Ein Kommentar von Hermann Ploppa (apolut)
In den unfreiwillig veröffentlichten Gesprächen der vier ertappten Luftwaffenoffiziere findet sich ein bislang unbeachteter Skandal: die geplante Atombewaffnung der amerikanischen F-35-Bomber in Büchel wird wesentlich teurer als erwartet und vernichtet die letzten Reste deutscher Souveränität.
Mittlerweile sind die Einzelheiten des veröffentlichten Offiziersgesprächs über den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine bekannt geworden. Wir sind Zeugen, wie deutsche Luftwaffenoffiziere in der größten Selbstverständlichkeit die Zerstörung ziviler Infrastruktur in Russland erörtern. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob die Führungsoffiziere der Bundesluftwaffe an der deutschen Regierung vorbei ihre Planungen entwickelt haben. Oder ob sie womöglich sogar nach direkter Absprache mit US-amerikanischen Luftwaffenoffizieren technische Einzelheiten eines Angriffs auf Russland diskutiert haben – und dann erst die Bundesregierung informieren wollten. Verteidigungsminister Boris Pistorius hält sich in dieser Frage bislang bedeckt.
Denn eigentlich wollte der oberste Chef der Bundesluftwaffe, der Inspekteur und Generalleutnant Ingo Gerhartz, zusammen mit seinen beiden Untergebenen, Oberstleutnant Udo Fenske und Oberstleutnant Sebastian Florstedt, den Verteidigungsminister mit griffigen Argumenten für Taurus versorgen. Gestärkt mit diesen Argumenten sollte Pistorius sodann Bundeskanzler Scholz doch noch überzeugen, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu entsenden. Doch am Anfang des veröffentlichten Taurus-Gespräches muss Gerhartz seinen Untergebenen mitteilen, dass sie wohl ohne ihn zum Pistorius pilgern müssten:
„…es könnte jetzt doch durchaus sein, ähm, dass ich vielleicht gar nicht dabei bin. Sondern ich muss eventuell in den Haushaltsausschuss, weil wir ja noch so ein kleines Issue haben mit ’ner … Preissteigerung der … F-35-Infrastruktur in Büchel, was mega sauärgerlich ist, weil es ist nicht wirklich ’ne Preissteigerung, sondern [Name der Person nicht verständlich] hat einfach zu niedrig geschätzt, ähm, und jetzt haben die Firmen halt ihre Angebote abgegeben und die liegen weit drüber über das <sic!> was [Name unverständlich] geschätzt hat. Und jetzt ist natürlich der Ärger groß. Ähm … Und ich hab denen jetzt gesagt, dass müssen sie jetzt selber wissen. Ob ich mit euch mitgehen soll oder ob ich in den Haushaltsausschuss gehen soll.“ <1>
Die Bestückung der deutschen Luftwaffe mit schweren Atomwaffen ist ein Herzensanliegen von Generalleutnant Ingo Gerhartz. So wusste die Bild-Zeitung im Sommer 2022 Gerhartz mit den Worten zu zitieren: „Für eine glaubhafte Abschreckung brauchen wir sowohl die Mittel als auch den politischen Willen, die nukleare Abschreckung nötigenfalls umzusetzen.“ <2> „Nötigenfalls umzusetzen“ – wie hoch die Hürde sein soll, um Russland mit Atombomben anzugreifen, das bleibt unklar. Auf dem Luftwaffenstandort Büchel in Rheinland-Pfalz sind US-amerikanische Atombomben gelagert. Im Falle eines NATO-Kriegseinsatzes gegen ein drittes Land dürfen die Bomber der deutschen Luftwaffe mit diesen amerikanischen Atombomben bestückt werden. Diesen Vorgang nennt man „nukleare Teilhabe“. Denn es ist aus geschichtlichen Erfahrungen heraus bislang nicht erlaubt, dass Deutschland selber eigene Atomwaffen produziert. Aber als Subunternehmer der USA dürfen die deutschen Flieger-Asse nun wieder gen Osten ziehen.
Und um diese von Gerhartz und seinen Freunden so begehrte „nukleare Teilhabe“ auch dauerhaft behalten zu dürfen, muss Deutschland den Nachweis führen, über geeignete Träger-Flugzeuge zu verfügen, die eine zielgenaue Platzierung der Atombomben im Feindesland auch gewährleisten. Bis jetzt erfüllen diese anspruchsvolle Aufgabe Flugzeuge der Marke Panavia 200 Tornado aus deutsch-englisch-italienischer Produktion. Doch diese europäischen Düsenjäger des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 gelten mittlerweile als veraltet. Bundesregierung und Bundestag haben sich für den amerikanischen Tarnkappenbomber F-35 der Firma Lockheed als geeigneten Nachfolger des Tornados entschieden. Insgesamt 35 Exemplare der F-35 sollen ab 2027 bei der Bundeswehr eingesetzt werden. Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch die Luftwaffenbasis Büchel komplett umgebaut werden. Und die Wirtschaftswoche weiß nun zu berichten, dass dieser Umbau der Infrastruktur von Büchel statt der zunächst veranschlagten 600 Millionen Euro jetzt glatt das Doppelte, nämlich 1,2 Milliarden Euro kosten soll <3>. Eine entsprechende Regierungsvorlage wurde dem Haushaltsausschuss vor kurzem zugeschickt – zunächst vertraulich, wie die Wirtschaftswoche weiß. Peinlich peinlich. Und deswegen muss Ingo Gerhartz jetzt an die Front des Haushaltsausschusses eilen und für diesen Patzer gut Wetter machen. Schuld an der Kostenexplosion sei das Land Rheinland-Pfalz, dessen Planungsbehörde personell unterbesetzt sei. Deswegen müsse nun ein privater Anbieter die Planung übernehmen, was eben doppelt so teuer sei wie ursprünglich geplant.
Tarnkappenflieger F-35 für Deutschland zum Wucherpreis
Doch der Lockheed F-35 verursacht schon in den USA genug Ärger. In Übersee sind nämlich bereits 450 Exemplare der F-35 im Einsatz, und die Erfahrungen mit dem angeblich modernsten Kampfjet der Gegenwart sind nicht immer schmeichelhaft. Trotzdem will die US-Luftwaffe irgendwann 2.500 Exemplare des F-35 im Einsatz halten. Die amerikanische Entsprechung zum Bundesrechnungshof, das US Government Accountability Office (GAO), rechnet vor, dass die amerikanischen Steuerzahler alleine für die Instandhaltung dieser Blechvögel die stolze Summe von 1,3 Billionen US-Dollar berappen müssen <4>. Nur etwa die Hälfte der im Dienst befindlichen F-35 sind tatsächlich einsatzbereit. Die Luftwaffe befindet sich bei Wartung und Instandsetzung in einer bedenklichen Abhängigkeit von privaten Unternehmen. Etliche Bruchlandungen mit diesem futuristischen Tarnkappenbomber sind zu beklagen. Zudem konnte sich neulich ein Pilot nach einer technischen Panne mit dem Schleudersitz retten. Die Reste der herrenlosen F-35 wurden dann in South Carolina auf einem Acker gefunden <5>.
All diese Vorkommnisse haben den Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages nicht davon abhalten können, im Dezember des Jahres 2022 dem Ankauf von 35 Exemplaren des F-35 zuzustimmen. Einstweiliger Paketpreis: zehn Milliarden Euro. Das Nachrichtenmagazin Focus hat damals ausgerechnet, dass auf diese Weise jedes Einzelexemplar des F-35 den deutschen Steuerzahler mit 286 Millionen Euro zu stehen kommt <6>. Das ist schon bemerkenswert. Denn die Amerikaner zahlen dem Konsortium Lockheed pro Blechvogel gerade einmal 75 Millionen Dollar <7>. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der deutsche Steuerzahler für dasselbe Flugzeug etwa dreieinhalb mal mehr bezahlen soll als die US-Amerikaner. Die deutschen Politiker als Hans im Glück? Mittlerweile haben die Amerikaner als kleine Kompensation für diesen obszönen Wucherpreis die Deutschen als Subunternehmer mit ins Boot genommen. Denn jetzt darf der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall gewisse Rumpfteile des Tarnkappenjets F-35 in einer neuen Fertigungshalle im nordrhein-westfälischen Weeze anfertigen <8>. Zunächst war Sachsen vorgesehen als Standort für die neue Rheinmetall-Fabrik <9>.
Doch geht es ja auch um die Souveränität bei der Technik. Hier nimmt schon seit Jahren der Trend Fahrt auf, den Deutschen US-Waffensysteme zu verkaufen, über deren Funktionsweise die Deutschen nichts erfahren dürfen. Diese „Black Boxes“ dürfen nur die amerikanischen Techniker öffnen. Das erzürnt zu Recht auch den Autor eines Focus-Artikels:
„Am allerschlimmsten dabei: Wartung und Upgrades der F-35 sollen ausschließlich von den US-Rüstungskonzernen vorgenommen werden, so dass Deutschland weder einen Einblick noch gar eine Teilhabe an der Technik („Intellectual Property“, IP) der Flieger erhält und damit einen ganzen Generationszyklus technologisch abgehängt wird. Und damit bleibt Deutschland in der Wartung auch völlig abhängig vom 25 Jahre weiter andauernden Wohlwollen der USA.“ <10> Das riecht doch sehr nach einer Art von Techno-Kolonialismus. Ganz wesentlich beteiligt am Zustandekommen dieses ungleichen Geschäftes war der Generalleutnant der Luftwaffe Ingo Gerhartz. Er schwärmte denn auch bei der Pressekonferenz, wo dieser geniale Hans-Im-Glück-Deal der Öffentlichkeit präsentiert wurde, man sei bei der Beschaffung der F-35 „im Überschallbereich unterwegs“. Denn durch den amerikanischen Komplettservice sei die Bundeswehr in der Lage, bereits im Jahre 2027 mit der nächsten Flugzeug-Generation die nukleare Teilhabe für Deutschland abzusichern <11>. Immer größere Abhängigkeit Europas von amerikanischen Rüstungsimporten Der F-35-Deal ist auch ein Schlag ins Gesicht der europäischen Rüstungsindustrie. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten den politischen Willen, sich von der amerikanischen Bevormundung in der Rüstungsproduktion zu emanzipieren. In diesem Zusammenhang wurde auch der so genannte Eurofighter Typhoon von einem Konsortium aus Deutschland, Großbritannien und Italien mit viel Aufwand entwickelt. Nun gilt dieser Eurofighter im Vergleich mit dem F-35 bereits jetzt als veraltet. Deswegen arbeitet ein Konsortium aus Deutschland, Frankreich und Spanien an einem Flugsystem, das mit der F-35 technologisch mithalten kann: dem so genannten Future Combat Air System (FCAS). In variablen Ausfertigungen sollen hier bemannte Tarnkappenbomber (New Generation Fighter) mit Drohnen zusammenwirken. Bis diese Produkte ausgereift sind, können allerdings noch mal zwanzig Jahre vergehen. Allerdings würde die aktuelle Entscheidung der Bundesregierung für die F-35 die bereits jetzt sehr kostspielige Entwicklung des Future Combat Air Systems zur Makulatur degradieren. Denn wie ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik glaubwürdig darlegt, könnte eine Symbiose von F-35 und FCAS von den Amerikanern mutwillig untergraben werden:
„Vollständig voneinander trennen lassen sich der Kauf des US-Flugzeugs und die europäische Entwicklung des FCAS jedoch nicht. So ist denn auch die Frage zu klären, wie die F-35 in den Systemverbund des FCAS integriert werden soll. Um diese Integration zu ermöglichen, werden viele sensible Daten des US-Kampfjets benötigt, welche die US-Seite aktuell aber nicht teilt. Nur mit einer ausführlichen und detaillierten Dokumentation dieser Daten lässt sich gewährleisten, dass eine vollständige Integration hergestellt werden kann … Die Entscheidung zum Kauf der F-35 hat mittelfristig Folgen für die Finanzierung der Bundeswehr. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen muss der Verteidigungshaushalt deutliche Steigerungen erfahren, damit der Betrieb der aufwendigen Systeme ebenso sichergestellt werden kann wie das Training des Personals. Sonst droht ein Konflikt zwischen dem Betrieb der F-35 und der FCAS-Entwicklung, die nach aktuellen Berechnungen insgesamt 100 Milliarden Euro kosten soll.“ <12> Also hat der CDU-Rüstungsexperte Roderich Kiesewetter anscheinend gute Gründe, ein „Sondervermögen“ für die Aufrüstung in Höhe 300 Milliarden Euro zu fordern? <13> Der Betriebsrat von Airbus hat den Braten bereits gerochen und massiv gegen die Anschaffung der F-35 protestiert <14>. Es dürfte wohl klar sein, dass auf Dauer die letzten Reste europäischer Eigenständigkeit in Rüstungsfragen durch die Bevorzugung der US-Rüstungsindustrie ausgelöscht werden – und damit auch die Arbeitsplätze der Airbus-Mitarbeiter. Der aktuelle Bericht des Stockholm International Peace Research Institute zeigt ganz klar auf, dass der Anteil amerikanischer Rüstungsexporte nach Europa im Zeitraum der Jahre 2014-2018 etwa 35 Prozent betragen hat. Im Jahrfünft von 2019 bis 2023 erhöhte sich jedoch der Anteil der verkauften amerikanischen Waffen in Europa auf nunmehr 55 Prozent – Tendenz weiterhin steigend <15>. Die europäischen Steuerzahler dürfen schamlos überteuerte Rüstungsgüter aus den USA käuflich erwerben, deren Funktionsweise kein europäischer Techniker mehr versteht. Sie dürfen sodann im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ mit ihren eigenen Soldaten und dem Risiko russischer Vergeltungsschläge auf deutsche zivile Infrastruktur die Zeche zahlen für US-amerikanische Eroberungspläne auf der eurasischen Kontinentalplatte <16>. Die Taurus-Leaks haben uns gezeigt, dass offenkundig bereits jetzt deutsche Militärs an der deutschen Regierung vorbei vollendete Tatsachen schaffen wollen <17>. Wie weit sie damit kommen, bleibt abzuwarten.
Quellen und Anmerkungen
<1> https://www.anti-spiegel.ru/2024/das-transkript-des-gespraeches-der-luftwaffen-fuehrung/
<2> https://archive.is/ubuW3
<3> https://www.wiwo.de/politik/deutschland/zeitenwende-kostenexplosion-beim-f35-bomber-/29658046.html
<5> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/usa-militaer-kampfjet-100.html
<9> https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/kampfjet-rumpf-gespraeche-rheinmetall-102.html
<11> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bundestag-f35-anschaffung-100.html
<13> https://berlin247.net/read/1708666200/1194
<14> https://www.aero.de/news-45404/Airbus-Mitarbeiter-fuerchten-moeglichen-F-35-Nachkauf.html
<16> Hermann Ploppa: Der Griff nach Eurasien – Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland. Marburg 2019
<17> https://free21.org/absprachen-deutscher-generaele-mit-amerikanischen-generaelen/
Dieser Text erschien zuerst in dem Nachrichtenportal Berlin 247. Der Text wurde für Apolut leicht abgewandelt und aktualisiert. https://berlin247.net/read/1710342000/1432
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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