Deutschland torpediert verbindliche Menschenrechts-Normen

Andreas Zumach (infosperber)

Die UNO plant ein Abkommen, das Unternehmen verpflichtet, Menschenrechte einzuhalten. Die Schweiz zieht mit, Deutschland bremst

120 Staaten kommen ab heute Montag in Genf zusammen, um über ein UNO-Abkommen mit verbindlichen Menschenrechtsnormen für Wirtschaftsunternehmen zu verhandeln. Grundlage ist ein erster kompletter Vertragsentwurf, den der ecuadorianische Vorsitzende auf Basis der ersten drei Verhandlungsrunden seit 2015 vorgelegt hat. Doch die Positionen gehen weit auseinander:

Eine internationale Koalition von Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die sich zur sogenannten Treaty Alliance zusammengeschlossen hat, fordert eine Reihe von Nachbesserungen zu Gunsten eines Abkommens, das noch verbindlicher ist und weiter geht. Die EU-Kommission hingegen nimmt lediglich pro Forma an der heutigen Eröffnungs- sowie an der Abschlusssitzung am Freitag teil, beteiligt sich aber nicht an den inhaltlichen Beratungen über ein Abkommen. Das hat die für Menschenrechts-Fragen zuständige Arbeitsgruppe der EU-Kommission auf Druck Deutschlands Ende letzter Woche beschlossen.

Deutsche Regierung will keine verbindlichen Normen

Der Hintergrund: Die deutsche Regierung hält die freiwilligen Selbstverpflichtungen von Unternehmen auf Basis der in der UNO vereinbarten, aber nicht rechtsverbindlichen „Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte“ für ausreichend. Darum torpediert sie ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen.

Bei den Genfer Verhandlungen wird hingegen ein völkerrechtliches Abkommen zwischen den UNO-Staaten angestrebt. Damit sollen die Unternehmen verpflichtet werden, Menschenrechtsnormen verbindlich einzuhalten und Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Zudem soll das Abkommen Mechanismen enthalten, mit denen die Einhaltung dieser Normen überwacht werden kann. Vorgesehen sind auch Instrumente zur Sanktionierung von Verstössen gegen diese Normen und Pflichten sowie verbesserte Klagemöglichkeiten für von Verstössen betroffene Menschen.

Treaty-Alliance fordert weitergehenden Vertrag

Die Treaty Alliance ihrerseits bemängelt, der aktuelle Vertragsentwurf sei in Bezug auf die strafrechtliche Haftung von Unternehmen zu „zurückhaltend“. Denn dieser Entwurf schreibt den Vertragsstaaten nicht die Einführung eines Unternehmensstrafrechts vor, sondern ermöglicht ihnen auch alternative Sanktionen. Zur Überwachung der Einhaltung eines künftigen Abkommens sieht der Entwurf bislang lediglich eine unabhängige internationale Expertenkommission vor. Die Allianz der Nichtregierungs-Organisationen fordert die Schaffung eines internationalen Gerichtshofes mit Klage-und Beschwerde-Möglichkeiten für Opfer von Menschenrechts-Verstößen aus Ländern, in denen der nationale Rechtsweg keinen ausreichenden Schutz bietet.

Weiter kritisiert die Treaty Alliance, dass der Vertragsentwurf den Menschenrechtnormen für Unternehmen keinen Vorrang mehr einräumt vor Handels- und Investitionsabkommen. Denn solche Wirtschaftsabkommen schränken die Spielräume von Staaten zur Umsetzung von Menschenrechten ein – beispielsweise, wenn sie Investoren ermöglichen, vor sogenannten Investor-Staat-Schiedsgerichten gegen Mindestlöhne und andere Sozial- und Umweltstandards zu klagen.

Vertragsentwurf in den letzten Monaten verwässert

In den ersten Bausteinen für einen Vertragsentwurf, den der Verhandlungsvorsitzende letztes Jahr vorgelegt hatte, war diese Vorrangklausel zu Gunsten der Menschenrechte noch enthalten. Der jetzige Vertragsentwurf hingegen ermöglicht es Staaten sogar ausdrücklich, Bestimmungen aus Handels-und Investitionsabkommen den Vorrang vor Menschenrechtsnormen einzuräumen.

Diese und andere Abschwächungen zwischen den ursprünglichen Vertragsbausteinen und dem jetzigen, ersten kompletten Vertragsentwurf erfolgten in den letzten zwölf Monaten auf Wunsch einer Reihe nördlicher Industriestaaten. Dennoch ist die deutsche Regierung im Unterschied zu den Regierungen Frankreichs und anderer EU-Mitgliedsstaaten weiterhin nicht bereit zu einer inhaltlichen Beteiligung an den Verhandlungen.

Bereits gegen den Beschluss des UNO-Menschenrechts-Rates vom Juni 2014 zur Eröffnung von Vertragsverhandlungen hatte die deutsche Regierung opponiert und danach die ersten drei Verhandlungsrunden in den Jahren 2015 bis 2017 boykottiert. Zudem beantragte die Regierung in Berlin Ende letzten Jahres im Finanzausschuss der UNO-Generalversammlung in New York, alle Haushaltmittel für die heute beginnende vierte Verhandlungsrunde zu streichen; dies wiederum vergeblich.

In den letzten Wochen wandte sich die Bundesregierung mit formalen Einwänden gegen den Verhandlungsprozess. Damit schaffte sie es wie eingangs erwähnt, auch die EU auf eine Boykotthaltung festzulegen. Diese formalen Einwände wurden letzten Woche in einem offenen Brief von 116 Rechts-und Wirtschaftsprofessoren aus aller Welt als völlig haltlos zurückgewiesen.

Konzernverantwortungs-Initiative macht Druck

Dass es auch anders geht, zeigen Frankreich und die Schweiz: Sie nehmen an den Verhandlungen nicht nur aktiv teil, sondern richten bereits jetzt schon ihre nationalen Gesetze auf ein künftiges UNO-Abkommen aus. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Frankreich und die Schweiz Sitzländer von grossen multinationalen Unternehmen sind, die ein langes Sündenregister mit Verstössen gegen Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialnormen aufweisen und als Lobby erheblichen Druck aufsetzen können. In der Schweiz ist dieses Mitziehen allerdings verständlich. Denn national steht die Schweiz unter dem Druck der Konzernverantwortungs-Initiative.

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