Apple: Eingriff in die Privatsphäre von Millionen Menschen

Tobias Tscherrig (infosperber)

Der US-Konzern Apple soll Kundinnen und Kunden belauschen. Ein Whistleblower fordert die EU-Datenschutzbehörden zum Handeln auf.

Vor knapp zehn Monaten machte der Whistleblower Thomas le Bonniec publik, dass der US-Konzern Apple im grossen Stil seine Kundinnen und Kunden belauscht. Konkret geht es um zahlreiche Gespräche, die iPhones oder andere Geräte des US-amerikanischen Konzerns mit der Spracherkennungssoftware «Siri» aufgezeichnet hatten. Gespräche und Suchanfragen, die Apple nicht nur aufgezeichnet, sondern auch ausgewertet haben soll – und das auch dann, wenn der Dienst der Spracherkennungssoftware gar nicht von den Nutzerinnen und Nutzern aktiviert worden war.

Dabei sieht sich Apple selber gerne als Unternehmen, das dem Datenschutz seiner Kundinnen und Kunden eine hohe Priorität einräumt. Der US-Konzern warb zum Beispiel mit den Worten: «Was auf Ihrem iPhone passiert, bleibt auf Ihrem iPhone.»

Nach den Enthüllungen von Thomas le Bonniec reagierte Apple im «Guardian» und gab zu, einen «kleinen Teil» der Siri-Abfragen aufzuzeichnen. Zusätzlich gab der Konzern im letzten Jahr ein Versprechen ab und kündigte an, das Vorgehen zu überdenken und künftig nur noch Aufnahmen von Kundinnen und Kunden abzuhören, die dieser Praxis ausdrücklich zugestimmt hätten. Le Bonniec, der bei einem Subunternehmen von Apple angestellt war und während zwei Monaten selber unzählige Gespräche und Suchanfragen mithörte, glaubt nicht daran: Der US-Konzern werte auch weiterhin im grossen Stil Tonaufzeichnungen und andere Daten aus. Nun fordert der Whistleblower die EU-Datenschutzbehörden auf, Konsequenzen zu ziehen.

Sensibelste Informationen ohne Wissen aufgezeichnet

Im Sommer 2019 liess der 25-jährige Thomas le Bonniec die Bombe platzen: Nachdem er während mehreren Monaten bei Globe Technical Services, einem Subunternehmen von Apple, angestellt gewesen war und dort unzählige Gespräche abgehört hatte, welche die Spracherkennungssoftware «Siri» aufgezeichnet hatte, informierte er Journalisten der britischen Tageszeitung «Guardian». Im Artikel berichtet er unter anderem, wie er Apple-Kundinnen und -Kunden sowie deren Umfeld bei vertraulichen Gesprächen beim Arzt, bei geschäftlichen Gesprächsterminen, bei sexuellen Praktiken sowie bei scheinbar kriminellen Handlungen belauschen konnte.

Gemäss le Bonniec fallen viele der sensibelsten Tonaufzeichnungen an, nachdem der Sprachassistent «Siri» von den Nutzerinnen und Nutzern versehentlich aktiviert wurde. Das geschehe sehr häufig, dazu brauche es nicht viel: Das Geräusch eines Reissverschlusses soll zum Beispiel bereits ausreichen, damit «Siri» die eigentlichen Aktivierungsworte «Hey Siri» hört und sich selber einschaltet. Weiter könne sich Siri etwa auch im Zusammenspiel mit der «Apple Watch» und den «HomePod Smart Speakern» automatisch aktivieren. Beide Produkte sollen als häufigste Quellen für unerwünschte Aufzeichnungen zum Einsatz kommen.

Auch Subunternehmen hören mit

Le Bonniec sagte damals, dass diese Aufzeichnungen zusammen mit den Benutzerdaten einsehbar seien, aus denen zum Beispiel der Standort und die Kontaktdaten der Nutzer hervorgehen würden. Diese Kritik wies Apple im «Guardian» zurück: «Benutzeranfragen werden nicht mit der Apple-ID des Benutzers in Verbindung gebracht. Die Siri-Antworten werden in sicheren Einrichtungen analysiert, und alle Rezensenten sind verpflichtet, die strengen Vertraulichkeitsanforderungen von Apple einzuhalten.»

Allerdings hören auch die Vertragspartner von Apple regelmässig vertrauliche Tonaufzeichnungen. Denn obwohl es Apple in seiner Datenschutzdokumentation nicht explizit offenlegt, wird ein kleiner Teil der Siri-Aufnahmen an Subunternehmen weitergegeben, die auf der ganzen Welt für den US-Konzern arbeiten. Diese haben die Aufgabe, die Antworten des Sprachassistenten nach einer Vielzahl von Faktoren zu benoten. Zum Beispiel danach, ob die Aktivierung des Sprachassistenten absichtlich oder versehentlich erfolgte, ob es sich bei der Anfrage um etwas handelte, bei dem die Nutzer von Siri Hilfe erwarten konnten, und ob die Antwort von Siri angemessen war.

Le Bonniec machte das Abhören der privaten Informationen öffentlich, weil er befürchtet, dass die sensiblen Daten missbraucht werden könnten. Bei den Anstellungsgesprächen in den Subunternehmen gebe es kaum Überprüfungen. Die Menge der Daten, die man abrufen könne, sei gross und es sei – besonders beim versehentlichen Aktivieren des Sprachassistenten – nicht schwer, die Nutzerinnen und Nutzer zu identifizieren. «Apple vergibt Aufträge an Subunternehmer, es gibt eine hohe Fluktuation. Es ist nicht so, dass die Leute ermutigt werden, Rücksicht auf die Privatsphäre der Leute zu nehmen oder es auch nur in Betracht zu ziehen. Wenn es jemanden mit ruchlosen Absichten gäbe, wäre es nicht schwer, [die Personen auf den Aufnahmen] zu identifizieren.»





«Massiver Eingriff in die Privatsphäre von Millionen Menschen»

Vor einigen Tagen wandte sich Thomas le Bonniec in einem Schreiben an die europäischen Datenschutzbehörden. Denn obwohl Apple bereits 2019 versprochen hatte, künftig nur noch Aufnahmen von Kundinnen und Kunden abhören zu lassen, die diesem Vorgehen zugestimmt haben, glaubt le Bonniec nicht an den geläuterten US-Konzern. Vielmehr wirft er Apple einen massiven Eingriff in die Privatsphäre von Millionen Menschen vor. «Die Leute reden täglich mit Siri und werden in dem Glauben gelassen, sie sprächen mit einer freundlichen KI. Das ist sie aber eindeutig nicht», schreibt le Bonniec. «Siri kann als Spionin agieren.»

Im Brieftext beschreibt le Bonniec erneut, was er bei seiner Zeit im Apple-Subunternehmen erlebt hat. Er habe sich täglich «Hunderte von Aufnahmen» angehört, die ohne das Wissen der Nutzerinnen und Nutzer aufgezeichnet und weiterverarbeitet wurden. Die Aufnahmen seien nicht nur auf die Benutzer von Apple-Geräten beschränkt gewesen, sondern hätten auch Verwandte, Kinder, Freunde, Kollegen und alle, die mit dem Gerät aufgenommen werden konnten, betroffen.

Das System habe alles aufgezeichnet: Namen, Adressen, Nachrichten, Suchanfragen, Argumente, Hintergrundgeräusche, Filme und Gespräche. «Ich hörte Menschen, die über ihren Krebs sprechen, sich auf tote Verwandte, Religion, Sexualität, Pornographie, Politik, Schule, Beziehungen oder Drogen bezogen (…)»

Projekt «Entwicklungsdaten»

Andere Mitarbeiter seien beim Projekt «Entwicklungsdaten» beschäftigt gewesen, schreibt le Bonniec. Im Rahmen dieses Projekts seien in den Aufzeichnungen Wörter markiert worden, die mit den Daten der Nutzerinnen und Nutzer verknüpft werden sollten. Die für das Projekt eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten also Zugang zu persönlichen Benutzerinformationen gehabt: «Dies bedeutet, dass die Wiedergabelisten der Benutzer, Kontaktdetails, Notizen, Kalender, Fotos, Karten, usw. in riesigen Datensätzen gesammelt wurden», damit sie von Apple für andere Projekte genutzt werden könnten.

«Grosse Technologieunternehmen hören ganze Bevölkerungen ab»

Gemäss der österreichischen Tageszeitung «Standard» schätzt le Bonniec, dass Apple insgesamt hunderte Millionen Sprachaufnahmen angefertigt hat. In seinem Schreiben an die europäischen Datenschutzbehörden bietet der Whistleblower seine Zusammenarbeit an, um «jedes Element zur Untermauerung dieser Tatsachen vorzulegen». In eindringlichen Worten warnt er: «Überall auf der Welt liessen Menschen ihr Privatleben von Apple aufzeichnen, bis hin zu den intimsten und sensibelsten Einzelheiten.»

Obwohl der Fall um die Datensammelwut von Apple bereits an die Öffentlichkeit gelangt sei, sei Apple nicht Gegenstand einer Untersuchung gewesen. Es sei nicht überprüft worden, ob Apple das Programm tatsächlich eingestellt habe. «Einige Quellen haben mir bereits bestätigt, dass Apple dies nicht getan hat». Er glaube, dass die Versprechen von Apple lediglich darauf abzielen, ihre Benutzer und die Behörden zu beruhigen, schreibt le Bonniec. «Ich bin äusserst besorgt, dass grosse Technologieunternehmen im Grunde genommen ganze Bevölkerungen abhören, obwohl den europäischen Bürgern gesagt wird, dass die EU eines der strengsten Datenschutzgesetze der Welt habe. Die Verabschiedung eines Gesetzes ist aber nicht gut genug: Es muss durchgesetzt werden.»

Nachtrag: In der Zwischenzeit hat die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass der zuständige Datenschutzbeauftragte aus Irland in der von le Bonniec aufgeworfenen Sache Kontakt zu Apple aufgenommen habe.

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