Der hybride Krieg 2.0 gegen den Globalen Süden hat noch nicht einmal begonnen. Aber die Wackelstaaten wurden alle gewarnt. Unterdessen geht die De-Dollarisierung des Globalen Südens unerbittlich weiter – sosehr auch die Kriegshyänen im Dunkeln heulen mögen.
Eine Analyse von Pepe Escobar (rtdeutsch)
Die Schmierfinken in der Unterwelt der US-Denkfabriken sind nicht gerade mit dem Philosophen Michel de Montaigne vertraut, der gesagt haben soll: „Selbst auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir bloß nur auf unserem eigenen Hintern.“
Der Hochmut der oben genannten Protagonisten lässt vermuten, dass sie glauben, ihre eigenen schlaffen Hintern säßen weit über jenen aller anderen. Das Ergebnis daraus ist, dass eine typische Mischung aus Arroganz und Ignoranz letztlich immer die Vorhersehbarkeit ihrer Prognosen entlarvt.
Die Unterwelt der US-Denkfabriken – berauscht von ihrer selbst erschaffenen Aura der Macht – verkündet stets im Voraus, was man vorhat. Das war beim Projekt 9/11 der Fall, als im Vorfeld hinausposaunt wurde, dass man „ein neues Pearl Harbor“ brauche. Das war bei der RAND-Denkschrift der Fall, in der man propagierte, dass man „Russland überdehnen und aus dem Gleichgewicht bringen“ müsse. Und das ist auch jetzt bei den sich entwickelnden Ereignissen der Fall: dem US-Krieg gegen die BRICS, wie er vom Vorsitzenden der in New York ansässigen Eurasia Group dargelegt wird.
Es ist immer schmerzhaft, sich durch die intellektuell oberflächlichen feuchten Träume aus der Unterwelt der Denkfabriken zu quälen, die als „Analysen“ getarnt daherkommen, aber in diesem speziellen Fall müssen sich wichtige Akteure des globalen Südens genau darüber im Klaren sein, was sie erwartet. Und wie vorherzusehen war, dreht sich die ganze „Analyse“ um die bevorstehende verheerende Demütigung der USA und ihrer Vasallen: Mit dem, was als Nächstes im „Land 404“ passieren wird, das – vorerst – auch als Ukraine bekannt ist.
Brasilien, Indien, Indonesien und Saudi-Arabien werden als „vier großen Zaungäste“ abgetan, wenn es um den Stellvertreterkrieg der USA und der NATO gegen Russland geht. Es ist immer dasselbe Spiel: „Entweder ihr seid für uns oder gegen uns.“ Doch dann werden uns die sechs „Hauptschurken“ des Globalen Südens präsentiert: Brasilien, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei.
In einem groben und engstirnigen Aufguss eines Schlagwortes, das aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf stammt, werden diese Länder als die wichtigsten „Swing States“ bezeichnet – Wackelstaaten –, die umgarnt, überredet, eingeschüchtert oder bedroht werden müssen, damit sich die USA ihre Dominanz in der „regelbasierten internationalen Ordnung“ sichern können.
Das Manifest über diese Wackelstaaten stellt fest, dass sie alle Mitglieder der G20 sind und „sowohl in der Geopolitik als auch in der Geoökonomie aktiv sind“. Ach nein, wirklich? Das sind jetzt aber brandaktuelle Neuigkeiten. Was jedoch nicht erwähnt wird, ist, dass drei dieser Staaten – Brasilien, Indien und Südafrika – Mitglieder der BRICS und die anderen drei ernsthafte Kandidaten für den Beitritt zu BRICS+ sind. Die Beratungen über deren Beitritt werden beim bevorstehenden BRICS-Gipfel im August in Südafrika intensiviert. Es ist also klar, worum es im Manifest über die Wackelstaaten geht: Es ist ein Ruf zu den Waffen für einen US-Krieg gegen die BRICS.
Die BRICS haben also nichts zu bieten?
Das Manifest birgt den feuchten Traum von einer Verlagerung dieser Staaten weg von China. Aber das ist Unsinn: Von nun an wird ein vertiefter Handel zwischen den BRICS+-Staaten an der Tagesordnung sein, insbesondere mit einer ausgeweiteten Praxis des Handels in den jeweiligen nationalen Währungen – siehe der Handel zwischen Brasilien und China oder innerhalb der ASEAN –, dem ersten Schritt in Richtung einer umfassenden De-Dollarisierung.
Gleichzeitig werden diese Wackelstaaten nicht als eine „Wiederbelebung der Bewegung der Blockfreien Staaten oder anderer vom Globalen Süden dominierter Gruppierungen wie die G77 und die BRICS“ charakterisiert. Aber das ist exponentieller Unsinn.
Hier dreht sich alles um die BRICS+, die nun über jene Werkzeuge verfügen – einschließlich der New Development Bank und der BRICS-Bank –, um das zu tun, was die Bewegung der Blockfreien Staaten während des Kalten Krieges nie erreichen konnte: einen Rahmen für ein System zu schaffen, mit dem das alte System von Bretton Woods – und die damit verbundenen ineinandergreifenden Zwangsmechanismen des Hegemonen – umgehen werden kann. Was die Aussage angeht, dass die BRICS-Staaten „nicht viel Durchschlagskraft haben“, zeigt nur die kosmische Ahnungslosigkeit in der Unterwelt der US-Denkfabriken darüber, worum es bei den BRICS+ wirklich geht.
Die Position Indiens wird nur im Hinblick auf seine Mitgliedschaft beim quatrilateralen Sicherheitsdialog (QUAD) mit den USA, Australien und Japan berücksichtigt – ein sicherheits- und militärpolitisch ausgerichteter Zusammenschluss, der als eine „von den USA angeführte Bemühung, ein Gleichgewicht mit China herzustellen“ definiert wird. Pardon, Korrektur: um China einzudämmen.
Was die „Wahl“ der Wackelstaaten zwischen den USA und China in Bezug auf Halbleiter, KI, Quantentechnologie, 5G und Biotechnologie angeht, geht es nicht um eine „Wahl“, sondern darum, inwieweit diese Länder in der Lage sind, dem Druck der USA zu widerstehen, die chinesische Technologie zu verteufeln. Der Druck auf Brasilien beispielsweise ist viel größer als auf Saudi-Arabien oder Indonesien.
Am Ende läuft jedoch alles auf die derzeitige Obsession der Neokonservativen hinaus: auf die Ukraine. Die Wackelstaaten haben sich in unterschiedlichem Ausmaß „schuldig“ gemacht, sich den Sanktionen gegen Russland zu widersetzen und/oder sie zu untergraben. Der Türkei wird beispielsweise vorgeworfen, Güter mit doppelter Verwendungsfähigkeit (Dual-Use) nach Russland zu schleusen. Kein Wort darüber, dass das US-Finanzsystem türkische Banken brutal dazu gezwungen hat, die Einführung des russischen Zahlungssystems MIR einzustellen.
Was Wunschdenken betrifft, so sticht folgende Perle unter vielen heraus: „Der Kreml scheint zu glauben, dass er seinen Lebensunterhalt damit verdienen kann, seinen Handel nach Süden und nach Osten zu verlagern.“ Nun, Russland macht in ganz Eurasien und in weiten Teilen des Globalen Südens bereits hervorragende Geschäfte.
Die russische Wirtschaft ist wieder angelaufen, wobei die maßgeblichen Treiber Inlandstourismus, Maschinenbau und Metallindustrie sind. Die Inflation liegt bei nur 2,5 Prozent und somit weit niedriger als sonst wo in der EU. Die Arbeitslosigkeit beträgt nur 3,5 Prozent, und die Chefin der russischen Zentralbank Elwira Nabiullina sagte voraus, dass das Wachstum der russischen Wirtschaft bis 2024 wieder das Niveau vor der militärischen Operation in der Ukraine erreichen wird.
Die Unterwelt der US-amerikanischen Denkfabriken ist von Natur aus nicht in der Lage zu verstehen: Selbst, wenn die Staaten der BRICS+ noch einige ernsthafte Probleme bei den Handelskrediten auszubügeln haben, hat Moskau bereits gezeigt, dass eine implizite harte Unterstützung einer Währung zu einer umgehenden Wende im Spiel führen kann. Zudem unterstützt Russland nicht nur den Rubel, sondern gleichzeitig auch den chinesischen Yuan.
Unterdessen zieht die Karawane der De-Dollarisierung unbeirrt weiter – sosehr auch die Kriegshyänen im Dunkeln heulen mögen. Wenn sich das volle – und erschütternde – Ausmaß der Demütigung der NATO in der Ukraine entfaltet haben wird, voraussichtlich im Hochsommer, werden die Plätze im Hochgeschwindigkeitszug zur De-Dollarisierung wohl ausgebucht sein.
Das Comeback des „Angebots, das Sie nicht ablehnen können“
Als ob all das bereits Genannte nicht schon albern genug wäre, eröffnet das Manifest über die Wackelstaaten zusätzliche eine nukleare Front und wirft diesen Ländern vor, „zu potenziellen Risikostaaten bei der nuklearen Weiterverbreitung“ zu werden, insbesondere – wer sonst – dem Iran. Russland wird in diesem Manifest übrigens als „Mittelmacht im Niedergang“ definiert, das obendrein „hyperrevisionistisch“ ist. Oh je. Mit solchen „Experten“ brauchen die USA keine Feinde.
Das „Angebot, das Sie nicht ablehnen können“ – ganz im Stil der Mafia – an die Wackelstaaten beinhaltet, dass sie sich nicht einer „von China gelenkten und von Russland unterstützten Organisation anschließen können, die sich aktiv gegen die Vereinigten Staaten stellt“. Die Botschaft ist unmissverständlich: „Die Gefahr einer chinesisch-russischen Kooptierung der erweiterten BRICS-Staaten – und damit des globalen Südens – ist real und muss angegangen werden.“
Und hier sind die US-Rezepte, um das Problem anzugehen: die Wackelstaaten zu Treffen der G7 einzuladen – der letzte Versuch war ein kläglicher Fehlschlag. Mehr hochrangige Besuche wichtiger US-Diplomaten – willkommen bei Victoria „Fuck the EU“ Nuland. Und nicht zuletzt die Anwendung reinster Mafia-Taktiken, wie etwa einer „flexibleren Handelsstrategie, mit der der Zugang für die Wackelstaaten zum US-Markt erleichtert wird“.
Im Manifest über die Wackelstaaten konnten die Autoren am Ende nicht anders, als die fette Katze aus dem Sack zu lassen, indem sie vorhersagten – oder eher darum beteten –, dass „die Spannungen zwischen den USA und China dramatisch zunehmen und sich in eine Konfrontation im Stil des Kalten Krieges verwandeln werden“. Aber das geschieht bereits – losgetreten durch die USA.
Was wäre also die Folgemaßnahme? Die heißbegehrte und zu Tode gesponnene Idee der „Entkopplung“, mit der die Wackelstaaten gezwungen wären, sich „sich enger an die eine oder an die andere Seite anzulehnen“. Hier ist sie wieder, die alte Leier: „Entweder ihr seid für uns oder gegen uns.“ Hier haben wir es also, schwarz auf weiß, roh und ungeschminkt – mit angehängten verschleierten Drohungen.
Der hybride Krieg 2.0 gegen den Globalen Süden hat noch nicht einmal begonnen. Aber die Wackelstaaten wurden alle gewarnt.
Aus dem Englischen.
Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt „Raging Twenties“ (Die wütenden Zwanziger). Man kann ihm auf Telegram und auf Twitter folgen.
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