EU: Sanierungsfall oder sanierungsunfähig?

von Frank Schäffler

Nichts funktioniert

Mehr als drei Jahre sind vergangen, seit Griechenland bilateral Hilfen zugesagt worden sind. Das war im Mai 2010. Man wollte Reformen angehen. Man wollte mit ESM/EFSF einen funktionierenden Hilfsmechanismus schaffen, der den Eurostaaten über vermeintlich kurzfristige Schwächeperioden mit Finanzhilfen hinweghilft. Für die Zukunft sollte eine verschärfte Haushaltskontrolle eingerichtet und mittels überarbeitetem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Fiskalpakt verhindert werden, dass neue Schuldenprobleme entstehen. Es überrascht nicht: Nichts davon funktioniert.

Die unter der Bedingung der Durchführung von Strukturreformen gewährten Finanzhilfen des ESM reichen nicht aus, um einen Euro-Staat zu neu auszurichten. Die Programme haben üblicherweise eine Laufzeit von drei Jahren. In diesen drei Jahren sollen die Arbeitsmärkte liberalisiert werden, die Umlagesysteme umgestaltet und der Haushalt saniert werden. In keinem einzigen Fall hat ein Dreijahresprogramm gereicht. In Griechenland, Portugal und Irland wurden die Forderungen der öffentlichen europäischen Hand bereits umstrukturiert, indem man die Rückzahlungsfristen verlängert hat. Die Zeit zur Verringerung des übermäßigen Defizits wurde diese Woche für die ersten Länder unter dem Schirm verlängert: für Spanien um drei Jahre von 2013 auf 2016, für Portugal von 2013 auf 2015 und für den heißesten nächsten Kandidaten Slowenien von 2013 auf 2015. Offenbar nehmen Hilfen den Druck und machen träge. Wer Geld aus den Rettungsschirmen erhält, nimmt sich mehr Zeit für Reformen, als die Vereinbarungen vorsehen.

Gleichzeitig will Finanzminister Schäuble Spanien helfen, indem Deutschland die von der Bundesrepublik verbürgte Kreditwürdigkeit der KfW einsetzt, um den spanischen Mittelstand zu päppeln. Entweder gilt, dass die KfW-für-Spanien-Idee gut ist, dann sollte sie ein Werkzeug des ESM sein und für alle Krisenländer gelten. Oder die Idee ist schlecht, dann sollte sie wieder ganz in der Schublade verschwinden. Bisher hat Deutschland sich aus gutem Grund gegen sämtliche Wünsche nach neuen Förderprogrammen gestellt. Die europäischen Fördertöpfe sind in ihrer Zahl unüberschaubar und ausreichend, wenn nicht sogar überladen gefüllt.

Die KfW-für-Spanien-Idee zeigt vor allem, dass wir hier einen Rückfall in die Vor-ESM-Zeit erleben. Der ESM sollte das Krisenbewältigungsmittel sein. Er sollte bilaterale Hilfen – so war das erste Griechenland-Paket gestaltet – ablösen. Nun stehen die Troika-Politiker wieder am Anfang: Erneut werden bilaterale Hilfen aus der Mottenkiste geholt.

Genau so wenig wie die zwischen Schuldenländern und Troika explizit vereinbarten Sanierungspläne umgesetzt werden, so wenig Geltung haben die angeblich verbesserten und nun ganz wirklich durchsetzbaren Fiskalregeln. Die Kommission verlängert die Fristen zum Abbau des übermäßigen Defizits nach Lust und Laune. Im Grunde passt sie die Fristen nur an die Wirtschaftsprognosen an. Der Fiskalpakt ist somit schon tot, bevor er überhaupt wirksam wird. Es kann sich doch nur um einen Witz handeln, wenn Italien aus dem Programm entlassen wird. Die Kommission erwartet nun ein Defizit 2013 von 2,9 Prozent. Ich würde wetten wollen, dass diese Prognose am Ende nicht zutrifft und die Drei-Prozent-Latte gerissen wird. Das wird sich freilich erst nächstes Jahr um diese Zeit erwiesen haben. Ich bin gespannt, wie hoch der „unvorhergesehene“ Aufwand zum Beispiel für Bankenrettungen in diesem Jahr sein wird, der das italienische Budget belastet.

Fiskalregeln und Finanzhilfen werden die kritische Situation nicht bereinigen. Die EU, insbesondere die Euro-Zone, ist und bleibt ein Sanierungsfall. Die Lage wird schöngeredet, und niemand macht Anstalten, sich der Wahrheit zu stellen. Wäre man ehrlich zu sich selbst, müsste man erkennen, dass die Schulden nur ein Symptom, nicht Ursache der Krise sind. Niemand kann vernünftigerweise bezweifeln, dass der durch die EZB bestimmte einheitliche Zentralbank-Zins den unterschiedlichen Bedürfnissen Euro-Lands nicht gerecht wird. Ist er zu niedrig, heizt das die Wirtschaft an und treibt sie in eine Kreditspirale. Das ist erst der Peripherie widerfahren und trifft nun mit Verzögerung den Kern. In den letzten zehn Jahren stagniert die Industrieproduktion im Euro-Raum, wenn man das Baugewerbe außen vor lässt. Schließlich ist der Euro auch nicht der Treibstoff der deutschen Exportmaschine: Seit Auflegung des Euro ist der Anteil des deutschen Exports in den Euro-Raum von 46 auf 37 Prozent gesunken. Die Jugendarbeitslosigkeit im Euro-Raum ist von 17,6 Prozent im Jahr 2000 auf heute 24 Prozent gestiegen. Mit anderen Worten: Der Euro-Raum fällt zurück.

Verantwortlich für Wirtschaftswachstum ist nicht eine – unbestrittenermaßen – Transaktionskosten senkende gemeinsame Währung, sondern geeignete Institutionen: Schutz des Eigentums, niedrige Steuerlast und geringe Abgabenquote, zurückhaltende Bürokratie und Wahrung der Vertragsfreiheit. Das zeigen alle Vergleichsindizes. Die EU vereinheitlichte viele Regeln. Früher kümmerte sie sich um die Bananengrößen und Gurkenkrümmung, heute um Olivenölfläschchen und die Frauenquote in Aufsichtsräten. Sie sollte allein folgende Aufgaben haben: Sie sollte anprangern, wenn die Mitgliedsstaaten die Institution des Eigentums gefährden, sie sollte Steuerwettbewerb fördern statt ihn zu verhindern und darauf hinweisen, wenn Verwaltungsstrukturen vereinfacht werden können. All das tut sie nicht und hat sie nie getan. Die Frage ist daher nicht, ob die EU ein Sanierungsfall ist, sondern ob sie sanierungsfähig ist.

Quelle: ef-magazin

 

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