Der „Internationale Strafgerichtshof“ und eine Reise

Putin darf nicht reisen, weil er zur Fahndung ausgeschrieben ist?


Er soll es nicht. Das ist der eigentliche Grund für den Haftbefehl gegen ihn, ausgestellt vom „Internationalen Strafgerichtshof“ mit Sitz in Den Haag. Es geht mitnichten um den Nachweis und die Verhandlung angeblicher Völkerrechtsverbrechen, deren sich Russlands Präsident schuldig gemacht haben soll. Vielmehr geht es darum, ihn und damit Russland zu isolieren. Isolieren heißt auch, dass alle Kontakte zum russischen Staat und der russischen Gesellschaft weitestgehend zurückgefahren werden sollen.


von Peter Frey (peds-ansichten)

Treffen soll man sich mit dem Isolierten, Stigmatisierten und Vorverurteilten nur noch im Krieg. Einem totalen Krieg natürlich: geführt militärisch, wirtschaftlich, politisch, ideologisch und kulturell.

Russland isoliert sich nicht freiwillig und es lässt sich auch nicht ohne weiteres isolieren. Isolation bedeutet Distanzierung und Entfremdung. Diejenigen, die das durchzusetzen versuchen, schärfen damit ihre Demagogie, mit der sie Russland das Böse schlechthin andichten und damit zu Hass und Feindschaft gegen das Land aufhetzen. Wer die „Wahrheit“ nur noch aus dem Mündern und Sprachrohren der Demagogen entnimmt, ist rasch reif für den Feldzug gegen das Böse.

Das Gute ist: Diese Politik der Domestizierung eines souveränen Staates scheint im Falle Russlands in die Brüche zu gehen. Womit auch das Narrativ vom unberechenbaren Aggressor sichtbar schwächelt. Dieser Tage reiste eine russische Regierungsdelegation mit Wladimir Putin und Sergej Lawrow an der Spitze in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAR), eine „eigentlich“ fest in das „westliche Wertesystem“ eingebundene Monarchie.

„Wie das russische Fernsehen zeigte, wurde Putin auf der Landebahn des Flughafens in der Hauptstadt Abu Dhabi von Vertretern der Emirate in Empfang genommen, bevor er von der Kavallerie eskortiert zum Präsidentenpalast gebracht wurde. Dort wurde der russische Staatschef mit allen Ehren empfangen. Wie auf Bildern des Kremls zu sehen war, erwarteten Putin am Palast dutzende Soldaten, während Flugzeuge am Himmel Rauch in den Farben der russischen Flagge versprühten und in der Nähe Kanonenschüsse abgefeuert wurden.“ (1)

Der Bericht der Deutschen Welle meinte, den hohen Besuch, empfangen mit allen denkbaren zeremoniellen Ehren — wie soll man es ausdrücken? — relativieren zu müssen:

„Trotz eines internationalen Haftbefehls ist der russische Präsident Wladimir Putin zu einem Kurzbesuch in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gereist.“ (1i)

Beim Deutschlandfunk wie auch bei der ARD-Tagesschau (2) klang es kaum anders:

„Trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen muss er nicht mit einer Festnahme rechnen, da die Emirate und Saudi-Arabien keine Vertragsparteien des Gerichtshofs sind.“ (3)

Vertragsparteien sind übrigens auch nicht Indien und China, ebenso nicht die Türkei und Russland, und schließlich sind auch Israel gleich den USA keine Vertragsparteien dieses Gerichtshofes.

Ja, man möchte so gern den Eindruck erwecken, als ob der russische Staatschef zu einer dem internationalen Völkerrecht gerecht werdenden Fahndung ausgeschrieben worden wäre. Das ist er aber nicht. Da ist auch keine internationale Völkergemeinschaft, die das Bestreben hat, einen Wladimir Putin auf die Anklagebank eines obskuren Gerichts zu schleifen.

Und so stellten selbsternannte Gutmenschen im Journalistenkostüm bedauernd fest:

„Doch auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten braucht der Kremlchef wegen des Kriegs gegen die Ukraine keine Verhaftung zu fürchten: Der Golfstaat ist keine Vertragspartei des Internationalen Strafgerichtshofs.“ (1ii)

Wie auch George W. Bush keine Verhaftung durch den Gerichtshof befürchten musste, nachdem er den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak angeordnet hatte. Oder Barack Obama, der die offenen und verdeckten Kriege gegen Libyen und Syrien mit verantwortete.

Das war schon deshalb so, weil auch die USA sich nie vertraglich den Regularien des Gerichtshofes unterworfen hatten. Ein Hegemon wie sie benutzt solch eine Institution, so es seinen Interessen nützt. Doch deren Rechtssprechung über sich zu stellen, ist undenkbar. Und außerdem ist es rechtsstaatlich nachvollziehbar:

„Der zentrale Einwand [der USA] richtet sich gegen die Statuierung des Territorialprinzips. Damit erhalte der ICC, so lautet die Kritik, die Gerichtsgewalt auch über Staatsangehörige von Staaten, die das ICC-Statut nicht ratifiziert haben, womit das ICC-Statut einen «Vertrag zulasten Dritter» darstelle [167]. So kritisierte die amerikanische Delegation in Rom die Zuständigkeitsvorschrift des Art.12 Nr. 2 a) ICC-Statut (Territorialprinzip) als Verstoß gegen Art.34 des Wiener Abkommens und erklärte, dass damit ein unzulässiger Eingriff in die Souveränität von Nichtvertragsstaaten vorgenommen werde.“ (4)

Damit sind sich die USA und Russland erstaunlicherweise einig.

„Russland erkennt die Rechtsprechung dieses Gerichts nicht an. Entsprechend sind Entscheidungen dieser Art für Russland vom rechtlichen Standpunkt unbedeutend.“ (5)

Nein, das ist natürlich nicht erstaunlich. Es ist eine Frage der Souveränität von Staaten. So betrachtet, sind die Türkei, China oder Indien viel souveräner als zum Beispiel die „Vereinigten Staaten von Europa“, die sich nicht demokratisch legitimierten Gebilden wie der Europäischen Kommission und weiteren supranational aufgestellten Machteliten unterwerfen.

Anders sieht es schon bei ehemaligen Staatschefs wie Nicola Sarkozy, David Cameron und Tony Blair aus. Deren Staaten sind dem Internationalen Gerichtshof beigetreten und die Politiker haben sich völkerrechtswidriger Aggressionen gegen den Irak und Libyen schuldig gemacht. Dies nachzuweisen, bedarf keines großen Aufwandes, weil die Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wurden.

Aber wir sprachen von Souveränität. Denn es geht beim Internationalen Strafgerichtshof nicht um Recht, sondern um Macht. Er ist kein juristisches, sondern ein politisches Instrument. Recht spricht er im Sinne der Macht. Wo die durch ihn vertretene Macht nicht greift, mutiert er zu einem Papiertiger. So ist das mit Macht. Macht kann auch schwinden. Vor allem dann, wenn die Grundlagen der Macht wegbrechen.

Wie steht es also um die Macht des sogenannten Internationalen Strafgerichtshofes heute? Nun — wie gerade angedeutet — hatte die Institution selbst noch nie Macht. Sie war und ist lediglich ein Werkzeug zur Durchsetzung von Machtinteressen. Macht steht über den Dingen, auch den rechtlichen. Aber dort wo sie auf Souveränität trifft, schwächelt und schwindet Macht. Dann kann Macht nicht mehr in ihrem Sinne Beziehungen gestalten.

Der Bericht der Deutschen Welle zum Besuch russischer Regierungsvertreter auf der arabischen Halbinsel hatte eine delikate Feinheit zu bieten:

„Anschließend reiste Putin nach Saudi-Arabien weiter. Sein Flugzeug wurde dabei von von vier Kampfjets eskortiert. In Riad soll er von Kronprinz Mohammed bin Salman empfangen werden. Bei den Gesprächen in Riad sollte es laut Kreml um Handel, Investitionen und internationale Politik gehen.“ (1iii)

Die Feinheit besteht darin, dass der Bericht der Deutschen Welle ein durchaus wichtiges Wort wegließ. Delikat sind die vier Kampfjets — und warum? Nun, es waren russische Kampfjets (b1).

Das Flugzeug des russischen Präsidenten Wladimir Putin wurde von vier Kampfjets des Typs Su-35S der russischen Luft- und Raumfahrtkräfte zum Flughafen von Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten eskortiert. Für die Luftunterstützung des Präsidentenflugzeugs wurden Sonderfluggenehmigungen von den Staaten eingeholt, über deren Hoheitsgebiet der Flug durchgeführt wurde. Das könnten die Türkei, der Irak und Saudi-Arabien gewesen sein. Am wahrscheinlichsten scheint aber eine Flugroute über den Iran und den Persischen Golf (6, b1).

Arabische Halbinsel, ganz rechts in der Mitte liegen die VAE, nordwestlich davon die Halbinsel mit Katar (Quelle: Wikipedia)

Aber da gibt es noch einen Staat, einen der Überflugrechte solcher Art — wenn es nicht seine „Freunde“ sind — nur Souveränen einräumen mag. Ein Staat, der dort territorial gar nicht präsent ist, dafür aber eine „Vertretung“ unterhält. Rechts im obigen Bild ist der Persische Golf zu sehen, in den eine markante große Halbinsel hineinragt. Das ist Katar. Dort befindet sich der größte Militärstützpunkt der USA im Mittleren Osten, die Al Udeid Air Base (7).

Unterwegs wurden die russischen Kampfflugzeuge von zwei Il-78-Tankflugzeugen aufgetankt und landeten mit der Regierungsmaschine in Abu Dhabi. Die Jets waren aufmunitioniert: bewaffnet mit Kurzstreckenraketen R-73 mit bis zu 40 km und Mittelstreckenraketen R-77 mit bis zu 110 km Reichweite (6i).

Bitte bleiben Sie auch weiterhin schön aufmerksam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen — insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors — kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.

(1 bis 1iii) 06.12.2023; Deutsche Welle, afp, dpa, rtr; Erster Besuch nicht bei Verbündeten: Putin in Abu Dhabi; https://www.dw.com/de/erster-besuch-nicht-bei-verb%C3%BCndeten-putin-in-abu-dhabi/a-67649971

(2) 06.12.2023; ARD-Tagesschau; Präsident Putin auf Golf-Tour; https://www.tagesschau.de/ausland/putin-arabische-emirate-100.html

(3) 06.12.2023; Deutschlandfunk; Russlands Präsident Putin besucht Vereinigte Arabische Emirate; https://www.deutschlandfunk.de/russlands-praesident-putin-besucht-vereinigte-arabische-emirate-102.html

(4) Biegi, Die humanitäre Herausforderung, S.136.; siehe auch: http://www.internationaler-strafgerichtshof.de/seite-30.html

(5) 17.03.2023; ARD-Tagesschau; Haftbefehl gegen Putin erlassen; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/putin-haftbefehl-internationaler-strafgerichtshof-101.html

(6, 6i) 06.12.2023; Reporter; Putin’s plane was escorted to Abu Dhabi by four armed Su-35S fighters; https://en.topcor.ru/42033-samolet-putina-do-abu-dabi-soprovozhdali-chetyre-vooruzhennyh-istrebitelja-su-35s.html

(7) 02.08.2018; Global Security; John Pike; Al Udeid Air Base, Qatar, 25°06’57″N 51°18’55″E; https://www.globalsecurity.org/military/facility/udeid.htm

(b1) Kampfflugzeuge vom Typ Su-35S begleiten die russische Regierungsmaschine auf ihrem Weg nach Abu Dhabi; Reporter; 06.12.2023; https://en.topcor.ru/42033-samolet-putina-do-abu-dabi-soprovozhdali-chetyre-vooruzhennyh-istrebitelja-su-35s.html

(b2) Arabische Halbinsel, Relief; https://de.wikipedia.org/wiki/Saudi-Arabien; entnommen: 06.12.2023

(Titelbild) Sukhoi Su-35S (Su-35BM) multirole fighter; August 2009; Dmitriy Pichugin; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sukhoi_Su-35S_in_2009_(2).jpg; Lizenz: GNU Free Documentation License 1.2

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