„Warum ich Die Grünen nicht gewählt habe“

„Warum ich Die Grünen nicht gewählt habe“
Offener Brief an Sven Giegold, MdEP

 

Mohssen Massarrat محسن مسرت

 

 Lieber Sven,

ich muss Dich leider enttäuschen. Ich habe heute für das Europa-Parlament gegen Deinen verständlichen Wunsch in Deinem heutigen Rundbrief nicht die Grünen gewählt. Meine Wahl richtet sich jedoch keineswegs gegen Deine Leistungen. Deine 5-jährige Arbeit im EU-Parlament, die Du immer wieder transparent gemacht hast und viele, u. a. auch mich, daran hast teilhaben lassen, ist bewundernswert und wäre in der Tat ein Grund gewesen, um die Grünen zu wählen. Ich möchte aber auf diesem Wege meine Entscheidung gern begründen. Dazu möchte ich zwei wesentliche Gründe anführen:
1)   Die Grünen vernachlässigen im Großen und Ganzen eine Politik der sozialen Nachhaltigkeit. Sie sind (wie übrigens inzwischen auch leider alle anderen großen Parteien) gegenüber der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und Europa nahezu ignorant. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch die Grünen dem Schicksal von 3 Mio. Langzeitarbeitslosen allein in Deutschland und über 20 Millionen in Europa ziemlich gleichgültig gegenüber stehen. Jeder weiss, dass neue Arbeitsplätze durch ökonomisches Wachstum zu schaffen, weder möglich noch aus ökologischen Gründen verantwortbar ist und dass deshalb sich für die Beschäftigung aller Arbeitslosen, vor allem in Deutschland und Nordeuropa insgesamt, die flächendeckende Arbeitszeitverkürzung als einzige Alternative anbietet. Ich sehe jedoch bei den Grünen sowohl in Deutschland als auch in Europa nicht den geringsten programmatischen und praktischen Ansatz, die Arbeitszeitverkürzung auf die politische Agenda zu setzen.
Das Wissen, dass ökologische Nachhaltigkeit ohne soziale Nachhaltigkeit niemals erreicht werden kann, war nicht nur vor 20 Jahren gültig, sondern ist es auch heute noch. Wer die soziale Nachhaltigkeit aus dem Blick verliert, der wird bestenfalls eine Ökologiepolitik erfolgreich durchsetzen können, die nicht mehr sein kann als Reparatur an der Fortsetzung der kapitalistischen Naturzerstörung.
2)   Mindestens für genau so problematisch halte ich die außenpolitische Positionierung der Grünen, die in ihrer Mehrheit aus meiner Sicht Joschka Fischer gefolgt und inzwischen rechts von der SPD im transatlantischen Lager gelandet sind. Dies sieht man ganz klar in der Ukraine-Politik der Grünen, vor allem repräsentiert durch Marie-Luise Beck und Rebecca Harms. Meine Wertschätzung für Rebecca hindert mich nicht daran hervorzuheben, dass ihre überdeutliche Identität mit dem Maidan in Kiew inzwischen zu einer willkommenen Hilfestellung der Nato- und US-Politik im Ukrainekonflikt mit Symbolwirkung geworden ist. Diese Politik verfolgt jedoch nachweislich das Ziel, den Ukraine-Konflikt zur militärischen Umzingelung Russlands zu instrumentalisieren. Zur ausführlichen Begründung dafür verweise ich auf meinen Beitrag „Die egoistischen Staaten von Amerika“, veröffentlicht in Stern.de vom 16. Mai 2014 (s. 2-teiliger Anhang). Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf eine bemerkenswerte Stellungnahme von US-Veteranen (Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)) vom 28.04.2014, die Obama mit beinahe gleichlautenden Argumenten zu einer Zurückhaltung im Ukraine-Konflikt auffordern.
Es ist verblüffend, wie inzwischen eine beachtliche Zahl deutscher PolitikerInnen, angefangen mit Angela Merkel bis hin zu vielen SpitzenvertreterInnen der Grünen, zusammen mit den Leitmedien, einer im Grund genommen neokonservativen Russland- und Ukraine-Politik der Vereinigten Staaten von Amerika beinahe blinde Gefolgschaft leisten. Helmut Schmidt hat voller Wut und ganz zu Recht die Brüsseler Bürokraten aufgefordert und sie davor gewarnt, nicht einer Politik Gefolgschaft zu leisten, die in einen Dritten Weltkrieg einmünden könnte. Wer eine Kooperation mit Russland und eine Politik für gemeinsame Sicherheit in Gesamteuropa gegen die us-amerikanische Konfrontationspolitik in Europa austauscht, der handelt m. E. auf jeden Fall anti-europäisch und friedensgefährdend.
Alle Indizien sprechen für eine aggressive Europa-Politik der USA, die sich nicht nur im Ukraine-Konflikt offenbart, weil diese Politik u. a. auch darauf abzielt, „Old-Europe“ und „New Europe“ gegeneinander auszuspielen. Wir können alle beobachten, wie und auch mit welcher Wucht die USA versuchen, mit dem Freihandelsabkommen (TTIP) alles, was der Neoliberalismus in Europa nicht an sozialen und ökologischen Standards hat zerstören können, vollends zu Fall zu bringen und Europa in noch größere Abhängigkeiten von ihrer Hegemonie zu bringen. Man könnte zwischen der Russland- und Europa-Politik der USA und dem Freihandelsabkommen, die z. Z. parallel verfolgt werden, durchaus strategische Verbindungen sehen. In beiden Fällen setzen die US-Neokonservativen jedenfalls darauf, in Europa sehr starke transatlantische Verbündete zu haben.

Quelle: tlaxcala

 

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