Tageskommentar 06. November 2012: fortunato,
Teil IV/V Gruppensolidarität
von fortunato (fortunanetz)
Euro-Retter jedweder couleur argumentieren gerne mit der Gruppensolidarität. Man könnte auch sagen, dieser Begriff ist bei den Euro-Rettern, geradezu eine Obsession. Betrachtet man die Reden von Merkel, Gauck, Schäuble, Steinbrück und vielen Anderen, so kann man immer wieder feststellen: Sobald die enormen Kosten für die Rettung des Euro sichtbar werden, wird nicht mehr volkswirtschaftlich argumentiert, sondern pathetisch. Diese Argumentation geht in etwa so: Ja, wir wissen dass das alles mit enormen Kosten verbunden ist, die vor allem Deutschland wird tragen müssen, aber wir brauchen Europa!
Damit ist natürlich die Europäische Gemeinschaft gemeint. Wir bezahlen eine nach oben offene Rechnung, erhalten aber auch etwas dafür, so wird argumentiert. Das ist ein Appell an eine Gruppensolidarität. „Wir Europäer“ müssen zusammen stehen in schweren Zeiten. Und was wir dabei gewinnen ist eine Gemeinschaft, die stark genug ist, um in der Welt zu bestehen, eine Friedensmacht, ein Garant für Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit, eine Chance auf echte Mitsprache im Konzert der Großmächte
Diese Argumentation kommt regelmäßig immer dann auf, wenn es um die Legitimation der Euro-Rettung geht. Achten sie einmal darauf!
Das letzte Mal in der europäischen Geschichte wurde übrigens ein solcher Anspruch, nämlich alle Europäischen Staaten ohne Einsatz militärischer Mittel zu umfassen und zu dominieren, von Papst Gergor VII. im Jahr 1057 formuliert. Dieser Papst pflegte die Vorstellung, dass die Römische Kirche und damit der Papst über allen gekrönten Häuptern Europas steht. Wie wir wissen, ist dieser Versuch damals gescheitert.
Weitere militärisch erzwungene Versuche einer Dominanz scheiterten unter Napoleon ebenso wie unter Hitler. Die Europäische Union ist in der 2000 – jährigen Geschichte also erst der zweite Versuch einer Einigung mit friedlichen Mitteln.
An den geschichtlichen Dimensionen sieht man die eigentliche Größe des Projekts.
Aber schauen wir uns nun einmal an, was speziell unter einer europäischen Gruppensolidarität zu verstehen ist.
Die Europäische Gemeinschaft ist ein Staatenbund und kein Bundesstaat. Ursprünglich war der Kern der europäischen Gemeinschaft die Montanunion, bei der eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Bereich des Bergbaus und der Stahlproduktion vereinbart wurde. Diese Kooperation wurde erweitert um eine Zusammenarbeit auf landwirtschaftlichem Gebiet. Die Koordination oblag dem Europarat. Staatliche Souveränität wurde nicht abgegeben.
Faktisch ging es immer darum, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union darauf aus waren, über die oben genannte zwischenstaatliche Zusammenarbeit jeweils so viel als möglich an Subventionen für die eigene Kohle und Stahlindustrie oder für die eigene Landwirtschaft heraus zu holen. Wir erinnern uns noch an die http://de.wikipedia.org/wiki/Butterberg“ target=“new“> Butterberge, Milchseen und Fleischberge, die entstanden, weil Milchkühe, Schweine und andere landwirtschaftliche Güter in hohem Maß subventioniert wurden.
Andere Formen der Zusammenarbeit konnte man zum Beispiel anhand von Bananen und Gemüse bewundern. Hier wurde europaweit festgelegt, wie lang und dick die Banane sein darf und ab welchem Durchmesser der Apfel nur noch vom Baum fällt und nicht mehr in den Obstkorb.
Die EU hat, wie ich vermute, an Bananen irgendwie einen Narren gefressen, denn es gibt nicht nur eine Bananenverordung, sondern auch noch eine Bananenmarktordnung, in der Einfuhrkontingente für Bananen aus Nicht-EU Ländern festgelegt sind. Solche Marktordnungen sind, wie man sieht, auch staatliche Eingriffe in die Preisbildung bei bestimmten Gütern.
Doch die ursprünglich nur für Bergbau und Landwirtschaft gedachten Subventionen sind natürlich schon lange nicht mehr die einzigen ihrer Art. So hat die EU beispielsweise die sogenannten Kohäsionsfonds ins Leben gerufen, deren Aufgabe es sein soll, schwache Regionen in wirtschaftlich schwachen EU-Ländern zu unterstützen und auf diese Weise eine Angleichung der Regionen innerhalb Europas durch staatliche Intervention zu erreichen.
Die hier genannten Formen der Subventions- und Lobby-Politik sollen beispielhaft sein und erfüllen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wertschöpfungsprozesse werden dadurch nicht auf den Weg gebracht. Es sind stets Mitnahme- und Einmaleffekte. Man kann es auf den Punkt gebracht so formulieren: Die Japaner steckten alles in Forschung und Entwicklung, Europa in den Steinkohlebergbau und landwirtschaftliche Überproduktion.
Kurzum: Die EU ist eine Institution, in der in allen möglichen Bereichen einfach nur handfeste Lobby-Politik der Mitgliedsstaaten betrieben wird. Jeder einzelne Mitgliedsstaat versucht über Regelungen, wie sie oben beschrieben sind, für sich und seine Volkswirtschaft zu profitieren. Und quasi umsonst auf Kosten der anderen.
Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die gesamte Lobby-Politik über den Europäischen Rat verläuft. Dieser ist eine Ländervertretung, denn der Rat ist die Kammer, in der die Vertretung der Staats- und Regierungschefs der EU sitzen. Er ist sozusagen eine Länderkammer wie beispielsweise der Bundesrat. Der Europäische Rat hat keine direkte demokratische Legitimation. Er wird nicht gewählt, sondern die Ratsmitglieder werden von ihren jeweiligen Regierungen ernannt. Der Europäische Rat ist die genaue Abbildung eines Staatenbundes.
Das Europaparlament hingegen ist kein Parlament im eigentlichen Sinne, denn es hat kein Initiativrecht, kann also keine Gesetze selbst auf den Weg bringen. Es hat auch keine europaweite Budgethoheit, sondern verwaltet ein Budget, das dem Parlament durch die EU Mitgliedsstaaten zugestanden wird. Damit verkommt es, obgleich demokratisch gewählt, zu einer Akklamationsversammlung für die Kommission. Allein die EU-Kommission hat das Initiativrecht. Deren Kommissare werden aber wiederum nicht gewählt, sondern durch die Regierungen der Länder ernannt. Wie man sieht: EU Rat, EU Kommission und EU Parlament sind so konstituiert, dass die EU als Ganzes einen Staatenbund darstellt, nicht aber einen Bundesstaat.
Folgerichtig fehlen aufgrund der EU – Verfassung Elemente wie ein EU-Präsident, ein EU-Außenminister, ein EU-Verteidigungsminister, etc. und die dazu gehörigen Ministerien ebenfalls.
Schaut man sich nun diesen Staatenbund an, so stellt man fest, dass alles darauf ausgelegt ist, in erster Linie Mitglied in der EU zu sein, um für sich möglichst viel heraus zu holen, sei dies bei Subventionen wie auch bei der gemeinsamen Währung namens Euro. Warum wurden die Maastricht Konvergenz-Kriterien nicht eingehalten? Warum wurden bei den einzelnen Staaten derart viele Schulden gemacht, dass sie heute Gelder aus dem ESM beantragen? Diese Schulden einzelner Mitgliedsländer wurden gemacht, um die eigenen Volkswirtschaften zu schützen und zu erhalten, sei es indem man Straßen baute, Industrien subventionierte, etc. Das primäre Intresse bezog sich aber auf den vereinheitlichten Zinssatz aller EU Länder, der weitaus niedriger war als dies bei Spanien, Portugal, Italien und Griechenland vor der Euro Einführung der Fall war, ein klarer Anreiz sich stärker als zuvor zu verschulden..
Und wenn dann die Staatsschulden je aus dem Ruder laufen würden, dann können die Mitgliedsländer dieses Staatenbundes einfach nicht anders, als den verschuldeten Staat zu stützen, man ist wegen der Gemeinschaftswährung in einer Art Solidarhaftung.
Da sehen wir nun die von den Euro-Rettern so viel beschworene Gruppensolidarität namens EU! Sie ist in Wahrheit eine Perversion der Gruppensolidarität auf die man sich bei näherem Hinschauen besser nicht berufen sollte!
Bei Licht betrachtet fehlt der EU als Staatenbund ein Instrumentarium zur Disziplinierung von Mitgliedsstaaten. Aus diesem Grund sind viele Politiker nach der Begrenzung der Haftungssumme des ESM auf so seltsame Modelle verfallen wie zum Beispiel neben dem Europaparlament noch ein Europarlament zu etablieren, damit sich die Euro-Mitgliedsstaaten zumindest in Ansätzen eine demokratische Legitimation für unpopuläre Entscheidungen zu verschaffen. Aber selbst auf eine solche Idee kann sich die Gemeinschaft nicht verständigen.
Vielmehr sieht man das Manko der EU sehr schön an der Tätigkeit der „Troika“ in Griechenland. Bar aller disziplinarischen Mittel verlegte man sich seit Monaten bei den Versuchen, die ausufernde Verschuldung Griechenlands zu begrenzen, gegenüber der politischen Klasse Griechenlands auf das Mittel der finanziellen Erpressung. Werden die Reformen nicht durchgeführt, gibt es kein Geld. Dass dieses Mittel der Erpressung womöglich stumpf bleibt, kann man am schleppenden Fortgang der Verhandlungen erahnen. Die Euro-Retter wollen nämlich, dass Griechenland im Euro-Raum verbleibt, denn sonst nimmt aus deren Sicht das Projekt der Euro-Rettung Schaden.
Neuerdings sind die Töne deshalb noch schriller als sonst. Nun steht sogar die Überlegung im Raum, das griechische Parlament notfalls zu entmachten, um eine Eindämmung der Schulden zu erzwingen. Wie man das Problem auch zu lösen versucht, aktuell sind demokratisch legitimierte Ansätze zur Lösung der Krise eher Mangelware. Die aktuellen Interventionen der Troika sind nicht demokratisch legitimiert und präsentieren sich den Griechen als willkürliche Interventionen in die eigenen Hoheitsrechte von außen. Diese Interventionen sind dem Charakter nach nicht mehr Teil einer Lösung im Rahmen eines Staatenbundes, sondern eher Lösungen, die einen Bundesstaat erfordern würden, der die notwendige demokratische Legitimation vorweist. Doch die EU ist, wie schon gezeigt, kein Bundesstaat. Und selbst wenn die EU ein Bundesstaat mit demokratischer Legitimation wäre, stellte sich ohnehin die Frage, inwieweit ein EU Bundesstaat, die nationalen Souveränitäten einschränkte. Mithin würde eine solche Lösung bei den Mitgliedsstaaten eine Welle an notwendigen Anpassungen der nationalen Verfassungen auslösen müssen, da sie nur mit Abtretung nationaler Souveränität zu haben ist.
Wie wir gesehen haben, ist die von den Euro-Rettern beschworene Gruppensolidarität in Wahrheit eine reine Perversion von Gruppensolidarität im Sinne von Gruppenegoismen. In einem Staatenbund wie der EU werden allein nationale Lobby-Interessen verfolgt, nicht mehr und nicht weniger. Und auf diese Weise zerstört die EU in ihrer jetzigen Verfasstheit am Ende die demokratische Legitimation ihrer Mitgliedsstaaten, indem sie ohne eigene demokratische Legitimation in die nationale Souveränität der Mitglieder eingreift. Die EU-Verdrossenheit der Nichtwähler spricht Bände.
meint
fortunato
Quelle: fortunanetz