Redaktion politonline
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die EU ein Mitgliedsland verloren.
Nach einer Zeitspanne von immerhin 47 Jahren hat Grossbritannien am 31. Januar um Mitternacht den Austritt aus der EU wahrgemacht. Wie nicht anders zu erwarten, gab es auf der einen Seite Tausende von Menschen, die vor dem britischen Parlament in Jubel ausbrachen, während andere das Ausscheiden mit Mahnwachen betrauerten. Sicherlich war es ein langes Tauziehen, dessen Ausgang fast ebenso lang ungewiss war.
Wie Premierminister Boris Johnson in einer Videobotschaft verkündete, sei dies nicht ein Ende, sondern ein Anfang. Die jetzt zurückerrungene Unabhängigkeit des Landes werde dazu genutzt, die Veränderungen herbeizuführen, für die die Menschen gestimmt hätten, so beispielsweise die eigene Kontrolle der Einwanderung, mehr Freiheit für die britische Fischindustrie sowie den Abschluss eigener Freihandelsabkommen. Die EU, so Johnson, habe sich in eine Richtung entwickelt, die nicht mehr zu Grossbritannien passe; er fügte jedoch hinzu, dass »wir wollen, dass dies der Beginn einer neuen Ära der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der EU und einem kraftvollen Grossbritannien wird«.
Mit dem EU-Austritt Großbritanniens, so »German Foreign Policy«, sind Berlin und EU-Eliten erstmals mit dem Versuch gescheitert, ein missliebiges Referendum aufzuheben. Gleichzeitig hat damit zum ersten Mal ein Mitgliedstaat das Ergebnis eines Referendums umgesetzt, das den Interessen der EU-Eliten zuwiderläuft.
Zuvor war es der EU sowie ihren Parteigängern in den betreffenden Ländern stets gelungen, missliebige Referendumsresultate glatt auszuhebeln – entweder per Wiederholung der Abstimmung, so etwa 1992/3 in Dänemark und mehrmals in Irland, oder auch mit Verfahrenstricks wie der Umbenennung der EU-Verfassung in den ›Vertrag von Lissabon‹. In Griechenland hatten Brüssel und Athen der Bevölkerung, als diese 2015 per Referendum ein hartes Kürzungsdiktat zurückwies, gar noch härtere Einsparungen oktroyiert. Nach dem britischen Referendum vom Juni 2016 sind erstmals alle Versuche gescheitert, das Resultat zu korrigieren. Dabei hatten Berliner Regierungspolitiker bereits wenige Tage nach der Abstimmung mit der Suche nach Optionen begonnen, das Resultat auszuhebeln – etwa per Wiederholung des Urnengangs. Auch Spitzenfunktionäre der EU hatten regelmäßig interveniert – ohne Erfolg.
Die Resultate von Referenden sind in der EU immer nur dann in Frage gestellt worden, wenn sie den Interessen der unionsorientierten Eliten zuwiderliefen. Entsprachen sie ihnen, dann genügten stets auch recht knappe Siege, um das Vorhaben, über das in der jeweiligen Abstimmung entschieden worden war, umstandslos zu realisieren. Dies galt vor allem auch für den EU-Beitritt mehrerer Länder. In Schweden sprachen sich am 13. November 1994 lediglich 52,3 % der Referendumsteilnehmer für die Integration des Landes in die EU aus; in Malta taten dies am 8. März 2003 nur 53,7 %. Die Überprüfung in einem zweiten Urnengang stand danach nie zur Debatte. Das galt ebenfalls für das französische Referendum über den Vertrag von Maastricht, in dem am 20. September 1992 knappe 51,0 % der Abstimmenden mit ›Ja‹ votierten. Die Gültigkeit des Referendums wurde nie in Zweifel gezogen.
Keine relevanten Zugeständnisse mehr erhielt die Bevölkerung Irlands, als sie 2001 und 2008 EU-Verträge durchfallen ließ und jeweils zu einem zweiten Wahlgang gebeten wurde. Am 7. Juni 2001 wiesen die irischen Wähler den Vertrag von Nizza mit 53,9 % zurück. Dublin ergänzte das Dokument um einige Formulierungen, die freilich keinerlei nennenswerte Änderungen bedeuteten, und schaffte es mit einer geballten Propagandakampagne, am 19. Oktober 2002 eine Zustimmung von 62,9 % der Referendumsteilnehmer zu erzielen. Der Vorgang wiederholte sich mehr oder weniger identisch nach dem ›Nein‹ zum Vertrag von Lissabon am 12. Juni 2008, den 53,4 % der Wähler ablehnten. Nach ebenfalls kosmetischen Ergänzungen und einer erneut massiven Pro-EU-Kampagne sprachen sich am 2. Oktober 2009 67,1 % für den Vertrag aus.
Dass das irische Lissabon-Referendum wiederholt werden musste, war dabei ausschließlich einer Besonderheit der irischen Verfassung geschuldet, die bei bestimmten Fragen großer Reichweite die Befragung der Bevölkerung so gut wie unvermeidlich vorschreibt. Allgemein waren die EU und ihre Anhänger unter den Eliten der Mitgliedstaaten damals bereits dazu übergegangen, Referenden einfach zu umgehen. Dies war zuerst der Fall, nachdem die Bevölkerungen Frankreichs und der Niederlande ihre Zustimmung zu der geplanten EU-Verfassung ausdrücklich verweigert hatten. In Frankreich war das Dokument in einem Referendum am 29. Mai 2005 von 54,7 % abgelehnt worden, in den Niederlanden am 1. Juni 2005 von 61,5 %. Die EU und ihre Mitgliedstaaten transformierten den Verfassungsvertrag daraufhin ohne wesentliche Änderungen in ein gewöhnliches Abkommen, das in allen EU-Ländern bis auf Irland ohne Referendum ratifiziert werden konnte und unterzeichneten es dann am 13. Dezember 2007 unter dem jetzigen Namen ›Vertrag von Lissabon‹. Ähnlich gingen Brüssel und Den Haag vor, als die niederländische Bevölkerung am 6. April 2016 das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zurückwies. Das Parlament ratifizierte den um einige Klarstellungen ergänzten Vertrag wenig später gegen den expliziten Willen der Bevölkerung.
Eine Premiere
Der damalige EU-Ratspräsident Donald Tusk feuerte noch Mitte November 2019 britische Brexit-Gegner an, sie sollten nicht aufgeben und alles unternehmen, um den Austritt zu stoppen. Zuvor hatte nicht zuletzt der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker regelmäßig geäußert, die britische Bevölkerung werde den Austritt noch bedauern; das Vereinigte Königreich könne der EU allerdings jederzeit wieder beitreten. In den erbitterten Machtkämpfen um den Brexit hat sich in London schließlich diejenige Fraktion durchgesetzt, die den Austritt befürwortet. Dass die Realisierung einer gegen den Willen der EU-Eliten gefällten Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung eines nun ausscheidenden Mitgliedstaates eine Premiere darstellt, ist eine klare Aussage über die Grenzen der europäischen Demokratie. [1]
In einer Umfrage ist Nigel Farage mit 79 % als der Mann gekürt worden, dem der Brexit zu verdanken ist. Johnson folgt mit 17 % auf Platz zwei; sämtliche EU-Grössen wurden mit null Prozent bedacht. In seiner historischen Abschiedsrede im EU-Parlament erklärte Farage, dass der 31. 1. 2020 mit Uhrzeit 11.00 abends den Punkt ohne Rückkehr darstellt. Sobald wir ausgetreten sind, werden wir niemals wieder zurückkommen, alles andere sind – offen gesagt – Details.
Wie er u.a. darlegte, hat sich seine Meinung über die EU seit seinem Einritt ins Strassburger Parlament geändert, da er sah, wie die EU-Verfassung wiederholt durch Volksentscheide abgelehnt wurde, die EU-Institutionen diese Entscheide ignorierten und die Verfassung mit gleichem Inhalt als Lissabon-Vertrag zurückbrachten, wobei sie damit prahlten, dass sie letzteren ohne Volksentscheide durchboxten. Sie sind sehr gut darin, Völker dazu zu bringen, noch einmal abzustimmen. Aber was wir bewiesen haben, ist, dass die Briten zum Glück zu gross sind, um herumgeschubst zu werden. So wurde ich zu einem offenen Gegner des gesamten EU-Projekts.
Ich möchte, dass der Brexit eine Debatte im Rest Europas anstösst. Was wollen wir von Europa? Wenn wir Handel, Freundschaft, Kooperation, Allseitigkeit wollen, dann brauchen wir keine EU-Kommission, wir brauchen keinen EU-Gerichtshof, wir brauchen diese Institutionen und diese ganze Macht nicht. Und ich kann ihnen versprechen: Im United Kingdom und effektiv auch in der Brexit-Partei lieben wir Europa. Wir hassen nur die Europäische Union. Es ist so einfach. Ich hoffe, das ist der Anfang vom Ende von diesem Projekt. Es ist ein schlechtes Projekt. Es ist nicht nur undemokratisch, es ist anti-demokratisch und setzt in die erste Reihe den Fakt, dass es diesen Leuten Macht ohne Rechenschaft gibt: Sie können also nicht durch die Wähler zur Rechenschaft gezogen werden. Und das ist eine inakzeptable Struktur. In der Tat haben wir eine historische Schlacht, die im gesamten Wesen ausgetragen wird, in Europa, in Amerika und anderswo. Es ist der Globalismus gegen Populismus. Sie mögen Populismus verachten, aber ich sage ihnen etwas Witziges: Populismus wird sehr populär. Und er hat grosse Vorteile: Keine finanziellen Beiträge mehr! Kein EU-Gerichtshof mehr! Keine gemeinsame Fischereipolitik mehr! Kein Niederreden mehr! Kein Bedrängen mehr! Kein Guy Verhofstadt mehr! Ich meine, was kann man daran nicht mögen?
Ich weiss, dass sie uns vermissen werden. Ich weiss, sie wollen unsere Nationalflaggen verbieten, aber wir winken ihnen zum Abschied – mit dem Union Jack. Und wir freuen uns darauf, in der Zukunft mit ihnen als souveräne………
In diesem Moment, nach exakt 4 Minuten, 3 Sekunden, also einer Überschreitung der Redezeit um 3 Sekunden, dreht die EU-Parlamentsvorsitzende Nigel Farage ohne Vorwarnung den Ton ab. Die Vorsitzende: »Wenn Sie den Regeln nicht gehorchen, dann werden Sie abgeschnitten. Können wir bitte die Flaggen entfernen. Herr Farage, entfernen Sie bitte die Flagge«.
Daraufhin Farage: »Es ist vorbei. Aus. Wir sind weg«.
Brexit-Partei: »Aye! Hurray!«
EU-Parlamentsvorsitzende: »Kann ich um Ruhe bitten«.
Brexit-Partei nochmals: »Aye! hurray!«
EU-Parlamentsvorsitzende: »Ich bin wirklich..… Bitte. Setzen Sie sich und legen sie ihre Flaggen weg. Sie gehen und nehmen sie mit sich, wenn sie jetzt gehen«.
Worauf sie sich verlassen konnte…. [2]
Die EU will sich zum Gefängnis ›reformieren‹
Wer gedacht hat, heisst es auf ›sciencefile‹, die kindische Regelung im Europäischen Kindergarten-Parlament, gemäss der Landesfähnchen an den Plätzen der Parlamentarier nicht mehr erlaubt sind, wäre ein Ausrutscher irgendeines internationalen Kindskopfs gewesen, der muss sich langsam damit abfinden, dass der Ton in der EU nach dem Brexit ein anderer sein wird.
Die neuen Ziele der ›Union‹ hat Guy Verhofstadt, ehemaliger Belgischer Ministerpräsident, der 2009 ins Europaparlament abgeschoben wurde, gerade in seiner Rede am Abend des 29. 1. anlässlich der Abstimmung im Europäischen Parlament über das ›Withdrawal Agreement‹ sehr deutlich gemacht. Verhofstadt ist nicht irgendein Europaparlamentarier. Er ist der Brexit-Unterhändler, den das Parlament bestimmt hat; er kann also auf eine gewisse Unterstützung jenseits der Abgeordneten von ›Renew Europe‹ bauen. Leider, fügt er bedauernd an, liege es nicht in der Macht des EP, den Brexit zu stoppen, was er, Verhofstadt, natürlich tun würde, wenn es denn möglich wäre. Ein eindrucksvoller Beleg dafür, was manchen im Europäischen Parlament der Wille von 17,4 Millionen Wählern gilt: Nichts.
Verhofstadt benutzte einen grossen Teil seiner Rede, um sich zu fragen, wie der Brexit überhaupt passieren konnte. Die Antwort, die er schliesslich gibt, ist eine, die all diejenigen, die noch an die Souveränität von Nationen glauben, das Fürchten lehren muss. Es gebe eine Lektion zu lernen aus dem Brexit: Die Union müsse von Grund auf reformiert werden, müsse zu einer wirklichen Union gemacht werden, die auch Union meint, ohne die Möglichkeit, dass sich einige Mitgliedsländer in politischen Fragen für eine europäische Lösung entscheiden, andere nicht. Es geht somit um eine Union, die keine Sonderrechte an Mitgliedstaaten verteilt, keine Rabatte, kein Vetorecht, und in der vor allem die Einvernehmlichkeit der Entscheidungen beseitigt sei – was man fast noch als entfernte Blaupause für ein demokratisches System ansehen könnte, wäre da nicht die Kleinigkeit, dass Nationalstaaten von Verhofstadt als Entscheidungsebene beseitigt werden sollen. Man hat hier eine düstere Vorhersage des totalitären Molochs, der in Brüssel in Planung ist.
Souveränität, so sagt Verhofstadt nämlich gleich zu Beginn, die gebe es ohnehin nicht mehr. Souveränität könne es für Mitgliedsstaaten nur in der EU geben, nur die EU könne ein Spieler unter den ›Powerhouses‹ der Welt werden, denn die Welt, so eine alte These von Verhofstadt, werde von Powerhouses wie China, Indien oder den USA beherrscht; kleine Staaten haben keinen Einfluss. Was die Frage aufwirft, wie man den (wirtschaftlichen) Erfolg der kleinen Schweiz oder von Japan erklären kann. Dessen ungeachtet ist die Drohung mit einer ›echten Union‹, die keine Austritte mehr kennt, die den Bürgern eines Mitgliedslandes den Willen der in Brüssel irgendwie gefundenen Mehrheit aufzwingen will, eine heftige Drohung, vor allem wenn man die grossen kulturellen und ökonomischen Unterschiede, die grossen Unterschiede in Tradition und Lebensweise, die Länder Osteuropas von Ländern Westeuropas und Länder Südeuropas von Ländern Nordeuropas trennt, in Rechnung stellt. Das alles soll eingeebnet, in der Sprache der EU ›harmonisiert‹ werden, um den wirren Traum vom grosseuropäischen Reich, den Sozialisten und solche, die sich für Liberale halten, heute träumen, zu verwirklichen.
Man kann nur sagen: Rette sich wer kann. [3]
[1] https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8172/
31. 1. 20 Die Grenzen der europäischen Demokratie
[2] http://www.pi-news.net/2020/01/nigel-farages-historische-abschiedsrede-im-eu-parlament/
30. 1. 20
[3] https://sciencefiles.org/2020/01/30/rette-sich-wer-kann-die-eu-will-sich-zum-gefangnis-reformieren/ 30. 1. 20 Rette sich wer kann
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