Was lehrt die Österreichische Schule? (Teil 1)

von Oliver Janich

Immer wieder hört man im Zusammenhang mit Bitcoin von der Österreichischen Schule der Volkswirtschaft. Doch was lehrt diese eigentlich?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in den Supermarkt, um eine Flasche Mineralwasser zu kaufen und die Verkäuferin verlangt 20 Euro. Sie würden ihr den Vogel zeigen und einen anderen Laden aufsuchen. Nun stellen Sie sich vor, Sie sind seit Tagen in der Wüste unterwegs und kurz vorm Verdursten. Hinter der nächsten Düne steht ein Beduine und bietet Ihnen eine Flasche Wasser an. Wie viel würden Sie bezahlen? Vermutlich gäben Sie Ihr ganzes Vermögen hin, wenn Sie sicher wären, damit bis zur nächsten Oase zu kommen.

In diesem Gleichnis steckt die gesamte Essenz der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Deren Vertreter gehen davon aus, dass ein Produkt keinen objektiven Wert hat, sondern dass der immer im Auge des Betrachters liegt. Soweit kann das jeder bei sich selbst überprüfen, es bedarf eigentlich keiner großen Erläuterung. Aber daraus ergeben sich eine ganze Reihe von Folgen, die so ziemlich allem widersprechen, was heutzutage an Hochschulen gelehrt und von „führenden“ Ökonomen verbreitet wird.

Von Menger bis Hayek

Jetzt, in der Finanzkrise, erlebt die auch „Wiener Schule“ genannte Philosophie eine Renaissance. Denn ihre Vertreter waren die Einzigen, welche sowohl die aktuelle als auch die 1929er-Finanzkrise vorausgesehen und eine logische Erklärung für deren Entstehung parat hatten. Als Begründer gilt Carl Menger (1840–1921), ein Wirtschaftsprofessor der Universität Wien, der erkannte, dass der wirtschaftliche Wert eines Gutes nicht objektiv messbar ist, also den Waren keineswegs als inhärenter Bestandteil anhaftet, sondern alleine dem menschlichen Gehirn entspringt.

Eugen Böhm von Bawerk (1851–1914) ergänzte Mengers Lehre durch die ebenfalls subjektivistische Kapitaltheorie, welche die Entstehung des Zinses erklärt: Der Zins ist der Preis dafür, dass derjenige, der Geld verleiht, auf gegenwärtigen Konsum verzichtet. Und dieser Zins hängt wiederum von den ganz persönlichen Einschätzungen des Einzelnen ab. Hier kommt Ludwig von Mises (1881–1973) ins Spiel, der bereits 1912, also ein Jahr vor Gründung der amerikanischen Notenbank FED, in dem Werk „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“ erklärte, warum ein staatliches Geldmonopol scheitern muss.

Friedrich August von Hayek (1899–1992) präzisierte von Mises’ Theorie und erhielt dafür 1974 schließlich den  Wirtschaftsnobelpreis. Letztendlich geht es darum: Da der Wert eines Gutes stets subjektiv ist, kann eine zentrale Planstelle den richtigen Preis dafür nicht ermitteln. Andernfalls, so Hayek, handle es sich um eine gefährliche „Anmaßung von Wissen“, das ein Bürokrat oder Politiker gar nicht haben könne, denn dann müsste er für jeden einzelnen Tag und Bürger dessen Bedürfnisse und finanzielle Möglichkeiten kennen. Das aber ist unmöglich. Informationen sind immer ungleich verteilt, Ökonomen sprechen von Informationsasymmetrie. Sie führt dazu, dass Daten einer zentralen Planstelle nicht effizient genutzt werden können („Informationsineffizienz“).

Die „unsichtbare Hand“

Heute erlässt die – nicht demokratisch gewählte – EU-Kommission bereits Gesetze für 500 Millionen Bürger  Jedes Gesetz schränkt deren Freiheit ein, Absprachen mit anderen zu treffen. Denn für freiwillige Vereinbarungen zwischen zwei Parteien braucht es keine Regel, außer jener: Keinem Dritten darf daraus ein Schaden entstehen. Das ist ganz einfach durch den Schutz von Freiheit, Leben und Eigentum jedes Einzelnen gewährleistet. Genau darauf soll sich der Staat nach Ansicht der Österreichischen Schule beschränken.

Wenn es so schwierig ist, den Wert einer Ware herauszufinden, wie soll ein Wirtschaftssystem dann überhaupt funktionieren? So schwer es für eine Planstelle ist, so einfach ist es für den Einzelnen. Er hat im Laden eine schlichte Entscheidung zu treffen. Er sieht den Preis, weiß, wie viel Geld er zur Verfügung hat, und entscheidet, ob ihm das Produkt wert ist, was es kostet. Er muss nicht wissen, unter welchen Umständen und mit welchem Mitteleinsatz das Produkt produziert wurde, diejenigen Unternehmen, die es effizient produzieren und mit Gewinn verkaufen, überleben. Die Firmen, die das nicht tun, scheiden aus dem Wettbewerb aus. Wie von „unsichtbarer Hand“ gesteuert, entsteht so auf geradezu wundersame Weise eine Ordnung, in der jeder im Verhältnis zu seinen subjektiven Bedürfnissen bestmöglich befriedigt wird. Der „Vater der Wirtschaftswissenschaften“, Adam Smith (1723–1790), hatte dies schon im 18. Jahrhundert erkannt.

Der Zins ist der Preis des Geldes

Seltsamerweise entging ihm, wie fast allen folgenden Ökonomen, dass dieses simple Prinzip erst recht auf den Geldmarkt anzuwenden ist. Die meisten betrachten Geld als reine Recheneinheit, es spielt in ihrem Modell keine andere Rolle. In Wirklichkeit ist Geld eine Ware wie jede andere auch und als solche den ökonomischen Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen. Sobald eine zentrale Planstelle diesen Mechanismus stört, kommt es zu Problemen.

Der Zins als Preis für das Geld ist in Wirklichkeit der wichtigste Preis in einer Marktwirtschaft. Ist es noch relativ harmlos, den Preis etwa von Gummibärchen oder Glühlampen festzusetzen, betrifft eine Regulierung des Zinses alle Märkte, auch den für Gummibärchen. Der Zins zeigt auch an, wie sehr die Menschen sparen. Wird viel gespart, sinkt der Zins und Investitionen werden rentabler. In unserem Geldsystem bestimmt die Zentralbank den Zins. Ihr wurde vom Staat das Monopol übertragen, Geld anzubieten.

Geldschöpfung per Kredit

Zwar findet die Geldschöpfung überwiegend in den privaten Geschäftsbanken statt, aber nur so weit, wie es die Zentralbank zulässt, denn sie legt die Mindestreservesätze fest, welche Geschäftsbanken als Prozentsatz der Einlagen an die Zentralbank abführen müssen. Läge der Satz bei 100 Prozent, könnten die Geschäftsbanken gar kein eigenes Geld schöpfen. Er liegt aber derzeit in Europa nur etwa bei zwei Prozent. Das bedeutet, dass die Geschäftsbanken praktisch ungebremst Giralgeld schöpfen können.

Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass Banken nur dasjenige Geld verleihen, das ihnen Sparer zur Verfügung stellen. Ganz im Gegenteil, erzeugen sie Geld buchstäblich aus dem Nichts – einfach per Buchung: In dem Moment, wo sie einen Kredit vergibt, bucht die Bank kurzerhand „Sichteinlagen an Kreditkonto“. Auf dem Kontokorrent erscheint die Summe, die der Kunde abheben kann, und ein entsprechender Gegenposten auf dem Konto. Der Kredit steht auf der Aktivseite der Bankbilanz als Forderung und die Sichteinlage auf der Passivseite als Verbindlichkeit. Die Bilanz ist so wieder ausgeglichen und wird nur „verlängert“. Das grenzt an Zauberei oder, so die Vertreter der Österreichischen Schule, sogar an Betrug, denn dem Kunden wird nicht gesagt, dass das Geld auf dem Kontokorrent im Grunde gar nicht existiert. D. h., wenn alle Kunden gleichzeitig abheben wollten, wäre nichts da. Deshalb haben Kreditinstitute so viel Angst vor einem Bank-Run …

Dieser Vorgang wird weder an Schulen unterrichtet noch von den Medien erklärt, sodass der unbedarfte Leser es kaum glauben wird. Daher folgt hier der Beweis aus der Bundesbank-Broschüre „Geld und Geldpolitik“ (Ausgabe 2011): „In der Regel gewährt die Geschäftsbank einem Kunden einen Kredit und schreibt ihm den entsprechenden Betrag auf dessen Girokonto gut. Wird dem Kunden ein Kredit über 1000 Euro gewährt (z. B. Laufzeit 5 Jahre, 5 %), erhöht sich die Sichteinlage des Kunden auf seinem Girokonto um 1000 Euro. Es ist Giralgeld entstanden bzw. wurden 1000 Euro Giralgeld geschöpft. Die Giralgeldschöpfung ist also ein Buchungsvorgang.“

In der Schule wird der Vorgang Giralgeldschöpfung so erklärt, dass die Bank den Mindestreservesatz, also derzeit circa zwei Prozent der Einlage eines Kunden, bei der Zentralbank hinterlegt und den Rest verleihen kann. Auch dadurch vervielfacht sich die Geldmenge, weil der Empfänger des Kredits das Geld wiederum auf eine Bank bringen kann, die dann erneut 98 Prozent davon weiterverleihen kann.

Blasen, Krisen, Rezessionen

Gemeinsam ist beiden Vorgängen: Es wird Geld aus dem Nichts erzeugt, dem keine Ersparnis gegenübersteht. Normalerweise kann nur verliehen werden, was vorher erarbeitet wurde. Da dieser Mechanismus ausgehebelt wird, und dazu noch Zinsen auf nicht erarbeitetes Geld gezahlt werden müssen, wachsen die Schulden viel schneller als die Wirtschaft. Irgendwann kommt ein Punkt, an dem die Wirtschaftsleistung nicht mehr ausreicht, die Zinsen zu bedienen. Hinzu kommt, dass durch die ungehemmte Ausdehnung der Geldmenge die Zinsen künstlich niedrig bleiben. Dadurch werden Investitionsprojekte realisiert, die sich bei einem marktwirtschaftlichen, also aus den individuellen Möglichkeiten entstehenden Zins gar nicht gelohnt hätten. Es kommt zu Spekulationsblasen wie der „New Economy“ oder der „Immobilien-Bubble“.

Zu allem Überfluss senken die Notenbanken in Krisenzeiten den Zins noch weiter bis auf null, so wie aktuell. Dadurch werden weitere Blasen erzeugt, wie an den steigenden Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisen abzulesen ist. Irgendwann kommt es zum vollständigen Systemcrash, der unvermeidbar ist, wie Ludwig von Mises schon vor hundert Jahren in seinem Werk Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel erklärte: „Das wiederkehrende Auftreten von Boom-Perioden mit nachfolgenden Depressions-Perioden ist das unvermeidliche Ergebnis der ständig wiederholten Versuche, den Marktzins durch Kreditexpansion zu senken. Es gibt keine Möglichkeit, den finalen Zusammenbruch eines Booms zu verhindern, der durch Kreditexpansion erzeugt wurde. Die einzige Alternative lautet: Entweder die Krise entsteht früher durch die freiwillige Beendigung einer Kreditexpansion – oder sie entsteht später als finale und totale Katastrophe für das betreffende Währungssystem.“
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Oliver Janich ist Journalist und Vorsitzender der Partei der Vernunft, deren Wirtschaftsprogramm sich an der Österreichische Schule orientiert. Dieser Artikel erschien zuerst im Zeitgeist-Magazin und ist nun auch hier mit Genehmigung des Autors veröffentlicht worden.

Quelle: freitum

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