Redaktion infosperber
Als «Akt der Selbstverteidigung» griffen die USA am 7. Oktober vor 22 Jahren Afghanistan an. Der Krieg forderte 240’000 Tote.
upg. Bis heute gibt es keinen Beweis dafür, dass Al-Qaida hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckt oder dass Afghanistans Regierung die Fäden zog. Die USA vernebelten den Einmarsch in Afghanistan nicht mit dem Ausdruck «Sonderoperation» wie Russland den Angriff auf die Ukraine, sondern sie sprachen von einer «Kampagne gegen islamische Terroristen».
Nach dem erfolgreichen Regime-Wechsel in Kabul verkündete US-Präsident George W. Bush der Welt: «Jetzt sind alle diese unterdrückten, voll verschleierten Frauen endlich frei.»
Juristisch begründeten die USA den Angriff damit, dass die Anschläge vom 11. September einen «bewaffneten Angriff» einer ungenannten ausländische Macht darstellten. Dieser erlaube es dem angegriffenen Staat, im Namen der «Selbstverteidigung» zurückzuschlagen. Die USA stützten sich auf Artikel 51 der UNO-Charta, die das individuelle oder kollektive Recht auf Selbstverteidigung vorsieht.
Hinter den Anschlägen würde «Al-Kaida» stecken, die von Afghanistan unterstützt würden, behauptete die US-Regierung.
Der Beweis dafür wurde nie erbracht. In den Wochen nach dem 11. September 2001 bot die afghanische Regierung zweimal an, Osama bin Laden an die US-Justiz auszuliefern, sofern die USA starke Indizien für seine Beteiligung an den Anschlägen vorlegen. Washington lehnte diese Angebote ab.
Während des Anschlags von 9/11 hatte sich der von einer Nierenkrankheit gezeichnete Osama bin Laden in einem Militärspital in Pakistan aufgehalten. Mindestens operationell war er nicht beteiligt.
240’000 Todesopfer
Der Krieg kostete 240’000 Menschen das Leben. Am meisten betroffen waren afghanische Kämpfende und Zivilpersonen. Wegen des Kriegs musste eine halbe Million der rund 35 Millionen Einwohner ihre angestammten Orte innerhalb des Landes verlassen. Viele weitere verliessen das Land Richtung Europa.
US-Kolumnist William Pfaff sollte recht bekommen. Bereits kurz nach dem US-Angriff auf Afghanistan schrieb er in der «International Herald Tribune»: «Statt den Terrorismus zu attackieren wird nun Afghanistan attackiert, denn Afghanistan ist militärisch angreifbar, nicht der Terrorismus.» Der Terrorismus werde nicht durch ein Land verkörpert: «Der Terrorismus ist nur eine aggressive politische Aktionsform, mit politischen Motiven und Zielen, die in der Geschichte immer wieder vorkommt.»
Anstatt politische Lösungen zu suchen, setze man auf brutale Gewalt und stütze sich auf Verbündete, die sich gerade anböten, auch wenn dadurch in Afghanistan chaotische Verhältnisse zu entstehen drohten und der Krieg gegen den Terrorismus im Sande verlaufe. «Die Ursachen für Terrorismus bleiben bestehen, denn sie sind politischer Natur», meinte Pfaff damals. «Afghanistan und die Afghanen stellen keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar, aber sie sind es, die die ganze Wucht des amerikanischen Zorns (nach 9/11) zu spüren bekommen. Die Prioritäten der US-Regierung sind auf den Kopf gestellt.»
2260 Milliarden Dollar Kriegskosten oder 40‘000 Dollar für jeden Einwohner Afghanistans
Seit dem 18. September 2001 bis zum überhasteten Abzug aus Kabul haben die USA insgesamt 2,26 Billionen Dollar (2260 Milliarden) für den Afghanistan-Krieg ausgegeben, 300 Millionen Dollar pro Tag. Das entspricht etwa 40‘000 Dollar für jeden Einwohner Afghanistans, rechnete «Forbes» nach Zahlen des Projekts «Costs of War» der Brown University Rhode Island vor. Die Kosten der Evakuierung aus Afghanistan sind darin noch nicht eingeschlossen.
Statt Krieg zu führen, hätten die USA jedem Einwohner 40’000 Dollar auszahlen können. Mit einem solchen Geschenk des Himmels hätten sich weniger Männer von den Taliban oder Al-Kaida rekrutieren lassen und der Konsum hätte die Wirtschaft angekurbelt.
«Costs of War» rechnete mit noch höheren Summen, wenn Folgekosten wie die Versorgung von Veteranen oder Zinszahlungen dazugezählt werden. 800 Milliarden Dollar flossen in die direkte Kriegsführung in Afghanistan und 85 Milliarden Dollar in die Ausbildung der afghanischen Armee.
Aus dieser Perspektive war der Afghanistan-Krieg ein finanzielles Desaster. Wechselt man die Sichtweise, war er für US-Unternehmen ein lukratives Geschäft.
Dass Kriege die Wirtschaft ankurbeln, ist eine alte Weisheit. Der US-Börsenindex «Standard and Poor’s 500», kurz S&P 500, zu dem 500 grosse US-Unternehmen gehören, versechsfachte sich seit dem 18. September 2001, dem Tag der Kriegsankündigung durch US-Präsident George W. Bush, bis 2021.
Profitiert haben die grossen Waffenschmieden
Die grossen Waffenkonzerne sind Teil des S&P 500 und hatten einen besonders guten Lauf. Der Wert von Northrop Grumman und des weltweit grössten Waffenherstellers Lockheed Martin hat sich bis 2021 verzwölffacht, der von Boeing verzehnfacht, die Aktie von General Dynamics war sechsmal so viel wert wie 20 Jahre vorher. Ausser Boeing erhalten diese Unternehmen den grössten Teil ihres Einkommens von der US-Regierung.
Private Sicherheitsdienste kassierten, Exxon lieferte den Sprit
Profitiert haben auch Unternehmen wie der Sicherheitsdienstleister DynCorp International, der 2,5 Milliarden Dollar bekam, um afghanische Polizeikräfte auszubilden, und der texanische Anlagenbauer Fluor Corporation. An die Fluor Corporation bezahlte das US-Verteidigungsministerium 3,8 Milliarden Dollar, den grössten Teil davon für Logistikaufgaben, die das Unternehmen für das US-Militär auch in anderen Ländern wahrnimmt.
DynCorp, das der Kapitalgesellschaft Cerberus Capital Management gehört, finanziert sich laut dem US-Magazin «Daily Beast» fast ausschliesslich durch US-Staatsgelder. Das Unternehmen nahm in Afghanistan auch andere Aufgaben wahr, es stellte beispielsweise die Bodyguards für den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und managte Bauprojekte. Es kam bei DynCorp mehrmals zu Unregelmässigkeiten, von denen einige nicht vollständig aufgeklärt wurden.
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Der zweite Teil dieses Beitrags stammt aus dem Beitrag «Wer vom Afghanistan-Krieg profitierte» von Daniela Gschweng.
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