Wir sitzen in der Falle

Euro, Dollar und Gold im Wechselspiel der Geopolitik (Erster Teil)
Wir sitzen in der Falle

Von Dr. Bruno Bandulet, Bad Kissingen D

Den hier abgedruckten Vortrag hielt der deutsche Währungsexperte Bruno Bandulet am 4. Februar 2012 auf dem Kongress des Kopp-Verlags. Die «Schweizerzeit» publiziert das Referat in zwei Teilen. Im ersten Teil wird zunächst der Fehlentscheid der Schaffung des Euro kommentiert. Danach werden Verschwörungstheorien rund um die amerikanische Bank «Goldman Sachs» sowie die Rolle Deutschlands als Zahlmeister der EU beleuchtet.

Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman hat ein Buch geschrieben, das berühmt wurde. Es trägt den Titel: «Die Torheit der Regierenden». Sie unterscheidet vier Arten von Missregierungen: Zwangsherrschaft, Selbstüberhebung (als Beispiele nennt sie Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg), Unfähigkeit und Dekadenz (wie im Alten Rom) und als vierte Variante der Missregierung: Torheit und Starrsinn.

Torheit der Regierenden
Letzteres definiert sie als «politisches Handeln, das den Eigeninteressen des jeweiligen Staates und seiner Bürger zuwiderläuft».

Genau dies traf zu auf die Euro-Politik der Regierung Kohl/Waigel/Genscher. Der Regierung Merkel sind mildernde Umstände zuzubilligen. Angela Merkel muss eine Suppe auslöffeln, die sie sich nicht selbst eingebrockt hat. Sie ist konfrontiert mit den Konsequenzen der grössten Fehlentscheidung der deutschen Politik seit 1945: dem Beschluss vom Dezember 1991, die Deutsche Bundesbank zu entmachten, die D-Mark abzuschaffen und eine europäische Einheitswährung einzuführen, die damals noch ECU heissen sollte.

Es wird oft behauptet, die Maastrichter Beschlüsse vom Dezember 1991 und das Ende der Deutschen Mark seien der Preis für die Wiedervereinigung gewesen. Das ist so nicht richtig, auch wenn ein Zusammenhang mit der Wiedervereinigung bestand. Richtig ist, dass der französische Präsident François Mitterrand anfangs versucht hatte, die Wiedervereinigung zu verhindern. Als dies misslang, verlangte er von Helmut Kohl die Zustimmung zur Einheitswährung als Preis für sein Plazet zur Wiedervereinigung. Richtig ist aber auch, dass die Franzosen schon vor dem Fall der Berliner Mauer die D-Mark beseitigen wollten, weil ihnen die finanzielle Macht der Deutschen Bundesbank und das sogenannte deutsche Zinsdiktat missfielen.

Der Erfolg der Bundesbank und ihr internationales Prestige wurden dieser zum Verhängnis. Wäre die D-Mark eine Schwachwährung gewesen, bestünde sie noch heute.

Worum es ging, wurde im Verlauf einer deutsch-französischen Besprechung Anfang 1988 in Bonn deutlich. Damals erklärte Jacques Attali, der aussenpolitische Berater Mitterrands: «Um eine Balance zu erhalten, möchten wir über die deutsche Atombombe reden.» Die Deutschen antworteten: «Sie wissen doch, wir besitzen gar keine Atombombe.» Darauf Attali: «Ich meine die Deutsche Mark.»

Falsches Opfer
Die wurde dann als herausragendes deutsches Souveränitätsmerkmal von Kohl geopfert, obwohl über die deutsche Einheit nicht in Paris oder London, sondern in Washington und in Moskau entschieden wurde. Damit sind wir bei der Rolle, die die USA im europäischen Drama gespielt haben und immer noch spielen.

Die europäische Integration, die inzwischen den Gipfel ihrer Nützlichkeit überschritten hat, war ursprünglich ein amerikanisches Projekt zur Stabilisierung Westeuropas angesichts der sowjetischen Bedrohung gewesen. Zahlreiche europäische Initiativen in den Fünfzigerjahren wurden vom Geheimdienst CIA finanziert. «Wenn es ‘Europa‘ gibt, dann nur, weil es die Amerikaner wollen», schrieb 1992 der englische Historiker Norman Stone. Ebenfalls 1992 sagte Henry Kissinger, die Europäische Gemeinschaft sei als «Nebenstruktur der Atlantischen Allianz» erdacht worden. Und die Atlantische Allianz, nämlich die Nato, ist, wie wir wissen, nichts anderes als ein Instrument der amerikanischen Geopolitik.

Die Rolle der USA
Was die Amerikaner nicht wollten und was sie schliesslich auch verhindern konnten, war ein Europa auf Augenhöhe, ein gleichberechtigter Partner mit eigenständiger Militärmacht.

In das Gesamtbild passt Anfang der Neunzigerjahre das amerikanische Angebot an das wiedervereinigte Deutschland, zum weltpolitischen Juniorpartner der USA aufzusteigen – ein Angebot, das damals von der deutschen Regierung nicht aufgegriffen wurde. Vor diesem Hintergrund wird auch die ambivalente Einstellung der Amerikaner zum Euro verständlich. Sie opponierten nicht gegen seine Einführung, sie blieben aber skeptisch – und auf keinen Fall wollten sie einen Euro, der die Weltreservewährung Dollar vom Thron stossen würde. Diese Angst müssen sie jetzt nicht mehr haben. Typisch der Satz von Alan Greenspan, des langjährigen amerikanischen Notenbankchefs: «Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben.»

Daraus wird klar: Die Regierung Kohl hätte keinen Ärger mit Washington bekommen, hätte sie damals, im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, die Forderungen Mitterrands abgelehnt. Wirklichen Ärger bekäme die Bundesregierung, wenn sie die amerikanischen Stützpunkte in Deutschland kündigte, die als logistische Drehscheibe für Kriege im Nahen und Mittleren Osten dienen. Oder wenn Deutschland die deutschen Goldreserven aus New York zurückholen würde. Oder wenn Berlin sich daran stören würde, dass das Pentagon in Stuttgart sein Regionalkommando AFRICOM angesiedelt hat, dessen Zweck die politische und militärische Einflussnahme auf dem afrikanischen Kontinent ist – Aktivitäten also, die eigentlich Europa zustünden.

Verschwörungstheorien um Goldman Sachs
Wie Sie wahrscheinlich wissen, gibt es in Deutschland und mehr noch in Frankreich Journalisten, die hinter dem Euro-Debakel, das uns nun schon mehr als zwei Jahre in Atem hält, eine amerikanische Verschwörung vermuten. Oder, noch genauer: eine Goldman Sachs-Verschwörung.

Ich wurde einmal ins Hauptquartier von Goldman Sachs nach New York eingeladen und kann versichern, dass dort die intelligentesten Finanzalchimisten sitzen, die man sich vorstellen kann. Zyniker sind sie auch, aber das sind die meisten Investmentbanker und Spieler an den Finanzmärkten. Die Goldman Sachs-Leute wissen nicht nur, dass man den Politikern im Prinzip nichts glauben darf. Sie wissen sogar – und das ist weit anspruchsvoller –, wann man glauben muss, was sie sagen.

Um es vorweg zu nehmen: Es stimmt nicht, dass Goldman Sachs einen Plan ausgeheckt hat mit dem Ziel, den Euro zu Fall zu bringen. Doch Goldman Sachs hat tatsächlich der Regierung in Athen – gegen ein hohes Honorar, versteht sich – geholfen, die Finanzen zu frisieren und Schulden in Milliardenhöhe zu verstecken. Das fing schon 2001 an, als Griechenland dem Euro beitreten durfte. Und es endete im Herbst 2009, wenige Monate vor dem Ausbruch der grossen Euro-Krise. Nur: Solch betrügerische Manipulationen waren auch in anderen Euro-Staaten üblich, und dabei halfen auch andere Banken. Die Europäische Währungsunion basierte von Anfang an auf Vertragsbruch, Betrug und Wählertäuschung – letzteres insbesondere in Deutschland.

Jahre der Euro-Scheinstabilität
Als die Händler von Goldman Sachs im Winter 2009/2010 erkannten, dass die lange Periode der Euro-Scheinstabilität zu Ende war, kauften sie Kreditausfallversicherungen und begannen, gegen Griechenland zu spekulieren. Dass sie in guten wie in schlechten Zeiten mitverdienen wollten, war aus ihrer Sicht ein völlig normales Verhalten. Sie wollten den Euro nicht ruinieren, sie haben nur getan, was sie immer tun.

Und dem amerikanischen Interesse, den Euro nicht zu gross werden zu lassen, war damit nebenbei auch gedient. Anders als z.B. in Deutschland, sind die politischen und finanziellen Eliten in den USA eng miteinander verflochten und jederzeit austauschbar. Das wurde mir erstmals klar, als mir bei einem Besuch in New York jemand erzählte, dass bei einer Strategiesitzung von Merrill Lynch der Geheimdienst CIA mit am Tisch sass. Ich kann auch nicht ausschliessen, dass irgendwann Vertreter der Regierung und der Finanzindustrie darüber gesprochen haben, den Euro zu schwächen – immerhin bestand die Gefahr, dass Amerikas größter Gläubiger, nämlich die Volksrepublik China, in grösserem Umfang Dollar-Reserven in Euro-Reserven umtauschen würde. Nur: Beweisen lässt sich eine derartige Konspiration nicht. Es ist auch nicht so, dass die USA einen Zusammenbruch der Euro-Zone wünschen würden. Dafür ist das Risiko einer daraus resultierenden Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise zu gross.

Eigene Fehler
Es bringt nichts, andere für die Konsequenzen eigener Fehler verantwortlich zu machen. Die Euro-Katastrophe wurde von den europäischen Regierungen selbst verursacht. Sie wurde von den sogenannten Finanzmärkten und von den amerikanischen Rating-Agenturen nur etwas beschleunigt.

Seit Januar 2012 geniesst nur noch Deutschland in der Bewertung von Standard & Poor’s den besten Bonitätsstatus AAA mit stabilem Ausblick. Ausserdem ist unter den 17 Euro-Mitgliedern nur noch der Ausblick für die Slowakei (A) stabil. Triple A sind ausser Deutschland noch die Niederlande, Finnland und Luxemburg – allerdings mit negativem Ausblick, d.h. mit dem Risiko, an Bonität zu verlieren.

Falsch sind diese Einstufungen nicht. Wenn z.B. die Schulden des französischen Staates mit AA von «hoher Qualität», aber eben nicht von «höchster Qualität» sind wie die deutschen Verbindlichkeiten, oder wenn die italienischen Schulden laut S&P mit BBB ein «moderates Kreditrisiko» bergen, dann sind diese Einstufungen völlig korrekt. Und wenn die internationalen Investoren auf portugiesische oder italienische Staatsanleihen höhere Zinsen verlangen, dann ist das vollkommen nachvollziehbar.

Der Zahlmeister und seine Transferunion
Damit komme ich zu einem anderen Kapitel, nämlich zu der sehr realen Gefahr, dass auch Deutschland in den kommenden Jahren den Status des AAA-Schuldners verlieren könnte, womit auch die deutschen Bundesanleihen einbrechen und die Staatsfinanzen ausser Kontrolle geraten würden. Gemeint ist die Rolle, die Deutschland seltsamerweise seit der Wiedervereinigung zunehmend spielt – die Rolle des europäischen Zahlmeisters.

Eine Transferunion, vor der jetzt viele warnen, braucht die EU nicht mehr zu werden. Sie ist schon eine – auch wenn sie in ihren Anfängen in den Fünfzigerjahren, damals als EWG, keineswegs so gedacht war. Spätestens in der Ära Kohl hat es sich eingebürgert, dass aufkommender Streit auf europäischen Konferenzen dadurch beigelegt wurde, dass die Deutschen das Scheckbuch zückten.

In seinem Buch «Deutschland – Zahlmeister der EU» hat der Heidelberger Professor Franz-Ulrich Willeke alles penibel aufgelistet. Danach bezogen die vier heute notleidenden sogenannten PIGS-Länder (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) von 1976 bis 2008, gerechnet in Preisen von 2010, insgesamt 430,5 Milliarden Euro an Nettozahlungen von der EU. Davon kam etwas mehr als die Hälfte aus Deutschland!

Die Griechen haben in diesem Zeitraum netto 133,5 Milliarden kassiert. Was sie damit gemacht haben, weiss niemand genau.

Tatsache ist: Im untersuchten Zeitraum von 1976 bis 2008 hat ein einziges EU-Mitglied, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, mehr Nettobeiträge geleistet als alle anderen Nettozahler zusammengenommen. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war diese Art von europäischer Umverteilung noch ziemlich bescheiden. Wirklich beschleunigt hat sie sich erst seit der Wiedervereinigung. Das ist es, was Professor Willeke meint, wenn er vom «Zahlmeister» spricht.

Der britische Historiker Niall Ferguson sprach am 7. November in einem Interview mit dem «Spiegel» Klartext über die Kosten der EU, die Deutschland zu tragen hat: «Wenn man sich die europäische Integration als ein einvernehmliches System von Kriegsreparationen vorstellt, so entsprechen die Leistungen Deutschlands etwa denen, die ihm nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Versailler Vertrag aufgebürdet wurden.» Er fügte hinzu: «Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Deutschen keine Lust mehr haben, Reparationen zu zahlen.»

Die Deutschen nicht, eher die Regierung.

(Schluss folgt in der nächsten «Schweizerzeit»)

Bruno Bandulet

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Info-Bulletins «Gold & Money Intelligence», in dessen Nummer 366 vom 5. März 2012 das hier abgedruckte Referat erschienen ist.

Quelle: Schweizerzeit

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