Eine Stimme, die überall gehört werden sollte

von pere grau rovira

Die wichtigste katalanische Digitalzeitung, Vilaweb, hat ein Interview mit einem italienischen Verfassungsrechtler gemacht, das alle lesen sollten, die oft ohne genügend Kenntnisse den katalanischen Konflikt vollkommen missverstehen. ( https://www.vilaweb.cat/noticies/entrevista-ferraiuolo-comportament-espanya/ )

Gennaro Ferraiuolo ist Professor für Verfassungsrecht an der Universität Federico II, in Neapel. Schon 2016 hat er zusammen mit dem galizischen Professor Jorge Cagiao, ein Buch dessen Titel, auf Deutsch übersetzt „Die Verfassungsmäßige Einfassung des Rechts zu entscheiden“ lautet, wo si erläuterten, warum das „Right to decide“ Gültigkeit auch innerhalb des Rahmens der spanischen Verfassung hatte. Vor kurzem, ist ein neues Buch auf italienisch erschienen /“La nazione catalana“), dass er zusammen mit Cagiao und dem Professor an der Universität Venedig, Patrizio Rigobon, geschrieben hat.  Darin wird, aus einer strikt akademischen und technischen Sichtweise erklärt, warum die juristische Repression gegen die politischen Gefangenen ein schlechtes Beispiel von Rechtsanwendung ist, eine Anwendung, welche die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzt, was dem spanischen Staat zweifellos bekannt ist und deswegen alles versucht um zu verhindern, dass darüber in Europa debattiert wird. Folgend (leider, wegen der Länge…) nur ein Extrakt der wichtigsten Punkte der Ausführungen von Professor Ferraiuolo.

…In den letzten zwanzig Jahre hat der spanische Staat nie versucht, eine politische Antwort auf die Geschehnisse  in Katalonien zu geben.

…[Anders als in Quebec und Schottland geschehen:] behauptet Spanien, dass die Katalanen kein nationales Subjekt sind, und beharrt auf dieser Position. Und wenn man von dieser Prämisse ausgeht sind die Katalanen nur ein kleiner teil des ganzen Spanien, der nie die numerische Kraft um seinen Willen durchzusetzen besitzen wird… Und wenn man das, in Bezug auf die Selbstbestimmung, akzeptiert werden die Katalanen immer eine Minderheit der spanischen Bürger sein, die sich außerhalb der Legalität bewegt. (…)  Alles geschieht weil man Katalonien   nicht als nationales Subjekt anerkennt. Es zu anerkennen, heißt nicht unbedingt für die Unabhängigkeit zu sein. Es heißt ganz einfach. ein Instrument zu bekommen, um den nationalen Konflikt in einer Form zu lösen, die aus einem demokratischen Sichtpunkt akzeptabel sei…um politische Antworten für das Begehren eines Volkes zu erleichtern.

Der Titel des Buches „Die katalanische Nation“ kann für jeden beliebigen Italiener, der in der Tradition eines Einheitsstaates aufgewachsen ist, scheinbar eine Provokation sein. (…) Man soll aber daran denken, dass Staat und Nation keine Synonymen sind und es eine Nation ohne gleichzeitig ein Staat sein kann. Der Problem ist, dass der spanische Staat nicht akzeptiert, dass es ein multinationaler Staat ist und deswegen diese Multinationalität nicht in den juridischen und institutionellen Strukturen reflektiert ist. (…)  Die jetzige Antwort besteht aus Strafen in Namen des Rechtsstaates aber in Wirklichkeit verletzt sie dieses, weil sie einige seiner Grundpfeiler verletzt. (…)

Dadurch, dass der spanische Staat den Konflikt nicht politisch behandeln will, zwängt er sich selbst in eine Lage, in welche Grundprinzipien der Demokratie vergewaltigt werden. Und Spanien riskiert schlecht davonzukommen (…) Das alles wird für den spanischen Staat nicht schmerzfrei werden und wird Kosten haben, auch wenn man das nicht sehen will (…)

[Über die europäische Reaktion:] Da bin ich eher Pessimist, aber man darf nicht die Reaktion der europäischen Institutionen mit des von der öffentlichen Meinung verwechseln (…) Ich glaube es wird nach und nach einen Wechsel in der öffentlichen Meinung geben, die anders sein wird als jetzt…





…Als ich vor einigen Wochen in Barcelona war, dachte ich, dass ich eine allgemeine Apathie finden würde, aber stattdessen fand ich eine lebendige Gärung mit vielen Debatten über den Weg, den man folgen sollte und über neuen Strategien. Nichts wird vergessen und wie auch immer der spanische Staat sich anstrengt, die katalanische Frage wird nicht aus Europa verschwinden, auch wenn es Jahre dauert…

[über den spanischen Versuch die Ernennung von gewählten katalanischen Abgeordneten im europäischen Parlament zu verhindern:] Im Grunde zeigt das eine gewisse Angst, und Spanien weiß, dass ihm eine gewisse Gefahr droht (…) Es handelt sich nicht darum, ob Puigdemont oder Comin ihren Sitz übernehmen. Was Spanien verhindern will ist, dass man darüber redet (…) Weil dann werden an der Oberfläche alle Mängel und Verantwortlichkeiten sichtbar sein, die es zu debattieren vermeiden will…

…Das aktuelle Gerichtsverfahren ist, alles in allem surrealistisch, und was am meisten unfassbar  ist, ist dass bei den Angeklagten, für die sehr hohe Gefängnisstrafen verlangt werden, Vorsitzende von Zivilvereine gibt; das Heißt, Personen, die kein politisches Amt gehabt haben. Das ist technisch absurd. Es ist auch unverständlich, dass die anderen Angeklagten wegen Rebellion und Aufruhr verfolgt werden. das einzige, dass verständlich wäre, wäre es ihnen wegen ihres politischen Handels Ungehorsam vorzuwerfen. Aber in dem Fall von Jordi Cuixart und Jordi Sánchez es ist einfach unglaublich und unfassbar. Das zeigt, was ich vorher kommentierte, eine andere Art den Rechtsstaat zu verstehen…

Jedes Mal, dass Experten, Intellektuelle oder Politiker eine ablehnende Position gegen seine Taten äußern, ist die Reaktion des spanischen Staates oft dieselbe: zu sagen, dass die Kritiker die Tatsachen nicht kennen, dass die Kritiken  das Ergebnis der Ignoranz sind. ich kann aber doch versichern, dass das genaue Gegenteil geschieht: je mehr Kenntnisse man der Tatsachen hat, desto mehr wird der spanische Staat verurteilt…

[Über die Kenntnis des Konfliktes in Italien:] … Es wird besser verstanden als vor drei Jahren, aber immer noch zu wenig (…) In Wirklichkeit gibt es in Italien viele Sachen, die unverständlich sind. In den letzten europäischen Wahlen hat das rechte Votum 66 % erreicht. Und 40 % haben die Rechtsextreme gewonnen, mit fremdenfeindlichen und populistischen Elementen. Schwer zu verstehen, oder?…

.-..Aber nach und nach fangen die Leute in Europa in allgemeinen an besser zu verstehen, was in Katalonien los ist. Und mit der Zeit werden sie es noch besser verstehen. Und gerade das ist, was Spanien verhindern will…

Professor Ferraiuolo bestätigt in diesen Interview, was viele Leute außerhalb Katalonien noch nicht verstehen können oder wollen. Dass es nicht mehr um die Frage der katalanischen Unabhängigkeit geht, sondern um die Wahrung des Rechtsstaates, der Demokratie und der Grundprinzipien, welche die Hauptsäulen der europäischen Idee bilden, und dass ein Staat, der Lügen und Meineide braucht um sich durchzusetzen, jede Legitimität verliert. Die Stimme von Professor Ferraiuolo sollte überall gehört werden!

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Wandere aus, solange es noch geht!

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