Neusprech: „Verschwörungstheorie“

von Henning Lindhoff (ef-magazin)

Die Geburt eines Kampfbegriffs

Washington. Januar 1967. Ein Ausschuss des amerikanischen Kongresses steht kurz davor, seine Untersuchungen zu den Attentaten auf Präsident John F. Kennedy und Martin Luther King zu beginnen. Dies veranlasst den amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA zu einem bedeutungsvollen internen Memo, das noch heute den politischen Diskurs nachhaltig prägt.

Unter der Überschrift „Countering Criticism of the Warren Report“ wurde den Agenten aller CIA-Einrichtungen aufgetragen, den Begriff der „Verschwörungstheorie“ massiv zu diskreditieren, um die Kritiker des bis dato einzigen Untersuchungsberichts bezüglich des Mordes an John F. Kennedy verstummen zu lassen. Der oberste Bundesrichter der USA Earl Warren und seine Kommission hatten im September 1964 einen mehrbändigen Bericht zum Attentat publizieren lassen, der bis heute die wagemutige Sage vom Einzeltäter Lee Harvey Oswald zementieren soll. Nicht ohne Misserfolg. Zahlreiche „assassination theories“ machten auch nach dem Report noch die Runde in der amerikanischen Öffentlichkeit. Viele Bürger und Journalisten konnten und wollten dem Braten nicht trauen. Der nahende Untersuchungsausschuss des Kongresses sorgte dann Anfang 1967 anscheinend für weitergehende Panik. Ein Ausufern der Diskussion, die staatliche Stellen immer stärker in Verruf brachte, musste verhindert werden. Das Mittel der Wahl: subversive Propaganda. Im Memo der CIA wurden detaillierte Handlungsanweisungen und Diskussionsleitlinien vorgeschlagen. Die bis dato allgemein neutral aufgefasste Vokabel „conspiracy theory“ sollte nachhaltig abgewertet werden. Angst und Schrecken der Bürger vor einer entsprechenden Diskussion war das Ziel. Die Anweisungen sahen unter anderem vor, Kontakte zu den Eliten des Landes zu intensivieren und an die Integrität der Warren-Kommission zu erinnern. Speziell ausgebildete Propagandamitarbeiter sollten beschäftigt werden, um Buchbesprechungen und journalistische Hintergrundartikel entsprechend zu formulieren. Inhalte, die journalistisch verstärkt gestreut werden sollten, waren vor allem das angebliche Fehlen von Beweisen für eine Verschwörung und die vermeintlichen Probleme von Verschwörern im Allgemeinen, ihre Tat anschließend geheim halten zu können. Die „Verschwörungstheorie“ sollte von nun an etwas bezeichnen, das nur den kranken Hirnen verwirrter Staatsfeinde entspringen konnte. Ein Fantasiegespinst weitab von der Realität. Ein Gedankenverbrechen.

Die steile Karriere bergab der „Verschwörungstheorie“ wurde in den folgenden Jahren kräftig befeuert. Wie der Watergate-Reporter Carl Bernstein 1977 ermittelte, hievte die CIA mindestens 400 Mitarbeiter auf Schlüsselpositionen der amerikanischen Medien, um den Ton der Berichterstattung nachhaltig zu beeinflussen. Enge Kontakte zwischen Medien und Geheimdiensten sind vermutlich noch heute an der Tagesordnung. Auch in Deutschland, wie die zahlreichen detaillierten Arbeiten der Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom sowie Udo Ulfkotte und nicht zuletzt auch der Schäfer-Report aus dem Jahr 2006 nahelegen.

Die CIA-Operation hatte nachhaltigen Erfolg. Auch wer heutzutage staatliche Kriminalität unter dem Begriff „Verschwörung“ zu diskutieren versucht, kommt schnell in Misskredit.

Zurück in die Vergangenheit: 15 Jahre nach den Schüssen auf Kennedy beendete der Untersuchungsausschuss des Kongresses seine Arbeit. Er kam zu dem Schluss, dass Lee Harvey Oswald keinesfalls als Einzeltäter gehandelt haben konnte, sondern dass John F. Kennedy Opfer einer Verschwörung wurde. Kuba, die Sowjetunion und die Mafia wurden als Urheber ausgeschlossen.

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Memo „Countering Criticism of the Warren Report“

 

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