Ein bewegender Brief aus dem Gefängnis

von pere (peregraurovira)

Einer der katalanischen politischen Gefangenen ist Jordi Cuixart (Auspr.: Kuschart), Vorsitzender des großen kulturellen Vereins Omnium. Er wurde im Oktober 2017 willkürlich festgenommen, angeklagt eine Menschenmenge gegen die spanische paramilitärische  Polizei Guardia Civil angestachelt zu haben, obwohl es zahlreiche Videos gibt, die das Gegenteil beweisen, nämlich, dass er und der auch inhaftierte, soziale Aktivist Jordi Sánchez die empörten Bürger beschwichtigten, um die spanische Polizei freien Abzug zu gestatten, Siehe:

https://peregraurovira.wordpress.com/2017/10/18/mehr-oel-ins-feuer-giessen/

Seitdem sind die „Zwei Jordis“, wie das Volk sie nennt, im Gefängnis, (seit wenigen Wochen in einen JVA in der Nähe von Manresa) und der Prozess wird erst in diesem Herbst stattfinden, ein Jahr oder mehr nach seiner ungerechten Inhaftierung.

Jordi Cuixart schreibt ein Tagebuch über seinen Gefängnisaufenthalt, das vielleicht eines Tages so bekannt sein wird wie die Briefe Vaclav Havels aus seinem damaligen Gefängnis. Am 12.08, als ein Teil dieses Tagebuches, hat er einen Brief an alle Mitglieder von Omnium adressiert, dessen Vorsitzender er nach wie vor ist. Ich meine, dass dieser bewegende Brief würdig ist, auch im Ausland bekannt zu werden. Hier ist die Übersetzung:

Sehr geschätztes Vereinsmitglied, sehr geschätzte Vereinsmitgliederin,

Montag konnte ich die ersten Tassen aus dem Brennofen entfernen; die Keramik und die Meditation helfen mir meinen Frieden und meine Verbindungen zu behalten und auch in meinem Gefängnis glücklich weiter leben zu können. Heute am 12. August sind es 300 Tage, dass ich mit Jordi Sánchez im Gefängnis bin und möchte Euch alle für Euren Beistand 300millionenmal  danken.

Führerschaften, Vertrauen und Mut: es gibt weder Gefängnisse noch Exil genug um so viele Demokratie aufzuhalten. Der Kampf gegen der Repression stellt eine der wichtigsten Einheitsfronten der Souveränitätsbewegung dar: eine der grundlegenden Mittel, um in dem Prozess der nationaler Befreiung weiterkommen zu können.

Wir haben immer gesagt, dass uns nichts geschenkt werden würde. Und jetzt kennen wir besser die Grenzen des Staates, bis wohin  sie fähig sind, die Justiz und das Rechtssystem im Namen der Einheit Spaniens zu beugen. Deswegen ist es nötig, Führerschaften zu verstärken so wie auch das große Einvernehmen, das so gute Ergebnisse hervorgebracht hat. Und um es zu tun, brauchen wir auch Führerschaften in den Institutionen und auf der Straße. Und zwischendurch den Alltag mit sozialen Antworten füllen wie den Armen zu helfen, die ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können, oder Obdachlos wurden weil die Miete oder die Ratenzahlungen nicht mehr aufbringen konnten, und alles ohne auf das Erreichte zu verzichten.

Warum wenn wir zu kämpfen wagten, nicht auch zu siegen gewagt haben?, hat mich mal Manuel Delgado gefragt. Ich habe darauf keine exakte Antwort und ich bin unfähig irgendjemanden Vorwürfe zu machen, aber die Behauptung von Eduard Voltas „Wir müssen mehr und entschlossener sein“ ist ein wichtiger Startpunkt. Die Grenze der Ausdauer und des Widerstandes kann nicht das Gefängnis sein und wir dürfen nicht Mehrheiten schwächen, die notwendig sind, um die Legitimität der getroffenen Entscheidungen zu untermauern. Ich glaube nicht nur, dass wir siegen können, sondern dass wir schon im Begriff sind zu siegen.

Der kommende Justizprozess ist nicht nur gegen eine Regierung, die an den Wahlurnen legitim gewählt wurde, gerichtet, sondern auch gegen Vertreter von sozialen Institutionen: ein Fall von ideologischer und kultureller Repression, der einzig in der Europäischen Union ist. Heute nur vergleichbar mit der Türkei oder mit Russland. Übernehmen wir den Satz von Karl Liebknecht: „Ich bin hier um anzuklagen, nicht um mich zu verteidigen!“

Das muss unsere Haltung sein: nicht uns zu verteidigen sondern der Staat wegen der erwiesenen Verletzung unserer Grundrechte zu verklagen, und gleichzeitig an die öffentliche Meinung zu appellieren, angesichts des demokratischen Rückschlags, den wir erleiden. Die juristische Ungeheuerlichkeit der unverhältnismäßigen und grundlosen Anklagen nicht auch noch Weiß zu tünchen. Die deutsche Justiz hat dazu ein klares Wort gesprochen und dasselbe wäre auch in der Schweiz, Belgien und Schottland geschehen.

An jeden einzelnen dieser 300 Tagen im Gefängnis, anstatt mich zu schwächen, habe ich meine demokratischen Überzeugungen weiter verstärkt: schon seit Monaten weiß ich, dass kein Urteil mich wird beugen können. Ich bin überzeugt, dass im Laufe der Jahre diese Urteile für sie eine größere Last sein werden als für uns. Und das der ehrliche, vorbedingungslose Dialog, die einzige Lösung des politischen Konflikts sein wird. Inzwischen werden wir weiter machen mit intakter Würde und werden uns niemals weder das Lächeln noch die unbändige Lust zum leben nehmen lassen.

Gesundheit, Zärtlichkeit, Verständnis und Republik.

Jordi Cuixart, 10. Vorsitzender von Omnium.

Seitdem die politischen Gefangenen in katalanischen Gefängnissen überführt wurden, bringen katalanische Chorgruppen ihnen regelmäßig ein Ständchen vor den Gefängnismauern. Unter anderem mit dem berühmtesten, alten katalanischen Volkslied „Das Lied der Vögel“, aber mit einem neuen Text, der auf die Lage der Gefangenen anspielt. Die letzte der vier Strophen endet so: „Wir werden Euch nicht vergessen, und wir werden hier weiter singen, bis Ihr frei seid!“

Der Sinn der Inhaftierung war es diese Frauen und Männer in der Vergessenheit verschwinden zu lassen. Und, wie so oft, das Ergebnis ist das krasse Gegenteil geworden.

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