Eine Skizze einer Gesellschaft ohne Staat

Privatrechtsgesellschaft: Eine Skizze einer Gesellschaft ohne Staat

von Christian Zulliger

(Die Ausführungen von Prof. Hoppe wurden vom Autor zwecks besserem Verständnis und Vollständigkeit teils ergänzt)

Am 23. November trafen sich geschätzte 60 Freiheitsfreunde im Modelhof in Müllheim. Die Besucher hatten sich allesamt selbst eingeladen, einige nahmen eine weite Anreise aus dem Ausland auf sich. Der Anlass war es zweifelsohne wert, denn es war nichts Geringeres als die Einweihung einer hoffentlich grossen Akademie, der Startschuss für Denker, die Suche nach einer neuen Staatsform. Der Initiator und Gründer Daniel Model war sichtlich stolz, als er verkündete, dass ab sofort einmal monatlich grosse Denker der Freiheit im Modelhof referieren werden und an allen anderen Freitagen die Akademie sich zur Reflexion, zum Denken trifft.

Als erster Referent durfte Prof. Dr. Hans Hermann Hoppe eine Skizze seiner Vorstellung einer freiheitlichen Gesellschaft darlegen. Der Rothbard-Schüler Hoppe ist ohne Zweifel einer der bekanntesten und konsequentesten liberalen Denker, seine politische Ideologie, seine paläolibertäre Sichtweise wird auch unter Radikalliberalen häufig diskutiert. Professor Hoppe holte das Publikum zu Beginn seiner Ausführungen sehr sanft ab, ein Eintritt mitten in seine Denkweise wäre für viele auch viel zu steil gewesen, die Reaktionen zeugten davon.
Hoppe begann mit der Geschichte von Robinson und Freitag, die auf einer einsamen Insel lebten. Er zeigte auf, dass Robinson alleine keine Konflikte mit anderen haben konnte. Unter Annahme von frei und unendlich verfügbaren Gütern, kann es lediglich aufgrund der Knappheit der physischen Körper zu Konflikten zwischen Robinson und Freitag kommen. Dieser Konflikt wird jedoch damit gelöst, als dass jeder Eigentümer seines eigenen Körpers ist. Dieses von Hoppe ausgeführte Nichtaggressionsprinzip beinhaltet die körperliche Integrität eines jeden einzelnen Individuums. Da in der Realität jedoch Güterknappheit auf der Insel herrscht, muss es zwangsläufig zu Konflikten um Güter kommen. Die notwendigen Regeln für Robinson und Freitag werden von Hoppe allgemein formuliert und sind Kern seiner späteren Ausführungen über das Funktionieren einer Privatrechtsgesellschaft:

– Jedes Individuum ist Eigentümer seines eigenen Körpers, alles andere ist Sklaverei.

– Es gilt die Eigentumsgarantie, jeder hat Anspruch auf das, was er aus naturbelassenem Zustand an sich genommen hat.

– Alle mit seinem Körper und den in naturbelassenen Zustand an sich genommenen Gütern produzierten Güter oder Dienstleistungen sind zudem legitimes Eigentum.

– Eigentum kann auch durch freiwilligen Tausch entstehen.

– Alles andere ist Diebstahl.

Die aus ökonomischer Sicht heikle Frage des Gemeineigentums (öffentliche Güter) stellt sich aus streng angewandten oben genannten Regeln nicht, dennoch zeigte Hoppe gekonnt auf, dass bei solchen Gütern nicht immer Harmonie der Interessen bestehen wird und nicht zuletzt eine dadurch entstandene moral hazard-Problematik nur durch Eigentum gelöst werden kann. Doch wie ist mit Rechtsbrechern vorzugehen, die Eigentum ungerechtfertigt an sich nehmen? Die meisten (minarchistischen) Liberalen beantworten diese Frage mit „Staat“. Nicht so Hoppe. Er zeigt auf, dass der Staat bei allen Konfliktfällen die letzte Instanz ist, jeweils das letzte Wort hat. Der Staat bestimmt über Recht und Unrecht, insbesondere auch bei Fällen zwischen Privaten und dem Staat (öffentlich-rechtliche Streitfälle). Der Staat als Monopolist auf der Rechtssprechung kann also Konflikte anstiften und mit seinen Regeln die Leute dazu zwingen, nach seinem Gusto den Konflikt wieder lösen. Dies zum Beispiel im Bereich Diebstahl. Der Staat alleine kann die Bürger bestehlen (Steuern), sofern man sich gegen den Fiskus stellen möchte, muss man vor staatliche Gerichte treten, die staatliches Recht anwenden. Der Staat verknüpft geschickt sein Monopol auf Rechtssprechung mit seinem Gewaltmonopol, denn wird der Diebstahl (Steuern) vom Bürger nicht legitimiert, wird das Geld mittels Gewaltmonopol eingetrieben. Zumindest die Ökonomen müssten bei der aktuellen Situation des Staates aufschreien, denn diese Wissen, dass Monopole immer schlecht sind. Ein Monopolist ist der Einzige, der etwas darf. Er kann hohe Preise durchsetzen und die Qualität niedrig halten. Monopolisten hassen Wettbewerb. So ist es auch zu erklären, dass Diebstahl verboten ist, denn der Staat hasst Konkurrenz. Während nahezu allen Ökonomen der Ansicht sind, dass Monopole stets schlecht sind, sind nur ganz wenige der Ansicht, dass auch bei der Produktion von Sicherheit ein Monopol schlecht ist. Hoppe ist einer davon. Der Produzent von Sicherheit (Staat) müsste im Wettbewerb stehen. Schon heute gibt es private Sicherheitsdienstleister, dennoch ist das Gewaltmonopol noch immer beim Staat. Professor Hoppe bezeichnet mit seiner klaren Sprache den Staat als einen „rechtsbrechenden Rechtsschützer und enteignenden Eigentumsschützer“, der die Ausgaben für die Produktion von Sicherheit maximiert, den Output, die Sicherheit, jedoch minimiert.

Hoppe bricht mit jeglichem bestehendem Denken, so ist er auch bekannt dafür, dass er die Demokratie in Frage stellt. Dass auch die Demokratie nicht die ideale Staatsform ist, zeigte er an einem typisch Hoppe`schen Vergleich auf: Dem Vergleich der Demokratie mit der Monarchie. Dass die Monarchie ein Verstoss gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellt, dürfte klar sein. Alle sollen vor dem Gesetze gleich sein, waren sie in einer Monarchie jedoch nie. Auf die Monarchie folgte die Demokratie, in der nun plötzlich jeder „König“ werden konnte. Jedoch werden auch in einem demokratischen System die Bürger unterschiedlich behandelt, nicht zwingend mit persönlichen Privilegien, sondern vielmehr mit funktionellen Privilegien. Öffentliche Leute (Beamten) dürfen stehlen (Steuern), Private nicht. „Bei einer Privatperson ist es Stehlen und Geben, beim Staat heisst es dann Sozialpolitik“, so Hoppe. Ohne Zweifel, der Staat ist sehr grosszügig beim Geldausgeben, wären wir auch, wenn wir fremdes Geld ausgeben dürften. Ein weiteres Problem der Demokratie ist die Kurzfristigkeit. In einer Monarchie ist der König der Eigentümer des Bodens, in einer Demokratie ist der Politiker der temporäre Verwalter. In der Zeit der Legislatur, die meistens vier oder acht Jahre dauert, kann er als Nutzniesser möglichst viel aus dem geliehenen Boden (Volk) rausholen. Wäre es sein Eigentum, würde er es nicht derart aussaugen. Die Bürger lassen dies in einer Demokratie zu, denn auch sie könnten mal vom Sklaven zum Peitscher aufsteigen. Zudem: Ein König wird per Zufall in die Königsfamilie hineingeboren. Ist er ein guter König, gibt’s keine Probleme. Ist er ein schlechter König, wird er von seiner eigenen Familie „entfernt“, denn diese wird nicht zulassen, dass die Dynastie zerbricht. Keine unsympathische Selektion. In einer Demokratie werden diejenigen Politiker gewählt, die dem Volk am meisten versprechen, am verschwenderischsten fremdes Geld ausgeben. Hoppe nennt dies den „Wettbewerb der Gauner“ und verdeutlicht: „Demokratie fördert die Bildung von üblen Charakteren, es kommen die rauf, die am übelsten sind.“

Nach dieser Einführung in seine konsequente Denkweise zeigte er die Grundzüge einer Privatrechtsgesellschaft auf. Ganz nach der Denkweise aller Ökonomen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie gibt er zu verstehen, dass er sich niemals anmassen würde, zu wissen wie eine solche Gesellschaft im Detail aussehen könnte. Er weiss jedoch, dass jegliche Staatsaufgaben von Privaten besser erledigt werden können. Ausgehend von den oben aufgeführten Grundregeln bezüglich Eigentum, zeigte er auf, dass Sicherheit von Privaten besseren produzierten werden kann und dass auch die Rechtssprechung von im Wettbewerb stehenden Privaten besser erledigt werden kann. In einer Privatrechtsgesellschaft sind freiwillige Verträge der Kern der Sache, da kein staatlicher Zwang mehr vorhanden ist. „Der Staat ist ein vertragsloser Zustand – oder haben Sie jemals so was wie einen Gesellschaftsvertrag, der Sie zu all Ihren Bürgerpflichten zwingt, unterschrieben?“ Für Libertaristen gibt es sowas wie einen Rousseau`schen Gesellschaftsvertrag nicht, auch der „volonté générale“ kann nicht als Legitimation von Macht und Zwang gegenüber mündigen Individuen geltend gemacht werden. Jeder gehört sich selbst, kollektive Machtausübung gegen den Willen des Individuums ist nicht tolerierbar. Oder denken Sie, dass irgendjemand besser weiss, was für Sie gut ist? Diese auf freiwilligen Verträgen basierende spontane Ordnung (vgl. auch Mises) wäre eine Alternative zum System „Staat“. Kein privatrechtlicher Sicherheitsdienstleister kann den Preis machen, jedoch keine Leistung garantieren. Sie würden einen solchen Vertrag nicht unterzeichnen. Der Staat macht das. Er bestimmt den Preis (Steuern), garantiert jedoch keine Leistung. Mehr noch: Wenn er mal Leistung von dem gestohlenen Geld zurückgibt, dann tut er das mit grossem Gebrüll unter dem Ausdruck des „Sozialstaates“ – und Sie haben das Ganze nicht mal unterschrieben, da es auch keinen Vertrag dazu gibt. In einer Privatrechtsgesellschaft würde die Leistung (Sicherheit) definiert werden, der Preis pro Einheit Sicherheit würde zweifelsohne fallen, es gäbe keine planwirtschaftliche Unter- oder Überproduktion von Sicherheit, da die Produzenten von Sicherheit im Wettbewerb unter einander stehen. Zudem ist Sicherheit ein Gut, welches mit anderen Gütern konkurriert, denn wenn Sie mehr Geld für Sicherheit ausgeben, haben Sie, unter Annahme von Knappheit hinsichtlich des Gutes „Geld“, weniger Geld für andere Güter übrig. Sie werden also entsprechend Ihren individuellen Präferenzen Sicherheit nachfragen, die einen mehr, die anderen weniger. So kriegt jeder soviel Sicherheit, wie er auch nachfragt und bezahlt nicht für nicht nachgefragte Sicherheit. Eine effiziente Allokation, gerechter geht es nicht.

Gäbe es auf der Produktion von Sicherheit kein staatliches Monopol, so gäbe es auch keine Beamten oder Polizisten, die mittels Ihren Steuern fürs Nichtstun bezahlt werden. Im System „Staat“ muss ein Polizist keine Verbrecher jagen, denn er kann ja bequem Strafzettel verteilen, bis der Feierabend naht. Zudem werden im Staat die Opfer von Verbrechen nicht entschädigt, schlimmer noch, das Opfer (Bürger) bezahlt mit seinen Steuern ja noch die Unterbringung des Verbrechers. Ein privatrechtlicher Anbieter von Sicherheit wäre im Gegensatz zum Staat an Prävention sehr interessiert, denn er muss im Schadensfalle bezahlen. Folglich würde er vorbeugende Massnahmen zur Verbrechensvorbeugung unterstützen, ein Staat tut so was nicht. Er würde auch eher die Diebesbeute zurückführen, denn dann müsste er weniger Schadensersatz bezahlen. Private Anbieter von Sicherheit wären sogar friedensfördernd, denn eine Privatperson würde keinen grossangelegten Krieg gegen andere Völker führen, da er es selbst bezahlen müsste, die Option von Steuereinnahmen und Geldausweitung über die Zentralbanken zur Kriegsfinanzierung hat er nicht. Staaten sind viel aggressiver, da die Aggressoren die Kosten nicht selber tragen müssen, das Volk bezahlt die Kosten und die Bürger verlieren unfreiwillig ihren Kopf auf dem Schlachtfeld, nicht die Aggressoren.

Hoppe schloss sein Referat mit einigen Ausführungen zu privaten Rechtssprechern. Diese könnten verschiedene Rechtsnormen anbieten, so könnten Muslime ihr Rechtssystem nachfragen, Juden ihre Rechtssprechung. Bei Konflikten zwischen den jeweiligen Rechten würden unabhängige Schlichtungen entstehen, die ebenfalls in Konkurrenz stehen. Eine universelle, internationale Rechtssprechung würde sich etablieren, richterlicher Ermessen auf ein Minimum begrenzt. Wenn diese Schlichtungsstellen scheitern, würden sie in einem nächsten Fall nicht wiedergewählt und verschwinden vom Markt, diejenigen die im Sinne der beiden Streitparteien schlichteten, werden am Markt bestehen können.

Zu Prof. Dr. Hans Hermann Hoppe:

Professor Hoppe geht in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit anders vor als viele liberale Ökonomen. Seine Vordenker wie etwa Locke, Hayek, Buchanan, Mises und Rothbard beschrieben jeweils den Status Quo und was man daran verbessern könnte. Hoppe geht weiter, er verknüpft sein Wissen in Ökonomie, Soziologie und Staatsrecht und gibt eine Alternative zur aktuellen Staatsform. Dafür erntet er bei vielen liberalen Zeitgenossen viel Ansehen, jedoch auch bei Einigen Missachtung. Minarchistisch veranlage Denker (Minimalstaatler) halten seine Ansicht für eine reine Utopie, zu stark verankert ist der Etatismus. Die legitime Kritik vieler ist, dass eine Privatrechtsgesellschaft eine neue Art Mensch vorausschickt. Einen aufgeklärten, mündigen, eigenverantwortlichen Menschen. Hoppe geht in seiner Argumentation apriorisch vor, er folgt der bei den Anhängern der Österreicher Schule der Nationalökonomie üblichen Praxeologie. Für Hoppe muss nicht alles empirisch gesichert sein, solange es der Logik entspricht. Dies wird hinsichtlich ökonomischer Problemstellungen von Liberalen unterstützt, stellt jedoch bei gesellschaftspolitischen, nicht apriorisch erforschbaren Sachverhalten ein Angriffpunkt für viele dar. Viele schrecken Hoppes Ausführungen ab, die meisten jedoch, weil sie ihn nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Denn: Hoppe denkt anders, Hoppe denkt zu Ende.

Quelle: freitum
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