Superreich und trotzdem arm

Die Profiteure des Krieges müssen das Herz in ihrer Brust durch einen Stein ersetzt haben, um zu ertragen, was sie Menschen antun.

Über Politiker auf Kriegskurs, über Waffenhändler und Investoren, die aus dem Sterben anderer Profite ziehen, wird viel geredet. Wie ist es aber, ein solcher Mensch zu sein? Gehen wir von unserer eigenen Gefühlslage aus, so kommen wir wahrscheinlich zu dem Schluss, dass wir es gar nicht ertragen könnten, für all das Leid und Elend mitverantwortlich zu sein. Der Preis, den wir durch den Verlust unserer Integrität zahlen müssten, wäre weit höher als der materielle Gewinn. Warum also tun „sie“ es dennoch immer wieder? Bei der Suche nach Antwort auf diese Frage landet der Autor schon in mythischen Gefilden und zitiert Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ herbei, in dem ein Mensch sich seine Machtposition mit vollkommener Emotionslosigkeit erkauft. Dabei wäre eine umgekehrte Entwicklung möglich und wünschenswert. Entsprechend ihrem großen Einfluss könnten Reiche und Mächtige sehr viel Gutes in der Welt bewegen, entschlössen sie sich, ihr Herz wieder dem Leid ihrer Mitmenschen zu öffnen.

von Dieter Höntsch (manova)

Mir tut es weh, wenn unsere scheinbar entwickelte Zivilisation es zulässt, dass Tag für Tag Menschen in Kriegen sterben. Mir tut es weh, wenn diese Kriege durch die Lieferung von immer mehr Waffen kein Ende finden. Mir tut es weh, wenn dadurch die Not und das Leid der betroffenen Menschen immer größer werden.

Ich könnte es nicht ertragen, mitverantwortlich zu sein.

„Der Russland-Ukraine-Krieg hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) bis zum 30. April 2024 mindestens 10.946 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 600 Kinder.“ (1)

Und das ist nur ein Teil der Menschen, die in diesem Krieg ihr Leben lassen mussten. Es ist erschütternd.

Leid und Armut in der Ukraine haben riesige Ausmaße angenommen. Trotzdem geht der Krieg weiter. Trotzdem wird die Bereitstellung weiterer Waffen gefordert. Trotzdem werden immer wirksamere Waffen geliefert. Dass die ukrainische Bevölkerung kriegsmüde ist, halte ich für sehr wahrscheinlich. Danach, ob die Menschen Krieg oder Frieden haben wollen, hat man sie wahrscheinlich nicht gefragt.

Und dem palästinensischen Volk ergeht es gegenwärtig nicht besser.

Die Menschen in den Kriegsregionen bräuchten den Frieden so dringend. Doch die Realität sieht anders aus. Für alle, die sich ihr Mitgefühl bewahrt haben, dürfte das schmerzhaft sein. Ich könnte es nicht ertragen, für all die Toten und das unermessliche Leid mitverantwortlich zu sein.

Dass auch Deutschland alsbald unmittelbar in Kriegshandlungen verwickelt sein wird, halte ich inzwischen für wahrscheinlich. Der Verteidigungsminister unseres Landes meint, Deutschland müsse kriegstüchtig werden (2), und eine Bundestagsabgeordnete forderte unlängst gar die Aktivierung von 900.000 deutschen Reservisten (3). Friedensstifter hören sich anders an.

Vorreiter für den Frieden

Gerade wegen seiner Rolle in zwei Weltkriegen und den Folgen nicht nur für andere Völker müsste Deutschland an der Spitze derer stehen, die um Frieden ringen, und das vor allem im Ukraine-Russland-Konflikt.

Aus Berichten und aus eigenen Erfahrungen weiß ich, was Deutsche kriegsbedingt selbst schon alles durchgemacht haben. Sie haben nahe Angehörige verloren. Überlebende der Kriege mussten mit Verstümmelungen, Traumatisierungen, dem Verlust der Heimat, Armut und Leid zurechtkommen. Unter Traumatisierungen leiden noch heute die Nachkommen derer, die vom Krieg unmittelbar betroffen waren. Ist das alles schon vergessen?

Gemäß Artikel 56 des Grundgesetzes hat der Bundeskanzler geschworen, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm abzuwenden. Doch mit seinen Entscheidungen bringt er unser Volk in immer größere Gefahr.

Laut Artikel 38, Absatz 1 des Grundgesetzes sind die Abgeordneten des Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. In Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

In Artikel 1, Absatz 2 heißt es weiter:

„Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Gerade die Vertreter des Volkes müssten Vorreiter sein, wenn es darum geht, Frieden zu schaffen. Wozu wählen wir sie, wenn diese die Interessen des Volkes nicht vertreten?

Ist ihr Herz versteinert?

Wer Waffenlieferungen zustimmt, ohne dass auch die letzte Verhandlungschance ausgeschöpft wurde, trägt Mitverantwortung für das Sterben und das Leid von Menschen.

Wie mag es jenen ergehen, die Kriege initiieren, wie mag es jenen ergehen, die mit ihren Entscheidungen Kriege möglich machen?

Haben sie ihr Gewissen an Lobbyisten verkauft? „Wirtschaftsverbände laden Politiker zu luxuriösen Empfängen ein, Unternehmensmitarbeiter haben Schreibtische in Ministerien, und in Gesetzentwürfen tauchen Formulierungen aus gekauften Studien auf“, schreibt Planet Wissen (4).

Haben BlackRock und Co. ganze Arbeit geleistet? (5) Nicht nur die großen Medienhäuser handeln längst in ihrem Sinne. Offenbar waren die verteilten Besitzstände für so manchen Verlockung genug, selbst die Grundsätze unseres Grundgesetzes in ihrem Gedächtnis zu löschen.

Im Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff verkauft Peter Munk sein Herz, um viel Geld zu haben.

„Bald muss er feststellen, dass er sich an nichts mehr erfreuen kann, dass er nicht mehr lachen und weinen kann, keine Liebe empfindet und nichts mehr schön ist. Sein neues Herz aus Stein kann an nichts Anteil nehmen.“

Wer sein Herz verkauft hat, der hat kein Mitgefühl mehr, den berührt es nicht, wenn Menschen leiden oder gar sterben. Wahrhaft glücklich zu sein, bleibt jenen mit den kalten Herzen allerdings auch verwehrt (6).

Mir wäre der Preis, den ich für materiellen Reichtum zahlen müsste, viel zu hoch. All das, was mein Leben wahrhaft lebenswert macht, wäre mir nicht mehr zugänglich. Ich könnte mich vom Wesen meiner Enkel und der Zuwendung meiner Partnerin nicht mehr berühren lassen. Zu all der Faszination, die Tiere, Pflanzen, Landschaft oder idyllische Orte bei mir auslösen, hätte ich keinen Zugang mehr. Grandiose Konzerte könnten mich nicht mehr begeistern. Beeindruckende Gemälde würden mich nicht berühren. Man kann Milliarden besitzen und trotzdem arm sein, arm an Zufriedenheit, an Faszination, an Glücksmomenten, an menschlicher Wärme.

Steve Jobs, der Mitbegründer von Apple, soll am Ende seines Lebens die folgenden Worte geäußert haben:

„Es muss dort noch etwas sein, das sich uns als viel Wichtigeres im Leben erweist: Womöglich ist es eine zwischenmenschliche Beziehung, womöglich Kunst, womöglich auch Träume in unserer Kindheit… Den Reichtum, den ich angehäuft habe, kann ich jetzt nicht mitnehmen. Was ich jetzt noch mitnehmen kann, sind Erinnerungen, die auf Liebe basieren und mit Liebe erschaffen worden sind. Dein Reichtum — das ist die Liebe zu deiner Familie, das ist die Liebe zu deiner Frau und deinem Mann, das ist die Liebe zu deinen Nächsten. Passt auf euch auf und sorgt euch um die anderen.“ (7)

Sind sie von einem Wahn gefangen?

Die Mächtigen scheinen von dem Wahn gefangen zu sein, Reichtum und Macht unbedingt immer mehr zu vergrößern. Unter ihnen gewiss jene, die an Kriegen verdienen, unter ihnen jene Machthaber, die ihre Interessen gnadenlos durchsetzen wollen.

Wozu brauchen sie Macht und Reichtum? Um vermeintlich bedeutsam zu sein? Um Anerkennung zu ernten? Vielleicht versprechen sie sich sogar Annahme und Zuwendung davon? Mit Einfluss und Geld ist das alles nicht zu bekommen.
Charlie Chaplin sagte dereinst:

„Macht brauchst Du nur, wenn Du etwas Böses vorhast. Für alles andere reicht Liebe, um es zu erledigen.“

Sie könnten unendlich viel Gutes tun.

Dabei könnten die Reichen mit all ihrem Besitz und all dem Einfluss unendlich viel Gutes tun für die Menschen und unseren Planeten.

Sie könnten die unsägliche Umweltverschmutzung und die damit verbundene Zerstörung unseres Lebensraumes beenden. Mit ihrem Geld könnte dafür gesorgt werden, dass viel mehr Kinder auf der Welt entsprechend ihren Talenten und Neigungen zu eindrucksvollen Persönlichkeiten und wertvollen Mitgliedern unser Menschheitsfamilie heranwachsen. Pflegebedürftige Menschen könnten würdevoll alt werden und im Rahmen ihrer Fähigkeiten erfüllt leben. Ein jeder könnte sich zu einem selbstbestimmten und glücklichen Menschen entwickeln. Es würde eine wahrhaft lebenswerte Welt entstehen.

Der Lohn für jene, die ein menschenwürdiges Leben für alle ermöglichen, wäre unermessliche Dankbarkeit. Sie erführen echten Lebenssinn, der wahrhaft wertvoll ist. Sie würden teilhaben an all der begeisterten Ausgelassenheit der Menschen. Sie könnten sich berühren lassen vom Lachen glücklicher Kinder.

All die Mächtigen könnten vieles von dem, was sie angerichtet haben, wiedergutmachen. Marshall B. Rosenberg, ein amerikanischer Psychologe, der die Methode der Gewaltfreien Kommunikation entwickelt hat, meint, dass das Leben anderer Menschen zu bereichern eines unserer Ur-Bedürfnisse ist. Bedürfnisse lassen sich wiedererwecken.

Wer mag schon Geld und Macht im Überfluss besitzen, im Herzen aber arm sein?

Werden wir das je erleben, die weltweite Hinwendung zur Menschlichkeit? Ich glaube ja. Und es wird bei den meisten Menschen viel schneller gehen, als wir uns das vorstellen können. Wer mag schon Geld und Macht im Überfluss besitzen, im Herzen aber arm bleiben und auf wahres Glücklichsein verzichten müssen?

Ist das Eis erst einmal gebrochen, werden wir uns alle von menschenwürdigen Wertvorstellungen leiten lassen, Wertvorstellungen, die für alle attraktiv sind. Es wird nicht lange dauern, bis die Menschen ihre Verhaltensweisen darauf eingestellt haben.

Es liegt in der Hand der Reichen und Mächtigen, dem Irrsinn auf der Welt ein Ende zu setzen und die Menschheit vom Fluch der Kriege zu befreien, dem Glücklichsein den Nährboden zu geben, dafür zu sorgen, dass alle Menschen Mensch sein können.

Vielleicht liegt gerade in den Zeiten, in denen die Menschen den olympischen Gedanken feiern, der richtige Zeitpunkt für die ganz großen Veränderungen. Bei diesem Gedanken geht es vor allem darum, dass die Menschen auf unserem Planeten friedlich zusammenleben und fair miteinander umgehen (8). Vielleicht ist das auch der richtige Zeitpunkt, um sich auf den Weg von der Leere des Habens hin zum Reichtum des Seins zu begeben.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/#statisticContainer
(2) https://www.bmvg.de/de/mediathek/verteidigungsminister-wir-muessen-kriegstuechtig-werden-5701664
(3) https://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-reserve-strackzimmermann-100.html
(4) https://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/der_deutsche_bundestag/lobbyisten-100.html#:~:text=Die%20meisten%20arbeiten%20in%20Verb%C3%A4nden,mit%20speziellen%20Aufgaben%20betraut%20werden.
(5) https://www.youtube.com/watch?v=rUGq9QcGbuw
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Das_kalte_Herz
(7) https://www.bunte.de/stars/steve-jobs-56-seine-letzten-worte-ruehren-zu-traenen-197961.html
(8) https://www.bundestag.de/resource/blob/436034/a81308444104fd99ac23ba6b25f306df/beilage_olympische_spiele-data.pdf

Dieter Höntsch, Jahrgang 1957, studierte Informatik und promovierte auf diesem Gebiet. Nach 30 Jahre Tätigkeit im Bereich der Informatik, 20 davon mit Führungsverantwortung, orientierte er sich beruflich neu und absolvierte Ausbildungen zum Coach, zum Mediator und in Gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg sowie zum Systemischen Konsensieren. Er ist als Coach und Trainer tätig. Die Vermittlung methodischer Grundlagen zum wertschätzenden Miteinander liegt ihm besonders am Herzen. Außerdem ist er Autor von Beiträgen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen.

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