Die Europäische Zentralbank stellt sich erstmals gegen die bargeldfeindlichen Umtriebe der EU-Kommission

von Norbert Häring

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich mit einer kritischen Stellungnahme zum Entwurf einer Bargeld-Richtlinie erstmals den bargeldfeindlichen Umtrieben der EU-Kommission in den Weg gestellt. Die Notenbank will, dass Geschäften und dem Staat verboten wird, die Annahme von Euro-Bargeld durch einseitige Erklärung auszuschließen.

Wie (fast nur) auf diesem Blog kritisch berichtet, will die Kommission mit ihren parallel vorgelegten Richtlinien zum digitalen Euro und zum Euro-Bargeld die digitale Variante des Zentralbankgeldes entscheidend bevorzugen. Der Richtlinienentwurf zum digitalen Euro sieht vor, dass dieser neben Bargeld zweites gesetzliches Zahlungsmittel wird. Nur kleine Geschäfte sollen das Recht haben, die Annahme des digitalen Euro durch einseitige Erklärung auszuschließen, etwa durch ein Schild an der Ladentür. Allen anderen kommerziellen Zahlungsempfängern würde das verboten.

Im Gegensatz dazu sieht der Entwurf für die Bargeldrichtlinie vor, dass weiterhin jedes Geschäft durch einseitige Erklärung die Annahme von Euro-Bargeld ablehnen kann. Es soll dabei von der freiwilligen Vereinbarung ausgegangen werden, dass nur unbar bezahlt werden kann, falls etwa jemand trotz eine solchen Hinweisschildes die betreffende Verkaufsstelle betritt. Staatliche Stellen, bei denen man grundsätzlich nicht von Freiwilligkeit ausgehen kann, sollen dennoch das Recht haben, Bargeldannahme zu verweigern, wenn das im öffentlichen Interesse liegt. Das wird schon angenommen, wenn es den Staat billiger kommt, kein Bargeld anzunehmen.

Die Kommission will lediglich den Regierungen aufgeben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn sie feststellt, dass die Bargeld-Annahmeverweigerung so weit verbreitet ist, dass man nicht mehr in der Regel mit Bargeld bezahlen kann. Dann wäre es vermutlich in der Regel bereits zu spät, um das Bargeld noch zu retten.

EZB gegen Kommission

In ihrer am 16. Oktober veröffentlichten Stellungnahme stellt sich die EZB entschieden gegen die von der Kommission beabsichtigte Benachteiligung von Münzen und Scheinen als Zahlungsmittel gegenüber dem künftigen digitalen Zentralbankgeld. Eine Pressemitteilung dazu gab es allerdings nicht. Ich bin durch einen Beitrag des (hervorragenden) Journalisten Nick Corbishley auf Naked Capitalism darauf aufmerksam geworden.

Die EZB schreibt (übersetzt):

„Es sollte eine neue Bestimmung in den Verordnungsvorschlag aufgenommen werden, die klarstellt, dass der einseitige Ausschluss von Bargeld im Voraus verboten ist. Die EZB schlägt ferner vor, die Definition des Begriffs „einseitiger Ausschluss von Bargeld im Voraus“ im Verordnungsvorschlag so zu ändern, das klargestellt wird, dass dieser Begriff sowohl „Kein-Bargeld“-Praktiken (z. B. „Kein Bargeld“-Schilder an Geschäftseingängen oder Verkaufsstellen) umfasst, als auch Vertragsbedingungen, die nicht individuell ausgehandelt wurden (z. B. vorformulierte Standardverträge). Darüber hinaus sollte (…) festgelegt werden, dass die Beweislast einer vorherigen Vereinbarung zwischen dem Zahler und dem Zahlungsempfänger über ein anderes Zahlungsmittel als Bargeld, beim Zahlungsempfänger liegt.“

Derzeit ist die einseitige Erklärung die gängige Methode, mit der Geschäfte, Restaurants und andere Zahlstellen die Bargeldannahme legal verweigern, obwohl im Prinzip jeder das gesetzliche Zahlungsmittel akzeptieren muss.

Außerdem drängt die EZB darauf, staatlichen Stellen generell zu verbieten, die Annahme des gesetzlichen Zahlungsmittels abzulehnen:

„Die Erwägungsgründe des Verordnungsvorschlags sollten angepasst werden, um klarzustellen, dass die von öffentlichen Stellen angewandten „No-Cash“-Praktiken ebenfalls in den Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags fallen und daher verboten sind.“

Der Richtlinienentwurf der Kommission sieht in Artikel 5 vor, dass Geschäfte die Annahme von Banknoten ablehnen dürfen, wenn das im guten Glauben und aus temporären und legitimen Gründen geschieht, die außerhalb der Kontrolle des Zahlungsempfängers liegen, und die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Diese Anforderungen, die alle gemeinsam erfüllt sein müssen, begrüßt die EZB ausdrücklich, weil sie eine angemessen hohe Hürde darstellten. Sie kritisiert aber deutlich, dass der Entwurf das Fehlen von ausreichend Wechselgeld explizit und generell als einen solchen zulässigen Grund nennt. Das senke die Hürde zur Annahmeverweigerung beträchtlich, weil das Vorhalten von ausreichend Wechselgeld in der Regel durchaus in der Kontrolle des Zahlungsempfängers liege.

Vom Saulus zum Paulus

Unter dem früheren Goldman-Sachs Manager Mario Draghi (2011-2019) hatte die EZB zusammen mit der Kommission das Bargeld bekämpft. Sie konstruierte aus einer drittklassigen Rechtsquelle eine fragwürdige juristische Begründung, um von Regierungen eingeführte Barzahlungsobergrenzen genehmigen zu können, trotz des Status als gesetzliches Zahlungsmittel. Das fing an mit einer Begrenzung auf 1.000 Euro 2011 in Italien unter dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Mario Monti und ging sogar bis zu einer Begrenzung auf 500 Euro (2016) in Griechenland.

Das änderte sich, als der bargeldfreundliche Luxemburger Yves Mersch im Direktorium der EZB für das Bargeld zuständig wurde. Die EZB fing gegen Ende von Draghis Präsidentschaft an, weiteren Senkungen von Barzahlungsobergrenzen zu widersprechen. 2017 widersprach sie einer Bargeldobergrenze in Bulgarien und bargeldfeindlichen Maßnahmen der portugiesischen Regierung. Dieser Linie blieb sie seither weitgehend treu.

In meinem Verfahren um das Recht auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags, das über das Bundesverwaltungsgericht zum Europäischen Gerichtshof ging, erlebte ich die EZB allerdings eher als neutrale Partei, denn als Unterstützerin bei der Verteidigung des Bargeldes. Einzige Unterstützung war, dass der EZB-Vertreter in der mündlichen Verhandlung bestätigte, dass es Dienstleister gibt, die in Massenzahlungsverfahren die Bargeldannahme zu günstigen Preien übernehmen können. Das untergräbt eigentlich grundlegend die zentrale Argumentation der Gegenseite, dass Bargeldannahme in Massenzahlungsverfahren zu teuer ist und daher öffentliches Interesse daran besteht, sie ablehnen zu können. Der EU-Generalanwalt, der fast eins zu eins die Linie der EU-Kommission übernahm, ignorierte das in seinem Plädoyer aber, und der Gerichtshof, der ihm regelmäßig folgt, dann auch. Ebenso später das Bundesverwaltungsgericht, das sogar argumentierte, es sei auch ohne Nachweis ohne weiteres plausibel, dass Bargeldannahme behindernde hohe Kosten verursache.

Ich habe mir die lauwarme Haltung der EZB in dem Verfahren damals damit erklärt, dass sie selbst in juristischen Winkelzügen aus obskuren Quellen falsche Rechtfertigungen für Bargeldbeschränkungen konstruiert hatte, um Bargeldobergrenzen zu genehmigen. Dadurch konnte die EZB sich nur schwer auf meine Seite schlagen, ohne sich selbst der juristisch falschen Argumentation in wichtigen Stellungnahmen zu bezichtigen.

Auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in meinem Verfahren wird sowohl im Richtlinienentwurf der Kommission als auch in der Stellungsnahme der EZB Bezug genommen. Die Kommission tut dabei aber so, als würde die (rechtlich fragwürdige) Genehmigung des Gerichtshofs von Bargeldablehnung aus Gründen des öffentlichen Interesses die künftige Rechtslage bestimmen. Die EZB ordnet sie dagegen richtig ein, als Auslegung der bisherigen Rechtslage, die durch eine neue EU-Verordnung jederzeit geändert werden kann.

Da es jetzt nicht mehr um Auslegung einer bestehenden Rechtslage geht, sondern darum, neues Recht zu formulieren, ist die EZB auch nicht mehr durch die bargeldfeindlichen juristischen Winkelzüge ihrer früheren Führung an der Verteidigung des Bargelds gehindert. Nun fordert sie genau das, was ich in meinem Gerichtsverfahren, das nun beim Bundesverfassungsgericht liegt, vergebens gefordert habe: dass öffentliche Stellen generell Bargeld annehmen müssen.

Echter Sinneswandel oder interner Richtungsstreit?

Zuständig für Zahlungsverkehr und Banknoten im EZB-Direktorium ist seit 2020 in der Nachfolge von Yves Mersch der Italiener Fabio Panetta. Im November wird er Chef der italienischen Zentralbank. Vieles könnte für das Bargeld davon abhängen, wer seinen Aufgabenbereich bekommt. Wenn an der Spitze der italienischen Zentralbank und auch der Regierung Bargeldfreunde säßen, wäre das aber unabhängig davon sehr positiv.

Allerdings will ich noch nicht mein ganzes Vertrauen in den Wandel der EZB vom Saulus zum Paulus setzen, denn:

  • EZB-Chefin Christine Lagarde ist alles andere als bargeldfreundlich.
  • Auch Fabio Panetta klang vor knapp einem Jahr nicht so, als wolle er das Bargeld wirklich retten.
  • Im Rahmen einer Arbeitgruppe der EZB zur Bewahrung des Bargelds wurde 2021 dafür gesorgt, dass bargeldfeindliche Praktiken der Banken ausgeklammert blieben.
  • Die halbherzige Bargeldstrategie der EZB, die im Dezember 2020 vorgestellt wurde, las ich seinerzeit als Anzeichen für Richtungskämpfe innerhalb der Zentralbankführung.
  • Die unter der Oberhoheit der EZB-Präsidentin Lagarde stehende Kommunikationsabteilung hat seinerzeit die Verabschiedung der Bargeldstrategie genauso totgeschwiegen wie aktuell die bargeldfreundliche Stellungnahme zum Richtlinienentwurf.

Denkbar ist daher leider auch dass die Haltung der EZB zum Bargeld sich nicht grundlegend geändert hat, sondern aufgrund eines internen Richtungsstreits wie ein Pendel hin und her schwingt.

Es könnte auch ein abgekartetes Spiel sein, bei dem es darum geht, die Bargeld-Ehre der EZB zu waren, ohne dass sich letztlich etwas ändert, oder darum, Bemühungen in manchen Ländern um Bargeldschutz per Verfassungszusatz den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wir werden das weiter beobachten müssen.

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1 Kommentar

  1. Sollte man endlich was erfinden, das Geld wachsen läßt. Wäre dann der ewige Geldheißhunger gestillt.Vielleicht wächst das dann so gut, das es so manches überwuchern kann.

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