Ein Mann – Ein Wort! (III)

Dritter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Freiheit und den Frieden

von Susanne Kablitz

Ich bin in der Welt der Bücher aufgewachsen. Meine Eltern hatten mir seit frühester Kindheit die Liebe zu den Worten, die – je nachdem wie man die einzelnen Buchstaben zusammensetzte – so unterschiedliche Empfindungen in einem Menschen auslösen konnten, stets nahegebracht. Je älter ich wurde, desto mehr ermutigten sie mich dazu, mich um gute Bücher zu bemühen und sie sorgfältig zu behandeln.

„Die Auswahl der Bücher ist wie die der Freunde eine ernste Pflicht. Wir sind für das, was wir lesen, genauso verantwortlich wie für das, was wir tun“, so zitierte mein Vater Sir John Lubbock, ein Leitsatz, den er strikt einhielt. Wir sahen recht selten fern, was ich als Kind bisweilen ziemlich doof fand, denn in der Schule stand ich damit auf recht verlorenem Posten und musste mir die Sorte von blöden Sprüchen anhören, die ich überhaupt nicht hören wollte. Wie dankbar ich später einmal meinen Eltern sein würde, wusste ich damals noch nicht.

Trotz dieser Vertrautheit zur Literatur schluckte ich, als mein Vater mir den gut 1200 Seiten starken Wälzer vor einigen Wochen in die Hand drückte, kurz nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass die französische Regierung plante, eine einheitliche Arbeitslosenversicherung für die Euro-Zone, eine Verstaatlichung maroder Unternehmen und das Verbot für Unternehmer deren „profitable“ Firmen zu schließen, gesetzlich zu verankern. Heute, kurz vor dem Abendessen, hatte ich die letzten Seiten gelesen und legte nun Ayn Rand´s Buch „Der Streik“ nachdenklich zur Seite.

„Demnach ist es der Erfolg, der unseren Kopf aufs Schafott bringt, wogegen das Versagen uns das Recht verleiht, am Seil zu ziehen. Dies ist die Schreckensvorstellung, die Robin Hood als Vorbild für Rechtschaffenheit unsterblich gemacht hat. Man sagt, er habe gegen die ausbeutenden Massen gekämpft und deren Beute an jene zurückgegeben, die ausgeraubt worden waren, aber das ist nicht die Bedeutung der Legende, wie sie bis heute überliefert ist. Er ist den Menschen nicht als der Verfechter des Besitzes, sondern der Not in Erinnerung geblieben, nicht als ein Verteidiger des Beraubten, sondern als ein Versorger der Armen.

Er gilt als der erste Mann, der sich den Heiligenschein der Tugend verdiente, in dem er mit Reichtümern, die ihm nicht gehörten, zum Wohltäter wurde, Güter verschenkte, die er nicht produziert hatte, und andere für den Luxus seines Mitleids bezahlen ließ. Er ist der Mann, der zum Symbol der Idee wurde, dass Not und nicht Leistung die Quelle aller Ansprüche sei; dass wir nicht produktiv sein müssen, sondern dass es reicht, was unverdient ist. Es wurde zu einer Rechtfertigung für jeden Durchschnittsmenschen, der, unfähig, seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, die Macht einfordert, über den Besitz besserer Menschen zu verfügen, indem er seine Bereitschaft erklärt, sein Leben den ihm Unterlegenen zu widmen, zulasten der über ihm stehenden Menschen, die er beraubt.

Dies ist die verdorbenste aller Kreaturen – der zweifache Parasit, der von den Wunden der Armen und dem Blut der Reichen lebt, den die Menschen als ihr moralisches Ideal akzeptiert haben. Genau das hat uns eine Welt beschert, in der ein Mann sich dem Verlust all seiner Rechte immer weiter nähert, je mehr er produziert, bis er, wenn sein Talent groß genug ist, zu einem entrechteten Wesen wird, das als Beutetier jedem beliebigen Bittsteller ausgeliefert wird – während es reicht, in Not zu sein, um über alle Gesetze gestellt zu werden, über Prinzipien, über Moral, in eine Position, in der alles erlaubt ist, sogar Plünderei und Mord.“

Ich saß im Schneidersitz auf dem Teppich vor dem Ohrensessel meines Vaters und las ihm diese Zeilen latut vor. Zeilen, die mich neben vielen anderen Stellen zutiefst getroffen hatten.

Ich fragte ihn: „Ist es denn das nicht genau das, was uns als Mensch so besonders macht? Die moralische Verpflichtung zu helfen? Ist denn das, was mich in der Beschreibung unseren Staat darstellt, denn nicht dessen dringlichste Pflicht, diejenigen dazu zu zwingen, die mehr als genug zum Leben haben, den überschüssigen Teil an die Armen abzugeben?“ 

Mein Vater hielt seine Lippen fest um die Pfeife geschlossen und antwortete mir dann ebenso mit einem Zitat: „Das allgemeine Streben, Sicherheit durch restriktive, vom Staat geduldete oder unterstützte Maßnahmen zu erlangen, hat im Laufe der Zeit zu einer ständig wachsenden Umwandlung der Gesellschaft geführt – einer Umwandlung, in der, wie in so mancher anderer Beziehung, Deutschland führend war, während die anderen Länder folgten. Diese Entwicklung ist durch eine andere Wirkung der sozialistischen Doktrin beschleunigt worden, nämlich die bewußte Verunglimpfung jeder mit einem Risiko verbundenen Tätigkeit und die moralische Stigmatisierung der Gewinne, ohne die sich Risiken nicht lohnen, die aber nur wenigen zufallen können.

Wir können unsere jungen Leute nicht tadeln, wenn sie der sicheren, festbezahlten Stellung den Vorzug geben vor dem Risiko eines selbstständigen Unternehmens, nachdem sie von frühester Jugend an gehört haben, die erstere sei die höherwertige, selbstlosere und uneigennützigere Betätigung. Die jüngere Generation unsere Zeit ist in einer Welt aufgewachsen, in der in Schule und Presse der Unternehmergeist als schimpflich und das Verdienen als unmoralisch hingestellt worden sind, in der die Beschäftigung von hundert Arbeitern als Ausbeutung gilt, aber die Kommandierung der gleichen als ehrenvoll.“

Mein Vater klappte Friedrich August von Hayek´s Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ aus dem Jahr 1944 zu und schwieg. Ich schwieg auch. Ich musste nachdenken. Wieso hatte ich das Gefühl, dass immer mehr von dem, was ich üblicherweise hörte, so nicht zu stimmen schien? Mir schien es nachvollziehbar, dass in diesen Zeiten beispielsweise der französische Staat den Firmeninhabern gesetzlich verbieten wollte, ihre Unternehmungen zu schließen, wenn es ihnen gut ging. Sie hatten immerhin Verantwortung für die vielen Menschen, die dort arbeiteten und abhängig davon waren, dass Löhne und Gehälter weitergezahlt wurden.

Mein Vater schien meine Gedanken zu lesen und sagte: „Weißt Du, Kleines, viele Jahrhunderte lang hat man unter Freiheit die Freiheit von obrigkeitsstaatlichem Zwang verstanden. Roland Baader hat dies in seinem Buch „Fauler Zauber“ wunderbar beschrieben. Er hat immer wieder erklärt, dass die Freiheit für die Menschen heute in der Vorstellung besteht, sie bedeute die Freiheit von Verantwortung. Selbst oder sogar gerade die Gewalt durch den Staat kommt ihnen da wie gerufen. Die Menschen trauen sich nicht, zum Nachbarn zu gehen und ihn aufzufordern, von dessen Geld den größten Teil an sie abzugeben. Mit dem Staat als legitimen Vollstrecker sind sie aber mit dieser Vorgehensweise mehr als einverstanden.

Ist es nicht mehr als richtig, dem Unternehmer die Entscheidung zu überlassen, was er mit seinem Unternehmen anstellt? Soll es wirklich so sein, dass diejenigen, die kein Risiko eingehen, diejenigen, die ihre Sicherheit auf dem Risiko anderer aufbauen, darüber entscheiden sollen und dürfen, wie lange und zu welchem Preis der Unternehmer dieses Risiko tragen muss? Zerstören wir in unserer berechtigten Wut auf subventionsgemästete Großkonzerne nicht eher den ganzen Mittelstand? Den Mittelstand, der es sich nicht leisten kann, dem Gutmenschentum auf anderer Leute Kosten – auch Politik genannt – Folge zu leisten?

Zwang löst die Freiheit auf und gefährdet langfristig den Frieden. Lange mag es in den Menschen gären und sie lassen sich viel gefallen, weil sie fest daran glauben, dass etwas zu ihrem Besten geschieht und gerechte Verhältnisse herrschen. Freiheit bedeutet keinesfalls die unbegrenzte Freiheit, denn sie würde nur den Stärkeren bevorzugen. Die Freiheit hört eben da auf, wo die Freiheit eines anderen anfängt. Wir werden das noch näher besprechen, dann, wenn es um die Gleichheit vor dem Recht geht.

Wir begeben uns jedoch schnurstracks in eine Phase, wo die Freiheit des Einzelnen gar nichts mehr zählt, es zählt nur noch das, was vermeintliche Übermenschen für gut und sinnvoll bewerten. Nichts fällt ihnen zu diesem Zweck mehr in die Hände als die sogenannte „soziale Gerechtigkeit“. Kein moralischer Mensch wagt sich gegen etwas zu stellen, dem das Etikett „sozial“ angeheftet ist, auch wenn er an der Sinnhaftigkeit erheblich zweifelt.

Die meisten Menschen wollen, dass es allen auf der Welt gut geht. Aber in deren Heimat, in deren sozialem Umfeld, zu deren Werten und nicht zu unseren. Das ist menschlich, das ist erstrebenswert. Aber genau das wird vor allem durch die Politik verhindert, genau das wird durch sie nicht geschehen. Mit diesen Argument wird nur so lange den angeblich Reichen genommen bis auch diese nichts mehr haben. Die Armen haben dadurch keinen einzigen Cent mehr in der Tasche. Die werden nur so lange benutzt, bis ihre Aufgabe erfüllt ist. Ihre Aufgabe, den vermeintlichen Menschenfreunden die auskömmliche Rente zu garantieren.

Die Armut hat nie durch politische Eingriffe abgenommen, ganz im Gegenteil. Wenn Armut geendet hat, waren tüchtige Menschen dafür verantwortlich. Menschen, die die Ärmel hochgekrempelt und mitangepackt haben. Die, die in Armutsgebieten verhungernden Kindern etwas zu essen gegeben haben und nicht die, die sich pressewirksam störend, vom echten Elend abgeschirmt, mit reichlich Bildern des nach außen getragenen „ich-bin-ein-guter-Mensch-Getue“ in das vom Steuerzahler finanzierte, auf Idealtemperatur regulierte Luxusflugzeug setzen, um dann, nachdem sie hier aus ihrem sündhaft teuren, ebenfalls vom Steuerzahler finanzierten, Audi A8 aussteigen, um den Menschen zu erklären, war Armut ist und diese gefälligst – moralisch verpflichtet – ihren Lebensstandard durch die Zahlung noch höherer Steuern und Abgaben einschränken sollen. Wegen der sozialen Gerechtigkeit, wegen der Ungleichbehandlung, wegen der Rettung des Weltfriedens! Eigentlich ist es ihnen egal, für was, Hauptsache, das! Hauptsache, wir suhlen uns in unserer Schuld und unser schlechtes Gewissen öffnet vor allem unser Portemonnaie.

Mein liebe Tochter, ich mache mir große Sorgen um uns alle. Wir fordern die Freiheit und den Frieden in höchstem Maße heraus. Warum sollen uns diese wichtigen Errungenschaften vieler Menschen, die dafür Blut vergossen haben, erhalten bleiben, wenn wir sie derartig mit Füßen treten? Frieden herrscht dann, wenn Menschen mit ihren Lebensumständen zufrieden sind. Die Freiheit ist mehr als aus 89 Fernsehprogrammen auszuwählen, 414 Marmeladensorten im Regal vorzufinden, aus x-verschiedenen, aber inhaltlich gleichen Parteien auszuwählen. Mehr als eine Meinung zu vertreten, die sowieso gesellschaftlich legitimiert ist, mehr als in schwachsinnigen Talkshows, wo immer die gleichen Leute sitzen, eine Meinung zu posten, die sowieso nach 10 Sekunden vergessen ist.

Die Freiheit und der Frieden stehen zum Verkauf! Und warum? Weil wir nicht bereit sind, die wahren Schuldigen für ihre Schandtaten zur Verantwortung zu ziehen. Weil wir uns damit selbst in Frage stellen müssten und um uns diese Schmach nicht einzugestehen, verscherbeln wir die Freiheit und den Frieden für ein wenig postulierte „soziale“ Gerechtigkeit, die jedoch niemals eintreten wird. Nicht, solange Menschen an der Macht sitzen, die diesen Begriff nur benutzen, um andere zu instrumentalisieren. An der wirklichen Gerechtigkeit sind sie gar nicht interessiert. Wären sie das, würden sie einer Tätigkeit nachgehen, die der Gesellschaft Werte gibt und nicht nimmt.“

Dies ist der dritte Teil einer Serie, die in respektvoller Erinnerung an den herausragenden österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises (1881 – 1973) in sieben Gesprächsintervallen erscheint.

Erster Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über den Liberalismus

Zweiter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Österreichische Schule der Nationalökonomie

Vierter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Gleichheit vor dem Recht

Fünfter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Sozialpolitik

Sechster Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über billiges Geld

Siebter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Feinde der Freiheit

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