Das Grundgesetz ist eine dem Volk aufgedrängte Verfassung

von Rolf Ehlers (neopresse)

Das „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ ist unbezweifelbar die Verfassung des Staates Deutschland und die Bundesrepublik Deutschland ist auch wirklich ein Staat.

Mit den immer wieder stolz quer durch das Internet verkündeten, von interessierten Laien selbst gestrickten  Thesen, dass die Bundesrepublik gar kein Staat sei, sondern allenfalls eine BRD-GmbH, muss endlich Schluss sein.  Der Mainstream in den Medien sowieso, aber auch alle kritischen Blätter und natürlich die gesamte Rechtswissenschaft und die wissenschaftliche Staatslehre, befassen sich schon lange überhaupt nicht mehr mit solchen entlegenen Meinungen. Das indessen finde ich nicht gut. Es ist doch für jeden normal denkenden Menschen ganz leicht zu verstehen, dass die Frage der Qualität eines Gebildes als eines Staats allein durch die Realität bestimmt wird, dass auf einem festen Gebiet dauerhaft eine umfassende Herrschaftsgewalt über das dort wohnende Volk ausgeübt wird.

Die drei Merkmale Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt allein definieren in unserer und allen anderen heutigen Sprachen, auch allen Fachsprachen, den Begriff des Staates. Ob einem ein Land gefällt, ob man die Leute dort mag oder die, die über sie herrschen, ist völlig egal. Ohne Bedeutung ist auch, ob nach irgendwelchen internationalen Regeln der Staat wie tatsächlich geschehen hätte gebildet werden sollen oder nicht. Soweit es nur um die Feststellung geht, ob ein Herrschaftsgebilde ein Staat ist, können Sie daher alle Verträge und Vereinbarungen und alle angeblich bestehenden Rechte auf Heimat und Selbstbestimmung vergessen.

Es gibt weder eine staatliche noch eine Völkerrechtsnorm, die besagte, was ein Staat ist. Das bestimmen wie gesagt die Menschen selbst durch die Bildung des Sprachbegriffs Staat. Sobald sich auf einem von Menschen bewohnten Gebiet eine umfassende Herrschaft etabliert hat, die ihr Gebiet nach innen und außen dauerhaft gegen andere Mächte sichert, haben wir einen Staat. Im Völkerrecht spricht man von einem neuen Völkerrechtsubjekt.

Zwangsläufig hat jeder Staat eine Verfassung, ob geschrieben oder nur mündlich überliefert. Sie ist nichts anderes als die Summe der Grundregeln, nach denen das Leben im Staat, insbesondere das Verhältnis der Bürger zur Staatsgewalt, ablaufen soll. In der juristischen Literatur und Rechtsprechung ist teilweise die Rede von den „Kriterien des materiellen Verfassungsbegriffs“. Auch was eine Staatsverfassung ist, ist aber nirgendwo geregelt.Wie beim Staat selbst entscheidet über die Merkmale des Sprachbegriffs Staatsverfassung allein der Sprachgebrauch.  Die Sprache aber knüpft einfach an den von ihr gefundenen Staatsbegriff an und verlangt für das Vorliegen einer Staatsverfassung nicht mehr als eine Sammlung von Grundregeln, nach denen das Land regiert und verwaltet wird.

Ich denke, dass mit diesen Klarstellungen das Ende der Diskussion darüber angezeigt ist, ob das Grundgesetz die Verfassung des in den Westzonen des im II. Weltkrieg zerschlagenen Deutschen Reiches gegründeten neuen Staates war. Dies betrifft die Zeit seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1953 bis zur Verfassungsänderung in 1990.

Ob Provisorium bis zur Wiedererlangung der Einheit Deutschlands oder nicht, das Grundgesetz war die Summe der Grundregeln für das Leben in dem aus den Trizonen  gebildeten westdeutschen Staat. Nach der Entscheidung des Bundestages mit der verfassungsgebenden Mehrheit von mehr als 2/3 seiner Stimmen ist dieses Grundgesetz auch die Verfassung des 1990 mit der DDR/Ostzone vereinigten, nach den Annexionen durch Polen und Russland verbliebenen, Restteils des ehemaligen Deutschen Reiches.

Ich kenne sehr wohl die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die angebliche Identität der Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich. Es ist aber an der Zeit, dass unser Verfassungsgericht diese der Zeit des Kalten Krieges geschuldeten politisch gefärbte Konstruktion nachträglich aufgibt. Wir wissen doch alle, dass dem Deutschen Reich an die 40 % seines Territoriums gestohlen und anderen Ländern zugeschlagen wurden und dort jetzt weder eine deutsche Bevölkerung noch eine deutsche Regierungsgewalt gegeben ist. Vielleicht ist das Wort Diebstahl ein wenig hart. Manche reden davon, dass der Verlust der Ostgebiete ein Teil der Reparation für den von Deutschland ausgegangenen und verlorenen II. Weltkrieg und den Holocaust sei, jedenfalls ist er leider endgültig.

Das Bonner Grundgesetz ist zwar die Verfassung für Deutschland, sie ist aber nicht die Verfassung des Deutschen Volkes, von dem die Präambel und der Art. 146 in seiner Urfassung sprachen. Dort war die Rede davon, dass sich das deutsche Volk nach der Wiedervereinigung in freier Entscheidung eine neue Verfassung geben sollte. Wenn man nicht auf sybillinische Weise Entscheidungen, die andere an Stelle des Volkes oder mit Wirkung für das Volk getroffen haben, einfach als solche des Volkes selbst deklariert, kann damit nur gemeint sein, dass das Volk selbst den Inhalt der alternativ möglichen einzelnen Inhalte der Verfassung vor ihrer Verabschiedung erfahren, darüber ausreichend diskutieren und dann über die Inhalte  abstimmen konnte. Wenn das Volk es will, kann es auch pauschal über vorgelegte Gesamtfassungen entscheiden. Das bedarf aber seiner vorherigen Zustimmung.

Nie und nimmer war damit gemeint, dass vom Volke für eine Amtsperiode gewählte Abgeordnete ohne das Volk zu fragen, das Recht hätten, die neue endgültige Verfassung zu bestimmen. Genau das aber haben die Parteien des Bundestages nach Art eines Staatsstreichs getan, nachdem die auf dem Gebiet der DDR gebildeten neuen Bundesländer Teil der Westrepublik wurden. Wo kein Kläger ist, ist kein Richter. Vielleicht kommt die Frage aber doch einmal vor das Bundesverfassungsgericht, ob das vom Bundestag 1990 geschaffene Verfassungsrecht nicht in Wahrheit verfassungswidrig und damit unwirksam und unbeachtlich ist. Wenn das bestätigt wird, ändert sich im Alltagsleben in Deutschland  zunächst nichts. Dann aber muss der Staat Initiativen aus dem Volk zulassen, die zur Beschlussfassung über eine ganz neue deutsche Staatsverfassung führen, die auch die nötigen Modifikationen des parlamentarischen Systems beinhalten kann. Wie an anderer Stelle bereits beschrieben, wäre die erste und wichtigste Veränderung die Streichung des Satzes, dass die Staatsgewalt “vom Volke ausgeht” und an seiner Stelle der Satz, dass das Volk der einzige Träger der Staatsgewalt ist.

Das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung hat solche rechtlichen Mängel nicht. Es ist Teil des Besatzungsrechts. Dass die Sieger durch nichts gehindert sind, nach eigenem Gusto neues Recht zu setzen, ist eben so. Weil es keine Vorschriften darüber gibt, gilt das Recht des Inhabers der Macht.

Das Grundgesetz ist unter dem Recht der Besatzer bei Federführung verdienter Politiker und Persönlichkeiten aus den westdeutschen Ländern im Parlamentarischen Rat von den westalliierten Siegern des II. Weltkrieges verlangt und zugelassen worden. So wie der ganze Weststaat eine Schöpfung der Siegermächte ist, so ist die Verfassung dieses Staates auch ihr Werk. Dieser Staat Bundesrepublik Deutschland erhielt bis heute, auch nach dem Deutschlandvertrag von 1955 und den Abkommen über die Wiedervereinigung von 1990, noch nicht seine volle Souveränität. Das erleben wir nach den Aufdeckungen durch Edward Snowden jeden Tag mehr als deutlich. Solch eine hemmungslose komplette Ausspähung aller Kommunikation in einem Lande ist nur denkbar, wenn der Staat keine Mittel hat, sich gegen diesen Angriff zu wehren.

Als wir noch angesichts der Utopie einer totalen Staatskontrolle („Big Brother is Watching You“) im Roman „1984“ von George Orwell innerlich erschauerten, steckten wir bereits alle, die einfachen Bürger, die Wirtschaft und die Politik im festen Griff der totalen Ausspähung aller greifbaren Daten durch unsere „Freunde im Westen“. Wir müssen erleben, dass unsere Regierung und die von uns gewählten Abgeordneten konsequent nichts tun, um diese eindeutig unseren grundrechtlich geschützten Freiheitsrechten widersprechenden Maßnahmen zu unterbinden (Minister Pofalla: “Ende der Debatte!)”. So sklavisch treu folgen nur Marionetten ihren Strippenziehern. Weil sie nichts tun wollen, um die deutsche Souveränität auch fast 70 Jahre nach Kriegsende wiederherzustellen, haben sie sich entschlossen, die Misere der allgemeinen Ausspähung durch fremde Mächte wenigstens in einem Ausschuss zu diskutieren, wobei sie es sich sogar ausreden lassen, den wichtigen Zeugen Snowden persönlich vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages anzuhören.

In das Grundgesetz sind viele weitgehend von den Alliierten geforderte oder begünstige Schwächen eingebaut worden. Im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung und  vielen anderen modernen Verfassungen in anderen Ländern sind aber in die Verfassung auch zukunftsweisende Bestimmungen aufgenommen worden, die zu Recht auch von der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 GG) umfasst sind. Da sind vor allem die Grundrechte zu nennen, die erstmals nicht nur Staatsziele beschreiben, sondern klagbare Rechte des Bürgers gegen den Staat begründen. Ebenso wichtig ist die Festlegung auf den Rechtsstaat, ferner die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz.

Andererseits entsprach es dem Willen der Sieger (und der CSU), den Föderalismus auf die Spitze zu treiben. Sie wollten auch eine letztlich nutz- und machtlose Marionette als Bundespräsident. Ein Einheitsstaat schien ihnen gefährlicher zu sein als ein Bundesstaat, in dem sich Bund und Länder ständig wechselseitig behindern. Ein Anachronismus sind die Kirchartikel. Es kann doch nicht angehen, dass wir in alle Zeiten hinein dafür bluten müssen, dass die Kirchenfürsten in ihren Bezirken die politische Herrschaft über das Volk und den Besitz eines beträchtlochen Teils  allen deutschen Landes verloren haben!

Ob die Änderung des Grundgesetzes von 1990 wirklich unwirksam ist oder nicht, ist vielleicht sekundär. Es ist nämlich allgemeine Meinung unter den Rechtsgelehrten und auch unter den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, dass die neue Präambel und der neue Art. 146, die aus dem vorherigen Provisorium einen Dauerzustand gemacht haben, das Volk nicht daran hindern, an der bestehenden Verfassung vorbei in freier Entscheidung eine neue deutsche Verfassung zu beschließen. Das sollten wir dann auch tun.

 

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