Cum-Ex für Jedermann – EU lässt sich widerstandslos um Milliarden Euro berauben

Andreas Peter (sputniknews)

Der so genannte Gemeinsame Markt der Europäischen Union hat einen Webfehler, den Kriminelle seit Jahren für sich ausnutzen. Durch verschiedene Mehrwertsteuer, aber bei mehrwertsteuerfreiem Warenverkehr steht das Tor für „Umsatzsteuerkarusselle“ sperrangelweit offen. Den EU-Staaten entsteht ein jährlicher Schaden von über 50 Milliarden Euro.

Um den Betrug, um den es hier geht, zu verstehen, muss man keine gesteigerten Kenntnisse von Ökonomie oder Steuerrecht haben. Genau deshalb funktioniert er so gut und wird von Kleinkriminellen genauso wie von „großen Fischen“ betrieben. Genau deshalb fragen sich viele Steuerfahnder in der Europäischen Union (EU) auch ernsthaft, warum Kriminelle eigentlich immer noch mit Drogen oder Prostitution Geschäfte betreiben, wenn doch Umsatzsteuerbetrug so einfach und so lukrativ ist.

Das Rechercheportal „Correctiv“ hat nun am Beispiel eines Kriminellen anschaulich dargestellt, wie Umsatzsteuerkarusselle funktionieren, dass die EU-Staaten mehr oder weniger tatenlos dem Treiben seit Jahren zusehen und es damit hinnehmen, dass der Gemeinschaft der Steuerzahler ein jährlicher Schaden von mindestens 50 Milliarden Euro entsteht. Das gewählte Beispiel belegt auch, dass am Ende Verbrecher relativ harmlos bestraft werden, allen Ernstes nach der Hälfte ihrer ohnehin lächerlichen Strafen auf Bewährung frei kommen und danach wie zum Hohn für ehrliche Steuerzahler ein demonstratives Luxusleben zelebrieren können, was den Verdacht nährt, dass der Staat offenbar dabei versagt hat, das mit professionellem Steuerbetrug zusammengeraffte Vermögen vollständig zu beschlagnahmen.Grenzüberschreitende Warengeschäfte wie in einem Karussell

Umsatzsteuerkarusselle werden deshalb so genannt, weil ein und dieselbe Ware mehrfach zwischen Staaten gehandelt wird und am Ende wieder am Ausgangspunkt ankommt, wie in einem Karussell. Dabei wird nicht selten gar keine echte Ware gehandelt, sondern die Geschäfte sind rein fiktiv. Der Betrug nutzt das besondere Prinzip dieser Steuer aus. Umsatzsteuer ist im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Mehrwertsteuer bekannt. Umsatz- oder Mehrwertsteuer soll eigentlich nur der Endverbraucher zahlen. Mehrwertsteuer fällt aber in der ganzen Kette von der Herstellung bis zum Verkauf eines Produktes an. Denn sowohl die Materiallieferungen oder Zulieferungen von Einzelteilen als auch jeder Zwischenhändler weisen Mehrwertsteuer aus. Die wird an das Finanzamt abgeführt, und alle, mit Ausnahme der Endverbraucher, können sie sich zurückerstatten lassen. Vorsteuerrückerstattung nennt sich das.

Ein Umsatzsteuerkarussell beruht auf möglichst vielen Geschäften mit Zwischenhändlern innerhalb kurzer Zeit. Der Betrug beginnt mit dem grenzüberschreitenden Verkauf einer Ware innerhalb der EU, also beispielsweise zwischen Deutschland und einem seiner Nachbarländer. Für dieses Geschäft ist aufgrund des Gemeinsamen Marktes der EU keine Umsatzsteuer fällig. Verkauft der deutsche Einkäufer die Ware aber im Bundesgebiet weiter, muss er dafür Mehrwertsteuer auf den Preis umlegen und an das Finanzamt abführen, kann sie sich aber vom Finanzamt zurückerstatten lassen. So funktioniert das auf jeder weiteren Ebene, also mit jedem Zwischenhändler.

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Hier setzt der Betrug an, denn tatsächlich führt der Betrüger, also in unserem Beispiel der deutsche Einkäufer, die Umsatzsteuer nicht ab, kassiert aber sofort die Rückerstattung. Die anderen Zwischenhändler verhalten sich zum Teil gesetzeskonform und führen die Mehrwertsteuer ab, was den ganzen Vorgang zusätzlich verschleiert. Erst der letzte Händler verkauft die Ware an den ursprünglichen Verkäufer außerhalb Deutschlands, umsatzsteuerfrei, das Karussell hat seine Runde gedreht. Der Gewinn wird zwischen den Betrügern geteilt. Bevor das Finanzamt merkt, dass der Ersteinkäufer gar keine Mehrwertsteuer bezahlt hat, sind die Firmen schon liquidiert. Lukrativ wird das Ganze, weil es mit großen Warenmengen und mit einer hohen Frequenz abläuft, also das Karussell sich im wahrsten Wortsinn schnell dreht. Dadurch fliegt der Schwindel erst spät auf. Für die Finanzämter zu spät. Da die Gesamtzahl der täglichen, wöchentlichen, monatlichen Geschäfte in Deutschland und grenzüberschreitend enorm groß ist, zahlen die Finanzämter in aller Regel ohne lange Verzögerungen und Prüfungen die Vorsteuern wieder aus.





EU-Emissionszertifikate wurden von Kriminellen im großen Stil für Umsatzsteuerbetrug genutzt

Zwischenzeitlich hatte eine andere Version dieses Betruges in der EU geradezu unglaubliche Ausmaße angenommen. Kriminelle waren von Waren auf CO2-Emissionszertifikate umgestiegen. Sie waren in ihrer ursprünglichen Konstruktion geradezu eine Einladung an Betrüger, denn für sie gab es Umsatzsteuerrückerstattung, aber sie sind rein virtuell und lassen sich so im Zweifel im Sekundentakt „handeln“. Es ist deshalb kein Wunder, dass alleine Deutschland innerhalb von zwei Jahren (2009 und 2010) mehr als 800 Millionen Euro an hinterzogener Umsatzsteuer zu beklagen hatte. Die Schätzungen von Europol klangen geradezu unfassbar. Demnach sollen damals 90, in Worten neunzig Prozent aller CO2-Emissionszertifikate „betrugsbehaftet“ gewesen sein!

Das Gegenmittel gegen diesen riesigen Raubzug war so simpel, dass die Frage sich geradezu aufdrängt, warum die Zertifikate überhaupt je umsatzsteuerpflichtig waren? Denn Vorsteuerbetrug mit CO2-Zertifikaten wurde sofort unattraktiv, als der Handel von der Umsatzsteuer befreit wurde. Allerdings dauerte auch das für die EU typischerweise unfassbar lang. Denn die Nationalstaaten musste sich diese Befreiung von der EU-Kommission genehmigen lassen. Deutschland setzte diese so genannte „Reverse Charge“ erst 2010 um. So konnten noch dutzende Millionen Euro mit dieser Betrugsmasche „verdient“ werden. Alleine die Deutsche Bank musste eine dreistellige Millionensumme an den Fiskus zurückerstatten, weil sich Deutschlands Branchenprimus allzu nachlässig bei der Verhinderung und Verfolgung dieser kriminellen Strukturen angestellt hatte.Umsatzsteuerbetrügern wird es zu leicht gemacht

Wenn Täter und Helfershelfer je vor Gericht landen, kommen oft lächerliche Bewährungsstrafen heraus. Viele Täter agieren vom Ausland aus und entziehen sich deutscher Rechtsprechung. Dass die Kriminellen aber tatsächlich „über alle Berge“ sind, stimmt so nicht, denn den Kriminellen wird es unverständlicherweise zu leicht gemacht. Da sie immer wieder neue Firmen anmelden dürfen, brauchen sie im Zweifel gar nicht auf einen anderen Kontinent fliehen. Sie missbrauchen für diese ständig neuen Firmenanmeldungen Strohmänner und -frauen, häufig Obdachlose, Ehefrauen, Freunde, Familienangehörige. Aber irgendwann ist ein Muster erkennbar. Und die entscheidende Frage, warum solchen verdächtigen und häufig hinlänglich polizeibekannten Personen und Personengruppen ohne zu zögern immer wieder Vorsteuer erstattet wird, warum offenkundig dubiose Firmengründungen so problemlos möglich sind, das sind Fragen, die bis heute von staatlichen Stellen unbeantwortet bleiben.

Beispielsweise hatten britische Ermittler auf dem Höhepunkt des Betruges mit CO2-Zertifikaten schnell festgestellt, dass in diese Machenschaften auffallend oft Personen involviert waren, die zuvor schon mit Umsatzsteuerbetrug mit Mobiltelefonen aufgefallen waren. Warum diese Damen und Herrschaften überhaupt noch unternehmerisch aktiv sein durften, gehört zu den großen Mysterien des „freien“ Marktes in der EU. Meistens hört man die immer gleichen Floskeln, dass eine offene Wirtschaft nun einmal flexible Instrumente, wie beispielsweise so genannte Vorratsgesellschaften benötige. Das sind Unternehmen, die bereits registriert und damit sofort handlungsfähig sind, häufig mit irgendeinem Fantasienamen und fortlaufender Nummerierung. Diese Wegwerf-GmbHs lassen sich aber ebenso schnell wieder beerdigen, ideal für Umsatzsteuerbetrug. Diese so genannten Firmenmäntel werden häufig von spezialisierten Kanzleien angeboten, in denen sich Rechtsanwälte und Notare zusammengetan haben.

Gerne verwendetes Entschuldigungsargument ist neben dem Schengen-Raum das Totschlagsargument schlechthin: die Globalisierung. Gegen die könne man ja leider nichts ausrichten. Doch das ist Unfug. Grober sogar.

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Großbritannien beweist seit Jahren: Der Staat kann sich gegen Steuerraub wehren – wenn er will

Ausgerechnet der Brexit-Prügelknabe Großbritannien exerziert seit Jahren vor, dass der Staat nicht wehrlos ist, wenn er nur will. Großbritannien hat den Vorsteuerbetrug mit Hilfe so genannter Umsatzsteuerkarusselle von einst 3,5 Milliarden Pfund auf zuletzt rund 500 Millionen Pfund reduzieren können. Die simplen „Tricks“ der Briten lassen sich in einem Begriff zusammenfassen: ununterbrochener Ermittlungsdruck. Britische Steuerfahnder dürfen jederzeit unangemeldet verdächtige Firmen „besuchen“. Vielversprechende Fälle, sowohl in juristischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die Schadenssumme, werden mit Hochdruck verfolgt und abgeurteilt. Und mit am schmerzhaftesten für die Kriminellen sind gnadenlose Kontensperrungen, Rückholung von Geldtransfers und Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögenswerten. Nicht zuletzt schrecken knallharte Strafen ab, was im Fall Großbritannien auch lebenslänglich bedeuten kann.

Deutschland tut praktisch nichts und ist auch das größte Opfer von Umsatzsteuerbetrug

Diese „Tricks“ könnten auch die bundesdeutschen Behörden anwenden. Tun sie aber nicht. Sie weigern sich sogar, Vorsteuererstattung wenigstens etwas zu verzögern. Das hat einen durchaus nachvollziehbaren Grund. Für viele seriöse Firmen ist die Vorsteuererstattung de facto Liquidität, die fest eingeplant wird. Viele Firmen können es sich inzwischen gar nicht mehr erlauben, auf Vorsteuererstattung längere Zeit zu warten. Vor allem aber fehlen in der bundesdeutschen Steuerfahndung ausreichende Personalstellen, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Das gilt ebenso für die nächste Stufe, also die Gerichte, wo Wirtschaftsstrafsachen immer wieder verjähren, weil die Personaldecke durch das neoliberale Mantra vom „schlanken Staat“ über Jahre immer mehr ausgedünnt wurde.

Deutschland gilt in der EU inzwischen als notorischer Blockierer. Berlin weigerte sich strikt, seine Formulare zur Anmeldung der Mehrwertsteuer auch nur in einem Punkt oder Komma zu ändern, als versucht wurde, die Mehrwertsteuererklärung zu vereinheitlichen. Deutschland ist das einzige Land der EU (von Großbritannien abgesehen, die sich wegen des Brexit verweigern), das sich nicht am TNA-System beteiligt, was für Transaction Network Analysis steht. Begründung: das deutsche Steuergeheimnis, denn TNA benötigt Zugriff auf die nationalen Steuerdaten.Und natürlich hört man auch den Vorwurf, man dürfe nicht generell alle Unternehmen in Haftung für eine Minderheit nehmen, die sich an keine Regeln hält. Merkwürdig ist nur, dass diese Haltung gegenüber Hartz IV Empfängern regelmäßig nicht gilt. Hier wird aus Prinzip vermutet, dass jeder Leistungsbezieher selbst schuld ist an seiner Notlage und dass er sich in einer „sozialen Hängematte“ ausruhen möchte, weil es immer wieder Fälle gibt, in denen das alles tatsächlich zutrifft.

Das hilfreichste Gegenmittel wäre eine EU-einheitliche Mehrwertsteuer und eine EU-einheitliche Steuerfahndung. Das aber gibt es nur mit einer EU, die als Bundesstaat organisiert ist. Eine Vision, die man angesichts des derzeitigen Zustandes der EU wohl, ohne zu übertreiben, als Utopie ansehen darf.

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1 Kommentar

  1. Diese EU und Brüssel gehört beschissen uns betrogen, bis sie die Grätsche macht!

    Bescheisst, Leute.

    Bescheisst dieses Verbrecherpack, welches 30.000.- Euro mtl. fürs Nixtun kassiert und selber davon Null Steuern zahlt!

    Die grössten Steuerhinterzieher sitzen in Brüssel!

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