Was Helmut Creutz zum Thema „Zins“ meint

Der „Zins“ wurde in letzter Zeit heiß diskutiert und unterschiedlich kritisiert. Viele Meinungen wurden dazu abgegeben. Befürworter und Gegner des „Zinses“ kamen zu Wort. Ist der „Zins“ für eine gesunde Volkswirtschaft zwingend notwendig, oder kann Wachstum auch ohne „Zinsen“ stattfinden?  Lesen Sie, was Helmut Creutz bereits 1994 dazu geschrieben hat:

Helmut Creutz: Die Schatten des Zinses sind nicht nur unmoralisch

Von Helmut Creutz

Einige Ergänzungen und weiterführende Gedanken zu dem Aufsatz von Otmar Issing in der FAZ vom 20. November 1993

Zins, Preis des Kredits?

Von Preisen redet man, wenn man eine Sache erwirbt, nicht aber wenn man sie für einen befristeten Zeitraum ausleiht. Der Zins ist darum sowenig ‚Preis des Kredits‘ wie die Leihgebühr in einer Bibliothek ‚Preis des Buches‘. Allenfalls könnte man beim Zins vom ‚Mietpreis des Geldes‘ reden. Aber auch das wäre nicht zutreffend, da Mietpreise vor allem die anteiligen Abschreibungskosten bzw. Wertminderungsverluste einer auf Zeit ausgeliehenen Sache abgelten. Wer jedoch Geld übrig hat und verleihen kann, hat weder Kosten für dessen Produktion aufbringen müssen, noch muß er – zumindest bei stabilem Geld – eine Wertminderung in Kauf nehmen.

Vergleichen kann man also zeitlich begrenzte Geldüberlassungen nur mit jenen Gütern, die man in gleichem Zustand, gleicher Menge und gleicher Wertigkeit zurückerhält. Das ist z. B. der Fall, wenn ein Bauer einem anderen überschüssiges Saatgut überläßt. In solchen Fällen ist jedoch weder ein Mietpreis noch eine Verleihgebühr üblich, da beide Seiten davon einen Vorteil haben: Der Leiher kann über ein Gut verfügen, auf das er sonst hätte verzichten müssen. Der Verleiher erhält nach Ablauf der vereinbarten Zeit sein im Augenblick überschüssiges Gut in gleicher Menge, Qualität und Frische zurück. Ohne den Verleihvorgang wäre ihm das überschüssige Saatgut möglicherweise verdorben oder durch andere Einflüsse reduziert worden. Zumindest aber hat der Verleiher, durch die Überlassung des Gutes an einen anderen, die sonst angefallenen Lager- und Wartungskosten eingespart.

Gilt Gegenseitigkeit auch für das Verleihen von Geld?

Sieht man vom Schutz gegen Feuer und Diebstahl ab, sind die Lagerkosten für Geld unerheblich. Trotzdem leisten sich auch beim Geldverleihen die Beteiligten gegenseitig einen Dienst: Der Kreditnehmer hat den Vorteil, vorzeitig über Kaufkraft und damit Marktansprüche zu verfügen. Der Kreditgeber erhält die Garantie, daß seine eingebrachte Überleistung, aus der das überschüssige Einkommen normalerweise resultiert, auf dem Markt nachgefragt werden und er somit auch weiterhin Überleistungen einbringen und Marktansprüche ansparen kann. Außerdem sorgen Kreditnehmer und -geber gemeinsam dafür, daß der Geldkreislauf geschlossen und damit das Wirtschaftsgeschehen stabil bleibt. Das aber ist gerade für den Geldverleiher von großem Nutzen, wenn er, nach dem Rückerhalt des Ausgeliehenen, die ersparte Kaufkraft für sich selber einsetzen will.

Allenfalls bei einer Knappheit von Kapital ist eine Belohnung für das Verleihen von Geld zu akzeptieren. Die Einstufung des Zinses als eine gerechte Dauerbelohnung ist darum genauso fragwürdig, wie seine Verdammung.

Ist der Zins eine Belohnung für Konsumverzicht?

Auch diese vordergründig griffigste Rechtfertigung des Zinses wird von Otmar Issing angeführt. Sie hält jedoch einer empirischen Überprüfung wenig stand, da kaum ein Mensch der Zinsen wegen auf Konsum verzichtet. Geld wird vielmehr im allgemeinen gespart, wenn man entweder im Moment keine Nachfragebedürfnisse hat oder Kaufkraft für größere Anschaffungen bzw. zukünftige Zeiten ansammeln will. Außerdem muß man fragen, auf welchen Konsum eigentlich jene noch verzichten sollen, denen täglich vier-, fünf- oder gar sechsstellige Beträge als Zinseinnahmen gutgebucht werden.

Wäre der Zins eine Belohnung für Konsumverzicht, dann müßte – darauf hat bereits Keynes hingewiesen – auch derjenige Zinsen erhalten, der überschüssiges Geld zu Hause unter dem Kopfkissen oder im Tresor ansammelt. Zinsen erhält der Sparer bekanntlich jedoch nur dann, wenn er seine Kaufkraftüberschüsse bis zum Zeitpunkt des Eigenbedarfs anderen überläßt. Der Zins ist also keine Belohnung für Konsumverzicht, sondern allenfalls für den Verzicht auf Liquidität, bzw. für den Verzicht auf Geldhortung, wie ebenfalls Keynes treffend formuliert hat. Denn diese heute gegebene Möglichkeit, Geld ohne zu befürchtende Konsequenzen aus dem Kreislauf herauszuziehen, ist die Ursache dafür, daß Zinsen auch dann noch marktwidrig erpreßt werden können, wenn im Grunde keine Knappheit mehr an Ersparnissen besteht.

Wo liegt das eigentliche Übel des Zinses?

Was wir heute als Zins bzw. Kreditzins bezeichnen, ist eine Mischung verschiedenster Posten, die einzeln gesehen und gewertet werden müssen. Zu den sachbedingten und gerechtfertigten Posten gehören die in der Bankmarge erfaßten Kredit-Vermittlungskosten und Risikogebühren. Unstrittig ist auch – solange die Kaufkraft des Geldes von den Notenbanken nicht stabil gehalten wird – die Berechtigung eines Inflationsanteils als Ausgleich für den Kaufkraftverlust des verliehenen Geldes. Diese sachlich gerechtfertigen Posten haben mit dem eigentlichen Zins, um den es bei der Frage nach seinen Schatten geht, nichts zu tun. Bei diesem eigentlichen Zins handelt es sich allein um jenen Betrag, der als leistungsloses Einkommen dem Verleiher zukommt.

Auch wenn manche plakativen Verkürzungen für den flüchtigen Betrachter den Eindruck erwecken, geht es ‚am Rande von Kirchentagen‘ also weder um eine zinslose Wirtschaft‘ oder ‚Abschaffung der Zinsen‘ noch um eine Neigung zu Modellen östlicher Planwirtschaften. Es geht lediglich um die Infragestellung jener durch Geldzurückhaltung durchgesetzten Zinsbezüge, die auf Kosten Leistender erzielt werden können. Denn damit kommt es zu einer monopolartigen Störung des marktwirtschaftlichen Gleichgewichts mit kaum übersehbaren negativen Folgen. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Schmälerung der Leistungseinkommen den Kreditnehmer selbst trifft, oder – soweit der Kredit in Wirtschaftsprozessen Einsatz findet – über die Preise die Endverbraucher.

Welche Forderungen stellen die heutigen Zinskritiker und Geldreformer ?

In einer modernen Wirtschaft ist der Zins als Knappheitspreis und Lenkungsinstrument unverzichtbar. Diese Funktionen werden jedoch auch von einem Zins erfüllt, dessen Höhe – die sachbedingten Posten ausgeklammert – im Idealfall verteilungsneutral um den Nullpunkt schwankt. Um bei gesättigten Märkten jedoch zu einem solchen verteilungsneutralen Zins zu kommen, muß dem Geld die Überlegenheit über die mit ihm zu tauschenden Güter und Leistungen genommen werden. Das heißt, Geld darf nur ein Äquivalent dieser Güter und Leistungen sein.

Um die Überlegenheit des Geldes abzubauen, muß man es unter den gleichen Angebotsdruck stellen wie die einzutauschenden Güter oder Arbeitsleistungen. Und so wie die Arbeitleistenden und die Güterproduzenten nur einen Knappheitsgewinn beanspruchen können, solange der Arbeits- bzw. Warenmarkt noch nicht gesättigt ist, so darf sich auch der Zins als Knappheitsgewinn nur solange im positiven Bereich bewegen, wie die Kreditnachfrage am Kapitalmarkt über dem Angebot liegt. Die nur beim Geld gegebene Möglichkeit, durch Angebotsverknappung diese Gewinne auch bei einem ausreichenden Ersparnispotential weiter zu erpressen, widerspricht einer freien und sozialen Marktwirtschaft.

In welchem Umfang sich heute Geld dem Angebot am Kapitalmarkt entzieht, lassen die weltweit vagabundierenden und ständig noch eskalierenden Spekulationsmilliarden erahnen. Ebenso beweist dies der Tatbestand, daß bei sinkenden bzw. als zu niedrig empfundenen Zinsen nicht nur die Spekulationen zunehmen, sondern auch die liquiden Geldhaltungen. Als Folge dieses möglichen Geldrückzugs ist z. B. der Kapitalmarktzins in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie für längere Zeit unter die Sechsprozentmarke gefallen, selbst dann nicht, wenn die Inflation – wie 1986/87 – auf Null zurückging. Ein marktgerechtes weiteres Absinken des Zinses kann also durch die Geldbesitzer heute jederzeit verhindert werden, wenn der Zinssatz unter jene Grenze sinkt, die als Mindestbelohnung für die Freigabe ihrer Geldüberschüsse angesehen wird.

Um diese problematischen Kreislaufunterbrechungen zu unterbinden, zielen die heutigen Geldreformer darauf ab, durch eine konstruktive Umlaufsicherung einen gleichmäßig wirkenden Freigabedruck auf die Geldhalter auszuüben. Die heutigen Umlaufsicherungsmittel, nämlich Zins und Inflation, sind nicht nur wegen ihrer Schwankungen und destruktiven Folgen dafür ungeeignet, sondern auch deswegen, weil mit ihrer sinkenden Höhe ihr Umlaufsicherungseffekt schwindet. Das bedeutet, sinkende Zins- und Inflationsraten, für jede Volkswirtschaft wünschenswert, führen heute zu Störungen und Unterbrechungen des Geldkreislaufs.

Die zweite Forderung, mit den gleichen Mitteln erreichbar, ist die Überwindung der ständigen Kaufkraftschwankungen unseres wichtigsten und in der Wirtschaft am meisten genutzten ‚Maßstabs‘ Geld. Diese Inflationierung des Geldes wird selbst von Notenbankern als Betrug bezeichnet. Dabei sind die negativen Folgen des von ihr ausgelösten Zinsauftriebs, und damit der hochzinsbedingten Rezessionen, noch gravierender als der seit Jahrzehnten tolerierte Diebstahl an den kleinen Sparern.

Woran knöpfen die heutigen Reformansätze an?

Die entscheidenden geldbezogenen Reformansätze wurden bereits um die Jahrhundertwende konzipiert, vor allem von Silvio Gesell. Die meisten seiner Forderungen, jahrzehntelang als falsch und unsinnig bekämpft, sind inzwischen selbstverständliche Praxis. Das trifft z. B. auf die Forderung nach Abbau der starren Wechselkurse und Zölle wie der Abkoppelung des Geldes von der unsinnigen Golddeckung zu, die selbst nach dem letzten Krieg in manchen Lehrbüchern noch als unverzichtbar bezeichnet wurde. Auch die Forderungen Gesells nach Überwindung von Inflation und Deflation mit Hilfe entsprechender Geldmengensteuerung wurden von den meisten Notenbanken übernommen, wenngleich man den entscheidenden Steuerungsfaktor, nämlich die Verstetigung des Geldumlaufs, seltsamerweise immer noch nicht angegangen ist.

Um diese letzte entscheidende Fehlstruktur unseres Geldes zu überwinden, muß das Geld – wie auch von Proudhon und Keynes angestrebt – mit den Gütern und der Arbeit auf eine Stufe, das heißt, unter einen vergleichbaren Angebotsdruck gestellt werden. Proudhon wollte das mit seinen Tauschbanken erreichen, Gesell mit ‚rostendem Geld‘ und Keynes mit seinen ‚carrying costs‘ (Durchhaltekosten), die er dem Geld anheften wollte.

An diesen Überlegungen knüpfen die heutigen Geldreformer wieder an, nicht an irgendwelche historischen, zwangsläufig gescheiterten ‚Zinsverbote‘. Modelle, die darauf abzielen ‚den Zins durch staatliche Anordnung künstlich unter das im Markt bestimmte Niveau zu senken‘, stehen nicht zur Diskussion. Vielmehr geht es darum, daß der ‚Zins als Marktpreis‘ endlich ein echter ‚Gradmesser für die Knappheit des Kapitals‘ wird, also um einen freien Kapitalmarkt mit marktgerechten Zinsen.

Um das alles zu erreichen, streben die Reformüberlegungen vor allem eine konstante Umlaufsicherung des Geldes durch eine präzise – am Kaufkraftniveau orientierte – Geldmengensteuerung an, wie sie z. Zt. für die britische Notenbank andiskutiert wird. Voraussetzung dafür ist eine klare demokratische und mit dem Grundgesetz vereinbare Rechtsordnung für das Geld, das heute – völlig irreal – immer noch sowohl als öffentliches Gut wie privates Eigentum eingestuft wird. Außerdem bedarf der in unserer Geldordnung bereits gegebene Annahmezwang des Geldes einer Ergänzung durch einen Weitergabezwang, da ohne diesen der Geldkreislauf niemals störungsfrei funktionieren kann. Des weiteren sollte die Notenbank – wie ebenfalls in Großbritannien im Gespräch und in Neuseeland bereits im Ansatz eingeführt – von allen Bankgeschäften und Zinsbeeinflussungen befreit werden und nur noch für die Ausgabe des Geldes und dessen Kaufkraftstabilität verantwortlich sein.

So interessant und weitgehend zutreffend die historischen Beschreibungen Otmar Issings in seinem Artikel auch sind: Eine Diskussion über die Zinsproblematik muß von dem heutigen Wissensstand und den heutigen Ansätzen der Geldreformbestrebungen ausgehen. Das wiederum setzt eine Kenntnisnahme der entsprechenden Veröffentlichungen unserer Tage voraus und die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Denkansätzen. Dies gilt z. B. für die Aufsätze und Bücher des leider allzufrüh verstorbenen Augsburger Verfassungsrechtlers Dieter Suhr, oder die das Zinsproblem behandelnden Veröffentlichungen in der ‚Zeitschrift für Sozialökonomie‘ und anderen Publikationen. Diese Auseinandersetzung ist umso dringender, als sich die Problematik des Zinses nicht allein auf seinen „moralischen Schatten“ bezieht, sondern auf eine immer bedenklicher werdende Weise auch auf die ökologischen, sozialen und ökonomischen Problementwicklungen.

Die ökologischen Schatten des Zinses

Wenn bei einem Privatmann die Schulden rascher steigen als sein Einkommen, kann er sich ausrechnen, wann er zahlungsunfähig sein wird. Diese Zahlungsunfähigkeit kann er nur dann noch eine Weile hinausschieben, wenn es ihm gelingt, seine Arbeitsleistung und damit sein Einkommen ständig zu steigern. Diesem Ausweg aus dem Dilemma sind jedoch natürliche Grenzen gesetzt.

Das hier herangezogene Beispiel ist kein theoretisches, sondern eines, das allen Volkswirtschaften in der Welt immer mehr zu schaffen macht. Es läßt sich festmachen an dem Überwachstum der Geldvermögen und Schulden gemessen an der Wirtschaftsleistung und gilt, genauso wie für jeden einzelnen, auch für jedes Unternehmen und jeden Staat!

In der Bundesrepublik sind diese zinslastbestimmenden Geldvermögen und Schulden seit 1950 etwa dreimal so rasch angestiegen wie das Sozialprodukt, aus dem alle Einkommensansprüche bedient werden müssen. Die sich daraus ergebenden Relationen, bezogen auf das verfügbare Einkommen je Erwerbstätigen bzw. Haushalt, zeigt die Darstellung 1.

Wie daraus zu entnehmen, gehen den Endverbrauchern aufgrund des Überwachstums der Schulden – direkt oder indirekt – immer größere Einkommensanteile verloren, verstärkt noch durch den langfristigen Trend zu höheren Zinssätzen. Rechnet man die Verluste in Arbeitszeiten um, dann mußten alle Erwerbstätigen 1950 rund drei Wochen im Jahr für die Bedienung der Schuldenzinsen arbeiten, 1970 rund sieben und 1990 bereits etwa elf Wochen. Soll eine noch raschere Verarmung vermieden werden, muß jeder einzelne und mit ihm die ganze Volkswirtschaft um eine ständige Leistungssteigerung bemüht sein. Von den Folgen unserer heutigen Geldordnung bzw. deren Fehlstrukturen geht also ein ständiger Druck zur Leistungssteigerung aus. Da aber alle Leistungssteigerungen mit steigendem Ressourcenverbrauch und entsprechenden Umweltbelastungen verbunden sind, müssen die ökologischen Probleme weiter zunehmen. Dieser von der Zinsbedienung ausgehende Wachstumszwang würde nur nachlassen, wenn die Wachstumsraten der Geldvermögen (und das heißt letztlich die Zinssätze!) auf bzw. unter die des Sozialprodukts zurückfallen. Ein ‚Nullwachstum‘, das alleine der Umwelt und damit auch uns eine Zukunftschance gibt, wäre also nur bei einem Zins um Null problemlos.

Der soziale Schatten des Zinses und seine Folgen

Alle Zinsen fließen immer von der Arbeit zum Besitz. Mit jeder Zinszahlung erhalten also diejenigen noch mehr Geld, die bereits zuviel hatten und es verleihen konnten. Umgekehrt fließt zusätzliche Kaufkraft bei jenen ab, denen bereits Geld fehlte und die es sich deshalb leihen mußten.

Sozial problemlos sind solche Zinsströme nur dann, wenn mit Hilfe der Kredite Produktion und Arbeitseinkommen im gleichen Tempo gesteigert werden können wie die Geldvermögen und Schulden zunehmen. Das aber ist allenfalls in den ersten Jahrzehnten einer Wiederaufbauperiode der Fall, nicht aber bei einsetzenden Sättigungen der Märkte. Die Folge des unzureichenden Wirtschaftswachstums und der sich damit ergebenden Scherenöffnung zwischen Leistung und Geldvermögen sind darum immer größere Einkommensumschichtungen.

Natürlich müssen nicht alle Haushalte nur ständig Zinsen zahlen, die meisten verfügen auch über laufende Zinseinkommen. Diese Einkommen aber hängen von der Höhe der zinsbringenden Vermögen ab, die jedoch wesentlich unterschiedlicher verteilt sind als die Haushaltsausgaben, mit denen die Zinslasten hauptsächlich getragen werden. Wie unterschiedlich die zinsbringenden Geldvermögen verteilt sind, geht aus der Darstellung 2 hervor, in der die Ergebnisse der ‚Einkommens- und Verbrauchsstichprobe‘ des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1983 grafisch umgesetzt sind.

Teilt man die gesamten Haushalte in zwei gleich große Gruppen, dann hat die ärmere Hälfte gerade vier Prozent der Nettogeldvermögen in der Hand, die reichere 96 Prozent. Doch gibt diese Grafik nur die halbe Wahrheit wieder, denn in ihr fehlen die Haushalte mit einem Monatseinkommen über 25.000 DM, also jene Gruppe, die nicht nur über die höchsten Einkommen, sondern auch über die höchsten Vermögen verfügen dürfte. Ihre Geldvermögenssäule würde zwar mit etwa 0,5 bis 1 Prozent der Haushalte sehr schmal sein, jedoch die in der Darstellung enthaltene höchste Säule um ein Vielfaches übersteigen.

Wie bereits aus der Darstellung 1 hervorgeht, lassen sich die geldbezogenen Zinslasten der Haushalte 1990 mit durchschnittlich etwa 22 Prozent des verfügbaren Einkommens festmachen. Gewinner bei der geldzinsbezogenen Einkommensumverteilung sind also nur jene Haushalte, bei denen die jährlichen Zinserträge ein Viertel des verfügbaren Einkommens übersteigen. Alle anderen Haushalte, und das sind rund 90 Prozent, verlieren bei diesem „Zinsmonopoly“. Diese Verluste sind umso größer, je geringer die eigenen Geldvermögen und damit die Zinserträge sind.

In Wirklichkeit ist die Umverteilungssituation jedoch noch dramatischer, da zu den geldbezogenen Zinseinkünften noch diejenigen aus den schuldenfreien Sachvermögen hinzukommen, die sich noch extremer als die Geldvermögen bei Minderheiten konzentrieren. Setzt man für die Zinsbedienung der Sachvermögen, mangels genauer Zahlen, nur die Hälfte der geldzinsbezogenen Größen an, kommt man bereits auf 33 Prozent der verfügbaren Einkommen. Das heißt, mindestens jede dritte ausgegebene Mark fließt letztlich von der Arbeit zum Besitz.

Die Folgen der zinsbedingten Umverteilung

Daß mit der Zunahme dieser Zinsstromgrößen die Einkommensumverteilungen und mit diesen die sozialen Spannungen zunehmen müssen, liegt auf der Hand. Dabei kommt es für die Arbeitleistenden nicht nur zu relativen Verlusten, sondern zunehmend auch zu absoluten, wenn der Leistungszuwachs unter den laufend ansteigenden Ansprüchen der Zinsbezieher liegt. Das geschieht vor allem in den hochzinsbedingten Rezessionen, in denen das Wirtschaftswachstum deutlich nachläßt bzw. sogar real zurückgeht.

Der frühere Gewerkschaftsvorsitzende, Ernst Breit, hat schon vor Jahren davon gesprochen, daß einer ‚verschämten Armut‘ ein immer größerer ‚unverschämter Reichtum‘ gegenüberstünde. Und der Sozialsenator von Hamburg, Ortwin Runde, stellte im Sommer 1993 fest, daß in seinem Stadtstaat sowohl die Millionäre wie die Sozialhilfeempfänger gleichermaßen überproportional zunehmen. Wenn man diese Diskrepanzentwicklung nicht abbremsen könne, so meinte er weiter, würden uns ’soziale Auseinandersetzungen wie in Lateinamerika‘ drohen. Diese Diskrepanzentwicklung ist jedoch nicht abzubremsen, solange die Reichtumskonzentrationen weiterhin gewissermaßen von selbst zunehmen. So konnte man im Monatsbericht der Bundesbank vom Oktober 1993 lesen, daß die Zinsgutschriften bei den westdeutschen Privathaushalten 1992 bereits 80 Prozent der Ersparnisbildung entsprachen, während es in den 50er Jahren erst 16 Prozent waren. Das heißt, die ‚Selbst-alimentation‘ der Geldvermögen durch die Zinsen nimmt immer mehr zu.

Der ökonomische Schatten

Die Wirkungen der Zinsbelastung und vor allem der Zinssatzschwankungen auf die Wirtschaft gehen aus der Darstellung 3 hervor. In ihr ist die Entwicklung der Arbeitslosigkeit derjenigen der Bankzinserträge (als ungefähre Größe für die geldbezogene Zinsbelastung) und der daraus errechneten ‚Zinslastquote‘ gegenübergestellt.

Wie erkennbar, zeichnen sich die Folgen der Zinssatzschwankungen zwar auch bei den Bankzinserträgen deutlich ab, gravierender aber wirken sie sich auf die Zinslastquote aus, die sich aus der Relation der Zinsbelastung zum Sozialprodukt ergibt. Ursache dafür ist, daß die Zinsanstiege schließlich zu einem Konjunktureinbruch führen, und somit den steigenden Zinslasten nachlassende und am Ende sogar sinkende Wirtschaftsleistungen gegenüberstehen. Von diesen zinsbedingten Belastungsanstiegen wird jedoch nicht nur der verschuldete Staat getroffen, sondern ebenso der Unternehmenssektor, dessen Gesamtverschuldung fast beim Dreifachen der öffentlichen Schulden liegt (siehe Aufteilung der Schuldensäulen in der Darstellung 1). Zunehmend geraten aber auch die Privathaushalte über ihre Konsumkredite in die Schuldenfalle.

Natürlich verschwindet durch die zinsbedingten Umverteilungen keine Kaufkraft aus der Volkswirtschaft, aber sie verschiebt sich von jenen, die noch Bedürfnisse haben, zu jenen, deren Bedürfnisse weitgehend gedeckt sind. Zur Nachfrage kann diese verlagerte Kaufkraft also nur werden, wenn sie über Kreditausweitungen wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt wird. Dadurch aber werden die problemauslösenden zinsbedingten Belastungen und Umverteilungen nochmals vergrößert. Da aufgrund der Rezession und der allgemeinen Sättigung die Unternehmen zu Kreditaufnahmen kaum noch in der Lage sind, bleibt praktisch nur der Staat als weiterer Schuldenmacher. Und dieser ist zur Rückführung der Kaufkraft aus den ‚Kassen ohne Bedarf‘ (Dieter Suhr) geradezu gezwungen, wenn er eine deflationäre Rezessionsverstärkung durch Unterbrechungen des Geldkreislaufs verhindern will. Darauf hat bereits vor einigen Jahren Rüdiger Pohl, einer der ‚fünf Weisen‘, in einem ZEIT-Artikel hingewiesen.

Da die rückläufigen Steuereinnahmen aus den sinkenden Arbeitseinkommen nur zu einem geringen Teil durch erhöhte Steuereinnahmen bei den Zinsbeziehern ausgeglichen werden können (bekanntlich entziehen sich die meisten Zinsbezieher der Steuer), ergibt sich für den Staat durch die zinsbedingten Einkommensumschichtungen ein weiterer Nachteil. Verstärkt wird dieser noch durch die Möglichkeit der meisten Kreditnehmer, ihre Zinsaufwendungen von der Steuer abzusetzen. Nicht nur durch die erhöhten Zinsleistungen, sondern auch durch diese Rückgänge der Steuereinnahmen, die dazu noch von erhöhten Sozialausgaben begleitet werden, gerät der Staat also in einen immer größeren Verschuldungszwang. Und aus den immer größeren Schuldenlasten ergibt sich für ihn wiederum der Zwang, mit allen Mitteln das Wirtschaftswachstum zu forcieren. Der Staat ist heute aber nicht nur aufgrund der rezessionsbedingten Folgen zur Wachstumsförderung gezwungen, sondern auch um die Zinsen hoch und damit das Geld in Fluß zu halten.

Die Auswirkungen auf die Verteilung des Volkseinkommens

Die ökonomischen und sozialen Folgen der Hochzinsphasen, zeichnen sich auch deutlich in der Darstellung 4 ab, in der die Entwicklung des Volkseinkommens in inflationsbereinigten Größen wiedergegeben ist. Die zusätzlich eingetragene Kurve der Kapitalmarktzinsen läßt erkennen, daß ihren Höhepunkten jeweils etwa ein Jahr später der Konjunktureinbruch folgt. In welchem Maße sich die zinsbedingten Belastungen erhöhen, zeigt der Tatbestand, daß in den beiden letzten Hochzinsphasen die Zinslasten und -erträge drei- bis viermal so schnell zugenommen haben wie das Volkseinkommen.

Die im oberen Teil des Volkseinkommens markierte Größe der geldbezogenen Zinsbelastungen macht optisch deutlich, daß diese langfristig einen immer größeren Anteil beanspruchen. Während die Verteilung zwischen Zinsbelastung und dem restlichem Volkseinkommen 1950 noch bei 4 : 96 lag, hatte sie 1992 eine Quote von 22: 78 erreicht. Erkennbar ist auch, daß diese Umschichtung des Volkseinkommens zu den Geldkapitalbesitzern in den Hochzinsphasen besonders schubartig zunimmt. Das hat zur Folge, daß die Arbeitleistenden nicht nur die rezessionsbedingten Rückgänge des Volkseinkommens in vollem Umfang zu tragen haben, sondern darüber hinaus noch gestiegene Zinslasten. Diese treffen in einem besonderen Maße die verschuldeten Unternehmen, die ihrerseits versuchen müssen, sie durch Kosteneinsparungen aufzufangen. Da die Unternehmen die erhöhten Kosten bei gesättigten Märkten jedoch nicht an die Endverbraucher weitergeben können, höhere Kreditaufnahmen in den meisten Fällen ausgeschlossen sind und die fixen Kosten kaum zur Disposition stehen, bleiben fast nur noch Einsparungen bei den Lohnkosten bzw. Investitionsausgaben übrig. Alle diese Maßnahmen laufen letztendlich auf eine weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit hinaus, wobei es durch die sinkende Kaufkraft der Bevölkerung zu einer Selbstverstärkung der Krise kommt.

Die Notwendigkeit realer Lohnkürzungen, die seit 1993 ins Gespräch gekommen ist, wird damit verständlich. Unverständlich ist jedoch, daß die auslösenden Ursachen dieser Lohnkürzungen immer noch kein Thema sind, selbst nicht bei den Gewerkschaften.

Fazit

Sicher kann eine moderne Geldwirtschaft nicht ohne Zins als Knappheitspreis und Lenkungsinstrument bestehen. Diese Funktionen werden jedoch auch durch einen sinkenden und schließlich verteilungsneutral um Null pendelnden Zins erfüllt, der nur noch die Bankmarge und ggfs. einen Inflationsausgleich erforderlich macht. Da jedoch mit einer konstruktiven Umlaufsicherung die Geldmenge präziser steuerbar wird, kann auch die Inflation und damit der heute notwendige Inflationsausgleich überwunden werden. Ebenfalls geht mit der allgemeinen Stabilisierung der Wirtschaft und Gesellschaft, als Folge des stabileren Geldes, auch der in der Bankmarge enthaltene Risikoanteil zurück.

Ein durch Geldzurückhaltung ständig in positiven Größen gehaltener und über den Wachstumsraten liegender Zinssatz muß jedoch, aufgrund einfacher mathematischer Gesetzmäßigkeiten, jede Wirtschaft und Gesellschaft in den ökonomisch-sozialen Zusammenbruch treiben. Der Versuch, diesem Zusammenbruch durch noch mehr Wirtschaftswachstum zu entgehen, war schon in der Vergangenheit unzureichend und wird aufgrund seiner ökologischen Folgen mit jedem Tag unmöglicher und unverantwortlicher.

Eine Diskussion um die ‚Schatten des Zinses‘ ist also mehr als überfällig. Sie bedarf jedoch nicht nur einer Fortsetzung und Vertiefung, sondern auch einer Erweiterung des Themenspektrums über den moralischen Aspekt hinaus. Bedenkt man, daß die großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbrüche dieses Jahrhunderts entscheidend durch Fehlhandlungen der jeweils zuständigen Notenbanken mit beeinflußt bzw. sogar ausgelöst wurden, kann man nur hoffen, daß die Bundesbank zu einer solchen Diskussion bereit sein wird.

Quelle: http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/zinskreuz/creutz.html

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