Eric Margolis
Dieser alte koloniale Impuls kommt immer wieder zurück. In der vergangenen Woche brachten Britannien und Frankreich den Rest der Europäischen Union dazu, das Waffenembargo gegen Syrien aufzuheben – was klar und deutlich ausgedrückt nichts anderes bedeutet als offene militärische Einmischung in den Bürgerkrieg in diesem Land.
Erinnern wir uns daran, dass Britannien einst ein Viertel der Erdoberfläche beherrschte und die meisten Ozeane. Frankreich beherrschte den größten Teil Nordafrikas, die Sahara und nach dem Ersten Weltkrieg den heutigen Libanon und Syrien. Britannien beherrschte den Grossteil des übrigen Mittleren Ostens.
Sie sind wieder zurück! Frankreich und Britannien übernahmen die Führung beim Angriff gegen Libyen und beim Sturz von dessen langjährigem Anführer und ehemaligem Verbündeten Muammar Ghaddafi. Sie beherrschen jetzt Libyens Erdöl – eine bedeutende Energiequelle für Europa. Frankreich schickte soeben Soldaten, um seine Bergbauinteressen in den ehemaligen Kolonien Mali und Niger zu schützen.
Britannien, das vier Mal in Afghanistan einmarschiert ist, lässt seine Soldaten weiterhin dort, obwohl der Krieg zur Beherrschung Afghanistans verloren scheint. Jetzt ist Britannien dabei, sich seinen Einfluss in Mesopotamien wieder zu sichern. Frankreich, Syriens ehemalige Kolonialmacht, setzt sich ein für Pläne, die Regierung Syriens zu stürzen und wieder die Beherrschung des Libanon zu übernehmen, den es in der Kolonialzeit geschaffen hat.
Diesem gefährlichen Eintopf weitere Würze hinzufügend drohte Israel diese Woche, die russischen S-300 Flugzeugabwehrraketen anzugreifen, wenn sie nach Syrien geliefert werden. Es bleibt unklar, ob diese sehr effektiven Raketen bereits in Syrien eingetroffen sind. Moskau verprach vor Jahren Damaskus wie Teheran S-300-Raketen, schob aber die Lieferung aufgrund von Druck der Vereinigten Staaten von Amerika auf. Letzte Woche sagte der syrische Präsident Bashar al-Assad anscheinend, dass die ersten Sendungen der potenten Verteidigungswaffeen eingetroffen sind.
Die letzten drei Luftangriffe Israels gegen Syrien und Dohungen, die S-300-Raketen zu zerstören, falls sie in Stellung gebracht werden, haben die Spannungen mit Moskau sehr verschärft. Die Russen, deren Einfluss in Syrien vom Westen auf einmal in Frage gestellt wird, haben wenig Geduld in einer Situation, in der sogar Israel Moskau herausfordert.
Moskaus Bemühungen, eine Friedenskonferenz über Syrien zu organisieren, werden hintertrieben von der Forderung der Europäischen Union, das sogenannte Waffenembargo gegen Syrien aufzuheben und den Anti-Regime-Rebellen mehr militärische Unterstützung zukommen zu lassen. Das Eingreifen einiger Hezbollah-Kämpfer in Auseinandersetzungen an der syrisch-libanesischen Grenze und Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten im Libanon unterstreichen die Gefahr, dass der Bürgerkrieg auf die Region übergreift.
Wird sich Russland mit verschränkten Armen zurücklehnen und zuschauen, wie von den Mächten des Westens und konservativen arabischen Staaten unterstützte Rebellen die Regierung Assad stürzen? Russland hat eine kleine Marinestation in Tartus (Syrien), die aber kaum von strategischer Bedeutung ist. Von grösserer Bedeutung für Moskau ist, dass sein Einfluss in der Levante und im Kaukasus erbarmungslos von den Vereinigten Staaten von Amerika und deren Alliierten zusammengestutzt wird.
Wenn Israel weiterhin seine Luftangriffe fortsetzt und intensiviert und gegen die S-300-Raketen losgeht, wenn diese einsatzbereit sind (was bis zu einem Jahr dauern könnte), könnte Russland gezwungen sein, militärisch zu intervenieren, wie damals 1970 in Ägypten während des „Abnutzungskriegs“ am Suezkanal. Sowjetische Luftabwehrraketen und Kampfflugzeuge zwangen damals die israelische Luftüberlegenheit in ein Patt über dem Kanal und dem westlichen Sinai.
Der Krieg in Syrien droht eindeutig zu einem regionalen Flächenbrand zu werden, der den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten im Inneren und eine unverhohlene militärische Intervention von aussen umfasst, was an den Spanischen Bürgerkrieg im Jahr 1930 erinnert. Dahinter steckt auch ein grösseres Anliegen: Syrien zu zerbrechen, den einzigen arabischen Verbündeten des Iran. Gleich, nachdem die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika 2003 in Bagdad einmarschiert waren, drängte der damalige Premierminister Israels Ariel Sharon Washington: „die Strasse nach Teheran führt durch Bagdad.“ Dieses Mal verläuft die Strasse nach Teheran über Damaskus.
Die Mächte des Westens wurden eingelullt in ein übersteigertes Selbstvertrauen durch ihren leichten Sieg über das schwache Libyen. Bewaffnetes Lumpenpack aus Bengazi, NATO-Luftwaffe und Sondereinsatzkräfte machten kurzen Prozess mit Gaddafis Spielzeugarmee. Syrien hingegen, wie wir sehen, lässt sich nicht über den Haufen werfen und könnte zu einem schrecklichen Bürgerkrieg wie im Libanon führen, der ein Jahrzehnt lang andauern könnte.
Schlimmer noch, es könnte Russland, das insgeheim wütend ist über die Bemühungen unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika, die NATO bis an seine Grenzen im Baltikum, Osteuropa und Kaukasus vorstossen zu lassen, dazu bewegen, seine militärischen Kräfte zum Einsatz zu bringen. Was die atomar bewaffneten Vereinigten Staaten von Amerika und Russland unbedingt vermeiden müssen, ist eine direkte Konfrontation über Syrien.
Eine politische Einigung bleibt der Ausweg aus diesem Schlamassel.
Quelle: antikrieg
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