In Fernsehanstalten bestimmen wenige auf Anweisung einer noch kleineren Führungsriege, was Millionen Menschen zu sehen bekommen. Exklusivauszug aus „Teufel, Krieg und Frieden“.
Die stärkste Macht über die öffentliche Meinung haben jene Medien, die ihre Programme über Sendeanstalten verbreiten. Diese Struktur ist von sich aus keineswegs demokratisch: Ein Sender wird von ein paar Hundert Leuten betrieben, von denen vielleicht ein Dutzend das Programm bestimmen. Die Sendungen können aber Millionen Menschen erreichen. Auch wenn es nur hunderttausend sind, besteht zwischen Sendern und Empfängern ein krasses zahlenmäßiges Missverhältnis. Exklusivauszug aus „Teufel, Krieg und Frieden … die sanfte Radikalität der Logik“.
von Rob Kenius (manova)
Die Hörer und Zuschauer sind den Programmmachern völlig machtlos ausgeliefert
Die Übermittlung funktioniert nur in einer Richtung. Das wird gelegentlich ein wenig abgemildert, im Rundfunk durch Einblendung von Hörerstimmen, im Fernsehen ganz selten durch einzelne Äußerungen von Betroffenen. Die Möglichkeiten sind vielfältig, aber quantitativ ist das Verhältnis von Sendern und Programmmachern zu den Äußerungen des erreichbaren Publikums höchstens eins zu tausend oder ganz gleich null. Diese durch die Technik vorgegebene Situation ist von sich aus kontraproduktiv für die Möglichkeit einer Demokratie.
Man müsste den Gedanken der Demokratie aus Prinzip und mit besonderer Aufmerksamkeit strukturell in die Medien einführen und dort verankern durch demokratisch gewählte Gremien, die das Programm beurteilen und lenken. Hier finden wir ein großes Versäumnis bei den Strukturen der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Sie werden nur schwach kontrolliert durch den sogenannten Rundfunkrat. Dieser Rundfunkrat ist kein demokratisches Gremium.
Tatsächlich haben wir folgende Situation: Die Sendeanstalten sind streng hierarchisch organisiert, das Publikum ist den Sendern widerspruchslos ausgeliefert; es existiert eine absolutistische Meinungsmacht von ganz wenigen über alle anderen.
Trotz und sogar wegen all der hochmodernen Technik ist die Struktur dieser Medien und die Macht über das Denken der Menschen so absolut wie die der Kirche im Mittelalter.
Weil die Situation in den großen Medien ziemlich aussichtslos ist, konzentriert sich alle Hoffnung zur Verwirklichung von Demokratie, freier Meinungsbildung und offenem Diskurs auf das Internet. Das Internet ist das erste wirklich interaktive Massenmedium, es hat unbegrenzte Möglichkeiten der Kommunikation eröffnet. Jeder wird, ohne großen Aufwand an technischen Geräten und Finanzen, nicht nur Empfänger, sondern auch Sender von Nachrichten, die alle anderen ebenso empfangen und erwidern können.
Diese Interaktivität ist der größte Fortschritt in der schriftlichen Kommunikation seit der Erfindung des Buchdrucks. Durch größeren Aufwand an Technik, Geschwindigkeit und Datenmenge werden dann auch Bilder, Videos, Musik und beliebige Inhalte über das Netz transportiert. Es können sich neue Gedanken, Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten, Entscheidungsformen, Begegnungen und Bewegungen der verschiedensten Art entwickeln.
Für Demokratie ist das ideal
Ein unbegrenzter Debattenraum, unzensiert, für alle zugänglich und mit Suchfunktionen zu überblicken. Meinungen werden diskutiert, fixiert und führen zu digitalen Entscheidungsprozessen. So haben wir uns das gedacht!
Doch ein paar teuflische Fakten haben die Entwicklung einer demokratischen Revolution im Internet verhindert. Im Zeitraum von nur einer Generation ist es von privaten Firmen, die das Netz weder besitzen noch erfunden oder aufgebaut haben, zum Geldverdienen umfunktioniert worden. Freie Kommunikation ist kaum noch möglich, nur der Zugang ist frei, doch die Kontakte und Nachrichten werden registriert, gelenkt, statistisch erfasst und kommerziell ausgewertet.
In USA hatte man schon vor hundert Jahren Kartellgesetze, die verhindern sollten, dass einzelne Firmen oder Zusammenschlüsse (Kartelle) zu mächtig werden. Im Fall des Internets hat man diese Gesetze einfach nicht angewendet. Warum, ist schwer zu erklären.
Schon im Bereich der Computer-Software hatte Bill Gates mit Microsoft und dem Betriebssystem Windows eine Art Monopol aufgebaut, und man hat es zugelassen. Verantwortlich sind die Behörden der USA.
Der finnische Programmierer Linus Torvalds hat versucht, das Windows-Monopol mit Linux zu durchbrechen. Aber nicht die besten Programme, sondern der gierigste Konzernchef hat sich durchgesetzt. Diese Entwicklung ist kein Naturgesetz, sondern eine typisch amerikanische Vorstellung von unternehmerischer Freiheit.
Es ist aus unserer Sicht aber nicht natürlich, dass der Inhaber einer Firma so weit expandieren will, dass er den ganzen Markt und dann die ganze Welt auf einem Sektor beherrscht. Das ist eine Form von Größenwahn und müsste im Interesse der Allgemeinheit, der Demokratie und im Interesse besserer Qualität verhindert werden.
Leider ist die Entwicklung im Internet bei den sogenannten Sozialen Medien ähnlich gelaufen: Facebook hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Anonymität geholt, weil man anfangs, durch Fotos, in der Gemeinschaft, eine Kontrolle über die Identität von Personen hatte. Das war der große Unterschied zu anderen Kontaktbörsen. Man konnte reale Personen unter ihrem echten Namen suchen und alte Freunde und Bekannte finden und sich selbst als reale Person vorteilhaft darstellen.
Niemand hat dann verhindert, dass Facebook später den Bereich der persönlichen Kontakte so für sich ausgewertet und optimiert hat, dass aus der Kontaktmaschine eine Geldmaschine wurde. Das war die Idee von Mark Zuckerberg.
Was auf der Strecke blieb, ist die Möglichkeit freier gleichberechtigter Kommunikation, nicht von Interessen gesteuert, sondern zielgerichtet, beispielsweise mit den Ziel einer Meinungsbildung als Grundlage der Demokratie.
Das wollte Mark Zuckerberg nicht, er wollte Geld verdienen und hat seinen Beitrag dazu geleistet, dass die feudale Finanzmacht die grundsätzlich mögliche Demokratie im Netz ausgehebelt hat. Zuckerbergs Belohnung waren, beim Börsengang, ein paar Dollarmilliarden in Form von eigenen Aktien. Das war ein kleiner Anteil am globalen Geldüberfluss.
Es hat eine Zeit lang gedauert, bis die Millionen Facebook-Nutzer gemerkt haben, wie sie ausspioniert, statistisch ausgewertet, von Algorithmen gelenkt und heimlich verkauft wurden. Die Mehrheit merkt es nicht. Aber andere Firmen haben es durchschaut, mit anderen Kontaktsystemen treiben sie das gleiche Spiel.
Auch Google war zuerst nur die beste Suchmaschine der Welt, besser als AltaVista und Yahoo. Jetzt ist Google/Alphabet der absolute Datenkrake, und die Regierung der USA kooperiert mit Google als Informationsquelle, anstatt den Konzern in die Schranken zu weisen.
So sind inzwischen Firmen entstanden, die mächtiger sind als Staaten. Sie haben das natürliche Verlangen der Menschen nach Teilnahme an der digitalen Kommunikation mit ihrem Super-Egoismus für sich genutzt, so als wären die Wünsche und Träume und das Suchen der Menschen ihr Firmeneigentum. Und der Staat, der die Interessen der Allgemeinheit vertreten sollte, hat nur zugeschaut.
Weder Microsoft noch Facebook noch Google haben eine neue bahnbrechende Idee entwickelt, wie etwa die Struktur des Internet selbst. Es gab auch schon vor Windows Betriebssysteme mit aufklappbaren Fenstern, es gab schon Kontaktmaschinen mit Schneeballsystem und es gab schon mehrere gut funktionierende Suchmaschinen. Die Monopolisierung ist ein Systemfehler, aber man hat ihn im Internet nicht behoben.
Der Teufel steckt im Größenwahn und in der unendlichen Gier
Und dazu gehört ein Staat, der nicht die Interessen der Allgemeinheit vertritt, obwohl die Repräsentanten nach den Spielregeln der Demokratie gewählt wurden und einen Eid auf die Verfassung geleistet haben.
Was jetzt immer noch fehlt, ist ein großes Internet-Forum, das nur dem Zweck der Meinungsbildung und Demokratie dient. Am besten gleich mit der Möglichkeit, online abzustimmen. Die Technik ist vorhanden, die Strukturen sind bekannt, es kostet nicht viel, aber es fehlt eine Organisation, die sagt: Wir schaffen das.
Ein System, das eine offene, freie Meinung produziert, die jeder sich zu Herzen nehmen kann oder auch nicht. Besteht an der freien Meinung aller kein öffentliches Interesse?
Um diesen öffentlichen Debattenraum einzurichten, braucht es allerdings noch eine andere notwendige Voraussetzung, und zwar aufseiten des Publikums: Die Teilnahme darf nicht anonym sein, auch wenn das viele schockt. Aus anonymen Äußerungen kann sich keine politische Meinung bilden.
Zu einer öffentlichen Meinung gehört, dass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer zu ihrer Meinung stehen wie in einer Versammlung von realen Personen. Es gehört auch dazu, dass niemand mehrere Identitäten annehmen kann, und es gehört dazu, dass niemand verschwindet und mit anderer Identität wieder auftaucht.
Es hat sich im Internet eingebürgert, dass fast alle einen selbst erfundenen Spitznamen benutzen; das ist oft lustig, bequem und ungefährlich. Wenn wir aber ernsthaft Standpunkte und Meinungen austauschen wollen, müssen wir die Maske fallen lassen. Niemand wird dazu gezwungen.
Man kann sogar erlauben, dass anonyme Gäste das demokratische Meinungsforum besuchen und dort herumstöbern, doch um aktiv teilzunehmen, ist eine Registrierung erforderlich, welche die Identität sichert. Alle Beiträge müssen namentlich gekennzeichnet sein oder so, dass jeder in einem einheitlichen Register nachschauen kann, um wen es sich handelt.
Anonymität und politische Betätigung schließen einander aus
Und Politik soll es sein, reine Unterhaltung gibt es schon genug. Die Entscheidung zur Teilnahme ist dann der Beginn eines politischen Bewusstseins.
Die Struktur eines politischen Forums steht in Konkurrenz zu den Parteien und hat ihnen gegenüber viele Vorteile: Die Eintrittsschwelle ist niedrig, man verpflichtet sich nicht, sich einem Parteiprogramm oder einer Ideologie anzuschließen, es gibt keine hierarchische Struktur, man ist nicht lokal oder zeitlich gebunden, doch das Forum verlangt, wie jede Partei, persönliche, engagierte Teilnahme, sonst wird es nichts. Die große Frage lautet: Wer bringt die Sache in Gang?
Ideal wäre, dass ein Staat, der ja die Allgemeinheit vertritt und Politik repräsentiert, der sogar eine Abteilung für politische Bildung hat, dass der Staat dieses Forum schafft, ein Staat, der keine Angst vor der offenen, freien Meinung des Volkes hat.
Der Staat hat alle erforderlichen Ressourcen: Registrierung an den Meldestellen, das Durchsetzen verbindlicher Regeln und angemessene Finanzierung, zum Beispiel 1 Prozent der Einnahmen der ÖR-Anstalten, das wären 100 Millionen Euro pro Jahr. Richtig sattes Geld für Programmierung und professionelles Management und für gut bezahlte Moderatorinnen und Moderatoren.
Das wäre nur ein Tausendstel der Militärausgabenerhöhung in der Bundestagsdebatte vom 27. Februar 2022, für die Zukunft der Demokratie, für die westlichen Werte, für das Recht auf freie Meinung, als Bollwerk gegen den Totalitarismus, ein Tausendstel der Hochrüstung — für Frieden und Verständigung.
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Bei dem Auszug handelt es um die Kapitel 2.06 und eine Passage von Kapitel 2.05.
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Rob Kenius ist Systemkritiker, freier Publizist und Buchautor. Er betreibt die Webseite kritlit.de und schreibt oder schrieb für oppositionelle Medien: Telepolis, Rubikon, apolut, Krass&Konkret, Ossietzky und jetzt Manova. Von ihm erschienen die politischen Sachbücher „Hunderttausend Milliarden zu viel — Finanzfeudalismus aus rationaler Sicht“, „Geld stinkt zum Himmel — Weniger Zunder mehr Zukunft“, „Leben im Geldüberfluss“, „Überleben im Überfluss“ und „Neustart mit Direkter Digitaler Demokratie“.
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