Jeder Schweizer ein Terrorist?

Gafi-Standards im Anmarsch

Jeder Schweizer ein Terrorist?

Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 28. Februar 2014

Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eröffnete die US-Regierung den «Krieg gegen den Terror».

Sowohl dem Terror als auch der internationalen Drogenkriminalität versuchten die USA Herr zu werden durch weltumspannende Verfolgung von Verdächtigten. Zu deren Bekämpfung erliess Washington die sog. «Gafi-Standards» (Gafi: Groupe d’action financière sur le blanchiment d’argent; im US-Original FATF: Financial Action Task Force on Money Laundering).

Weltweiter Feldzug

Von Anfang an erwarteten die USA, dass alle sich als «zivilisiert» bezeichnenden Länder diese Richtlinien übernehmen würden. Was die Überwachung von Geldströmen betrifft, die mit Geldwäsche aus Gewinnen der Drogenkriminalität in Zusammenhang gebracht werden, wurden die Gafi-Standards inzwischen ziemlich umfassend zu OECD-Standards.

Gafi-Spuren finden sich bereits in den Gesetzen vieler Staaten, insbesondere auch in EU-Verordnungen. Noch kein Staat der Welt hat bisher indessen diese Gafi-Standards insgesamt in sein nationales Gesetzeswerk übernommen. Diese Pionierrolle will zur Zeit indessen Eveline Widmer-Schlumpf, die Finanzministerin der Schweiz, unserem Land auferlegen.

Der Zweck hat sich verändert

Die Umformung dieser Gafi-Standards in ein schweizerisches Gesetz ist keineswegs bloss programmatische Absicht, aus der «irgendwann einmal» Gesetze entstehen sollen. Ziemlich unbemerkt, fast klammheimlich hat das Finanzministerium eine Gafi-Vorlage entworfen. Der Ständerat wird sie bereits in der dritten Woche der unmittelbar bevorstehenden Märzsession behandeln.

Dass diese Gafi-Standards seit 2001, seit Nine-Eleven einen ganz neuen Charakter erhalten haben, das scheint die vorberatende Rechtskommission der Kleinen Kammer offenbar ohne grosses Wenn und Aber geschluckt zu haben.

2001 wurden die Gafi-Standards gezielt gegen mutmassliche, zumeist identifizierte Täter in der Strafverfolgung angewendet. Heute werden sie – insbesondere im Finanzbereich – so angewendet, als wäre jeder, der über Vermögen verfügt, ein mutmasslicher Krimineller, ein Terrorist oder ein Drogenhändler.

Schluss mit Inhaberaktien

Auf dass Finanzströme und Vermögensanlagen lückenlos überwacht werden können, will Gafi zum Beispiel die Inhaberaktie verbieten. Die «Sociéte anonyme», wie die mit Kapital von der Gesellschaft im einzelnen nicht bekannten Inhaber-Aktionären arbeitende Aktiengesellschaft im französischen Sprachraum heisst, darf es fortan nicht mehr geben. Der Staat will lückenlos wissen, wer mit wieviel Anteilen Mitinhaber an einem Konzern ist. Folglich sieht Gafi die umfassende Meldepflicht vor, womit die Inhaberaktie der Namenaktie faktisch gleichgesetzt wird. Jeder Konzern muss lückenlos nachweisen, wer alles und in welchem Ausmass Inhaberaktien des Konzerns besitzt. Konzerne werden Zudiener der Finanzpolizei.

Der gläserne Bürger

Auch die Banken haben gemäss Gafi fortan polizeiliche Überwachungsaufgaben im Dienste des Staates gegenüber all ihren Kunden wahrzunehmen. Die Gafi-Vorlage unterstellt jede Person, die im Finanzmarkt tätig ist – also jeden Vermögensverwalter, jeden Treuhänder, jeden Bankangestellten, jeden Bankschalter-Beamten, jeden Lebensversicherungs-Mitarbeiter, jeden im Geldverkehr tätigen Postangestellten, jeden mit Vermögensanlagen oder Finanztransaktionen beschäftigten Rechtsanwalt – einer umfassenden Meldepflicht der staatlichen Finanzaufsicht gegenüber. Selbst bei geringstem Verdacht muss er Meldung erstatten – ohne seine Kunden davon in Kenntnis zu setzen. Keine Spur mehr von respektierter Privatsphäre.

Verletzt ein solcher Finanz-Intermediär seine Meldepflicht, macht er sich strafbar. Die Strafen sind happig. Sie reichen relativ rasch bis zum lebenslänglichen Berufsverbot. Ein Pädophiler, der ein Kind missbraucht, wird nicht so streng bestraft wie eine Finanzintermediär, der Eveline Widmer-Schlumpfs Departement nicht mit lückenloser Meldung aller ihm bekannten Vorgänge gefügig ist.

Hunger nach «Rechtshomogenität»

Da es erklärtes Ziel der Schweiz ist, raschestmöglich «Rechtshomogenität» mit der EU herbeizuführen, mag es interessant sein, was sich in der EU in Sachen Überwachung und ständiger Durchleuchtung aller Vermögenden so alles entwickelt.

In verschiedenen EU-Ländern ist die Überwachung der Vermögenden sehr weit fortgeschritten. Aus Deutschland vernimmt man, dass die Meldeplicht von Bankangestellten jetzt ausgedehnt werden soll auf Meldungen über die Art und Weise, wie die Bankkunden die von ihnen gemieteten Bankschliessfächer nutzen. Auch solche Schliessfächer sollen gläsern werden. Im Rahmen zu erzielender «Rechtshomogenität» wird sich nach dem Willen von Überwachungs-Musterschülerin Eveline Widmer-Schlumpf die Schweiz gewiss Deutschland anpassen müssen – kaum umgekehrt.

Mit der Gafi-Vorlage soll die aller Privatsphäre des Einzelnen spottende Bürger-Überwachung als Prinzip durchgesetzt werden. Ausbauschritte können jederzeit folgen.

Jeder Politiker ein Verbrecher?

Die dem Ständerat zur Beschlussfassung vorliegende Gafi-Vorlage sieht weiter vor, dass jeder Politiker – so wie jeder Kaderangestellte der öffentlichen Verwaltung oder von öffentlichen Regiebetrieben, aber auch jeder hohe Offizier – als Persönlichkeit eingestuft wird, von der sog. «erhöhtes Risiko» ausgeht. Daraus erwächst ihm die Verpflichtung, über alles und jedes, insbesondere über sämtliche Details finanzieller Anordnungen, Zahlungen usw. der Finanzüberwachung des Staates lückenlos Meldung zu erstatten. Er wird offenbar – wenn die grassierende Überwachungs-Manie mit dem den Gafi-Empfehlungen zu Grunde liegenden US-Projekt in Verbindung gebracht wird – rund um die Uhr terroristischer Verwicklungen oder Vorhaben verdächtigt.

So soll künftig auch der Milizpolitiker Tag und Nacht finanzpolizeilicher Durchleuchtung ausgesetzt sein.

Ob sich Persönlichkeiten von Format, insbesondere solche mit erheblichem Leistungsausweis aus persönlicher wirtschaftlicher Tätigkeit dann, wenn sie unter ständigem Terrorismus-Verdacht stehen, überhaupt noch für politische Ämter zur Verfügung stellen werden, scheint Eveline Widmer-Schlumpf in ihrem Überwachungswahn nicht bremsen zu können. So als wäre sie ganz zufrieden, wenn fortan nur noch lenkbare Funktionäre ins Parlament Einsitz nehmen könnten.

Bargeldverbot

In mehreren EU-Staaten sind in den letzten Monaten bereits massive Einschränkungen des Bargeld-Verkehrs erlassen worden. In Italien und Frankreich sind Barzahlungen, die den Betrag von tausend Euro überschreiten, heute bereits verboten.

Soweit geht Eveline Widmer-Schlumpf in ihrer Gafi-Vorlage (noch) nicht. Sie verbietet Barzahlungen im Moment erst ab dem Betrag von hunderttausend Franken. Offensichtlich spekuliert sie auf Reaktionen, wonach Zahlungen solcher Höhe am Postschalter ohnehin nur sehr selten vorkommen – auf dass die Bürgerinnen und Bürger diese erste, eindeutig gesetzwidrige Etappe der Unterbindung von Bargeldverkehr vielleicht bloss achselzuckend hinnehmen.

Ist das Prinzip des Bargeldverbots einmal eingeführt, kann es im Sinne der angesprochenen «Rechtshomogenisierung» mit der EU jederzeit ausgedehnt werden – durch schrittweise Senkung der Grenzsumme, bis zu welcher Barzahlungen noch gestattet sind.

Konsequenzen

Was resultiert denn aus staatlich verfügtem Bargeldverbot? Es resultiert, dass jede Zahlung, die jeder Käufer irgend einer Ware, jeder Beansprucher irgend welcher Dienstleistungen zu tätigen hat, über ein elektronisch geführtes Konto läuft, das vom Staat jederzeit eingesehen werden kann. Der Staat weiss fortan, in welchen Vereinigungen jede Person Mitglied ist. Wofür sie spendet, welche Zeitungen und Bücher sie liest, was sie einkauft, was sie sich leistet, wo und wie sie ihre Ferien verbringt. Der gläserne Bürger ist dann Tatsache. Was immer er bezahlt, wird – schon vom kleinsten Betrag an – elektronisch erfasst – auf dass es staatlichen Überwachern jederzeit offensteht.

Auch dazu erbringt Deutschland eine «Pionierleistung». Dort befindet sich unter dem unverfänglichen Schlagwort «Jeder hat ein Recht auf ein Bankkonto» derzeit der Zwang zur Eröffnung eines – jederzeit von der staatlichen Finanzpolizei einsehbaren – Bankkontos durch jede in Deutschland wohnhafte Person auf dem Weg der Realisierung. Die Potentaten der heillos überschuldeten EU-Länder wollen wissen, wo in ihrem Staat Geld liegt. Auf dass – wie in der «Hauptprobe Zypern» geschehen – jederzeit der Durchgriff auf private Vermögen im Rahmen einer spontan erlassenen «Schuldentilgungs-Steuer» möglich wird…

Persönliche Freiheit und Privatsphäre – obwohl in der Bundesverfassung jedem in der Schweiz wohnhaften Menschen gewährleistet – wird vom Departement Eveline Widmer-Schlumpf offenbar der Schredder-Anlage überantwortet.

Die Chip-Karte

In der Gafi-Vorlage noch nicht enthalten, im Finanzdepartement aber bereits ernsthaft im Studium ist eine weitere Massnahme, die der Privatsphäre des Einzelnen vollends den Garaus machen wird: Die Chip-Karte. Also eine Kreditkarte, die es dem Inhaber «ermöglicht», ohne Eingabe eines Codes an den dafür eingerichteten Kassen – die Installierung solcher Kassen wird dann Vorschrift – mit seiner Chip-Karte Zahlungen bis voraussichtlich vierzig oder fünfzig Franken bargeldlos abwickeln zu können. Die seine Karte lesende Kasse wird den Betrag für seine Einkäufe direkt seinem Bankkonto belasten.

Worüber Eveline Widmer-Schlumpf in diesem Zusammenhang nicht spricht, was in Zusammenhang mit dieser Chip-Karte in einzelnen EU-Staaten aber bereits in Einführung begriffen ist, ist der Umstand, dass dank dieser neuen Zahlweise ein vollständiges Verbot von Bargeld-Zahlungen durchgesetzt werden kann: Big brother is watching you – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.

Das Ende der persönlichen Freiheit

Bereits die erste Gafi-Etappe, die Eveline Widmer-Schlumpf Mitte März durch den Ständerat zu bringen hofft, verletzt elementare Freiheitsrechte, die jedem Bewohner der Schweiz in der Bundesverfassung garantiert werden. Gelingt der Finanzministerin dieser Einstieg in den Überwachungsstaat, dann sind die Tage der persönlichen Freiheit in der Schweiz gezählt. Offenbar dämmert dies erst einer kleinen Minderheit von Ständeräten – deren Rechtskommission diesen hart treffenden Anschlag auf den freien Bürger fast teilnahmslos hingenommen hat.

Soll der Gafi-Polizeistaat verhindert werden, muss der Bürger handeln – indem er jetzt, ohne auch nur einen Tag zu warten, per Mail, per Telefon, per Brief mit «seinen» Ständeräten in Verbindung tritt mit der Aufforderung, dem Widmer-Schlumpfschen Überwachungswahn ein sofortiges Ende zu bereiten.

Ulrich Schlüer

 

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