Nach G20-Gipfel: scharfer Rechtsruck in der herrschenden Klasse

Von Sven Heymanns (wsws)

Politiker der etablierten Parteien und Medienkommentatoren nutzen die Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg, um die deutsche Innenpolitik weit nach rechts zu rücken und linken Protest jeglicher Art zu kriminalisieren. Ziel ist der Aufbau eines Polizeistaats, der sich in Wirklichkeit nicht gegen einige randalierende Autonome, sondern gegen die Arbeiterklasse und gegen jeglichen sozialen Widerstand richtet.

Am Montag forderten mehrere Vertreter von Union und SPD die Einführung einer europaweiten „Extremistendatei“. Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, viele der „Straftäter“ seien aus dem europäischen Ausland angereist, die Behörden seien hierauf aber noch nicht ausreichend eingestellt. Eine gemeinsame Datei aller europäischen Länder könne den Behörden ermöglichen, „bei solchen Ereignissen einen besseren Überblick zu bekommen und Leute an den Grenzen abzuweisen“, sagte Maas.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU) bezeichnete eine „europäische Extremistendatei für Linksradikale“ ebenfalls als „sehr sinnvoll und unterstützenswert“. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) erklärte, „jahrelanges Wegschauen und Wegducken, falsche Liberalität gegenüber Rechtsbrechern, hat sich jetzt bitter gerächt.“

Um die staatliche Aufrüstung zu rechtfertigen, werden die Ereignisse rund um den G20-Gipfel in Hamburg, die vor allem durch das massive und brutale Auftreten der Sicherheitskräfte geprägt waren, heillos aufgebauscht und übertrieben. Dieter Romann, Präsident der Bundespolizei, behauptete gegenüber der Presse, man habe eine „neue Dimension linksterroristischer und autonomer Gewalt“ beobachtet.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb in einem Kommentar mit dem Titel „Rote Hassprediger“: „Es geht um Gewalt und Terror. Eine kleine Gruppe entwurzelter Straftäter hat Teile Hamburgs terrorisiert und dabei versucht, Polizisten zu töten oder zumindest schwer zu verletzen. Letzteres ist in vielen Fällen gelungen. Trotzdem werden ihre Straftaten in linken Kreisen gedeckt“.

Das Ziel dieser Hetzkampagne ist offensichtlich. Jeder der die Polizei auch nur milde kritisiert, wird kriminalisiert und als „Verbrecher“ oder gar „Terrorist“ verunglimpft. „Wer die Schuld an dieser Entwicklung bei der Polizei sucht, stellt sich auf die Stufe mit den Randalierern und Straftätern und macht sich mit ihnen gemein“, erklärte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow.

Der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, rief in einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung SPD, Linkspartei und Grüne dazu auf, „die Politik der falschen Toleranz zu beenden.“ Die Polizei verdiene „Respekt, wenn sie ihre Knochen für uns hinhält, statt von Grünen und Linken kritisiert zu werden“.

Lindner weiß natürlich, dass SPD, Linkspartei und Grüne genauso wie FDP und CDU/CSU mehr Polizei und staatliche Aufrüstung fordern. Ihm geht es darum, linkes Gedankengut und Kritik am Kapitalismus insgesamt zu kriminalisieren. „Unter Salonkommunisten gibt es Verständnis für die angeblichen Motive, die Welt besser zu machen“, beklagt er sich. „Mit Vulgärkritik am Kapitalismus“ bereite man jedoch „Linksextremen den Boden.“

Die SPD schlägt ähnlich rechte Töne an. Der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, erklärte gegenüber der Welt. „Es ist zum Kotzen, dass die Linke nicht bereit und fähig ist, Gewalt als Gewalt zu verurteilen. Stattdessen relativieren und verharmlosen sie die stumpfe Kriminalität. Die Linke hat sie nicht mehr alle.“ Es sei „völlig inakzeptabel“, wenn die Linkspartei nun die Polizei attackiere. Sie hätte einen „großartigen Job gemacht, wir schulden ihnen Dank“.

Der sozialdemokratische Justizminister Heiko Maas stimmte gegenüber der Bild-Zeitung sogar dem Vorschlag zu, ein „Rock gegen Links“-Konzert abzuhalten. Allein das unterstreicht, wie weit rechts die Sozialdemokratie mittlerweile steht. Im Jahr 2011 hatten führende Sozialdemokraten noch öffentlich ein traditionelles „Rock gegen Rechts“-Konzert als Zeichen gegen die rechtsextreme Terrorzelle NSU unterstützt. Nun rufen sie nach „Rock gegen Links“ – ein Slogan, der bislang von rechtsradikalen Bands wie „Freikorps“ oder „Sturmfront“ propagiert worden war.

Die Linkspartei reagiert auf die rechte Kampagne, indem sie sich der SPD noch unterwürfiger anbiedert und sich hinter das Vorgehen der Polizei stellt. Im ARD-Sommerinterview erklärte ihr Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat für die Bundestagswahlen Dietmar Bartsch: „Fakt ist auch: Viele Polizistinnen und Polizisten haben einen super Job gemacht, andere haben zur Eskalation beigetragen“. Dann bekräftigte er das Ziel seiner Partei, im Herbst eine Regierung mit SPD und Grünen zu bilden.

Bartsch wagte es nicht, die Frage zu stellen, die gestellt werden muss: Wie viele verdeckte Ermittler waren in der vergangenen Woche während der G20-Proteste im Einsatz und in welchem Umfang wurden Gewalttaten von Agent Provocateurs angestachelt oder durchgeführt, um die nun losgebrochene Law-and-Order-Kampagne zu rechtfertigen?

Es gibt keinen Zweifel, dass in Hamburg wieder Undercover-Polizisten unter den gewaltbereiten Autonomen und Demonstranten aktiv waren. Wie viele Gewalttaten von ihnen provoziert oder praktiziert wurden, ist bisher unbekannt. Aber in mehreren Medien wurde ein Video verlinkt auf dem zusehen ist, wie ein Undercover-Polizist einen Warnschuss abgibt, um einen von anderen Demonstranten bedrängten Mann zu verteidigen, den er ebenfalls für einen Polizeispitzel hält. „Er hat mich gefragt, zu welcher Einheit ich gehöre“, wird der „Gerettete“ später in der Presse zitiert. „Er dachte, ich wäre auch ein verdeckter Ermittler.“

Gerade in Hamburg gibt es viele Hinweise, dass die autonome Szene von Polizeispitzeln und Provokateuren durchsetzt ist.Vor zwei Jahren wurde die Tätigkeit von einer Polizeibeamtin mit dem Tarnnamen „Maria Block“ bekannt, die von 2009 bis 2012 in der radikalen Szene aktiv war. In einem umfassenden Dossier gaben mehrere Aktivisten zu Protokoll, dass Maria Block immer wieder versucht habe, im Vorfeld öffentlicher Aktionen für ein militanteres Eingreifen zu werben. So habe sie bei einem Treffen des „NoBorder-Camps“ in Griechenland dafür geworben, das örtliche Internierungslager für Flüchtlinge zu stürmen, was aber im Gremium mehrheitlich als aktionistisch abgelehnt worden sei.

Block war bereits der zweite Polizeispitzel, der in der Hamburger autonomen Szene aufgeflogen ist. Ein knappes Jahr zuvor war eine Polizistin enttarnt worden, die von 2001 bis 2006 als „Iris Schneider“ innerhalb der autonomen Szene eingesetzt worden war. Sie hatte in ihrer Funktion als verdeckte Ermittlerin unter anderem in der Redaktion des alternativen Radiosenders „Freies Sender-Kombinat“ (FSK) mitgearbeitet.

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