Die USA werden mit Deutschland das tun, was Russen den Deutschen einst ersparten

Wo ist das Deutschland hin, das vor einigen Jahren noch im scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg zu einer Weltmacht begriffen war? Fast scheint es, als setze da jemand mit 80 Jahren Verzug die Morgenthau-Doktrin um. Spoiler: Es sind nicht die Russen.

Von Irina Alksnis (rtdeutsch)

Der Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen hat uns plötzlich an die Existenz eines Landes mit dem Namen Deutschland erinnert. Vor nicht allzu langer Zeit – nur wenige Jahre ist es her – gab es eine Beinahe-Großmacht, die so hieß. Aktiv und erfolgreich war sie, an den wichtigsten globalen Prozessen beteiligt, die wirtschaftliche Lokomotive und politische Führungsmacht eines vereinten Europas. An der Stelle dieser Fast-Großmacht findet sich nun ein Land, das im Strudel von Problemen taumelt. Das, wenn es überhaupt einmal in den Weltnachrichten auftaucht, in einer drittklassigen Rolle erscheint, ebenbürtig nur noch den baltischen Zwergstaaten.

Neulich einmal mehr.

Der größte, wenn nicht einzige Stolperstein beim Austausch von Häftlingen zwischen Russland und dem Westen war Wadim Krassikow, der in Deutschland zu lebenslanger Haft für die Ermordung des Banditen, Terroristen und Sadisten Selimchan Changoschwili verurteilt worden war. Letzterer hatte während der Tschetschenienkriege russische Soldaten auf brutale Weise getötet.

 

Berlin nahm zunächst eine kompromisslose Haltung ein und lehnte jegliche zwischenstaatliche Vereinbarung über Krassikow ab. Ein unproduktiver Ansatz, natürlich, aber in gewissem Sinne integer und deshalb respektabel.

Doch diese prinzipienfeste Haltung hielt nicht lange an, wie wir alle wissen. Krassikow wurde letztlich doch freigelassen.

Deutsche Beamte machen aus ihrer Unzufriedenheit keinen Hehl. Die deutsche Generalstaatsanwaltschaft ist „enttäuscht“ über den Vorfall, Justizminister Marco Buschmann nennt ihn „das bitterste Zugeständnis an Putin“. Olaf Scholz räumt ein, dass die Entscheidung nicht leicht gefallen sei und dass man wochenlang mit den US-amerikanischen und europäischen Partnern darum gerungen habe.

Die Medien haben inzwischen Einzelheiten dieses Ringens publik gemacht. Bloomberg berichtete, dass Scholz der Freilassung Krassikows nach einer Bitte Joe Bidens zustimmte, wobei die Nachrichtenagentur anmerkte, dass der ursprünglich ablehnende Kanzler aufgrund seiner „warmen Beziehungen“ zum US-Präsidenten einwilligte. Diese Bemerkung ist ein sarkastischer Hinweis darauf, welchen Nutzen Berlin aus der Änderung seiner Position gezogen hat: keinen. Die Deutschen haben ihre Position in einer für sie sehr wichtigen Frage aufgegeben, weil Washington den Befehl dazu gab.

Einige würden vermuten, dass es hinter den Kulissen vertrauliche Vereinbarungen gegeben haben könnte. Vor 20 oder gar zehn Jahren wäre eine solche Annahme naheliegend gewesen: Deutschland war damals ein Land, dem es selbst unter Bedingungen eingeschränkter Souveränität immer wieder gelang, von seinem überseeischen Oberherrn Präferenzen für sich auszuhandeln.

Gefangenenaustausch: Gemischte Reaktionen aus Deutschland

 

Aber dieses Deutschland existiert nicht mehr. Welche Entschädigung hat Deutschland von den Vereinigten Staaten für den Verlust von Nord Stream erhalten? Für den Verzicht auf russisches Erdgas? Für den rapiden Niedergang seiner Industrie? Für den Verlust seines Status als eine der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt? Und jüngst: dafür, dass es sich russischen Raketen aussetzt, indem es US-amerikanische beherbergt?

Exakt das Gleiche bekam es dafür, dass es Krassikow gehen ließ. Der Herr befahl, der Sklave gehorchte.

Natürlich stellt sich die Frage, wie die USA das geschafft haben. Wie wurden Deutschland und seine Eliten blitzschnell zu einer rückgratlosen Substanz degradiert, die keinerlei Selbstachtung und Würde hat? Immerhin gab es vor Kurzem sehr einflussreiche und an nationalen Interessen orientierte Kräfte, die den Aufstieg der BRD zu einer Weltmacht beinahe erreicht haben. Und plötzlich ein so schneller Verfall. Wie war das überhaupt möglich?

Zweifellos gibt es sozusagen politisch-technologische Rezepte, die zum Einsatz kamen und nun ihre Wirkung entfalten. Insbesondere haben die USA sehr geschickt mit der deutschen Oberschicht gearbeitet, die sie zwar nicht ganz unter ihre Kontrolle zu bringen vermochten, aber eben mehrere von ihnen geförderte und fest im Griff gehaltene Schlüsselkräfte an entscheidenden Stellen platzierten, die jetzt das Land beherrschen und es klaglos in den Abgrund führen.

Aber das ist nur ein Teil der Erklärung. Es scheint, dass der Hauptgrund viel tiefer liegt und rein deutscher, autonomer Natur ist. Deutschland – sein Establishment und anscheinend auch ein großer Teil der Gesellschaft – hat weder die Niederlage gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg verkraftet, noch konnte es sich zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit mit Moskau „herablassen“, egal wie großartig die damit verbundenen Aussichten auch sein mochten.

 

Deutschland trieb in den letzten Jahrzehnten ein unterbewusstes Bedürfnis nach Rache an, das sich seit 2014 – in der Ukraine – besonders deutlich manifestierte. Der Start der militärischen Sonderoperation Russlands signalisierte Berlin, dass der Moment gekommen war, dem östlichen „Erbfeind“ den entscheidenden Todesstoß zu versetzen. Doch der kam wie ein Bumerang nach Berlin zurück: Russland behauptete sich, und Deutschland geriet in den Strudel des Untergangs.

Vor 80 Jahren haben unsere Vorfahren den Deutschen höchste Humanität und Barmherzigkeit entgegengebracht. Nach allem, was das Dritte Reich in den besetzten Gebieten mit Sowjetbürgern angestellt hatte, ließ Moskau Gnade walten. Deutschland antwortete darauf mit schwarzer Undankbarkeit, es hat seine Lektion nicht gelernt und wird nun dafür bezahlen müssen.

Ironie des Schicksals: Was die Russen 1945 nach biblischen Maßstäben hätten tun dürfen, aber letztlich den Deutschen nicht antun wollten, werden 80 Jahre später die USA erledigen. Die Geschichte hat einen seltsamen Sinn für Humor.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel ist am 3. August 2024 auf ria.ru erschienen.

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6 Kommentare

  1. Es ist wohl diese Art billiger und duemmlicher, „antifaschistischer“ Propaganda und abgehangener, „Vaterlaendischer Krieg“-Folklore von Putins offiziellen Russlands, die sehr viele konservativ eingestellte Deutsche zumal im alten „Westen“ Russland als eine zweifelhafte Macht erscheinen laesst und der antirussischen Agitation von ueblen Transatlantikern wie Kiesewetter und dessen gewohnheitsmaessig konsequent zum schwersten Schaden Deutschlands handelnder, westalliierter Lizenz-Partei „C.D.U.“ wirkungsvoll in die Haende spielt.
    Besser kann sich „RT“ nicht ins eigene Bein schiessen.

  2. „Vor 80 Jahren haben unsere Vorfahren den Deutschen höchste Humanität und Barmherzigkeit entgegengebracht.“ – ???
    „Frau komm“ war eine gefürchtete Aufforderung von russischen Soldaten an Frauen zur anschließenden Vergewaltigung. Andere Soldaten raubten den Deutschen ihren Schmuck und ihre Uhren.
    War das höchste Humanität und Barmherzigkeit?

    • Wir kriegen hier die russische Propaganda über RT und dergleichen ungefiltert.

      Und die habe längst vergessen, wie sie in Deutschland gewütet haben. Wie kaum ein Deutscher die Gulaks überlebt hat.

      Wie sie systematisch die Infrastruktur in Mitteldeutschland geklaut haben.

      Wie sie die Ostdeutschen der Tötung und Vertreibung durch Polen, Slowaken und dergleichen ausgeliefert haben.

      Es ist ein bisschen mehr über die russischen Gräul- und Rachetaten bekannt, weil die Westpropaganda das erlaubt hat…

      Das Schlimmste waren aber die Folter erzwungenen Geständnisse für Taten die nie begangen wurden. Und die 2/3 gefälschten Papiere in den Nürnberger Folterprozessen, die den Blick auf unsere Vergangenheit prägen.

      Und diese konnte man damals leicht finden, weil sie auf dem besseren Papier der Westalliierten geschrieben waren, die nicht so schnell vergilbt waren, wie das Deutsche Papier. Um die Lügen dann zu verewigen haben die Amerikaner den Zugang zu dem Archiv verboten und die Lügen digitalisiert…

      • Da gehe ich, nicht nur ausnahmsweise, voll mit Dir mit! Auch so eine Monstranz, die Rußland auch noch heute vor sich herträgt: „Der große vaterländische Krieg“!
        Auch wenn sie damals nicht die Einzigen waren, die gewütet haben, allzu gern der Mensch vergißt …

        Allerdings, wer sich was antut, so ganz auf RT möchte ich dennoch nicht verzichten wollen.

  3. Der vorletzte Absatz ist natürlich grober Unfug und leugnet die erbarmungslose und brutale Unterjochung aller Warschauer Pakt-Länder einschliesslich Mitteldeutschlands durch die USSR. Den NKWD hat die Autorin offensichtlich auch ganz „vergessen“ zu erwähnen.
    Der allerletzte Absatz ist eine 180-Grad-Verdrehung der Tatsachen und verhöhnt zig Millionen deutsche Opfer: „Was die Russen 1945 nach biblischen Maßstäben hätten tun dürfen, aber letztlich den Deutschen nicht antun wollten“, aber 17 Millionen DDR-Bürgern und vielen weiteren zig Millionen Deutschen aus Pommern, Schlesien, Ostpreußen usw. „nach biblischen Maßstäben“ verbrecherisch angetan hatten…
    Es hatte nicht nur einen brutalen und grausamen Grund, warum zig Millionen Deutsche aus den Ostgebieten in die westlichen Besatzungszonen (, wobei übrigens die US-amerikanische Besatzungszone nicht ohne Grund die begehrteste war,) geflohen sind.
    Und neben den Deutschen mussten ja auch Balten, Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Bulgaren unter dem brutalen Diktat der USSR (=Vorgänger-Institution der seit 1994 bestehenden EUssr) leiden. Und der Hass vieler Ukrainer, die Westukrainer bis heute mit Sowjetrussen verwechseln, gegen Russen kommt ja auch nicht von ungefähr! Und das Mißtrauen sehr vieler Westdeutscher, deren Vorfahren häufig aus den ehemaligen Ostgebieten vor den Sowjetrussen nicht ohne Grund in den Westen geflohen sind, gegen Russland (, das auch sie bis heute mit der USSR verwechseln), ist – ob man es richtig findet oder nicht – aufgrund des Verhaltens der Roten Armee während des Krieges und der Russen nach dem Kriege (KGB, NKWD, Kriegsgefangene, Gulag usw.) nunmal leider nachzuvollziehen.
    Dennoch ist eine (sowjet-)russische Sichtweise natürlich nicht uninteressant! Vielen Dank für die deutschsprachige Veröffentlichung!

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