Ramin Peymani (liberale warte)
Nun hat also auch Deutschland seine Corona-Warn-App. Island und Spanien hatten bereits im April entsprechende Mobilfunkanwendungen gestartet, während Italien seit Anfang Juni eine Corona-App anbietet, die allerdings noch nicht landesweit im Einsatz ist. In vielen anderen europäischen Ländern befinden sich die Infektionsverfolgungs-Apps in der Entwicklungs- oder Testphase. Dabei zeichnet sich trotz aller öffentlicher Bekundungen ab, dass einige Staaten ihr eigenes Süppchen kochen. Ein einheitlicher Standard, der Voraussetzung für eine länderübergreifende Kompatibilität wäre, liegt in weiter Ferne. Vor allem Frankreich schert aus, will man die Krise doch offenbar dazu nutzen, Europa einmal mehr die eigenen Vorstellungen aufzuzwingen. Der Wildwuchs macht zum wiederholten Mal das Hauptproblem der Europäischen Union deutlich, die regelmäßig dort versagt, wo es auf eine Zusammenarbeit ankommt. Doch ganz gleich, ob es gelingt, sich auf einen EU-Standard zu einigen, ist der tatsächliche Nutzen des millionenschweren Aufwands zweifelhaft. Ein Blick nach Australien, wo eine Corona-App seit Ende April im Einsatz ist, sorgt für Ernüchterung: Obwohl ein Viertel aller Bürger, vor allem jene in den großen Städten, „COVIDSafe“ auf ihrem Smartphone nutzen, stellte das öffentlich-rechtliche Fernsehen unlängst fest, dass mit Hilfe der Anwendung bislang keine Infektion identifiziert werden konnte, die nicht auch auf herkömmlichen Weg bekannt geworden war. Ähnlich ist es in Island, obwohl mehr als 40 Prozent der Einwohner die dortige Anwendung installiert haben. Die deutsche App ist daher teurer Aktionismus und kommt außerdem Monate zu spät.
Man wird sich hierzulande von den enttäuschenden Erfahrungen der anderen Länder kaum abkoppeln können
In Spanien, einem der europäischen Hotspots, findet die Corona-Anwendung hingegen kaum Zulauf. Hätte man in einem Land, das erst jetzt den 14 Wochen andauernden Corona-Notstand aufgehoben hat, einen wahren Ansturm auf die seit zwei Monaten verfügbare App erwarten können, dümpeln die Nutzerzahlen im lustlosen Bereich. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass man sich mit vollem Namen und Reisepassnummer registrieren muss. Vor allem Sicherheitsbedenken und die Sorge vor der Preisgabe persönlicher Daten halten viele Menschen von der App-Nutzung ab. In Deutschland ist die Software unterdessen bereits mehr als zehn Millionen Mal auf Handys installiert worden, wie das Bundesgesundheitsministerium nun stolz verkündete. Das ist mehr als in der ganzen Europäischen Union zusammen. Dennoch wird man sich auch hierzulande von den enttäuschenden Erfahrungen anderer Länder kaum abkoppeln können. Die App dürfte – wie so viele Kopfgeburten der Politik – an der Lebenswirklichkeit scheitern, da sie ihren Zweck nur dann erfüllt, wenn jemand ein kompatibles Smartphone besitzt, seinen Status (korrekt) erfasst, sein Handy immer bei sich führt und Bluetooth stets aktiviert hat. Ist auch nur eine Voraussetzung nicht erfüllt, klappt es nicht. Dazu kommt, dass die Zahl derer, die die App wegen älterer Geräte gar nicht erst installieren können, in die Millionen geht. Für diese Menschen hat Dorothee Bär nur Häme übrig. Die Staatsministerin für Digitalisierung glaubt, die Nutzer älterer Geräte seien „zu bequem, sich ein neues Handy zu kaufen“. Für Millionen von Rentnern, eine der großen Corona-Risikogruppen, ist dieser Zynismus ein Schlag ins Gesicht.
Vernachlässigte Nutzer dürfen nicht auf eine zeitnahe Lösung hoffen, die auf älteren Handy-Modellen funktioniert
So bleibt die App der Bundesregierung eine teure Spielerei für Millennials und deren Sprösslinge, die als Handy-Generation ihren Coffe-to-go-Shop per App auswählen und auf Workout Tracker abfahren, die ihnen per Smartphone eine verbesserte Fitness versprechen. Auch einige Neugierige dürften die Anwendung heruntergeladen haben, sich jedoch angesichts des unspektakulären Nutzererlebnisses bald wieder von ihr verabschieden, weil sie sich mehr erhofft hatten. Der große Rest der 58 Millionen Smartphone-Besitzer wird aus den unterschiedlichsten Gründen darauf verzichten, das Programm zu installieren. Dabei dürfen jene, die durchaus zum Mitmachen bereit wären, nicht auf eine zeitnahe Lösung hoffen, die auf ihrem älteren Handy-Modell funktioniert. Dafür wird die App in Kürze auch in türkischer Sprache verfügbar sein, ebenso auf Französisch, Arabisch, Russisch und Rumänisch. Für Zuwanderer tut man eben alles – koste es, was es wolle. A propos Kosten: Satte 68 Millionen Euro sind bis Ende 2021 für die Corona-Warn-App veranschlagt. Den Löwenanteil von 50 Millionen Euro verschlingt T-Systems, eine Tochtergesellschaft der Telekom. Ob auch die Regierenden die App brav nutzen, ist übrigens nicht bekannt. Sie scheinen sich ohnehin für ihre eigenen Corona-Regeln nicht sonderlich zu interessieren. So traf sich die Kanzlerin unlängst zum maskenfreien Gruppenkuscheln mit den Ministerpräsidenten und saß Winfried Kretschmann ohne Mund-Nasen-Schutz seelenruhig in einer vollen Abflughalle. Zu stören scheint all das eine Gesellschaft nicht, die zwar Gefallen an der Maskerade gefunden hat und nicht genug von Vorschriften bekommen kann, Technik aber skeptisch gegenübersteht. Im Falle der Corona-App dürfte die Skepsis nicht unbegründet sein.
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