Montagsdämonisierung gescheitert, Konstantin macht den Wecker

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BRDigung: Da ist so allerhand faul im Staate und wer die Vorgänge aufmerksam verfolgt hat, dem kriecht diese stinkende mediale Luft rund um die Montagsdemos geradezu in die Nase. Man kann relativ schnell darauf kommen, dass allerhand Anstrengungen unternommen werden, die Montagsdemos zu zerlegen, die Menschen auseinander zu dividieren, sie in die altbekannten Lager „Links, Rechts, radikal, gewaltbereit” oder was auch immer zu spalten. Und sollte dies nicht in der gewünschten Form gelingen, darf auch noch damit gerechnet werden, dass der ein oder andere unerkannte „Agent Provocateur“ ins Rennen geschickt wird, nur um das Ziel zu erreichen, diese Bewegung, so schnell es eben geht, verschwinden zu machen.

Historisch wissen wir sehr genau woher die Montagsdemos kommen. Sie gelten als verklärtes Relikt der Wiedervereinigung. Nur damals gab es keinerlei Interessen diese Veranstaltung tatsächlich zu unterwandern und auszubremsen. Das ist heute bedeutend anders, denn jetzt bedroht diese Veranstaltung jenes System, welches die damaligen Montagsdemos gern sah, von Herzen unterstützte und den Freiheitsdrang der Menschen über den Klee lobte. Heute marschiert man nicht gegen die Mauer, sondern gegen die neuen Betonköpfe in Kanzleramt, Reichstag, Brüssel und überall wo sich Entrechtung und Entdemokratisierung der Menschen immer offener zeigt. Die heutigen Montagsdemos haben keine verdeckten Sponsoren mehr, sondern nur noch verdeckte Gegner, die sich mühen die neu aufflammende Solidarität zwischen den Menschen im Keim zu ersticken.

Aus diesem Anlass geben wir hier eine Facebook-Mitteilung von Konstantin Wecker wieder, die sich mit einigen Aspekten rund um diese Diskussion und die Dämonisierung besagter Veranstaltung befasst. Er kommt dabei nicht zu einer völlig eindeutigen Meinung, was aber auch nicht Ziel der Betrachtung sein muss. Wichtiger ist, dass die interessierten Menschen erkennen was sich tatsächlich in diesem Drama abspielt und auf welche Details sie für sich selbst zu achten haben, um nicht den falschen Propheten zu folgen und in jedem Falle den friedlichen Charakter zu wahren.

Liebe Freunde,

Manchmal kann es notwendig werden, dem eigenen Verstand ein reset zu verpassen. Ich bin in den letzten Tagen nachdenklich geworden. Sehr nachdenklich. Eigentlich wollte ich die Tage in Asien in Ruhe am Strand verbringen und Körper und Seele die notwendige Auszeit verpassen. Nun aber brechen Ereignisse auf mich ein, die mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Einmal die schreckliche Zuspitzung des Ukrainekonflikts – und zum Anderen der Riss, der durch die Friedensbewegung geht oder gezogen wird.

Ich habe mich eindeutig positioniert. Mit Antisemitismus will und werde ich mich nicht gemein machen. Und in den Kommentaren, die wir hier und anderswo gelesen haben, gab es leider eine ganze Menge offen oder verkappt antisemitischer Ausfälle. Jutta Ditfurths Vorgehen wiederum mag man bewerten, wie man möchte, aber die massenhaften Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, die sie abbekommen hat, sprechen eine deutliche Sprache, was für ein mieser Pöbel im Umfeld dieser Montagsdemos zumindest auch unterwegs ist. Und dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.

Allerdings haben mich einige andere Kommentare geradezu angerührt. Meistens ging es dabei um die Hoffnung der Menschen, dass die Friedensbewegung sich nicht kaputt dividieren lassen solle, gepaart mit dem völlig richtigen Impuls, jetzt auf die Strasse zu gehen, aktiv zu werden, die Veränderung nicht nur zu fordern, sondern zu sein. Das alles ist mir sehr sympathisch.

Bis vor wenigen Tagen kannte ich übrigens auch einen Herrn Jebsen gar nicht. Und einige Kommentatoren, die ihn auf meiner Seite aggressiv in Schutz nahmen, ohne dass ich ihn überhaupt angegriffen hätte, haben mich – nun ja – verwundert. Andere klangen sehr vernünftig. Alles in allem schwankte der Tonfall der Jebsen-Verteidiger von unverschämt und beleidigend bis zu ehrlich um Verständnis nachsuchend und Aufklärung erhoffend.

Vor einigen Tagen schrieb mir Jebsen selbst. Freundlich, fast freundschaftlich, und er lud mich ein zu einem Interview für seine Seite. Ich gehöre nun definitiv nicht zu den Menschen, die eine dargebotene Hand blind wütend ausschlagen. Aber ich möchte auch wissen, mit wem ich es zu tun habe und meinen guten Namen nicht missbrauchen lassen (und auch selbst entscheiden, für wen ich „Gastbeiträge“ schreibe…).

Sicherlich, ich frage mich seit einigen Tagen auch, ob es da vielleicht nicht eine berechtigte Müdigkeit der jüngeren Generation gibt, was die ewigen Grabenkämpfe der Ideologen betrifft. Und ob ich selbst nicht vielleicht schon zu alt, zu unflexibel bin, um mich dieser neuen Herausforderung zu stellen. Und das, obwohl ich mich immer für einen sehr unideologischen Menschen gehalten habe.

Andererseits – hat nicht gerade das Alter vielleicht manchmal wenigstens den Vorteil, etwas weitblickender zu sein, weil man schon viel erlebt hat? Ich selbst sehe mich jedenfalls nach wie vor am ehesten als Anarchisten, wenn es denn schon ein -Ismus sein soll. Und An-Archie heisst: Freiheit von Herrschaft! Für eine solidarische Welt ohne Kapitalismus, in der ein gleichberechtigtes, positives Zusammenleben von Menschen jeglicher Herkunft, Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Identität, mit Respekt vor der Natur möglich wird…

Nach wie vor: diese Ziele bleiben mir heilig. Und dann findet sehr schnell eine Unterscheidung statt zwischen völkischen Ideologen und kritischen Friedensbewegten. Mit “Frieden für ein starkes Deutschland” kann man bei mir definitiv nicht punkten. Nicht in den 80ern und auch nicht heute. Und damals waren mir übrigens auch jene Stalin-Linken sehr suspekt, die sowjetische Atomraketen irgendwie viel besser fanden als amerikanische. Und was ist, frage ich mich, wenn Ken Jebsen wirklich Unrecht widerfahren ist, wenn er diffamiert wird, zum Beispiel wegen einer Mail, die er, wie ich es dem Netz entnehmen konnte, bestreitet geschrieben zu haben? Wie schnell ist das heute möglich!

Man sollte schon sehr, sehr vorsichtig sein, jemandem als “Antisemiten” zu stigmatisieren. Nur sehe ich dann andererseits, dass Ken Jebsen seit geraumer Zeit intensiv mit dem Herrn Elsässer kooperiert. Und das schreckt mich dann wieder ab. Denn dieser ehemalige Linke feiert von der AFD und der FPÖ bis zur Blocher-Partei in der Schweiz so ziemlich alles, was rechts ist. Er hatte kürzlich eine unsägliche homophobe Konferenz zu verantworten, auf der die brutale Verfolgung der Schwulen und Lesben in Putins Russland verharmlost und gerechtfertigt wurde. Seit Neuestem kumpelt Herr Elsässer, der sich als Chefaufklärer in Sachen NSU aufspielt, auch noch mit Karl-Heinz Hoffmann herum: ganz genau, mit dem berüchtigten Wehrsportgruppenhoffmann! Und gegen diese grausige Figur haben wir Münchner spätestens seit dem Oktoberfestattentat 1980 eine, im wahrsten Sinne: Mordswut auf dem Herzen.

Am letzten Montag hielt nun Herr Elsässer eine Rede bei der Berliner Montagsdemo. Er sprach sehr links und ausgesprochen völkerbindend, ja, wie ein waschechter Antirassist. Ich muss mich dann aber doch fragen, was da los ist, wenn derselbe Mann am 19. Februar 2013 auf seinem Blog schrieb:

“Hilfe, die Roma kommen! Die wilde Einwanderungsflut bedroht die deutschen Städte. Ganze Roma-Dörfer kommen mit Sack und Pack und lassen sich in Elendsquartieren im Ruhrpott, in Mannheim und in anderen Städten nieder. Sprachkenntnisse: null. Arbeitsplätze: null. Was machen sie dann? Jeder weiß es.”

Ist er nicht doch ein Wolf im Schafspelz? Ich will wirklich niemandem Unrecht tun. Ich höre auch, dass Ken Jebsen dem Herrn Elsässer wegen dessen Homophobie sehr öffentlichkeitswirksam die Luft aus dem Schlauch gelassen hat.

Ansonsten ist auch mir klar, dass in der aufgeheizten Atmosphäre dieser Tage laufend neue Feindbilder konstruiert werden. Das stört mich. Mir selbst wird vermutlich mit meinem neuen Buch bald auch ein starker Wind entgegenblasen, da ich es wagen werde, Spiritualität mit politischem Engagement zu verknüpfen. Und dann wird in dem Buch auch noch der „Aufruf zur Revolte“ abgedruckt sein, den ich mit Prinz Chaos II. geschrieben habe. Ich ahne jetzt schon, dass es bestimmte linke Hardcore-Kreise geben wird, denen allein schon bei dem Wort „Spiritualität“ das Kotzen kommt – sowie bestimmte bieder-bürgerliche Kreise, die bei dem Wort „Revolte“ an die Decke gehen.

So hat ein jeder auf seinem Feld sich zu beweisen und kann nur hoffen, Schulterschluss zu finden mit ein paar anderen – ohne den Falschen auf den Leim zu gehen. Und so kann ich auch diesen Text nicht mit einem abschließenden Urteil beenden, sondern nur mit der aufgewühlten Nachdenklichkeit, die an seinem Anfang stand.

Mit homophoben Rassisten für den Weltfrieden? Das kann nicht klappen. Ich will und werde aber mit jedem und jeder zusammen für den Frieden, gegen Ausbeutung und für eine bessere, würdigere Welt kämpfen, der und die ehrlichen Herzens ist. Ich wäre insgesamt sehr froh, wenn wir zu einer offenen und freundlichen Auseinandersetzung finden würden. Ich habe meine Bedenken unmissverständlich vorgetragen. Ich werde auch ohne Vorbehalte zuhören, wenn man gute Gründe vorträgt, diese Bedenken zu zerstreuen.

Sehr gut gefällt mir ein kluger Beitrag des Rappers Kaveh, den ich auf der Seite “Die Freiheitsliebe” gefunden habe. Der junge Mann schreibt nach einer sehr fundierten Analyse über die Montagsdemos:

“…dass jedoch eher unpolitische bzw. politisch nicht klar einzuordnende Bürger und Menschen aus dem sog. verschwörungstheoretischen Spektrum es schaffen, tausende von Menschen für Demos zu mobilisieren scheint relativ neu zu sein. Daher sollten sich Linke schon die Frage stellen und darüber diskutieren, ob sie in diesen mit dem politischen und wirtschaftlichen System unzufriedenen Menschen nicht strategische Verbündete sehen sollten, anstatt sie zu dämonisieren? Natürlich vorausgesetzt, diese verfolgen keine rassistischen, homophoben, antisemitischen oder andere diskriminierende Meinungen und Ziele.”

Wenn Kaveh zu Recht meint, dass viele Linke keinen Systemwechsel wollten, weil sie zu sehr mit den “transnationalen Konzernen, bürgerlichen Parteien und Mainstreammedien” verbandelt sind, muss ich ihm trotzdem widersprechen. Mich jedenfalls kann er damit nicht meinen. Ich bin nämlich durchaus der Meinung, dass nur ein Systemwechsel eine gerechtere Welt erschaffen kann. Und ich rufe weiterhin zur Revolte auf.

Euer Konstantin

PS: Wer übrigens der Meinung ist, mir wegen meines Zögerns vorwerfen zu sollen, ich würde nur nörgeln und nichts machen, darf beruhigt sein: ich renne seit ich denken kann selber auf die Straße – für Abrüstung, gegen den Kososvo/Afghanistan/Irakkrieg, gegen die Münchner „Sicherheitskonferenz“ (die eine Kriegskonferenz ist!), auf Anti-Naziblockaden in Dresden … und am 10. Mai werde ich bei der Demo in München gegen das Freihandelsabkommen dabei sein. Also, keine Sorge: ich war und bleibe auch Aktivist.

In diesem Kontext darf man auch die Äußerung von Jutta Ditfurth betrachten. Sie hat bei allerhand berechtigt vorgebrachter Kritik den Bogen deutlich überspannt und sich zum Spaltwerkzeug gemacht, sich selbst in Teilen als „Grüne Ökofaschistin“ deklassiert. Kein Grund sie deshalb auf dem Weg liegen zu lassen, sie wird eine Weile mit dem Prädikat „Jutta Shitfurth“ leben müssen.

Über eines sollte doch Einigkeit herrschen: „Gewalt ist keine Lösung, sondern nur Ursache für weitere Gewalt“. Am Ende wird auch der Blick auf die Regierung, die Abgeordneten und andere Hintertreiber uns nicht ein einziges Stück weiterbringen. Die Ursachen liegen viel tiefer (bei uns selbst) und manchmal fällt es schwer diese begreifen zu wollen, weil wir immer gerne nach Schuldigen suchen und damit gerne ein Stück Verantwortung weit von uns schieben. Wer es dennoch vertieft begreifen möchte, der kann sich den beigefügten Streifen mit Rüdiger Lenz einmal vergegenwärtigen, dann wird es etwas einfacher. Ein äußerst lohnenswerter Beitrag im Rahmen einer der letzten Montagsdemos.

 

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