Deutschland in Europa I/III

von Michael Obergfell (fortunanetz)

Am 1. August 1914 erklärte Deutschland Russland den Krieg und trat damit in den Ersten Weltkrieg ein. Das ist ein guter Anlass, das Verhältnis Deutschlands zu Europa zu beleuchten. Die aktuelle Krise des Finanzsystems, sowie die Staatsschuldenkrise sind der Treibstoff, der „alte Themen“ des Verhältnisses von Deutschland und Europa wieder ins Bewusstsein ruft. Zudem ist ein Teil der derzeitigen „Lösungen“, die vor allem die Eurofanatiker betreiben, aber auch die „Atlantiker“ vorschlagen, durch das historische Verhältnis Deutschlands zu Europa geprägt und motiviert.

Die nachfolgende Analyse hat 3 Teile. Ein Abriss der Geschichte des Verhältnisses von Deutschland in Europa steht am Anfang, gefolgt von einer Beschreibung wie die Versuche der Einheit Deutschlands bisher gescheitert sind und welche Lösungsansätze dazu bisher versucht wurden. Zuletzt soll eine Diskussion der möglichen Optionen, wie das Verhältnis Deutschlands zu Europa gestaltet werden könnte, den Reigen abschließen.

I. Deutschland in Europa: Ein Rückblick

Der europäische Kontinent war schon lange besiedelt bis hin in die Steinzeit, aber Deutschland gab es lange nicht, weder in der Zeit der Griechen, noch in der Zeit der Römer, die in der Antike herausragende Kultur- und Staatsvölker waren. Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches folgte eine relativ lange Zeit der Wirren, in der verschiedene, meist germanische Völker, umherzogen und kleine und große Staaten gründeten, die aber meistens keinen langen Bestand hatten.

Erst das fränkische Kaiserreich unter Karl dem Großen konnte sich wieder als Nachfolgestaat des römischen Imperiums darzustellen. Die Nachfolger Karls des Großen teilten sein riesiges Reich zunächst in drei, dann am Ende in zwei Teile auf. Das fränkische Reich war dauerhaft in ein westfränkisches und ein ostfränkisches Reich zerfallen. Im Streit um die Kaiserkrone trug das ostfränkische Reich den Sieg davon. Da sich die ostfränkischen Herrscher von nun an Kaiser nennen durften und die Kaiserwürde dauerhaft im ostfränkischen Teil verblieb, nannten sie ihren Staat stolz „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“.

Deutsch im heutigen Sinne war daran nichts, außer dass es eine geografische Region in Europa bezeichnete, deren Herrscher sich als Nachfolger der römischen Cäsaren begriffen und daher den Kaisertitel hatten.

Das Gebiet umfasste, mit jeweils wechselnden Grenzen, das Land von Schleswig Holstein bis nach Rom und von den Niederlanden und Belgien, sowie Elsass-Lothringen bis an die Oder-Neisse Linie, es umfasste aber auch das heutige Österreich und Tschechien. Das Gebilde selbst war ein Vielvölkerstaat in dem die heutigen Franzosen im Westen, die Italiener im Süden und die Slawen im Osten zusammen mit germanischen Völkern lebten.

I.I Hausmachtpolitik

Herrschaft war im frühen Mittelalter an die Gefolgschaftstreue gebunden, also an den Lehenseid. Die Belehnung war ein Geschäft, bei dem der Herrscher Land an eine Person vergab, die dieses Land dazu nutzen konnte, sich zu bewaffnen, also sich ein Pferd zu halten, eine Rüstung zu schmieden, eine gute Bewaffnung zuzulegen und durch regelmäßige Kampfübungen kampffähig zu bleiben. Außerdem ermöglichte dies dem Belehnten auch standesgemäß zu leben. Die früheren Reiter im Zug des Herzogs wurden so zu Rittern und Landbesitzern. Und um ihre Kampfkraft zu prüfen und unter Beweis zu stellen wurden oft im Beisein des Lehnsherrn Ritterturniere abgehalten. Bezahlt wurde das alles nicht vom Herrscher, sondern von den Bauern und Handwerkern des Lehens.

Nur solange es Land gab, konnte eine Belehnung durchgeführt werden. In Deutschland löste dieser Zwang eine Ostsiedlung aus, bei der Herrscher Land im Osten eroberte und damit die Gefolgsleute belehnte. Diese Kolonisierung brachte Ostpommern, Ostpreußen und Schlesien unter die Herrschaft des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Das frühe Mittelalter hatte aber wegen der Belehnung die Tendenz, die Herrschaft immer weiter zu zersplittern und zu dezentralisieren. Da sich die Grenzen Frankreichs, also des ehemaligen westfränkischen Reiches, recht früh nicht mehr veränderten, setzte dort aber eine Hausmachtpolitik des Adels ein, während die Ostkolonisierung im Deutschen Reich erst später zum Stillstand kam und die Hausmachtpolitik daher erst sehr spät einsetzte.

Die Hausmachtpolitik war der Versuch einzelner adliger Familien an ein möglichst großes zusammenhängendes Herrschaftsgebiet zu kommen. Damit verbunden war nicht nur großer Reichtum, sondern auch oft eine außerordentlich starke Stellung des Adelshauses gegenüber dem herrschenden König oder Kaiser. Sehr oft waren die Führer der Hausmächte auch Befehlshaber großer eigener Armeen, die im Ernstfall effektiv gegen den König oder Kaiser eingesetzt werden konnten. Viele Adelshäuser strebten selbst nach der Krone, sei es die französische Königskrone oder die deutsche Kaiserkrone. Die Konflikte zwischen der Zentralmacht und den Landesteilen waren damit geradezu vorprogrammiert.

In vielen Ländern Europas, allen voran Frankreich, England, Schweden und Spanien gelangten verschiedene Adelshäuser die eine genügend große Hausmacht hatten, an die jeweilige Landeskrone und stärkten mit jedem Mal die Zentralmacht. So war das Königsland beispielsweise in Frankreich immer die Isle de France, die sich mit jeder neuen Herrschaft erweiterte, sei es durch Schenkungen, sei es durch Konfiskationen. Jeder neue französische König stärkte die Zentralmacht und hinterließ dem nächsten König mehr Land und Einfluss.

In Frankreich, Spanien, Schweden und England und Russland kam es in Varianten zur Entstehung eines modernen Staatsgebildes mit einer Zentralmacht und einem Staatsapparat. Nur in Deutschland war die Entwicklung eine Andere.

Die größte Hausmacht Deutschlands waren die Habsburger und sie waren es mit weitem Abstand. Am Ende des Mittelalters besaßen sie Österreich, Teile Norditaliens, Süditaliens, Spaniens, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs, Teile von Lothringen und Burgund, sowie Böhmen, Mähren und Ungarn. Das Meiste davon erlangten sie durch eine geschickte Heiratspolitik. Im Zuge der vielen Streitereien um die Deutsche Kaiserkrone verständigten sich die Reichsfürsten darauf, den Deutschen Kaiser gemeinschaftlich zu wählen. Zwar hatten die Habsburger ab dem späten Mittelalter die Kaiserkrone per Wahl IMMER inne, doch das riesige Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ beherrschten sie nicht.

Vielmehr zeigte sich, dass die Reichsfürsten, die sogenannten Kurfürsten, die den Kaiser wählten, durch den Wahlmechanismus eine Bestandsgarantie gegenüber der Habsburger Großmacht hatten. Die Zahl der Kurfürsten war in den Verträgen für das Reich genau festgelegt und es war auch festgelegt, welche Kurfürsten es waren. Auch nur einen Kurfürsten abzuschaffen hätte bedeutet, den Wahlmechanismus zu zerstören und damit den Bestand des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu gefährden. Und das wollten die Habsburger ebenfalls nicht, und so kam es, dass es zwar eine Großmacht Habsburg gab, aber das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht einer Zentralmacht unterworfen wurde.

I.II Die Deutsche Reformation

Natürlich versuchten die Habsburger immer wieder mit allen Mitteln, weitere Gebiete des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unter ihre Kontrolle zu bekommen, damit der Traum eines geeinten Reiches wahr werden würde. Aber nicht nur die Reichsfürsten wehrten sich gegen die Übermacht der Habsburger, sondern auch andere Großmächte Europas, die mittlerweile entstanden waren, wie z. B. Frankreich und England, verstrickten Habsburg mit Absicht in Kriege und Konflikte, damit sie nicht mit aller Macht in den zentralen Raum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eindringen können, und damit eine absolut dominante Stellung in Europa zu erlangen.

Das ist im Grunde genommen das Grundmuster der Auseinandersetzungen der europäischen Staaten bis heute – unter jeweils wechselnden Vorzeichen.

Die Habsburger versuchten Frankreich im Gegenzug dadurch einzukreisen, dass sie, wiederum mit einer geschickten Heiratspolitik, Spanien, die Beneluxländer und Burgund bekamen, während sich Frankreich aus dieser Umklammerung zu befreien versuchte. Schon aus diesem Grund versuchte Frankreich mit allen Mitteln nicht nur die Umklammerung durch Habsburg zu sprengen, es versuchte auch die Deutschen Klein- und Mittelstaaten und auch die Kurfürsten zu beeinflussen, bis hin zu Versuchen, den Habsburgern die Kaiserkrone abspenstig zu machen.

Habsburg hingegen versuchte wiederum, nicht nur mit militärischen Mitteln dagegen zu halten, sondern auch den enormen Einfluss und den Reichtum der katholischen Kirche in Deutschland zu seinen Gunsten zu nutzen. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war nicht nur formal Herrscher über das ganze Gebiet, sondern auch Katholik, weil er vom Papst gekrönt werden musste. Und so war die Idee nicht nur, die deutsche Kleinstaaterei durch Habsburg zu beenden, sondern auch eine homogen katholische Bevölkerung zu haben.

Mit Luther trat ein Reformator auf, der in vielerlei Hinsicht auch politisch eine große Rolle spielen sollte, ohne je ein politisches Amt inne gehabt zu haben. Luther vertrat ursprünglich eine Reformation der katholischen Kirche, bei der der Ablass-Handel, also das Seelenheil gegen Geld, beendet werden sollte. Zudem wollte er, dass Priester heiraten dürfen und er betonte die Rolle der Bibel und des Wortes VOR dem Ritus. Alles dies ging gleich mehrfach gegen die dominante Stellung des Papstes und wurde von der katholischen Kirche bis aufs Blut bekämpft. Die Bibelübersetzung in einen im Niedersächsischen beheimateten Dialekt machte Luther zum Schöpfer der Deutschen Hochsprache, die wir auch heute noch sprechen – wenn auch in einer weiter entwickelten Form. Damit ist Luther der wichtigste Stifter der deutschen Sprache und damit einer ersten nationalen Identität. Zudem unterstützte eine sehr große Zahl von Reichsfürsten Luthers Reformation, weil sie darin eine Chance sahen, sich sowohl aus dem Einfluss der katholischen Kirche wie auch aus dem Einfluss Habsburgs lösen zu können. Und damit zerfiel das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das ohnehin ein Vielvölkerstaat war, in zwei große Glaubensbekenntnisse, das der Römisch-katholischen Kirche und das der Evangelischen Kirche. Diese Aufteilung hat sich bis heute erhalten.

I.III Streit im Hause Europa

Habsburg und die katholische Kirche versuchten mit juristischen Mitteln, mit Waffengewalt und mit Krieg die Reichsfürsten und kleinen Herrschaften dennoch unter ihre Gewalt zu bringen und der Anlass war die Reformation. In den neu konvertierten protestantischen Gebieten und Städten wurde der Kirchenbesitz oft von den Protestanten konfisziert und diese Konfiskationen wurden anschließend durch Gerichte und Krieg wieder rückgängig zu machen versucht. Der Riss ging praktisch durch alle Gebiete des Reiches bis tief hinein in das direkte Herrschaftsgebiet Habsburgs.

In der Zeit vom Beginn der Reformation bis zum Anfang des Jahres 1600 kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Habsburg und Bayern geschlossen katholisch sein würden, während die Norddeutschen Herrschaftsgebiete mit Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg, Bremen, dem Gebiet des heutigen Niedersachsen sowie Teile Hessens protestantisch werden würden. In manchen Staaten, wie z. B. Württemberg, deuteten sich dauerhaft gemischte Gebiete an.

Der mühsam errungene Kompromiss wurde wieder zerstört, als der Kurfürst von der Pfalz, Friedrich V. zum böhmischen König gewählt wurde. Böhmen hatte ein Wahlkönigtum, wählte aber seit langer Zeit Habsburger Herrscher als böhmische Könige. Mit der Wahl eines Protestanten zum König von Böhmen war die Kernmacht der Habsburger ganz legal bedroht worden, da auch der habsburgische Erzherzog Ferdinand nicht nur Anspruch auf die böhmische Krone stellte, sondern zugleich mit dem Erwerb dieser Krone Deutscher Kaiser werden wollte, wie dies bei seinen habsburgischen Vorgängern ebenfalls der Fall war. Beim Verlust der böhmischen Krone drohten riesige Einnahmeausfälle und ein derartiger Ansehensverlust, dass die traditionelle Kaiserwahl eines Habsburgers fortan gefährdet schien.

Der Kampf um die böhmische Krone war der offizielle Anlass und Auftakt für den Dreißigjährigen Krieg. Dieser Krieg wird immer wieder als Religionskrieg dargestellt, aber in Wahrheit ging es darum zu verhindern, dass die habsburgischen Kaiser die protestantischen Kleinstaaten in Deutschland unterwarfen und auf diese Weise eine zentrale Großmacht in der Mitte Europas werden würden.

Die Kriegszüge des kaiserlichen Generalissimus Albrecht von Wallenstein sprechen eine deutliche Sprache. Sie gingen alle von Böhmen aus Richtung Norden und damit Richtung Ostsee. Ein derartiger „Durchmarsch“ der Habsburger würde ein einheitliches Reichsgebiet längerfristig ermöglichen. Was den Reichsfürsten blühen würde, wenn die Habsburger gewinnen würden, sieht man an dem Schicksal der protestantischen Fürsten von Mecklenburg: Sie wurden nachdem Wallenstein die Ostsee erreichte, kurzerhand entthront, außer Landes gejagt und durch Wallenstein als Landesfürsten ersetzt. Von da an dürfte jedem der kleinen Fürsten und Grafen, aber auch den Kurfürsten klar gewesen sein, was kommen würde, falls die habsburgische Partei gewinnen würde.

Aus diesen Gründen griffen vor allem zwei ausländische Mächte, Frankreich und Schweden, vehement in die Auseinandersetzung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ein. Ihr Ziel war es, einen Sieg Habsburgs unter allen Umständen zu verhindern, weil damit längerfristig ihre eigene Herrschaft bedroht war.

Dieser Krieg zog sich dreißig Jahre vornehmlich auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hin, bis alle Seiten diesen Krieg nicht mehr fortsetzen konnten. Im Westfälischen Frieden wurde festgeschrieben, dass Deutschland auf Dauer keine zentrale Großmacht werden konnte, denn mit der Kompromissformel, dass sich die Religionszugehörigkeit eines Landes durch die Religionszugehörigkeit des Herrschers bestimmte, war Habsburg dauerhaft die Möglichkeit genommen, Deutschland zu einen.

Zudem bauten Frankreich und Schweden eine weitere Sicherheit ein, indem sie den Aufstieg des bis dahin völlig bedeutungslosen Brandenburg-Preußen ermöglichten. Das Land war schon zuvor eines der Kurfürstentümer des Reiches, wurde nun aber mit erheblichen Gebietsgewinnen bedacht, die den Grundstein zu einem von den ausländischen Mächten später durchaus gewollten Deutschen Dualismus führte. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ausgeblutet, hatte große Teile seiner Bevölkerung verloren und lag lange Zeit danach wirtschaftlich darnieder. Zudem blieb die politische Spaltung erhalten und ermöglichte es so den anderen europäischen Großmächten Frankreich, England, Schweden und Russland, ihre regionale Machtstellung weiter auszubauen.

I.IV Absolutismus und Deutscher Dualismus

Mit den Westfälischen Frieden von 1648 war auf die Dauer von 200 Jahren festgeschrieben, dass das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht geeint werden konnte. Dass dem so war sieht man auch an der weiteren Entwicklung in dieser Region. Der Absolutismus ist Ausdruck davon, dass sich einzelne Staaten heraus gebildet hatten, in der die Macht der Krone unangefochten war. Das war der Fall in Spanien, das zwar habsburgisch regiert wurde, aber von einer mittlerweile von Österreich getrennten Familie, das war der Fall in Frankreich, in Schweden und in Russland. Da auf dem europäischen Kontinent die Grenzen weitestgehend abgesteckt waren, waren für diese Großmächte Landgewinne zur weiteren Belehnung von Gefolgsleuten praktisch nur noch in den Kolonien möglich, also außerhalb Europas.

Machtzuwachs bekommt die Zentralmacht in Europa selbst nur noch, indem sie den Staatsapparat ausbaut. Das geschah im Absolutismus. Es wurden stehende Heere geschaffen, es wurde ein fiskalisches System errichtet, das Recht wurde in den Staaten vereinheitlicht, Privilegien für Kommunen abgeschafft, Markt und Zollgrenzen vereinheitlicht. Die Herrscher investierten in Infrastruktur (Straßen, Wasserkanäle, Postwesen) um die Erträge im Land zu steigern und so jeweils größere Heere zu haben und damit wiederum mehr Macht ausüben zu können.

Meistens ging dieser Prozess damit einher, dass der ursprüngliche Hof des Herrschers, der aus der Familie und den Bediensteten bestand, die in einer Villa wohnten ein Schloss wurde mit einem Hofstaat, Ministerien, käuflichen Ämtern und Ministerien. Die Schatulle des Herrschers wurde schon im Absolutismus meistens getrennt in eine Schatulle des Herrschers und des Staates, weil es notwendig wurde, dem Staatsapparat und seinen Beamten ein eigenes Budget zu geben.

Die Herrscher im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation machten diese Entwicklung mit, aber ohne die Zersplitterung des Reiches, wie sie im westfälischen Frieden festgeschrieben wurde, anzutasten. Die Habsburger expandierten vor allem auf dem Balkan vor allem gegen die Türken und baute ihr Reich im Osten aus. Eine Expansion innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war praktisch unmöglich, weil einerseits der Absolutismus viele kleine gefestigte Machtzentren auf dem Reichsgebiet hervor brachte. Die Meisten hatten ein stehendes Heer, eine Verwaltung und einer eigene Infrastruktur. Darüber hinaus war klar, dass ein Vordringen auf dem Reichsgebiet auch den Widerstand der anderen Großmächte Europas herausfordern würde.

Schaut man eine Landkarte im Zeitalter des Absolutismus an, stellt man fest, dass sich sowohl Habsburg als auch das aufstrebenden Königreich Preußen bei Eroberungen bevorzugt nach Osten hin orientierten. Österreich eroberte den Balkan, Preußen wollte vor allem polnische Gebiete und Schlesien annektieren. Der zersplitterte Westen und die Mitte des Reiches blieben Tabu!

Als der preußische König Friedrich II. der Große sein Land zu einer europäischen Großmacht umformen wollte, beschwörte er einen großen europäischen Krieg herauf, weil fast alle damaligen europäischen Großmächte, allen voran Frankreich, Russland und Österreich-Ungarn befürchteten, dass Preußen sich der übrigen deutschen Gebiete ebenfalls bemächtigen würde. Das ging bis zu dem Versuch, Preußen gänzlich zu besiegen. Am Ende überlebte der preußische Staat die Kriege nur knapp und die Großmachtstellung wurde Preußen gewährt. Allerdings rührte Preußen niemals wesentlich an dem Tabu, das ganze Reich zu einen. Es ging Friedrich dem Großen immer nur um einzelne Gebietsgewinne, um seiner enormen Militärmacht eine dauerhafte politische und ökonomische Grundlage zu verschaffen. Die europäischen Nachbarstaaten duldeten die Rolle Preußens, weil so ein deutscher Dualismus entstanden ist, indem die Existenz zweier Großmächte auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ja geradezu garantierten, dass eine Reichseinigung niemals stattfinden würde.

I.V Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation

Bis zu den Napoleonischen Kriegen gab es immer die Deutsche Kaiserkrone und ein in sich zersplittertes Reich mit dem Namen „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“. Und solange dieses „Reich“ existierte, konnte eine Einigung nicht stattfinden. Alle Mechanismen der europäischen Politik waren darauf ausgelegt, dass kein geeintes Deutschland entstehen konnte, weil alle benachbarten Mächte, seien dies die Franzosen, Engländer, Russen, Schweden oder Polen gewesen, Angst vor einer derart großen Machtzusammenballung in der Mitte Europas hatten. Und aus diesem Grund sabotierten diese Mächte eine Einigung über einen Zeitraum von mehreren 100 Jahren und sie taten dies bewusst und offen seit dem Jahr 1618, in dem sie aktiv militärisch in das Geschehen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eingriffen.

Die Französische Revolution stürzte die Königsherrschaft und brachte mit dem Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte einen Mann hervor, der der Totengräber des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation werden sollte.

Ursprünglich kämpften die Truppen vieler Deutscher Fürsten aus dem Reich auf französischem Boden in der Hoffnung, die Herrschaft der Bourbonen in Frankreich wieder herstellen zu können. Mit Napoleon kam in Frankreich ein Mann an die Macht, der die Truppen Habsburgs, Preußens und Englands nicht nur abwehren wollte, sondern er wollte Frankreich zur kontinentalen Ordnungsmacht vom Atlantik bis zum Ural machen. Insofern betrieb Napoleon ein europäisches Projekt, wenn auch nicht mit friedlichen Mitteln. Bei seinem Vordringen gegen Österreich und Preußen auf deutschem Boden benötigte er Verbündete in Deutschland und schlug den kleinen Fürstentümern vor, das Kirchenland zu säkularisieren, d. h. dem Herrschaftsgebiet der weltlichen Staaten einzuverleiben. Da aber auch 3 geistliche Fürsten Kurfürsten waren und deren Herrschaftsgebiete „verweltlicht“ werden sollten, funktionierte der Jahrhunderte alte Wahlmechanismus der Kaiserwahl nicht mehr. Und aus diesem Grund wurde das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mangels geistlicher Kurfürsten aufgelöst.

Es ist Napoleons Verdienst, dass er aus der gänzlich unübersichtlichen Masse von kleinen und kleinsten deutschen Staaten und den vielen Territorien in Streubesitz ein Ende gemacht hatte. Aus den mehr als 100 Fürstentümern, Reichsstädten, Kirchenherrschaften wurden am Ende 41 Staaten geformt. Damit hat er einen staatlichen Modernisierungsschub ausgelöst, aber dennoch dafür gesorgt, dass Deutschland zersplittert genug blieb, damit eine Reichseinigung weiterhin unmöglich war.

Nach dem Untergang des Kaiserreichs Frankreich unter Napoleon wurden die neuen Grenzziehungen in Deutschland nicht wesentlich angetastet. Vor allem wurde der Kirchenbesitz von den Fürsten nicht zurück gegeben – und dies hatte zur Folge, dass das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ nie wieder auferstanden ist.

I. VI Die Reichsgründung von 1871

Nach dem Untergang Napoleons gründeten die deutschen Fürsten eine Nachfolgeorganisation zum „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“, der sich „Deutscher Bund“ nannte. Zwar orientierte sich dieser Bund hauptsächlich an den Grenzen des ehemaligen „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“, es war aber ein Staatenbund ohne „Deutschen Kaiser“. Die Kaiserkrone verblieb wie immer bei den Habsburgern, bezog sich aber nicht auf das Gebiet des neuen Bundes, sondern auf das Gebiet des Staates „Österreich-Ungarn“.

Der Fürstenbund spiegelte die politischen Realitäten im Land wesentlich besser wieder, war doch die Macht noch nie beim Deutschen Kaiser gewesen, sondern immer schon bei den Fürsten und den ehemaligen Kurfürsten insbesondere. Wie komplex und schwierig die politische Lage dennoch war zeigt schon der Umstand, dass weite Gebiete von Österreich-Ungarn und Preußen gar nicht Teil des Deutschen Bundes waren, da sie nie Teil des ehemaligen „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ gewesen sind.

Doch die französische Revolution brachte eine gewaltige mentale Änderung mit sich, die sich auch in der Politik des Deutschen Bundes auswirkte, anders als dies im früheren „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ der Fall gewesen ist: Ein Kind der französischen Revolution war der Nationalismus. Identifizierten sich die Franzosen früher mit der Herrschaft des Königs, so traten an seine Stelle nun die politisch emanzipierten Bürger und diese identifizierten sich mit der französischen Nation, weil es keine König mehr gab. Nach dem Ende des alten Reiches gab es einerseits nur noch den Bund der Fürsten, andererseits über die Sprache und die Kultur ein deutsches Staatsvolk, das es den Franzosen gleich tat und ebenfalls nationalistisch dachte.

Vor allem bei der Revolution von 1848 spielte der Nationalismus eine große Rolle, denn das Bürgertum wollte die Herrschaft der Fürsten beseitigen und an ihre Stelle eine demokratisch verfasste „Deutsche Nation“ stellen. 1848 war nicht nur der Wunsch nach Demokratie, sondern auch der Wunsch nach der Deutschen Einheit, ein Umstand der dazu führte, dass unsere Flagge heute dieselben Farben hat wie die der Revolutionäre von 1848, wenn auch die Farben heute in der umgekehrten Reihenfolge dargestellt werden…

Die Revolution von 1848 wollte aus dem Deutschen Bund (der Fürsten) eine Deutsche Nation machen – und zwar anfänglich in den Grenzen des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Daraus wäre ein wahrer Koloss entstanden, der wiederum die Gebiete von ganz Deutschland, von Österreich, Ostpreußen, Ungarn und weiten Teilen des Balkan umfasst hätte. Das wäre angesichts der Deutschen Geschichte der vorangegangene 1000 Jahre von den europäischen Nachbarn mit größter Wahrscheinlichkeit niemals akzeptiert worden. Und aus diesem Grund diskutierte vor allem das liberale Bürgertum jener Zeit darüber, ob die nationale Einigung eine „Großdeutsche Lösung“ unter Einschluss aller Gebiete oder eine „Kleindeutsche Lösung“ ohne die Gebiete außerhalb des Deutschen Bundes, angestrebt werden sollten. Und wenn nun wirklich die Gebiete des ganzen Deutschen Bundes die Grenze der neuen Deutschen Nation sein sollten, welche Macht, Preußen oder Österreich, sollte darin die Führung haben?

Die damaligen Debatten nahmen schon vorweg, was die Zukunft bringen würde: Eine Deutsche Nation in den Grenzen des Deutschen Bundes oder darüber hinaus war für jeden der europäischen Nachbarn viel zu groß. Und ob das Kaiserreich Österreich oder das Königreich Preußen in dieser Nation die Führungsrolle übernehmen sollte, blieb ebenfalls ungeklärt. Aber alle diese Debatten waren ohnehin umsonst, denn die deutschen Fürsten machten mit dem Spuk dieses frühen Nationalismus und einer wie auch immer gearteten Demokratie kurzen Prozess und lösten das Ganze mit Waffengewalt einfach auf.

Aber die Frage nach einer deutschen Einigung stand immer noch im Raum, der Wunsch nach Demokratie ebenfalls. Die Frage nach der Größe einer Deutschen Nation und die Frage, ob Preußen oder Österreich in dieser Nation führend sein sollte, war auch nicht gelöst.

Es war der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck, der sich für eine „Kleindeutsche Lösung“ unter der Führung Preußens entschied und diese schrittweise verwirklichte. In einem ersten Schritt lockte er Österreich in einen militärischen Konflikt um die Ansprüche Dänemarks auf das Herzogtum Schleswig. Anschließend brachte er Schleswig und Holstein unter preußische Kontrolle. Das hatte wiederum einen Krieg zwischen Preußen und Österreich zur Folge an dessen Ende die Auflösung des Deutschen Bundes stand. Stattdessen profilierte sich Preußen als führende Kraft der Reichseinigung im Norden und gründete den Norddeutschen Bund. Preußen und der Norddeutsche Bund bildeten den einen Block der Deutschen Staaten, Österreich-Ungarn den anderen Block und die Süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern blieben unabhängig. Im Zuge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, der hauptsächlich ein Krieg zwischen Preußen und Frankreich war, schlossen sich die süddeutschen Staaten endgültig Preußen als Führungsmacht an.

Mit dem Sieg Preußens über Frankreich entstand eine Kleindeutsche nationale Lösung unter preußischer Führung, das Deutsche Kaiserreich. Weimarer Republik, Drittes Reich, sowie BRD und DDR sind pro forma Rechtsnachfolger des Deutschen Kaiserreiches.

I. VII Summe und Ausblick

Schaut man sich die Deutsche Geschichte von dem Tag an, an dem die Deutschen dem Namen nach in die Geschichte eingetreten sind an, so finden wir ca. 1000 Jahre Geschichte vor, in der es keine staatliche Einheit gab. Diese Zersplitterung hatte seine Ursache letztlich immer in der Größe Deutschlands, das im Mittelalter aufgrund der schieren Größe und Komplexität nie zu einer Reichseinigung fand. Eine deutsche Einheit wurde seit dem Dreißigjährigen Krieg von den europäischen Nachbarn immer wieder aktiv verhindert, bis hin zu militärischen Interventionen auf deutschem Gebiet. Dabei wurde die Größe des Territoriums ebenso ausgenutzt wie die Uneinigkeit der deutschen Fürsten.

Am Ende dieser langen Geschichte stand eine „Kleindeutsche Lösung“ unter der Führung Preußens, die Österreich auf Dauer aus der Deutschen Einheit ausschloss – bis heute, wiederum einfach nur weil die politische und ökonomische Größe und Stärke eines „großen Deutschlands“ von seinen Nachbarn niemals akzeptiert werden würde.

In der Geschichte sollte sich zudem herausstellen, dass selbst diese „Kleindeutsche Lösung“ im europäischen Gefüge zu groß war und letztlich alle Grenzen sprengte. Das was wir heute „Europäische Union“ nennen, war und ist ein Versuch, die Widersprüche und Konflikte, die ein geeintes Deutschland für seine Nachbarn erzeugt, auszugleichen und zu entschärfen. Auch die Eurorettung ist – vor allem bei den derzeitigen „Rettern“ – im Kontext dieser Problematik zu sehen. Und letztlich ist die seltsame und bedenkliche Verwicklung des sogenannten „Friedensprojektes“ namens EU in der Ukraine unter dieser Blaupause der deutschen Geschichte zu betrachten.

Im zweiten Teil „Deutschland in Europa“ soll das Scheitern des geeinten Deutschland in zwei Weltkriegen skizziert werden und es soll auch aufgezeigt werden, wie die Transferunion ein Kind dieses Scheiterns in der Gegenwart ist.

Einen schönen Sonntag wünscht

Michael Obergfell

 

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