Weitere 50 Jahre Schuldknechtschaft für Griechenland

Weitere 50 Jahre Schuldknechtschaft für Griechenland

Interview mit dem Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis (gr-blog)

Laut dem Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis ist die Regierung Samaras im Begriff, Griechenland in ein weiteres halbes Jahrhundert der Schuldknechtschaft zu führen.

Der Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis erklärt in einem Interview an die “Avgi”, die Regierung Samaras führe das Land mit der Anbindung an den Kurs Merkels in ein “Regime der Schuldknechtschaft“. Der einzige wesentliche Beitrag des primären Überschusses – betont er – ist, als “Androhung der Nichtbefolgung des Memorandums, bis Verhandlungen über seine substantielle und radikale Änderung beginnen” benutzt zu werden.

Ohne radikale Änderung der Kreditvereinbarung” – des Memorandums – kann die Wirtschaft nicht stabilisiert werden, betont Yanis Varoufakis und schlägt einen Schuldenschnitt, den Umtausch der Anleihen gegen neue spezielle Anleihen mit Wachstumsklausel und den Transfer der für die Rekapitalisierung der Banken bereitgestellten 40 Mrd. Euro auf den ESM vor.

Lesen Sie nachstehend das Interview in deutscher Übersetzung.

Interview Yanis Varoufakis an Stavros Karakos

Die Regierung Samaras beruft sich auf die Erzielung einer primären Überschusses um zu stützen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befindet und es ab diesem Jahr eine “Success Story” gibt. Wie sehr ist dies fundamentiert? Welche sind die Voraussetzungen für die Stabilisierung und des Wachstums der Wirtschaft?

Erstens, der primäre Überschuss kann für sich allein – und obendrein in Krisenzeiten – sehr wohl einen destabilisierenden Faktor für eine Wirtschaft darstellen. Keynes warnt die Regierungen seit 1936 davor.

Zweitens, vergessen wir nicht, dass eine Atombombe, die ein Volk, einen Staat eliminiert, auch den primären Überschuss eliminiert – eine Überlegung, die natürlich überzogen ist, jedoch “pädagogisch” wirkt, da sie uns in Erinnerung ruft, dass der primäre Überschuss zu der Katastrophe absolut kompatibel ist.

Drittens, innerhalb einer Eurozone, die dem Land die – wiederum die Krise neu anschürende – erstickende Austerität aufgezwungen hat, ist ein notwendiger Umstand für die Stabilisierung der Wirtschaft die radikale Änderung der Kreditvereinbarung – des Memorandums. In diesem Rahmen ist der einzige wesentliche Beitrag des primären Überschusses (gleich ob er real oder eine Ausgeburt der Fantasie des Finanzministeriums ist), als Drohung zu dienen, sich nicht an das Memorandum (sowie auch andere der EU) zu halten, bis Verhandlungen über seine substantielle und radikale Änderung beginnen. Nur mittels dieses Verhandlungsprozesses gibt es eine Möglichkeit zur Stabilisierung der griechischen Wirtschaft.

Kann die Linie der Beilegung des Themas der Verschuldung, der unter Berufung auf die Vereinbarung der Eurogruppe die Regierung Samaras folgt, eine Verhandlungslinie darstellen, welche die Verschuldung tragbar macht, oder zieht sie das Problem in die Länge und hält dabei das Land in kontinuierlicher Geiselhaft?

Die Regierung Samaras folgt keinerlei Linie zur “Beilegung” der griechischen Verschuldung. Sie plappert einfach nur das nach, von dem sie annimmt, dass es die deutsche Seite hören möchte. Wie wir in der vergangenen Woche erfuhren, treffen sich die Finanzminister der “Starken”, um dieses Thema zu diskutieren, so wie so, ohne Herrn Stournaras auch nur einzuladen. Womit wir besser von einer Linie zur “Beilegung” sprechen sollen, von der die Regierung Samaras sich vorstellt, dass Berlin sie wählen wird.

Was dies für das Land bedeutet? Ein dauerhaftes, beständiges Regime der Schuldknechtschaft. Die Verschuldung wird auf Niveaus bleiben, die garantieren, dass es unmöglich ist, von dem griechischen Staat bedient zu werden. Somit werden die griechischen Regierungen unter der ständigen Drohung agieren, dass, wenn “sie nicht brav sind”, von ihnen verlangt werden wird, die ursprünglich vereinbarte Tilgung zu leisten, während, wenn “sie brav sind”, die Zinssätze nahe bei Null bleiben und die Tilgung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben werden wird (gemäß einer neuen Vereinbarung).

Die Regierung in Athen wird somit für immer gefesselt bleiben, während die seriösen Investoren … verschwunden bleiben werden (da ein solcher Zustand der Schuldknechtschaft bei ihnen kein Gefühl des Vertrauens schafft).

Welche ist die Linie Berlins heute gegenüber dem griechischen Problem, also der Tragfähigkeit der Verschuldung, der neuen Finanzierung und der Unterzeichnung einer neuen Vereinbarung – eines neuen Memorandums oder wie immer es genannt werden wird? Auf welche Weise wird Deutschland es verfolgen, seine Linie durchzusetzen? Sehen Sie Differenzierungen im Rahmen der verschiedenen Faktoren innerhalb der EU, wie EZB, ESM, Frankreich oder andere Faktoren?

Die Bildung der Regierung der großen Koalition in Berlin war für Griechenland die schlimmste Entwicklung. In einer Bemühung, “merkelischer” als Frau Merkel zu sein, legten die Sozialdemokraten den Grabstein für zwei Zäsuren, derer die Eurozone bedarf: die substantielle Bankunion und die zentrale Verwaltung eines Teils der Verschuldung der Mitgliedsländer (was – sofern auf Griechenland bezogen – einen mutigen Schnitt der Verschuldung erfordert).

Ich befürchte sehr, dass die heutige Regierung weniger fähig, weniger bereit ist, das deutsche Beharren auf der befolgten Politik zu ändern, als es eine rein christdemokratische Regierung unter Frau Merkel gewesen wäre. Was die Institutionen der EU betrifft, erinnern sie immer mehr an die Sowjetunion des Jahrzehnts der 80-er Jahre: Je unhaltbarer die befolgte Politik ist und je mehr der Lauf der Geschichte sich gegen sie richtet, um so kompakter ist die “parteiliche” Linie, die sie nachplappern.

Lassen wir uns nun sehen, welche die Strategie der Linken zur Umstrukturierung der Verschuldung sein muss. Was muss sie vorschlagen, damit sie tragfähig wird? Welche hat die Tiefe des Schnitts zu sein und auf welche Weise wird dies geschehen? Wird der Schnitt auch die Guthaben betreffen?

Die Guthaben dürfen ganz klar nicht angerührt werden. Die Lage ist schon schlimm genug und das letzte, dessen es bedarf, ist die Konfiszierung der Guthaben. Gegen die Steuerhinterziehung vorzugehen ist nicht das selbe wie das katastrophale Zypern-Modell. Zwei Dinge müssen die grundsätzlichen Forderungen der Linken darstellen:

Erstens, Schnitt der Verschuldung. Damit Berlin dies zu “schlucken” vermag, kann dieser Schnitt die Form des Eintausches der Verschuldung gegen neue Anleihen des griechischen Staates annehmen, deren Verträge Tilgungen vorsehen, die automatisch unterbrochen werden, wenn das BIP des Landes unter einer vereinbarten Rate wächst. Auf diese Weise wird die Tiefe des Schnitts geringer, je größer und substantieller der Aufschwung der griechischen Wirtschaft ist.

Zweitens, Abschaffung der griechischen Finanzstabilitätsfazilität (FSF) und folgender Tausch: Die 40 Mrd. Euro, die der Fiskus für die Rekapitalisierung der Banken auf sich nahm, werden (von den Schultern des griechischen Steuerzahlers) zum ESM transferiert und der ESM erhält als Gegenleistung die Aktien der Banken, die heute die FSF besitzt.

Welche muss die Taktik der griechischen Seite sein, um der deutschen Linie zu begegnen? Einseitige Handlung – Kündigung? Unter Charakterisierung der Verschuldung als unmoralisch? Was antworten wir, wenn die Deutschen von uns verlangen, das Programm ohne Abweichung umzusetzen, und wegen der Verschuldung werden wir später sehen? Welche Karte hat – wenn sie eine hat – die griechische Seite?

Nichts von all dem. Wenn Berlin sich weigert, dass erneut das Memorandum auf den Verhandlungstisch gebracht und von Anfang an neu geplant wird (unter Einbezug auch der Änderungen auf dem Banksektor, die ich vorstehend anführte), dann hat die griechische Regierung die heilige Verpflichtung, anzukündigen, dass sie:

  1. in den Organen der E.U. (wie sie berechtigt ist) gegen alle Vorschläge bezüglich der Schaffung einer gemeinsamen Aufsicht / Regulierung für die Banken stimmen wird (im Rahmen der euphemistischen “Bankunion”),
  2. keine der griechischen Staatsanleihen tilgen wird, welche die EZB in der Periode 2010 – 2011 gekauft hat, und
  3. die Gespräche mit der Troika abbrechen und ihr eigenes Reformprogramm analog zu den Bedürfnissen der griechischen Gesellschaft umsetzen wird.

Was glauben Sie, was in der Europäischen Union nach den bisherigen Erfahrung mit der Krise in der Eurozone schnellsten geändert werden muss?

Ihre Philosophie, die auf der Schaffung eines Europas basiert, in dem die Demokratie ein Alibi und nicht eine Realität darstellt.

Was bedeutet das Szenarium 50-50-15?

Einem Bankrotten neue Kredite unter der Bedingung “neuer” Maßnahmen zu geben (welche die Einkommen komprimieren), macht den Nutzen aus der kleinen Senkung der Zinssätze zunichte.

Wie bewerten Sie das aus Brüssel durchgesickerte Szenarium 50-50-15, also Prolongierung auf 50 Jahre, Senkung der Zinssätze um 50 Basispunkte und neuer Kredit von 15 Mrd. Euro?

Es bewegt sich leider in dem vorgesehenen Rahmen. Es handelt sich um nichts neues. Ich rufe in Erinnerung, dass das erste Mal, wo diese “Lösung” ausprobiert wurde, im März 2011 war, nachdem das erste Memorandum havarierte, damals, als Herr Papandreou höchstzufrieden mit der gerade von ihm “erzielten” Prolongierung (nebst Senkung der Finanzierungszinsätze) aus Brüssel zurückkehrte, idiotisch verkündete: “Europa hat seine Pflicht getan.

Aus diesem Grund beziehe ich mich auf den Vorschlag einer gerade aus Brüssel durchgesickerten “Lösung” als Fortsetzung der Logik der beiden ersten Memoranden. Welche jene Logik war? Wir fahren darin vorzutäuschen fort, die Verschuldung könne tragfähig werden mittels

  1. neuer Kredite,
  2. Ausweitung der alten nach einer kleinen Senkung der Zinssätze und
  3. neue Maßnahmen zur Schrumpfung der öffentlichen Ausgaben und Erhöhung der Steuern.

Die Logik der Punkte a) und b) könnte eine Basis haben, wenn die griechische Verschuldung zwar tragfähig, jedoch untragbar wäre. Was c) betrifft, kann dies nur nach der Erzielung starker Wachstumsrhythmen eine gewisse Logik haben. Nicht von diesem hat jedoch eine Basis, wenn die Verschuldung nicht tragfähig ist und der Aufschwung einen weit entfernten Traum darstellt.

Alle sind sich über die Nichttragfähigkeit einig. Anders gesagt, der griechische ist Staat praktisch bankrott – und das bedeutet per Definition, dass die Schuldung nicht tragfähig ist. Einem Insolventen neue Kredite unter der Bedingung “neuer” Maßnahmen (welche die Einkommen komprimieren) zu geben, macht jeden Nutzen aus der kleinen Senkung der Zinssätze zunichte. Und so wird die Version des Bankrotts in die Zukunft verlagert, der substantielle Bankrott vertieft sich und die Investoren werden noch mehr entmutigt (da sie voraussehen, dass die Periode, für die unser Staat praktisch bankrott bleibt, verlängert wird).

Kurz gesagt, der aus Brüssel durchgesickerte Vorschlag wird Griechenland für ein weiteres halbes Jahrhundert zur Schuldknechtschaft verurteilen.

(Quelle: Avgi.gr, Autor: Yanis Varoufakis)

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„c. die Gespräche mit der Troika abbrechen und ihr eigenes Reformprogramm analog zu den Bedürfnissen der griechischen Gesellschaft umsetzen wird.“

Liebe Griechen, das hättet ihr bereits vor Jahren tun sollen. Je länger ihr euch an den Euro und der EU-Diktatur bindet, desto schlimmer wird es.

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