Josef Estermann (infosperber)
Die Hälfte des neu angesammelten Reichtums seit 2020 geht aufs Konto von einem Prozent der Weltbevölkerung.
Dass die Corona-Pandemie nicht nur Millionen Menschenleben gekostet und viele Volkswirtschaften im globalen Süden schwer in Mitleidenschaft gezogen hat, ist hinlänglich bekannt. Dass die Pandemie aber auch «Gewinner» hervorgebracht hat und wer diese sind, darüber gab es bis anhin nur Mutmassungen.
«Survival of the richest»
Im Januar dieses Jahres trat die britische NGO Oxfam anlässlich des WEF (World Economic Forum) in Davos mit einem Bericht an die Öffentlichkeit, der hierzulande nur ansatzweise aufgegriffen oder gar weiterverbreitet worden ist. Dabei birgt das unter dem vielsagenden Titel «The survival of the richest» (Das Überleben der Reichsten) erschienene Dokument viel politischen und sozialen Zündstoff. Die Anspielung auf die darwinistische Evolutionslehre («The survival oft he fittest») legt zudem nahe, dass gerade in Zeiten einer Pandemie sozialdarwinistische Tendenzen augenscheinlich sind. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.
Aber dieser Gemeinplatz hat laut Oxfam inzwischen zu einer grotesken, wenn nicht gar perversen Umverteilung von unten nach oben geführt. Seit 2020, also dem Beginn der Pandemie, wurden weltweit trotz Lockdowns und Restriktionen bei den Lieferketten 42 Billionen US-Dollar (mit 12 Nullen) an neuem Reichtum generiert. Davon gehören 63 Prozent oder 26 Billionen dem reichsten Prozent der Weltbevölkerung, während die ärmeren 99 Prozent den Rest unter sich aufteilen mussten. Oder noch konkreter, wie der Bericht veranschaulicht: Ein Milliardär hat während der Pandemie 1,7 Millionen US-Dollar für jeden Dollar angehäuft, den jemand aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung verdient hat.
Elon Musk zahlt drei Prozent Steuern, die Marktfrau in Afrika 40 Prozent
Der Lebensmittel- und Energiesektor konnte im Pandemie- und Kriegsjahr 2022 den Profit um mehr als das Doppelte steigern und zahlte seinen (ohnehin schon reichen) Aktionärinnen und Aktionären die Summe von 257 Milliarden US-Dollar aus, während über 800 Millionen Menschen Hunger litten.
Die zunehmenden Einkommens- und Vermögensungleichheiten sind verantwortlich für eine Reihe von Krisen (Oxfam spricht von «Polykrise»), die den Planeten in den letzten Jahrzehnten und Jahren überziehen. Als Hauptgrund für die rapide Zunahme dieser Ungleichheiten sieht Oxfam das bestehende Steuersystem weltweit, das Superreiche und grosse transnationale Unternehmen bevorzugt beziehungsweise ihnen genügend Schlupflöcher bietet, angemessene Steuern zu «vermeiden».
Als konkretes Beispiel nennt der Bericht einerseits Elon Musk, der als einer der reichsten Menschen von 2014 bis 2018 bloss etwas über drei Prozent Steuern bezahlt habe. Die Marktfrau Aber Christine aus Norduganda hingegen, die mit Reis, Mehl und Soja handelt, verdient monatlich 80 US-Dollar und bezahlt 40 Prozent Steuern.
Es mag deshalb nicht verwundern, dass Oxfam einmal mehr ein gerechtes Steuersystem fordert, das die Superreichen angemessen besteuert, denn dies sei eine «strategische Voraussetzung zur Reduktion der Ungleichheit und zur Wiederherstellung der Demokratie», wie die Geschäftsführerin von Oxfam, Gabriela Bucher, betont. Heute lebt die Hälfte der Milliardäre in Ländern, die keine Erbschaftssteuer kennen. Nur vier Prozent der weltweiten Steuereinnahmen stamme von einer Reichtumsteuer (wealth tax).
Eine Steuer von fünf Prozent auf den Reichtum der Multimillionäre und Milliardäre weltweit dürfte jährlich 1,7 Billionen US-Dollar einbringen, was genug wäre, um zwei Milliarden Menschen aus der Armut zu befreien und den Welthunger zu beenden. «Die Superreichen und grossen Unternehmen zu besteuern ist das Instrument, um die heutigen sich überlappenden Krisen zu bewältigen. Es wird Zeit, den Mythos zu zerstören, dass Steuererleichterungen für die Superreichen im Endeffekt auch uns allen zugute kämen, weil deren Reichtum auf alle heruntertropfe (Trickle Down Effect)», meint Gabriela Bucher.
Dieser Appell für eine neues weltweites Steuersystem findet laut Meinungsumfragen in den meisten Ländern eine überwältigende Mehrheit. Sogar unter Superreichen wächst die Bereitschaft, mehr Steuern zu entrichten, aus Angst vor sozialen und politischen Unruhen und einem Abbau der Demokratie. Im Januar 2022 haben über hundert Millionärinnen und Millionäre eine Erklärung unterzeichnet, in der sie um eine höhere Besteuerung ihrer Gewinne und ihres Vermögens bitten.
Konkrete Massnahmen
Da die zunehmenden Ungleichheiten zwischen einer superreichen Oberschicht und der Mehrheit von armen Menschen die heutigen Krisen verschärfen werden, ist die Einführung einer angemessenen Reichtumsteuer konsequent. Oxfam errechnet, dass dadurch die Schere zwischen Arm und Reich bis 2030 nicht weiter anwachsen, sondern sich auf Verhältnisse einpendeln würde, wie sie in den 1990er Jahren vorherrschend waren.
Konkret schlägt Oxfam für eine Reform des weltweiten Steuersystems folgende Massnahmen vor:
- Einführung einer einmaligen solidarischen Vermögenssteuer und einer Unternehmenssteuer auf unerwartete Gewinne sowie einer deutlich höheren Besteuerung von Dividendenausschüttungen, um Krisenprofiteure zu stoppen.
- Dauerhafte Erhöhung der Steuern für die reichsten ein Prozent, zum Beispiel auf mindestens 60 Prozent ihres Einkommens aus Arbeit und Kapital, mit höheren Sätzen für Multimillionäre und Milliardäre.
- Besteuerung des Reichtums der Superreichen mit ausreichend hohen Sätzen, um den extremen Reichtum systematisch zu reduzieren und die Machtkonzentration und Ungleichheit zu verringern.
- Verwendung der Einnahmen aus diesen Steuern zur Erhöhung der Staatsausgaben für Bereiche, welche die Ungleichheit verringern, wie Gesundheitswesen, Bildung und Ernährungssicherheit, sowie zur Finanzierung des gerechten Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Welt.
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