Bedingungsloses Grundeinkommen – die nächste Stufe der Evolution?

von Klaus Fürst (neopresse)

Der Gedanke eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist von großer Faszination. Überall, wo man ihn in die Diskussion wirft, entflammen die Leidenschaften. Es nimmt also nicht wunder, dass der jüngst von James Morris verfasste Artikel zu den meist gelesenen auf NEOPresse gehört. Der Autor liefert dort eine gut fundierte Begründung der Notwendigkeit eines BGE, abgeleitet aus gestiegener Arbeitsproduktivität und damit verbundener Abnahme klassischer Beschäftigungschancen. Die Gegenargumente werden allerdings nur kurz gestreift. In den Kommentaren findet sich deshalb neben Zustimmung auch viel Skepsis, welche meist der Frage entspringt: ist der Mensch dafür reif? Der Autor moderiert die Kommentare sehr gut und erwidert an einer Stelle:

„Wenn man will, wird man zig Gegenargumente finden, um das BGE als “unmöglich” oder lächerlich darzustellen. … Verwendet die wertvolle Zeit und Energie lieber darin, das BGE weiterzuerzählen, im Freundes- und Familienkreis, damit sich die Idee weiterverbreitet. Alles andere ist wenig effektiv.“

Dem kann man sich voll anschließen – wir brauchen diese breite Debatte – doch auch für dieses „Weitererzählen“ muss man argumentativ gewappnet sein. An dieser Stelle soll deshalb auf die ethischen und sozialpsychologischen Aspekte, die ein bedingungsloses Grundeinkommen flankieren,  näher eingegangen werden.

Zunächst muss man wissen, dass dieses Thema überhaupt nicht neu ist. In den 80er Jahren entfachte es bereits eine heiße Diskussion, die im Zuge der Wiedervereinigung und des Umbruchs in Osteuropa für längere Zeit unterbrochen wurde. Aber die Idee reicht viel weiter zurück. Der Engländer Thomas Paine (1737 – 1809) proklamierte bereits ein Naturrecht auf soziale Sicherheit, welches er in einem garantierten Einkommen verwirklicht sehen wollte. An dieser Stelle soll auf die Überlegungen von Erich Fromm näher eingegangen werden. In fast allen Schriften dieses genialen Denkers stellen wir eine nicht nur bleibende, sondern stetig steigende Aktualität und Brisanz fest. Sein Hauptwerk „Haben oder Sein“ [i] widmet sich zwar nur am Rande einem jährlichen Mindesteinkommen, jedoch mit der Fromm eigenen verbalen Durchschlagskraft.

„Diesem Vorschlag liegt die Überzeugung zugrunde, dass jeder Mensch, gleichgültig, ob er arbeitet oder nicht, das bedingungslose Recht hat, nicht zu hungern und obdachlos zu sein. Er soll nicht mehr erhalten, als zum Leben nötig ist – aber auch nicht weniger. Dieses Recht scheint uns heute eine neue Auffassung auszudrücken, doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine sehr alte Norm, die sowohl in der christlichen Lehre verankert ist als auch von vielen »primitiven« Stämmen praktiziert wird: dass der Mensch das uneingeschränkte Recht zu leben hat, ob er seine »Pflicht gegenüber der Gesellschaft« erfüllt oder nicht. Es ist ein Recht, das wir unseren Haustieren, nicht aber unseren Mitmenschen zugestehen.“

Den Unterschied zu bereits existenten sozialen Sicherungssystemen beschriebt er ebenfalls sehr prägnant:

„Die Betroffenen werden nach wie vor von einer Bürokratie »verwaltet«, kontrolliert und gedemütigt. Ein garantiertes Einkommen würde bedeuten, dass niemand einen »Bedürftigkeitsnachweis« zu erbringen braucht, um ein bescheidenes Zimmer und ein Minimum an Nahrung zu erhalten. Es wäre daher auch keine Bürokratie zur Verwaltung eines Wohlfahrtsprogramms mit ihrer typischen Verschwendung und Missachtung der Menschenwürde vonnöten.“

An diesem wunden Punkt setzt er auch gleich an, um die Verweigerer zu charakterisieren:

„Das garantierte jährliche Mindesteinkommen bedeutet echte Freiheit und Unabhängigkeit. Deshalb ist es für jedes auf Ausbeutung und Kontrolle basierende System, insbesondere die verschiedenen Formen von Diktatur, unannehmbar. … Dieser Gedanke wird all jenen undurchführbar oder gefährlich erscheinen, die überzeugt sind, dass »die Menschen von Natur aus faul« seien. Dieses Klischee hat jedoch keine faktischen Grundlagen; es ist einfach ein Schlagwort, das zur Rationalisierung der Weigerung dient, auf das Bewusstsein der Macht über die Schwachen und Hilflosen zu verzichten.“

Bereits zehn Jahre zuvor hatte sich Erich Fromm in einem Essay[ii] den sozialpsychologischen Aspekten eines Grundeinkommens gewidmet. Darin macht er deutlich, dass die Epoche, in der ausreichend materielle Güter vorhanden sind, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen, menschheitsgeschichtlich erst sehr kurz ist. Das eingefleischte Denken und Handeln konnte sich auf diese Situation noch nicht einstellen.

„Der Übergang von einer Psychologie des Mangels zu einer des Überflusses bedeutet einen der wichtigsten Schritte in der menschlichen Entwicklung. Eine Psychologie des Mangels erzeugt Angst, Neid und Egoismus … Eine Psychologie des Überflusses erzeugt Initiative, Glauben an das Leben und Solidarität. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Menschen psychologisch immer noch in den ökonomischen Bedingungen des Mangels befangen sind, während die industrialisierte Welt im Begriff ist, in ein neues Zeitalter des ökonomischen Überflusses einzutreten. Aber wegen dieser psychologischen „Phasenverschiebung” sind viele Menschen nicht einmal imstande, neue Ideen wie die eines garantierten Einkommens zu begreifen, denn traditionelle Ideen werden gewöhnlich von Gefühlen bestimmt, die ihren Ursprung in früheren Gesellschaftsformen haben.“

Eingehend beschäftigt er sich mit der Frage, ob ein garantiertes Einkommen die Arbeitsmotivation untergraben würde. Er verweist auf die vielen Beispiele für Anstrengungen in Hobby und Sport, wo keine materiellen Anreize gegeben sind. Als namhafter Psychoanalytiker weiß er, wovon er spricht, nämlich

„dass der Mensch nicht nur aus materiellem Anreiz arbeiten und sich anstrengen will, ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mensch unter den Folgen von Untätigkeit leidet und eben gerade nicht von Natur aus träge ist. Sicher würden viele Leute gerne für ein oder zwei Monate nicht arbeiten. Die allermeisten würden aber dringend darum bitten, arbeiten zu dürfen, selbst wenn sie nichts dafür bezahlt bekämen. … Vermutlich würde der Missbrauch des garantierten Einkommens nach kurzer Zeit wieder verschwinden, genauso wie auch die Leute, wenn sie für Süßigkeiten nichts zu bezahlen brauchten, sich nach ein paar Wochen nicht mehr daran überfressen würden.“

Den schwerwiegendsten Einwand gegen ein BGE bringt Fromm allerdings selbst vor. Während die meisten Verfechter des BGE, wie Götz W. Werner, das Anfachen des Konsums als positive Begleiterscheinung sehen, gibt Fromm zu bedenken, dass die Industriegesellschaft den Menschen in einen homo consumens verwandelt hat, mit unstillbarem Hunger nach immer mehr Konsum, der den Level der Bedürfnisse immer mehr anhebt. Ein Grundeinkommen müsste beständig an diesen Level angepasst werden, und dessen Befriedigung könnte schlussendlich keine Wirtschaft mehr leisten.

„Aus diesen Gründen glaube ich, dass das garantierte Einkommen nur gewisse (wirtschaftliche und soziale) Probleme lösen würde, dass es aber nicht die erwünschte radikale Wirkung hätte, wenn wir nicht gleichzeitig das Prinzip des maximalen Konsums aufgeben. … All das bedeutete, dass wir Prinzipien eines garantierten Einkommens mit der Orientierung unserer Gesellschaft vom maximalen zum optimalen Konsum kombinieren müssten, und dass es zu einer drastischen Verschiebung von der Produktion für individuelle Bedürfnisse zu einer Produktion für öffentliche Bedürfnisse kommen sollte.“

Dieser Einwand unterstreicht noch einmal, dass ein BGE aktuell keiner finanziellen oder technokratischen Lösung bedarf, sondern dass ihm der lange Prozess einer Wertebestimmung in der Gesellschaft vorausgehen muss. Ohne die Verständigung der Gesellschaft auf eine nicht konsumorientierte Entwicklung wird ein Experiment Grundeinkommen wohl unweigerlich ins Fiasko führen.

Ein Ansatz für eine Übergangslösung könnte aber sein, das Grundeinkommen auf dem Gebiet öffentlicher Leistungen zu gewähren, d.h. auf Feldern, auf denen nicht nach „mehr“ sondern nach „genug“ verlangt wird. Wenn z.B. alle öffentlichen Verkehrsmittel kostenfrei sind, ist nicht mit einem Überkonsum, einer Überbeanspruchung von Bus und Bahn zu rechnen, sondern es wird sich ein vernünftiger Level einstellen. Wenn alle kulturellen Einrichtungen kostenlos nutzbar sind, werden die Leute nicht jeden Abend ins Theater gehen und alle Konzertsäle hoffnungslos überlasten. Gleiches gilt für sämtliche Bildungseinrichtungen, Kindergärten, Schulessen, Sportstätten, Musikschulen, Gesundheitswesen … Addiert man den geldwerten Vorteil solcher öffentlichen Leistungen, kommt man dem, was als Höhe des BGE üblicherweise gehandelt wird, schon sehr nahe. Die eingeschränkte Teilhabe ärmerer Schichten, insbesondere der Kinder, an gesellschaftlichen Aktivitäten und Bildung wäre vollständig beseitigt. Wäre das nicht eine Diskussion wert?

Aber wenn wir miteinander diskutieren, werden wir um die Fragen „Was ist uns wichtig?“ „Was ist sinnvolle Arbeit?“ und „Wie viel ist genug?“ nicht herumkommen. In dieser Debatte wird sich erweisen, ob der Mensch in der Lage ist, eine neue Stufe auf der Sprossenleiter der Evolution zu erklimmen.


[i] Erich Fromm „Haben oder Sein“ Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1976

[ii] Erich Fromm „Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle“ (1966) in: Erich Fromm „Über den Ungehorsam“ Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1982

 

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