“Die EU ist in ihrem Kern ein Klub von Kapitalisten”

Paul Murphy (MdEP): “Die EU ist in ihrem Kern ein Klub von Kapitalisten”

von Daniel Radmacher (diefreiheitsliebe)

“Die EU ist in ihrem Kern ein Klub von Kapitalisten.”

Paul Murphy ist Mitglied der irischen Sozialistischen Partei und seit 2011 Mitglied des Europaparlaments. Als EU-Parlamentarier hat er die Gaza-Flotille unterstützt und ist seit dem im gesamten europäischen Raum unterwegs um die Menschen in ihrem Widerstand zu unterstützen. Wir haben ihn zur Krise und zum Widerstand in Europa interviewt. Teil eins des Interviews heute, morgen folgt der zweite Teil.

Die Freiheitsliebe: Paul, du bist Mitglied der Sozialistischen Partei in Irland und, das würde ich sagen, ein Revolutionär. Wie passt ein Revolutionär ins Parlament`?
Als revolutionärer Sozialist habe ich nie daran geglaubt das echte Veränderung im Europaparlament oder irgend einem anderen Parlament möglich sind. Reale Veränderungen gingen in der Vergangenheit immer von der kämpfenden Arbeiterklasse aus, wie zum Beispiel das erkämpfen des Wahlrechts, Bürgerrechte oder besser Arbeits- und Lebensbedingungen. Ich denke dass das auch heute noch gilt. Normale Arbeiter oder die Occupy Bewegung, also die 99 Prozent, würden als einzige eine reale politische Veränderung in ihrem Interesse herbeiführen, durch den Kampf der Massen auf der Straße, auf der Arbeit und in den Städten. Ich glaube, wenn wir die Bedürfnisse der Menschen aufgreifen und durchsetzen wollen, müssen wir mit dem Kapitalismus brechen. Das kann nicht per Dekret in einem kapitalistischen Parlament geschehen, sondern nur durch eine revolutionäre Bewegung die mit sozialistischen Ideen bewaffnet ist. Wie Karl Marx sagte: „Es kann die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter sein.“

Daher sehe ich meine Rolle im Europaparlament nicht als Teil des Diskussions oder Entscheidungsprozesses innerhalb des Apparates. Stattdessen, ist es eine Plattform um die antidemokratische Austeritätspolitik der EU Kommission und der Rechtskonservativen Regierungen zu kritisieren und bloßzustellen; um den Arbeitern in ihren Kämpfen und anderen sozialen Bewegungen eine Stimme zu verleihen und um den sozialistischen Wechsel zu popularisieren und zu verteidigen. Ich bin durch Revolutionäre der Vergangenheit inspiriert die sich entschieden hatten, in die Höhle des Löwen zu gehen um diese als Plattform für ihre revolutionären Ideen zu nutzen wie z.B. Karl Liebknecht, der seine Position im feindlichen deutschen Parlament nutzte, um den Widerstand gegen den barbarischen Krieg und Kapitalismus zu mobilisieren.

Die Freiheitsliebe: Wie würdest du die Erfahrungen deiner ersten Amtszeit zusammenfassen? Kandidierst du 2014 erneut?

Ich würde sagen das man aus dem Blickwinkel betrachtet, dass das Parlament lediglich die Möglichkeit bietet Menschen die gegen Unterdrückung und Kapitalismus kämpfen Unterstützung zu gewähren, unsere Arbeit sehr erfolgreich war. Es ist nicht damit getan einfach Reden zu halten, bestimmte Anträge zu unterstützen oder Pressemitteilungen zu schreiben, sondern es müssen konkrete Wege gefunden werden um Widerstand zu organisieren. Als ich 2011 Mitglied im europäischen Parlament wurde (MdEP), habe ich sofort die Gaza-Freiheitsflotte unterstützt, um die Blockade gegen Gaza zu durchbrechen und Hilfsgüter für die Menschen zu transportieren. Die israelischen Soldaten haben unser Schiff schnell und aggressiv geentert und ich habe eine ganze Woche in einem israelischen Gefängnis verbracht, aber es war eine gute Sache um die Aufmerksamkeit auf die Blockade und das Leid der Palästinenser zu richten. An anderer Stelle habe ich Kasachstan besucht, ein Land, in dem die Regierung vor zwei Jahren Ölarbeiter massakriert hat. Dort habe ich mich mit den Gewerkschafter solidarisiert und konkret praktische Hilfe angeboten. Ebenso war ich in der Lage den Menschen in der Türkei, Tunesien und Südafrika Solidarität und Hilfe anzubieten – Genauso wie meine Unterstützung des Widerstandes in Irland. Genau das bedeutet es, wenn ich sage, wir müssen die Stellung im Parlament als Plattform für Widerstand nutzen.
Ich werde auch 2014 wieder kandidieren, den wir denken, dass das EU Parlament eine gute Plattform ist um die europäische Jugend und Arbeiterschaft im Kampf zu unterstützen. Viel wichtiger ist jedoch, dass die Europawahlen die Chance bieten, das reale Ausmaß des ökonomischen Desaster für die normalen Menschen zu zeigen, ganz im Gegenteil zu den Etablierten Parteien und dem Großteil der Medien. Es ist die Möglichkeit, die Notwendigkeit radikaler sozialistischer Ideen aufzuzeigen.

Die Freiheitsliebe: Wir haben gehört das viele Brüsseler Parlamentarier ständig mit Lobbyisten dinieren oder auf irgendeine Art und Weise korrupt sind, stimmt das?

Ja, so etwa in die Richtung. Der Großteil des EU-Parlaments und der Wirtschaft gehen Hand in Hand. Das kann durchaus eine Form der direkten Korruption annehmen, bei der MdEPs eine gewisse Marge bezahlt bekommen. Aber hauptsächlich, so glaube ich, geschieht es indirekt: So wie es der irische Journalist David Cronin in seinem neuen Buch “Corporate Europe” erklärt: “MdEPs verhalten sich wie Bauchrednerpuppen für das “Big Buisness”. Sie rechtfertigen dies indem sie vererklären, dass das Interesse der Wirtschaft und der Menschen Europas das gleiche sei, oder es sich Gegenseitig zumindest befrieden würde. Lobbyisten spielen in diesem System eine Schlüsselrolle zwischen den Interessen der Wirtschaft und dem Europaparlament. Man glaubt, das es zwischen 15. und 30. Tausend Lobbyisten gibt, die mit EU-Instutionen verbandelt sind, 2/3 davon aus der Privatwirtschaft. In David Cronins Buch wird anhand von Beweisen gut erklärt, wie Lobbyisten Einfluss auf die Entscheidungsprozesse der Parlamentarier und anderer EU Organe nehmen. Bis hin dazu, dass diese Gesetzesvorlagen der Wirtschaft einfach eins zu eins übernehmen. Natürlich ist es daher klar, dass bei einer solchen Beziehung viele MdEPs auch von ihren Parteien durch große Parteispenden der Industrie an selbige “verkauft” werden. Die Socialist Party sieht ihre Rolle anders. Für sie ist es wichtig, dass linke MdEPs begreifen dass “rechte” MdEP ihre Klasse, das 1 Prozent, repräsentieren und wir die arbeitende Bevölkerung. Hier geht es nicht nur um Rhetorik, sondern um die Ablehnung der parlamentarischen Praxis sich mit Lobbyisten überhaupt zu treffen. Wir leben schließlich vom Geld des Volkes! Ich nehme zum Beispiel von meinem Gehalt nur den durchschnittlichen Facharbeiterlohn und Spende den Rest an soziale Alternativen und Jugendprojekte.

Die Freiheitsliebe: Glaubst du die EU ist ein Produkt des Kapitalismus?

Die EU ist in ihrem Kern ein Klub von Kapitalisten. Von ihrer Gründung bist heute ist sie ein Vertrag zwischen Kapitalisten verschiedener Nationen Europas, mit dem Ziel den Größtmöglichen europäischen Markt für Multinationale Konzerne zu schaffen. Sie schufen einen gnadenlosen Konkurrenzkampf zwischen den Staaten in Europa, um Gleichzeitig mit den Großmächten China und USA mitzuhalten. Jedes EU Abkommen baut tiefgehender als das vorherige, den Sozialstaat und die Rechte der Arbeiter ab. Stattdessen fördert es Privatisierung, Deregulierung und Militarisierung! Es gibt sogar Schritte, um diese EU noch undemokratischer zu machen, in dem Rechte von gewählten Regierungen auf die EU Kommission verlagert wurden – eine Stufe weiter von den Menschen entfernt, entrückt und nicht mehr dem Druck der Straße ausgesetzt.

Die Freiheitsliebe: Der Kapitalismus ist in einer tiefen Krise, aber Linke Parteien profitieren davon bisher kaum, warum?

Der Kapitalismus ist in einer tiefen Krise, doch linke Parteien schaffen es nicht davon zu profitieren, warum? Ich glaube das ein wichtiger Punkt, warum die linke in Europa von der Krise nicht profitieren kann, noch immer das Gewicht des Erbes des kollabierten Stalinismus und der Ideologischen Probleme der 90er ist. Die Idee das man eine Gesellschaft nicht kapitalistisch organisieren muss, sondern das Alternativen existieren, war stetigen Angriffen ausgesetzt. Zudem haben wir damit verbunden feststellen können, dass durch Fehler und Betrug von „linken Parteien“ in der Vergangenheit viele Menschen in eine Art Anti-Partei Stimmung verfielen, besonders unter jungen Menschen. In den USA ist dies nicht der Fall und dort können wir ein wachsen von oppositionellen und sozialistischen Ideen feststellen. Zum Beispiel wurde dort meine Genossin Kshama Sawant in Seattle in den Stadtrat gewählt.
Außerdem, wenn man sich die Erfahrungen der US-Linken nach dem Crash von 1929 anschaut, dauerte es bis zur Mitte der 1930er Jahre bis diese von der Krise profitierten und anfingen zu wachsen und eine wichtige Rolle einnahmen – Der Schock-Effekt braucht eine gewisse Zeit, bis er nachlässt.
Viel wichtiger ist jedoch, dass die Idee der Revolution wieder auf der politischen Agenda steht ,wie in den revolutionären Bewegungen in Tunesien und Ägypten, oder der Occupy Bewegung und den Revolten der letzten Jahre in Brasilien und Türkei. Nun ist es essentiell, dass die Linke die Chance nutzt um die sozialistische Alternative zu propagieren, denn sonst entstehen Möglichkeiten für Rechtsradikale, wie es mit der Goldenen Morgenröte in Griechenland der Fall ist.

Die Freiheitsliebe: Wie würdest du die aktuelle EU-Kritik von links beschreiben?

Ich denke es gibt zwei grundsätzliche Fehler die linke Gruppierungen machen. Der eine Fehler ist der Gedanke vieler, dass die Europäische Union trotz ihrer Konstruktionsfehler potentiell Progressiv ist und lediglich einige radikale Reformen benötigt, wie z.B. die Demokratisierung der EU- Kommission und der Europäischen Zentralbank. Es ist ein falscher Blick auf die Europäische Union, wenn man sie als progressive betrachtet, den alle Fortschritte wie z.B. Frauenrechte wurden durch breite Proteste in der Bevölkerung erreicht und nicht durch die EU.
Grundsätzlich muss man sagen, die EU kann und ist nicht im Interesse der Menschen Reformierbar. Wenn wir bei einer Wahl eine ernsthafte linke Regierung hätten, sähe diese sich mit der Entscheidung konfrontiert, entweder sich in die Linie des Kapitals einzureihen oder mit der EU zu brechen.
Der andere fehlerhafte Ansatz ist eine Art linkes national Interesse, welche alle Probleme der Arbeiterklasse einfach auf die europäische ebene reflektiert und damit aus einem EU-Austritt eine magische Waffe macht, die alle Probleme löst. Ein Einfaches verlassen der Europäischen Union an sich löst die Probleme der Menschen nicht, sondern erhöht die nationalen Spannungen und würde zu größeren innereuropäische Rivalitäten führen. Dies ist nicht im Interesse der Arbeiterklasse Europas.

 

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