Wir Helden der Krise, Teil 1

von Michael Obergfell (fortunanetz)

Der Hammermörder ist ein ungewöhnlicher Fall und doch einer, der indirekt mit der aktuellen Krise zu tun hat. Norbert Poehlke war Polizist im Württembergischen. Er war in einer sicheren Position im Staatsdienst und bezog ein kleines, aber regelmäßiges Einkommen. Er hatte Frau und Kinder. Dienstlich hatte er mit Hunden zu tun und liebte diese Tiere.

Nach außen hin sah alles wunderbar aus. Man könnte es nicht besser haben wollen. Poehlke kam aus ärmlichen Verhältnissen und sein größter Wunsch war es, seiner Familie ein besseres Leben zu verschaffen, ohne Geldnöte und bitte mit Luxus. Er kaufte sich ein sehr großes und renovierungsbedürftiges Haus in einer kleinen schwäbischen Gemeinde, das er zudem noch ausbauen wollte. Bei dem angestrebten Lebensstil verschuldete er sich immer mehr. Banken liehen ihm natürlich dazu auch das Geld und wollten mitverdienen. Schließlich war er Beamter und hatte ein sicheres Einkommen. Doch am Ende drohte der finanzielle Zusammenbruch und die Insolvenz.

Neben dem finanziellen Schaden würde er auch noch das Gesicht verlieren und seiner Familie ausgerechnet jene bitterarme Existenz aufbürden, die er ja gerade vermeiden wollte.

Und so schritt er zur Tat. Mit einer Pistole erschoss er parkende Autofahrer. Mit deren PKW fuhr er dann zu Bankfilialen, stürmte diese maskiert und mit einem Hammer bewaffnet. Mit diesem schlug er sich den Weg frei und erbeutete das Geld, das er zur Tilgung seiner Schulden so dringend benötigte. Natürlich nahm er als Polizist an der Aufklärung seiner Taten teil und verdächtigte erst einmal einen Anderen, der Täter zu sein. Doch das nutzte alles nichts. Als er bemerkte dass er aufflog, tötete er seine Frau, seine Kinder und am Ende sich selbst.

Natürlich ist dies ein sehr extremer Fall von Insolvenzverschleppung. Doch er zeigt einige unangenehme Wahrheiten auf, die zur Kenntnis zu nehmen wichtig ist.

Sigmund Freud gilt als Entdecker des Unterbewusstseins und damit hat er einen wichtigen Tatbestand des menschlichen Lebens erfasst und beschrieben. Freuds Fälle waren vor allem Neurotiker und Hysteriker, die zumeist tiefsitzende sexuell motivierte Traumata hatten und diese aufgrund der damaligen Prüderie nicht zugeben oder gar ausleben konnten. Aus diesem Grund kam Freud auf die heute in höchstem Maße umstrittene These des Ödipus-Komplexes. Demnach will das männliche Kleinkind Sex mit der Mutter, aber der Vater steht im Weg. Also phantasiert das Kind den Vatermord um an die Mutter heran zu kommen. Anschließend, wenn das Kind bemerkt was es sich wünscht ist es selbst entsetzt und verdrängt den Wunsch. Aus der Verdrängung heraus projiziert der Sohn später seine verdrängte Aggression und Angst auf Andere, auf den Vater, auf die Politik, auf die Gesellschaft, auf Frauen. Und so entstehen die Konflikte, die dann zur psychischen Krankheit führen wie sie Freud vorgefunden hat.

Dass dieses Modell nicht bei Frauen funktioniert war ein Makel, denn es gibt zu Ödipus keine weibliche Entsprechung in der Mythologie. Und aus diesem Grund benötigte Freud dann die Annahme des Penisneides bei Frauen. Freud ereilte damals womöglich dasselbe Schicksal das großen Entdeckern öfters droht. Kolumbus landete auf Kuba und den Bahamas und glaubte in Indien zu sein. Freud entdeckte das Unterbewusste und wähnte den Ödipus-Komplex gefunden zu haben. Sein Verdienst bleibt dennoch unbestritten.

Generell kann man sagen, dass große und traumatische Erlebnisse dauerhaft Teil unseres Unterbewusstseins werden, vor allem dann, wenn wir große Angst davor haben den Schmerz, die Scham und den Verlust auch nur zu erinnern. Dazu gehören frühkindlicher Missbrauch ebenso wie Unfälle, Gewaltverbrechen, große Lügen u. v. a. m. Traumatische Erlebnisse oder schwere Ängste führen oft dazu, massiv zu verdrängen. Die Todesangst ist überhaupt eine Grundangst, die wir alle in uns tragen und meistens verdrängen. Die Todesangst ist auch eine Verlustangst, nämlich die Angst das eigene Leben zu verlieren. Ich zähle aber auch, und das zeigt der Fall des Hammermörders, die Angst vor dem Bankrott und der Insolvenz zu den traumatischen Ängsten. Die Insolvenz oder gar der Systemzusammenbruch ist im Erlebensfall sogar eine der Todesangst verwandte Angst – auch in der Intensität. Leider ist dies ein Faktum, das in den ökonomischen Theorien keine große Erwähnung findet, aber gerade in der aktuellen Krise eine sehr große Rolle spielt. Der Bankrott, die Insolvenz, der Systemzusammenbruch, das alles gehört letztlich zu den tabuisierten und mit starken Ängsten besetzten Themen. (Der „homo oeconomicus“ handelt immer dann, wenn die Krise massenhaft zum Phänomen wird, eben nicht mehr rational, wie man es in den Modellen erwartet. Davon sind wir heute Zeuge!)

Wenn man die Verdrängung in dieser Breite fasst, so ist sie geradezu eine Bedingung der menschlichen Existenz. Und auf die Frage, ob es ein verdrängungsfreies Leben geben kann, lautet die Antwort: Im Regelfall ist ein verdrängungsfreies Leben nicht möglich. Wir müssen verdrängen und es ist auch sinnvoll es zu tun. Es dient dem Überleben!

Jeder Mensch erlebt schon im Alltag vieles, das er nicht verarbeiten kann, sei es eine plötzlich gefährliche Situation im Straßenverkehr, ein ständig wiederkehrender Streit mit dem Ehepartner, ein jammerndes Kind, ein nörgelnder Chef, eine unklare berufliche Situation. Vor allem ergebnisoffene Situationen erzeugen großes Unbehagen und Angst. In der Nacht träumen wir dann von den Ereignissen des Alltags und verarbeiten diese, indem wir sie nochmals erleben, wenn auch oft in symbolischer Form. Natürlich kommen dort auch die Emotionen vor, die eine betriebliche oder private Insolvenz oder gar ein möglicher Systemzusammenbruch erzeugen. Von Alpträumen kann da sicher jeder Betroffene berichten.

Wenn denn eine Aufarbeitung des Verdrängten immer möglich wäre, wäre es ja gänzlich unproblematisch und würde nicht zu solchen Effekten führen wie sie beim Hammermörder zutage traten. Meistens stellt das Leben aber an jeden von uns solche Anforderungen, dass es eben nicht möglich ist, das alles aufzuarbeiten und zu „heilen“. Und deshalb gibt es den Mechanismus der Projektion. Eine Projektion ist ein verdrängter Wunsch oder eine verdrängte Angst, die man in einem Anderen wiederfindet. Manchmal ist der Ehemann dem Vater ähnlich den man hatte, oder der Chef nimmt diese Rolle ein. Auch in Filmen findet sehr oft eine Identifikation mit einem der Schauspieler statt, meistens mit dem Helden. Dieser kann endlich das tun, was man selbst nicht konnte und das man als schmerzende Wunde in sich trägt: eine Lösung für verdrängte Probleme zu finden. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Politik. Der Politiker ist derjenige, der die Lösungen erarbeitet oder sogar anbietet, die man selbst im Alltag nicht zuwege bringt. Wer arbeitslos ist, hofft dass ein Politiker für neue Jobs sorgt, wer eine kaputte Ehe hat, hofft, dass die Politik gerechte Scheidungsgesetze macht und dass Richter eine faire Trennung herbei führen. In normalen Zeiten kann dies auch gelingen, doch in Krisenzeiten versagen diese Helden, die man sich zur Lösung seiner verdrängten Ängste und Blockaden auserkoren hat. Das gilt auch für sogenannte „An“führer, die dann ganze Völker ins Desaster führen….

Da wir schon im Alltag verdrängen müssen und dies ist bei schwerwiegenden und unmittelbar nicht lösbaren Situationen sowie bei schweren Ängsten geradezu überlebenswichtig. Wir erleiden eher einen Großteil unseres Lebens, als dass wir es gestalten. Und diese Tatsache hat Folgen: Entweder wird die Verdrängung immer extremer. Das ist der eine denkbare Weg. Oder die Verdrängung wird umgemünzt in Heldenmut und den Wunsch, gegen die Gefahr anzukämpfen. Der Heroismus ist der Versuch, gegen eine bedrückende und Angst machende eigene Realität anzugehen. Diesen Weg wählte der Hammermörder. Er strengte sich immer mehr an, nur um seiner Familie das zu geben, was er sich selbst am meisten wünschte, nämlich Wohlstand und Glück. Aber zugleich wird dann die Abwehr gegen die Gefahren immer stärker und die Anstrengung immer größer, bis die Anstrengung übermenschlich wird und in Gewalt endet. Erst ist es Gewalt gegen Andere, gegen ahnungslose Autofahrer auf Parkplätzen und Sparer in den kleinen Banken vor Ort – und am Ende ist es Gewalt gegen die eigene Familie und sich selbst, um nach dem Zusammenbruch des heldenhaften Weges der Familie und sich selbst die Schande der Insolvenz zu ersparen.

Nun kann man behaupten, das sei eine extreme Ausnahme. In normalen wirtschaftlichen Zeiten ist das auch so. Die meisten Menschen verdrängen vielleicht ihre persönlichen Ängste und Nöte, ihre schlechten Erfahrungen und ihre Befürchtungen in Bezug auf die Zukunft. Und in wirtschaftlich normalen Zeiten lässt sich der verdrängte Inhalt entweder bequem verdrängt halten oder man findet sogar mit rationalen Mitteln eine Lösung. Ein anderer Job, ein besseres Gehalt oder gar eine clevere Geschäftsidee haben in dieser misslichen Lage schon wahre Wunder gewirkt. Nur leider leben wir in einer Zeit, in der das alles nicht mehr so leicht ist.

Und genau aus diesem Grund kauft sich die Politik in Bezug auf die Eurorettung und die Staatsverschuldung Zeit. Auf diese Weise werden die berechtigten Ängste der Bürger beschwichtigt. Merkel hat es lange mit Gesundbeten versucht. Fast jeden zweiten Tag kam der Aufschwung an. Das unterlässt sie mittlerweile, denn es fällt auf. Derzeit versucht man es mit Tricks und Täuschungsmanövern, die wirklich ganz außerordentlich clever aufgezogen sind. Bürger bürgen für Banken und Staatstitel, sie haften für Dinge, die sie selbst gar nicht zu verantworten haben. Das Ganze ist flankiert mit Angstmacherei, indem Frau Merkel behauptet dass Europa untergeht, wenn der Euro scheitert. Oppositionelle Parteien werden diskriminiert, indem sie als „rechts“, „rechtspopulistisch“ oder einfach nur „populistisch“ hingestellt werden, obgleich dies alles nur ungenaue Begriffe sind, die lediglich dazu taugen, einen Anschein herzustellen ohne genau zu benennen, was denn nun an der Eurokritik inhaltlich falsch ist. Und schlussendlich geht es uns ja gut, so Frau Merkel. Das ist die altbekannte Beschwichtigungstaktik, um von den eigentlichen wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Und in dieser Mixtur wird gerade Politik gemacht!

Wir sehen: Die Politik führt einen heroischen Kampf gegen die weiterhin drohende Krise und das schon seit gut 7 Jahren – mehr schlecht als recht. Mehr noch: Sie sieht sich durchaus in der Rolle des Helden, des Siegfried im Kampf gegen Drachen namens Staatsbankrott, Inflation, Deflation oder Massenarbeitslosigkeit. Und die Mehrheit der Bürger identifiziert sich durchaus mit dieser Heldenrolle der Politik, wenn auch nur sehr verdeckt. Merkel wird als „Mutti“ bezeichnet, die ihren kleinen Kindern zeigt wie man es macht. Und während der Fußball-Weltmeisterschaft titelte Bild durchaus originell, sie habe eine „Muttivationsrede“ vor den Fussball-Profis gehalten. Darin zeigt sich auf geradezu charmante und verdeckte Weise, dass die Identifikation mit dem politischen Helden noch immer funktioniert.

Aber machen wir uns nichts vor. Wenn der Druck im Kessel steigt, werden die Maßnahmen der Helden radikaler werden. Und das wird mit unabsehbaren Folgen für alle verbunden sein. Der Hammermörder ist da wie ein Menetekel an der Wand. Zumindest ist ein solches Szenario möglich.

Doch welche Haltungen und Strategien gibt es bisher, mit dieser zutiefst menschlichen Realität umzugehen? Das ist das Thema des zweiten Teils am Freitag.

 

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