Haircut oder Rasur?

Von Michael Winkler

Haircut oder Rasur? (16.11.2011)

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Rentnerin in der ehemaligen DDR. Wir schreiben den 7. Oktober 1989, Honecker und seine Komplizen stehen auf der Tribüne und lassen sich vom dankbaren Volk bejubeln. Natürlich auch von einer weitgehend unbekannten FDJ-Sekretärin für Propaganda, die ihren lieben Genossen im Umfeld dieses Festtages von den Errungenschaften des Sozialismus‘ vorschwärmt und die goldene Zukunft im Kommunismus ankündigt.

Sie sind keine Luxusrentnerin, doch die DDR sorgt für Sie. Die Mieten sind niedrig, die Grundnahrungsmittel werden subventioniert. Die Güter des Mangels, Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine haben Sie bereits, also haben Sie alles, was Sie benötigen. Und Sie haben die Ersparnisse eines Lebens: 30.000 Mark Ost. Viel Geld, wenn man ein Leben lang zur Genügsamkeit erzogen worden ist – und es kaum Versuchungen gibt, dieses Geld auszugeben.

Dann kamen der 9. November und schließlich der 1. Juli 1990. An diesem Tag wurde Ihr Konto auf Westmark umgestellt. Die ersten 6.000 Mark wurden 1:1 umgestellt – in Ihrem Alter gehörten Sie zu der besten Gruppe – die restlichen 24.000 Mark erfuhren eine 2:1 Abwertung. Ihre Ersparnisse betrugen nunmehr 18.000 D-Mark. Hätte es die DDR noch gegeben, wäre das ein gutes Geschäft gewesen, denn bei dem Schwarztauschkurs von 1:5 entsprach das 90.000 Mark der DDR. Nur, leider, sind die Verhältnisse ganz andere geworden.

Wir dürfen eines nicht außer Acht lassen: Die DDR-Propaganda von der hohen Kaufkraft der eigenen Alu-Chips traf bei Dingen des täglichen Lebens durchaus zu. Junge, trinkfreudige Menschen, haben heute keinerlei Problem, 25 Euro auf den Kopf zu hauen. Gerne auch 50 Euro, erst so bei 100 Euro wird es schwer, wenn ausschließlich gefressen und gesoffen werden soll. 25 Ostmark zu verpulvern, bei einem Eintages-Ausflug nach Ostberlin, war deutlich schwerer. 53 Pfennig für einen Viertelliter Bier…

Ihnen als Rentnerin wurde durch die Umstellung Kaufkraft entzogen, Ihnen wurde ein zwangsweiser Haarschnitt verpaßt, der neudeutsch natürlich „Haircut“ genannt werden muß. Fernseher sind deutlich billiger geworden und man hat sie „zum Mitnehmen“ bekommen, also ohne die DDR-üblichen Wartezeiten. Dafür sind die Mieten gestiegen, das Brot wurde teurer und mit 18.000 DM hatte niemand für den Lebensabend vorgesorgt. Sie wurden damals jedoch nicht gefragt.

Glauben Sie bitte nicht, daß ich jetzt etwas Neues schreibe: Ich gehe nach wie vor davon aus, daß wir in nächster Zeit ZWEI Währungsreformen bekommen werden. Die erste davon wird eine Währungsumstellung vom Typ 2002 werden, die zweite ein Währungsschnitt vom Typ 1923. Sogar die Argumente sind dieselben: 17 Währungen lassen sich nicht zu unterschiedlichen Abwertungs-Kursen entflechten. Das heißt, die erste Währungsreform erfolgt 1:1, ohne jeglichen Wert- oder Kaufkraftverlust. Und sogar die zweite Währungsreform erfolgt 1:1, ohne jeglichen Wert- oder Kaufkraftverlust. Toll, oder?

Als künftiger DM-Besitzer profitieren Sie zunächst von der ersten Währungsreform. Die neuen alten Währungen werden den Märkten zum Fraß vorgeworfen, dort freigesetzten Kräfte übersteigen alles, was die Notenbanken entgegenzusetzen haben. Die Mark steigt, Drachme, Lira, Peseta und Franc fallen. Wir Deutschen sind glücklich, weil wir den Stolz unserer Nation zurückbekommen haben. Die Jawohl-Frau-Bundeskanzler-Fraktion und die Sehr-wohl-Frau-Bundeskanzler-Fraktion wetteifern um ein huldvolles Winken jener Kanzlerin, die uns zu neuen Höhen führen wird. Und die SPD ärgern sich mit den Grünen um die Wette, daß sie der Regierungs-Koalition nicht angehören.

Und dann kommt die Inflation.

Der Sinn eines Haircut besteht nicht darin, Rentnerinnen die Mittel zum Halten von Kanarienvögeln zu entziehen. Mit einem Haircut soll ein außer Kontrolle geratenes Finanzsystem wieder geordnet werden. Kürzer ausgerückt: die Banken sollen gerettet werden.

Das Musterbeispiel für eine Währungsreform mit Massenhaarschnitt ist 1948. Infolge des Krieges gab es sehr viel Geld und relativ wenige Waren, folglich mußte das Geld entwertet werden. Natürlich hätte man den Weg der Lira gehen können, was Preise von 30 oder 50 Mark für einen Laib Brot bedeutet hätte. Das hätte jedoch üble Erinnerungen an 1923 hervorgerufen und es wäre schwer gewesen, die Inflation an einem bestimmten Punkt anzuhalten. Der sichtbare Endpunkt wäre eine Währungsreform gewesen, folglich hat man diese Währungsreform lieber gleich durchgeführt.

Ganz grob wurden damals 100 Reichsmark an Preisen, Löhnen, Mieten und anderen Beträgen des Tagesgeschäfts 100 D-Mark, bei Verbindlichkeiten, also Darlehen, Hypotheken und anderen Schuldgeschäften 10 D-Mark, bei Sparguthaben, Sparbüchern, Pfandbriefen und anderen Anlageformen 6,50 D-Mark und bei Staatsanleihen 0 D-Mark.

So gesehen war die vielgelobte Währungsreform von 1948 ein Raubzug zu Gunsten der Banken. Wer auf todsichere Staatsanleihen gesetzt hatte, war ganz sicher tot, er hat alles verloren, das Geld war weg. Wer Schulden bei den Banken hatte, wurde 90% seiner Schuld ledig, wer Guthaben bei der Bank hatte, verlor 93,5%. Das Kopfgeld, bei dem zunächst 40 und später noch einmal 20 Reichsmark 1:1 umgetauscht worden sind, dient nur der Ergänzung.

Bei der doppelten Buchführung steht jeder Einlage eine Verbindlichkeit gegenüber. 1.000 Reichsmark auf dem Sparkonto sind 1.000 Reichsmark Haben für den Kunden und 1.000 Reichsmark Soll für die Bank. Auf der anderen Seite sind 1.000 Reichsmark Hypothekenkredit 1.000 Reichsmark Haben für die Bank und 1.000 Reichsmark Soll für den Kunden. Ziehen wir die Beträge zusammen, so stehen dem 1.000-Reichsmark-Sparbuch 1.000 Reichsmark Hypothekenkredit gegenüber, jedenfalls bis zum Tag der Währungsreform.

Nach der Währungsreform sieht alles anders aus. Auf dem Sparguthaben sind noch 50 D-Mark verblieben, über die Sie verfügen können, weitere 15 DM wurden über Sonderregelungen nachgereicht, bis schließlich 65 DM erreicht waren. Dem gegenüber stand die Hypothek, die 100 DM wert geworden ist. Bleiben noch 35 Geister-Mark, denn Soll und Haben müssen sich ausgleichen. An diesem Punkt schweigen die Quellen, denn dieses Geld haben die Sparer nicht mehr gesehen. Wäre es an den Staat geflossen, hätte dieser keinen Lastenausgleich benötigt. Auch von einer Abschöpfung durch die Siegermächte ist nichts bekannt, ich gehe deshalb davon aus, daß dieses Geld bei den Banken verblieben ist.

Es ist eine Form des Betruges, ganz klar, aber wir müssen die Situation des Jahres 1948 bedenken: Schuldner waren im Krieg gefallen oder durch den Bombenterror der Siegermächte ermordet worden. Immobilien, die diese Kredite besichert hatten, lagen in Trümmern. Die Banken wurden durch dieses „Geistergeld“ saniert, sie erhielten Liquidität für das beginnende Wirtschaftswunder.

Ein solches Ungleichgewicht wurde 1990 nicht fabriziert, da die DDR-Wirtschaft völlig anders aufgebaut war. Es wäre auch nicht nötig gewesen, da die Westbanken keinerlei Schäden erlitten hatten. Trotzdem erachtete es ein Staatssekretär namens Horst Köhler für nötig, den westlichen Banken ein Geschenk von unendlicher Großzügigkeit zukommen zu lassen.

Westliche Firmen erwirtschaften Gewinn, aus dem sie Investitionen bezahlen, Rücklagen aufbauen und Kredite bedienen. DDR-Betriebe haben ihre Gewinne beim Staat abgeliefert und wenn sie neue Mittel benötigt haben, wurden ihnen diese vom Staat zugeteilt. Unter dem genialen Horst wurden daraus fiktive Kredite errechnet, die in reale Kredite umgewandelt und den Banken zugeschoben wurden. Von einem Moment auf den anderen, ohne Risiko, ohne einen Finger zu rühren, hatten die Banken Forderungen von 200 Milliarden DM in ihren Büchern. Horst Köhler wurde Sparkassen-Präsident, Direktor des IWF und schließlich Bundespräsident, als Dank für seine Verdienste um die Banken.

Die DDR-Wirtschaft wurde unter dieser Kreditlast aus dem Nichts in den Zusammenbruch getrieben, eine mögliche Konkurrenz für Westfirmen durch Buchungsbetrug ausgeschaltet. Für die Banken war das eine Menge Spielgeld – und genau das haben sie in der Folgezeit auch getan: spielen. Mit dem Geld anderer Leute spielen ist besonders angenehm, man verliert kein eigenes Geld, und wenn man gewinnt, füllt man sich die Taschen. Wobei die Damen und Herren Bankiers nicht in Kassen und Tresore greifen, sondern sich ihren Anteil an der Beute ganz legal als „Leistungsprämien“ überweisen lassen, die berüchtigten Bonuszahlungen.

Nur weil ein Bankbeamter von Natur aus sehr seriös wirkt und ein renommiertes Bankhaus im Rücken hat, ist er noch lange kein besserer Mensch, weder unfehlbar noch moralisch überlegen. Die Damen und Herren Bankangestellten sind völlig zerfressen von der Gier nach Geld. Sie versuchen, Geld mit allem zu machen, was nicht verboten oder nicht beweisbar ist. Gelegentlich geht eine solche Zockerei schief, dann wird über Milliardenverluste lamentiert. Wenn es jedoch gelingt, klopft man sich auf die Schulter und erhöht sich gegenseitig die Bonuszahlungen.

Es sind nicht die kleinen Banken, die das Sparbuch von Oma Tüttelbek führen und Tischlermeister Brahmsen dieses Geld als Kredit für eine Werkstatterweiterung geben, worauf dieser den Großneffen der Frau Tüttelbek als Lehrling beschäftigen kann. Dieses Geschäft liefert einfach zu wenig Profit, da verdienen die Bankster zu wenig, da gibt es keine Millionen-Zahlungen nebenbei. Statt dessen steigen ahnungslose Provinzbanker ins internationale Derivatengeschäft ein und wundern sich, daß ihnen diese „Super-Deals“ regelmäßig um die Ohren fliegen.

Ich schreibe dies, um darzulegen, welche Leute da gerettet werden sollen. Es sind Berufsverbrecher, welche die Einlagen der Kleinsparer als Geiseln genommen haben. Wir betrachten hier keine soliden, stockseriösen Bankbeamten, sondern Hasardeure, die spielsüchtig in jedes Casino rennen. Nur besitzen sie nicht den Anstand, sich am Ende selbst zu erschießen, sondern die Frechheit, immer neues Geld einzufordern und willfährigen Politikern abzupressen.

Der Euro wird scheitern, weil er von Anfang an eine Fehlkonstruktion gewesen war, wie bei seinen geistigen Vätern Kohl, Genscher und Waigel nicht anders zu erwarten. Unter sittenstrengen Monarchen, die eingegangene Verpflichtungen als Ehrenschuld behandeln, hätte er womöglich eine Chance gehabt, doch unter Demokraten, denen alle Fähigkeiten abgehen und die nur ihre Mäntelchen in jeden Wind hängen können, wurde daraus eine tickende Zeitbombe unter den Grundfesten der europäischen Nationen. Diese Bombe wird zünden und sie wird alles, was wir heute als feste Bezugsgrößen kennen, in den Abgrund reißen.

Der Euro wird ohne Haircut abgeschafft, denn nur das sorgt dafür, daß die Politiker ein wenig länger ihre Ämter und ihre geliebten Dienstwagen behalten. Es wird eine Umstellung wie 2002, sanft, mit Erhalt der Werte – bei der damals eine gute alte Mark durch einen schlechten Euro abgelöst wurde. Bei dieser Währungsreform wird ein schlechter Euro durch eine hundsmiserable und desaströse neue Mark abgelöst.

Die neue Mark wird ein paar gute Wochen erleben, vielleicht vier bis sechs gute Wochen. Merkeldeutschland wird jedoch nicht zur alten Solidität zurückkehren, sondern bei der neuen Solidarität bleiben. Die Banken Europas, die verkommenen Zockerbuden, sollen gerettet werden. Und, natürlich, werden die Sparer weder Cent noch Pfennig verlieren, nicht einen einzigen. Dafür garantiert nicht nur die Bundeskanzlerin, das kann sogar ich Ihnen fest versprechen.

Ich weiß nicht, ob man mit 30.000 Ostmark ein kleines Häuschen bekommen hätte, für die beliebten Datschen hätten sie mit Sicherheit gereicht. Für die 18.000 D-Mark nach dem 1. Juli 1990 hätte man selbst im „wilden Osten“ nichts bekommen. Nehmen wir einen anderen Betrag, 30.000 Goldmark von 1913. Rein rechnerisch sind das heute eine knappe halbe Million Euro, zu den damaligen Preisen hätte man dafür problemlos sechs schöne Häuschen erwerben können. Von diesem Guthaben ging kein einziger Pfennig verloren, nur wurden ab 1919 aus sechs potentiellen Häusern ein einziges, schließlich ein Auto, dann ein Grammophon, ein Laib Brot, ein Hühnerei – und am Ende hätte man dafür noch nicht einmal ein Streichholz bekommen. Hans im Glück… ohne daß Sie einen Finger rühren müssen.

Woher sollte das Geld zur kurzfristigen „Rettung“ der Banken Europas denn sonst kommen? 1923 arbeiteten zahllose Druckereien und Papierfabriken daran, neue Geldscheine zu produzieren. Das Geld zu drucken wurde so teuer, daß die kurzlebigen Scheine nur noch einseitig bedruckt wurden, um Farbe zu sparen. Heute geht es schnell in den Computern. Ein paar Zehn-Millionen-Euro-Scheine kann man ja drucken, für Einkäufe in einer Bäckerei. Sie müssen nur rechtzeitig ihre 30.000 Euro abheben, solange Sie dafür noch ein paar Brötchen bekommen.

Sie werden nicht einen Cent verlieren, Ihr Guthaben bleibt in voller Höhe erhalten, nur ist es leider wertlos. Merkel hat Wort gehalten, Rösler hat geliefert und trotzdem sind Sie am Ende geseehofert. 1923 wurden aus einer Billion alte Mark, die zehn Jahre zuvor noch Goldmark gewesen waren, eine einzige neue Rentenmark. (Für Geschichtsbeflissene: die Währung der Kaiserzeit lautete auf „Mark“, der Begriff „Goldmark“ wurde in der Inflationszeit verwendet, um gutes, auf Gold basierendes Geld zu bezeichnen, das als Verrechnungsgröße für inflationsstabile Anleihen benutzt wurde. Heute dient der Begriff als abgrenzende Bezeichnung für die damalige goldgedeckte Mark.)

Ihre Guthaben erfahren in dieser zweiten Währungsreform, nach dem vorprogrammierten Scheitern der neuen Mark, keinen Haarschnitt. Ein Haarschnitt kürzt nur ein wenig und die Reste stehen. Was da auf uns zukommt, ist ein Kahlschlag, eine Rasur. Es gibt noch einen kleinen Unterschied: bei einem Haarschnitt schnippelt der Coiffeur ein wenig an Ihnen herum, er erwischt bestenfalls die Ohren. Bei einer Rasur hat der Barbier dagegen das Messer an Ihrer Kehle.

Die Rasur, die brutale Enteignung, erfolgt durch die Inflation der zunächst als Rettung angesehenen neuen Mark. Für die Goldbesitzer: Sie werden nach der ersten Umstellung, mit der neuen Mark, zunächst keine Freude an Ihrem Metall haben, die Preise werden eher sinken. Allerdings ist es ungewiß, ob Sie in dieser Phase noch Gold kaufen können, eventuell ist der Markt leergefegt. Ganz sicher benötigen Sie das Gold in der folgenden Inflationszeit. Nach der neuen Mark wird wieder eine internationale Währung kommen; man habe aus den Fehlern des Euro gelernt, sagen die Politiker. Auch diese Währung wird schließlich verschwinden, doch sie wird uns weit mehr kosten als der Euro. Ob Ihnen Gold dann noch etwas nützt, ist ungewiß. Unter Umständen müssen sie es jahrelang vergraben, um nach der Apokalypse festzustellen, daß jetzt ganz andere Werte gelten als heute.

Ob Haarschnitt oder Rasur – kommen Sie gut durch!

Quelle: http://www.michaelwinkler.de/Pranger/Pranger.html

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