Aus der Geschichte lernen!

Deutschland muss sein Verhältnis zu Russland verbessern 

von Karl Müller (zeit-fragen)

«Völkermord» beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999, «Kampf gegen den Terrorismus» beim Nato-Angriffskrieg gegen Afghanistan seit 2001, «Massenvernichtungswaffen» beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg einer von den USA geführten «Koalition der Willigen» gegen den Irak im Jahr 2003, «Völkermord» beim so nicht vom Weltsicherheitsrat gedeckten Angriffskrieg der Nato gegen Libyen im Jahr 2011, «Assad schlachtet die eigene Bevölkerung ab» bei der verdeckten und offenen Unterstützung für bewaffnete Dschihadisten und der auch offenen völkerrechtswidrigen Kriegsbeteiligung durch Nato-Staaten in Syrien seit 2011 – die Liste der Erfahrungen, die die Weltgemeinschaft mit falschen Behauptungen gemacht hat, ist lang. Wäre die Weltgemeinschaft da nicht gut beraten gewesen, den Behauptungen über einen vermeintlich russischen Giftanschlag in Grossbritannien mit grösstem Misstrauen zu begegnen?

Die amtierenden Regierungen zahlreicher Nato- und EU-Staaten sind diesem Rat leider nicht gefolgt. Sie haben sich dem Diktum der britischen Regierung und sehr wahrscheinlich auch von Teilen der US-Administration gebeugt und sind unbewiesenen Vorverurteilungen gefolgt. In der sowieso angespannten Lage im Verhältnis von Nato und EU zu Russ­land war dies eine gezielte Eskalation, und die Frage, welchem Zweck diese Eskalation dienen sollte, muss beantwortet werden.

Besonnene deutsche Stimmen

Nun, wo sich auch öffentlich herauszustellen beginnt, dass die Vorwürfe gegen Russ­land sehr wahrscheinlich haltlos waren und sind, soll daran erinnert werden, dass nicht nur viele Bürger in Anbetracht der Lage in grosser Sorge sind, sondern auch gewichtige Stimmen aktiver oder ehemaliger politisch Verantwortlicher eine andere Sprache sprechen als die Regierungen. Die folgenden Zitate geben Stimmen aus Deutschland wieder.
Einige auch noch amtierende Politiker aus den Reihen der deutschen SPD haben die Entscheidung ihrer Regierungsmitglieder, insbesondere des neuen deutschen Aussenministers Heiko Maas, kritisiert.
Von besonderem Interesse dabei ist die Rede des vor ein paar Wochen aus dem Amt geschiedenen deutschen Aussenminister Sigmar Gabriel anlässlich der Festveranstaltung des Deutsch-Russischen Forums e. V. «25 Jahre Deutsch-Russisches Forum e.V.» am 15. März  im Berliner Hotel Adlon, die in den deutschsprachigen Leitmedien vollkommen unerwähnt blieb (siehe Artikel unten).

Matthias Platzeck: Die Konfrontationsspirale erhöht die Kriegsgefahr

Nicht weniger mahnend äusserte sich der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg und ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck, heute Vorsitzender des Deutsch-Russischen-Forums. In einem Video-Interview mit der Zeitung «Die Welt»1 vom 27. März sagte er:

«Wir handeln hier nach dem Motto: Wir erschiessen erst mal den Verdächtigen und prüfen dann die Beweise.» Die Bundesrepublik, so Platzeck weiter, verstosse damit klar gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Deutschland habe zudem auf Grund der «vielen tragischen Elemente» seiner gemeinsamen Geschichte mit Russland dem Land gegenüber eine ganz besondere Verpflichtung, «ganz schnell von der Eskalation zur Sachlichkeit zurückzukommen».
Weiter sagte er: «Die Konfrontationsspirale, in der wir jetzt sind, nützt niemandem etwas, sondern erhöht nur die Kriegsgefahr.»

Günther Verheugen: Das ist eine Vergiftung des Denkens

Auch der ehemalige EU-Kommissar und SPD-Politiker Günther Verheugen sagte in einem Interview mit der «Augsburger Allgemeinen» vom 27. März:

«Die Argumentation im Fall Skripal erinnert mich ein bisschen an eine Urteilsverkündung nach dem Motto: ‹Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber es war ihm zuzutrauen.› Die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich sind, ist eine Vergiftung des Denkens, die aufhören muss.»

Vollmer: Merkel und ihr Aussenminister verspielen den deutschen Spielraum

Vielen Deutschen ist auch die nicht mehr aktive Grünen-Politikerin und stellvertretende Parlamentspräsidentin Antje Vollmer noch ein Begriff. Sie meldete sich am 30. März in einem Interview mit dem Sender Deutschlandfunk Kultur zu Wort.
Für Antje Vollmer ist die jüngste Entwicklung verheerend. Sie drohe, ausser Kontrolle zu geraten. Vor allem der neuen Bundesregierung macht die ehemalige Grünen-Politikerin schwere Vorwürfe:
«Angela Merkel und auch ihr Aussenminister verspielen gerade einen Spielraum, den die deutsche Politik von Brandt bis Helmut Kohl hatte. Nämlich klar im Westen begründet zu sein, aber immer ein besonderes Interesse an einem guten Verhältnis zu Russ­land zu haben.»
Sie sei entsetzt, «dass der neue Aussenminister Heiko Maas in wenigen Sätzen bei seinem Amtsantritt dieses ganze aussen­politische Tafelsilber der SPD anscheinend verleugnet, wenn er sagt, er ist nicht wegen der Entspannungspolitik, nicht wegen Egon Bahr und Willy Brandt, auch nicht wegen der Friedensbewegung in die Politik gegangen, sondern wegen Auschwitz».
Man komme nicht weiter, wenn man die andere Seite nicht begreife. «Und tatsächlich ist es im Moment so, dass gerade die Russen und die russische Bevölkerung nicht verstehen, warum das Land, was ja zur Wiedervereinigung der Deutschen entscheidend beigetragen hat, jetzt plötzlich so am Pranger steht, und warum die Deutschen, die mit zwei Weltkriegen gegenüber Russland grosse Schuld auf sich geladen haben, nicht begreifen, dass man mit dem Land auf Augenhöhe reden muss.»

Auch die deutsche FDP steht nicht hinter der deutschen Regierungspolitik. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki kritisierte die deutsche Reaktion im Fall Skripal in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 22. März und fügte hinzu, er wisse, dass in der Sache mehr als 60 Prozent der FDP-Anhänger hinter ihm stünden.
Schon vor dem Interview mit dem Deutschlandfunk hatte Kubicki in einem anderen Interview gesagt, die gemeinsame Erklärung Deutschlands, Frankreichs, der USA und Grossbritanniens zu diesem Nervengift-Angriff in Grossbritannien sei ein Fehler gewesen. Ausdrücklich kritisierte er die Position des deutschen Aussenministers und dessen Äusserungen, er wisse mehr. Kubicki zweifelte auch den Sinn und die Begründung der Sanktionen gegen Russland an (siehe Kasten rechts).

Frank Elbe: Verstörende Akte politischer Selbstjustiz

Bei einem anderen namhaften deutschen FDP-Politiker, beim ehemaligen Aussenminister Hans-Dietrich Genscher, war der deutsche Botschafter a. D. Frank Elbe, Jahrgang 1941, also noch im Krieg geboren, Bürochef und Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes. Seine Äusserungen fanden keinen Platz in den deutschsprachigen Leitmedien, aber RT Deutsch veröffentlichte seine Stellungnahme am 30. März 2018 (siehe Artikel Seite 6).

 Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler: Wem nützt die Vorgehensweise eigentlich?

Am Schluss soll der Hinweis auf ein Interview des Mitteldeutschen Rundfunks MDR mit dem früheren Präsidenten des deutschen Auslandsgeheimdienstes, des Bundesnachrichtendienstes BND stehen. Der MDR berichtete am 27. März 2018 darüber:

«Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Gerhard Schindler sieht im Fall des mutmasslichen Giftanschlags auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal bislang keine ausreichenden Beweise, die eine ‹definitive Zuweisung der Verantwortung› an Russland rechtfertigen würden. Schindler sagte am Dienstag MDR Aktuell: ‹Also ich glaube, die derzeitige Beweislage ist nicht so robust, wie die jetzt beschlossenen Massnahmen vermuten lassen.› […] Schindler sagte, man könnte vielleicht annehmen, die Vergiftung Skripals könnte den russischen Geheimdiensten helfen, etwa um potentielle Täter abzuschrecken. ‹Aber das ist kein Nutzen für die russische Politik, für die russische Regierung als Ganzes. Und deshalb bleibt die Frage, wem nützt diese Vorgehensweise eigentlich, offen.›»

Willy Wimmer: Ein Segen, dass Russland rational und nicht eskalierend handelt

Am 27. März 2018 kam im MDR auch Willy Wimmer, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, parlamentarische Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, zu Wort. Auf der Internetseite des MDR ist zu lesen:

«Der CDU-Politiker sprach bei MDR Aktuell von einer ‹in hohem Masse friedensgefährdenden Aktivität›, die London nicht zum ersten Mal in der Europäischen Union oder Nato starte. Wer mit derartigen Vorwürfen daher komme wie Grossbritannien im Fall Skripal, müsse auch die entsprechenden Beweise auf den Tisch legen. Aber aus London komme da nichts. Stattdessen eskaliere die britische Regierung in Nato und EU alle Vorwürfe gegen Moskau. Und das Entsetzliche sei, dass die Hälfte der Europäischen Union und die Bundesregierung da auch noch mitmachen würden.
Mit Blick auf die Aussage des neuen Bundesaussenministers Heiko Maas (SPD), der davon gesprochen hatte, dass die Fakten und Indizien im Fall Skripal nach Russland weisen würden, sagte Wimmer: ‹Und wenn dann so ein Jungspund wie Herr Maas da hingeht und sagt, hinreichende oder interessante oder Gott weiss welche Beweise, da kann ich nur sagen: Das wäre seinem Vorgänger, Herrn Gabriel, nicht über die Lippen gekommen.›
Auf die Fragen, ob wir gerade eine Vorstufe zu einem neuen Kalten Krieg erleben und wie Russland diplomatisch auf die Vorstösse des Westens reagieren werde, sagte Wimmer: ‹Also man hängt ja schon seit der Ost-Erweiterung der Nato eigentlich davon ab, dass in Moskau jemand Präsident ist, der rational und nicht eskalierend mit diesen Dingen umgeht. Ich will jetzt aus meiner Sicht der Dinge keine Empfehlungen in die eine oder andere Richtung aussprechen. Nur, wenn wir Putin nicht hätten, bei der Kriegslust, die im Westen herrscht, sähe Europa schon ganz anders aus›»    •

1    https://www.welt.de/politik/video174931406/Platzeck-zur-Skripal-Affaere-Wir-erschiessen-erst-den-Verdaechtigen-und-schauen-dann-nach-Beweisen.html

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