Wie will die EU das fehlende Gas ersetzen, wenn Kiew ab Januar 2025 den Transit von russischem Gas nach Europa einstellt?

Die Ukraine weigert sich, den Vertrag über den Transit von russischem Gas nach Europa zu verlängern und plant, ihn durch Lieferungen aus Aserbaidschan und Kasachstan zu ersetzen. Dabei müsste Russland jedoch mitspielen, aber warum sollte es das tun?

Quelle: anti.spiegel

Im Jahr 2024 läuft der Vertrag über die Verlängerung des Transits von russischem Gas durch die Ukraine aus. Früher wurde der Vertrag regelmäßig verlängert, jetzt erklärt Kiew, den Vertrag nicht verlängern zu wollen, was Selenskys Berater Michail Podoljak kürzlich noch einmal bekräftigt hat.

Das Ende des Transits war bereits im Frühjahr dieses Jahres absehbar, als die Ukraine erklärte, nicht über eine Verlängerung des Vertrags verhandeln zu wollen. Ich habe damals einen Artikel dazu geschrieben, in dem ich auch auf die Auswirkungen des Endes des Gastransits auf die europäische Wirtschaft eingegangen bin.

Neue Akteure

Anstatt russisches Gas will die Ukraine ab 2025 laut Podoljak Gas aus Kasachstan durchleiten, „wenn die Logistik, die Nachfrage und die Vertragsbedingungen stimmen“. Auch die Option, dass europäische Unternehmen ab 2025 Gas aus Aserbaidschan kaufen und über russische Pipelines zur Ukraine und weiter in die EU-Länder liefern, wurde in diesem Jahr aktiv diskutiert.

Dass Kiew über Lieferungen aus Baku in die EU verhandelt, erwähnte der Wladimir Selensky im Juli:

„Jetzt werden alternative Optionen für die Nutzung der Pipeline mit einem anderen Gaslieferanten, mit einem anderen Land geprüft. Die Verhandlungen laufen. Wir wollen den Gasvertrag mit der Russischen Föderation nicht verlängern. Wir wollen nicht, dass sie hier Geld verdienen.“

Der aserbaidschanische Präsident Alijew bestätigte seinerseits bei einem Treffen mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni in Rom die Aufnahme von Gesprächen mit der Ukraine und erklärte, es gebe „Gründe für einen Durchbruch“ in diesem Prozess. Bei dem Treffen forderten die EU und Kiew Aserbaidschan auf, die Verhandlungen mit Russland über ein Gas-Transitabkommen zu erleichtern. Alijew deutete an, dass er in dieser Frage „einen gewissen Optimismus“ verspüre:

„Wir wollen diese Länder und auch die Ukraine unterstützen, denn wenn der Transit gestoppt wird, wird das Gasverteilungssystem der Ukraine komplett lahmgelegt.“

Alijew selbst hat die EU regelmäßig dafür kritisiert, dass europäische Unternehmen nicht bereit seien, in den Bau von Pipelines zu investieren, um aserbaidschanisches Gas zu erhalten. Die EU wiederum, die nach der Absage an russisches Gas dringend auf aserbaidschanisches Gas angewiesen ist, kritisiert Aserbaidschan wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen, wird aber wohl über ihren Schatten springen müssen, wenn sie das russisches Gas, das bisher durch die Ukraine nach Europa kommt, ersetzen will.

Derzeit liefert Baku Gas über die Pipelines des „Südlichen Gaskorridors“ nach Europa, dessen Kapazität 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr nicht übersteigt. Die Verhandlungen über eine Erweiterung auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr verzögern sich immer wieder.

Der wahrscheinlichste neue Akteur in diesem Geschäft ist daher Aserbaidschan, auch wenn es Meldungen über Gespräche mit Kasachstan und Usbekistan gibt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese beiden Länder zusätzliches Gas bereitstellen können, um es durch Russland und die Ukraine in die EU zu pumpen, da sie Probleme haben, ihre eigenen Regionen mit Gas zu versorgen, und daher nicht über nennenswerte Exportkapazitäten verfügen.

Auch der Transit von Öl wird gedrosselt

Podoljak wies auch darauf hin, dass ab Januar nächsten Jahres auch die Durchleitung von Öl durch die Druschba-Pipeline, die russisches Öl derzeit nach Ungarn und in die Slowakei transportiert, eingestellt wird:

„Gemäß der EU-Resolution müssen sie Wege finden, die Öllieferungen zu diversifizieren und den Transit von russischem Öl durch die Ukraine zu stoppen“.

Die Ukraine hat bereits im Sommer den Transit von russischem Öl reduziert, wogegen Ungarn und die Slowakei protestiert haben, aber die EU-Kommission hat ihre Beschwerden ignoriert, offensichtlich, um sie für ihre Haltung zum Ukraine-Konflikt zu bestrafen.

Ende Juli versprach der ungarische Außenminister Peter Szijjarto, dass sein Land wegen des Transitstopps die Auszahlung von 6,5 Milliarden Euro an Hilfsgeldern an Kiew blockieren werde.

Immer noch abhängig von russischer Energie

Nach all den Jahren ist russisches Gas für Europa immer noch lebenswichtig. Das stellt der Economist in einem Artikel mit dem Titel „Der Westen braucht weiterhin russisches Gas, das durch die Ukraine kommt fest. Die Zeitung weist darauf hin, dass Österreich, Ungarn und die Slowakei besonders abhängig von russischem Gas sind:

„Diese drei Länder sind am meisten gefährdet. Russische Lieferungen machten 2023 rund 47 Prozent der ungarischen Gasimporte aus. Bei der Slowakei waren es 89 Prozent. Österreich war noch abhängiger: Im Januar kamen 97 Prozent der Gasimporte aus Russland. Ein Teil dieses Gases, vor allem ungarisches Gas, kommt durch Turkish Stream, die Balkan-Pipeline, und das wird auch im nächsten Jahr so sein. Aber der Löwenanteil geht immer noch durch die Ukraine. Sie sind wirklich nicht in der besten Position.“

Die drei Länder seien aufgrund ihrer geografischen Lage auf russisches Gas angewiesen, heißt es in dem Artikel. Während Deutschland und Italien über Offshore-Terminals für LNG-Lieferungen verfügten, seien Ungarn, die Slowakei und Österreich auf Pipelines angewiesen, die das Gas von Osten nach Westen transportieren:

„Für Österreich, wo sich mehrere Pipelines kreuzen, stellen Engpässe weniger eine Bedrohung dar. Aber für Ungarn und die Slowakei wäre es teuer, den Gasfluss umzukehren und Gas aus dem Westen zu beziehen. Die teure deutsche Transitgebühr wurde im Sommer nach Beschwerden aus der EU abgeschafft, aber sie hat die Länder davon abgehalten, Verträge mit neuen Lieferanten abzuschließen.“

Moldawien hofft auf die Hilfe Russlands

Moldawien, das sich in den letzten Jahren gegen Russland und russisches Gas gestellt hatte, hofft im Falle einer Unterbrechung der Gaslieferungen durch die Ukraine, auch wegen der Kämpfe an der Gasstation Sudscha im Gebiet Kursk, nun plötzlich auf die Hilfe von Gazprom. Das erklärte der Energieminister der Republik, Wiktor Parlikow, in einem Interview mit Exclusive TV:

„Selbst wenn die Station Sudscha heute ihren Betrieb einstellt, gibt es nur eine Frage: Wird Gazprom zustimmen, diese Mengen vertragsgemäß über die Türkei umzuleiten?“

Er meint, Moldawien bereite sich auf ein Szenario vor, in dem die Ukraine den Vertrag über den Gastransit nach 2025 nicht verlängern und diese Lieferungen über den Balkan umleiten werde. Seiner Meinung nach könnte der Übergangsprozess aus technischer Sicht nur ein bis zwei Tage dauern.

Die Position Russlands

Die Zukunft der russischen Gaslieferungen über die Ukraine nach Europa hänge von den europäischen Kunden ab, die sich auf die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine konzentrierten, sagte der russische Präsident Wladimir Putin bei einer Plenarsitzung des Östlichen Wirtschaftsforums:

„Was die Ukraine betrifft, so lehnen wir diesen Transit merkwürdigerweise nicht ab. Warum? Weil wir, und Gazprom, die Absicht haben, alle unsere Verpflichtungen gegenüber unseren Kunden zu erfüllen, mit denen wir langfristige Verträge haben. Eine der obligatorischen Komponenten dieser gemeinsamen Arbeit ist der Transit. Es gibt einen Transitvertrag, der am 31. Dezember dieses Jahres ausläuft. Wenn die Ukraine diesen Transit verweigert, nun, wir können sie nicht zwingen. Offensichtlich wollen unsere Hauptabnehmer in Europa das nicht, obwohl sie der Ukraine jede Art von Hilfe, militärische, finanzielle und sonstige Unterstützung gewähren. Aber die Ukraine lehnt unseren Transit ab, was bedeutet, dass die Gasmengen, die nach Europa kommen, reduziert werden.“

Putin fügte hinzu, dass Russland angesichts der europäischen Haltung plane, seine Gaslieferungen in andere Regionen zu erhöhen. Er sei zuversichtlich, dass sich das Volumen der russischen Gasexporte allmählich erholen werde:

„Aber die Ukraine lehnt unseren Transit ab, was bedeutet, dass die Gasmengen, die nach Europa kommen, reduziert werden. Sie werden über andere Routen gehen, insbesondere über Turkish Stream, vielleicht teilweise über Blue Stream in die Türkei. Auch wenn das Gas für den Inlandsverbrauch bestimmt ist, so wird es doch die Energiestabilität in Europa fördern und unterstützen. Aber das ist ihre Entscheidung. Wie sich das auf sie auswirken wird, weiß ich nicht. Wir kümmern uns um unsere Probleme, sollen sie sich um ihre kümmern.“

Was hätte Russland davon?

Die meisten russischen Analysten meinen, dass es eine gute Idee ist, aserbaidschanisches Gas über die Ukraine zu transportieren, da Russland auf diese Weise zumindest Einnahmen aus dem Transit des Gases durch Russland behält und auch nicht Ungarn und der Slowakei verärgert, die im Grunde die einzigen europäischen Länder sind, die gute Beziehungen zu Russland wünschen.

Hinzu kommt, dass die bestehenden Gasexportkapazitäten Aserbaidschans bereits voll ausgelastet sind, und eine Erhöhung der Lieferungen durch die Ukraine zusätzliche Investitionen und Zeit für den Ausbau der Infrastruktur erfordern würde. Das wäre also kurzfristig kaum möglich und könnte zu Schwierigkeiten beim Transitmanagement und zu einem Wettbewerb um den Zugang zu den bestehenden Pipelines führen.

In der Praxis würde das wohl darauf hinauslaufen, dass Russland sein Gas dann über die Türkei nach Europa liefert und dabei das aserbaidschanische Gas, das bisher auf diesem Wege nach Europa fließt, ersetzen könnte, das dann durch die Ukraine gehen soll.

So ein “Gasaustausch” zwischen Aserbaidschan und Russland würde Änderungen an bestehenden Verträgen mit europäischen Ländern erfordern, was die Sache verkomplizieren würde.

Probleme mit der Gasversorgung in Europa?

Aserbaidschan plant eine Erweiterung seiner Gasexporte nach Europa und verhandelt über diese Lieferungen bereits mit drei Staaten, hat Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew vergangene Woche erklärt. Um welche Länder es geht, sagte Alijew aber nicht.

Allerdings sei die Gasförderung in Aserbaidschan unzureichend, um das Erdgas aus Russland kurzfristig völlig zu ersetzen, berichtet Bloomberg. In den Vereinbarungen zum Ersatz von russischem Gas werde höchstwahrscheinlich die Übertragung der Erdgaslieferungen aus Russland auf andere Gaspipelines vorgesehen, was meine schon geäußerte Vermutung, dass Russland zumindest vorübergehend das aserbaidschanische Gas ersetzt, das derzeit durch die Türkei nach Europa liefert.

Auch Verträge mit Kasachstan und anderen zentralasiatischen Lieferanten mit europäischen Ländern könnten eine Alternative sein, aber es bleibe keine Zeit, um dafür einen Plan auszuarbeiten, bevor der aktuelle Vertrag mit Gazprom auslaufe, so Bloomberg. Und auch hier gilt, dass solche Verträge nur geschlossen werden können, wenn Russland mitspielt, denn deren Gas müsste über Russland nach Europa gepumpt werden.

Wie Bloomberg schreibt, besteht die Gefahr, dass der Ausfall der Transitroute durch die Ukraine zu Volatilität auf dem europäischen Markt führen werde. Unterbrechungen der Gaslieferungen aus Norwegen oder Probleme bei LNG-Lieferungen könnten in Verbindung mit kaltem Wetter im Winter zu einem starken Preisanstieg in Europa führen.

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