch nicht nach Abschaffung der Werbung (die letztlich über die Preise von der Allgemeinheit getragen wird), wenn man das unterirdische Programmangebot der Konzernmedien kritisiert.

Was mich an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zunächst einmal in besonderer Weise stört: Fast die Hälfte des Beitragsaufkommens geht an die „freie Wirtschaft“. Der von Millionen Teilnehmern oft mühsam abgezweigte Beitrag wird zur Gewinnmaximierung einer Vielzahl von Profiteuren verbraucht. Warum regt sich darüber niemand auf?

Sicher: Ich halte das Nachrichtenprogramm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für schlecht. Man ändert es aber nicht, indem man es von den Finanzquellen abschneidet. Die Diskussion muss sich auf Fragen richten wie: „Ist es vertretbar, ein riesiges Netz von Rundfunkanstalten zu unterhalten und parallel auf allen Kanälen denselben – lediglich zeitversetzt – gleichgeschalteten Mist einiger weniger Nachrichtenagenturen zu senden? Ist es vertretbar, Milliarden Beträge für Sportrechte auszugeben, obwohl auch der Sport inzwischen durch den Kommerz völlig korrumpiert ist? Wollen wir es weiter zulassen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Personen kontrolliert wird, die dazu völlig außerstande sind? Wäre es nicht endlich erforderlich, ihn zu demokratisieren? Wenn wir diese – aus meiner Sicht wichtigsten Fragen – angehen, wäre uns mehr geholfen, als vergeblichem Beitragsboykott das Wort zu reden.

krisenfrei.com

Herr Bräutigam, Herr Klinkhammer, vielen Dank für dieses Interview und für Ihre detaillierten Antworten.

 

Wer mehr über die Autoren und deren Tätigkeiten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfahren möchte, der möge sich das Gespräch mit KenFM ansehen

P.S.
Das Buch von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam «Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende» kann ab sofort bezogen werden, in Deutschland und auch in der Schweiz, zum Beispiel hier.
Hintergrund: Es kaufen noch viel zuviele Leute bei Amazon, dieser verdammten Krake…

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