GEAB N°69 ist angekommen! Von Katrina zu Sandy: Zwei Wirbelstürme und das Ende Amerikas, wie wir es kannten
Oktober 2012 wird damit in die Geschichtsbücher als der Zeitpunkt eingehen, an dem das Amerika der Nachkriegszeit und des ausgehenden 20. Jahrhunderts unterging. Der 29. Oktober 2012, der Tag, an dem der Wirbelsturm Sandy über New York hereinbrach, auf den Tag genau 83 Jahre nach dem Schwarzen Dienstag der Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann, legt vor den Augen der Welt den wahren Zustand der amerikanischen Gesellschaft und ihres herausragenden Symbols, die Stadt New York, bloß. Die Kehrtwende der großen Medien weltweit ist erstaunlich, die alle am Morgen nach einem Wahltag, der fast überall auf der Welt Anlass zu Freude gab, mit Schlagzeilen aufmachten von einem Amerika „das sich verändert habe“, „gespalten sei“, ein „Dritte-Welt- Land“, „in der Sackgasse“, „vor dem Untergang“ usw. (vgl. unten die Liste der Links). Sandy hat die Fassaden des alten Amerikas unserer Nostalgie endgültig zum Einsturz gebracht und den Blick auf das wahre Amerika freigegeben.
Sandy bestätigt alle Vorhersagen, die LEAP/E2020 seit sechs Jahren über den Niedergang der USA verfasst hat und insbesondere die, die wir in der 65. Ausgabe des GEAB veröffentlichten (2); sein Wüten markiert den Eintritt in die letzte Etappe des Zusammenbruchs des amerikanischen Systems. Der Sturm wütet im Finanzzentrum der Welt und richtet das allgemeine Augenmerk auf das Unvermögen der größten Stadt des mächtigsten Lands der Welt, sich gegen einen „kleinen“ Wirbelsturm zu rüsten, der auch noch Tage vorher angekündigt worden war. Das ist wirklich das Ende des Amerikas, das die Welt kannte und je nach Standpunkt, bewunderte, verabscheute oder fürchtete.
Wie wir im Januar 2006 vorhersagten, ist die „Dollarmauer“ (3) im Verlauf der letzten sechs Jahre brüchig geworden. Sandy hat diese brüchige Mauer mit voller Kraft getroffen, und dahinter kam ein „König ohne Kleider(4)“ zum Vorschein. Die Verwüstung von New Orleans im Jahr 2005 ist die Entsprechung zur Kernschmelze von Tschernobyl in der Sowjetunion im Jahr 1986, als die ganze Welt fassungslos zusah, wie planlos die Krisenbekämpfung ablief und in welch schlechtem Zustand die Wirtschaft war. Und die Dollarmauer ist die Entsprechung zur Berliner Mauer. Zwei Jahre nach deren Fall brach auch die UdSSR zusammen. Die Dollarmauer fiel der Krise zum Opfer und 2013 wird das Jahr werden, in der das Amerika der Nachkriegszeit und des 20. Jahrhunderts zusammen bricht.
Nachdem Sandy abgeflaut ist, bleibt von der Wiederwahl Obamas ein bitterer Nachgeschmack für eine Hälfte Amerikas und die übrige Welt, wie man sehr gut an den Presseschlagzeilen sehen kann. Was eigentlich eine gute Nachricht sein sollte, da Obama der Wunschkandidat der übrigen Welt war, ist gleichzeitig aber auch das Vorzeichen der fortgesetzten Blockade, der Ohnmacht, der Lähmung, was angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage der USA das Schlimmste ist. Alle Probleme, die in den letzten vier Jahren nicht behoben werden konnten, harren weiterhin einer Lösung. Im Wahlkampf waren sie verdrängt worden, jetzt sind sie wieder auf dem Tapet, größer, furchterregender und noch schwerer lösbar als zuvor.
Angesichts dieser weiterhin bestehenden Probleme und mit einer Wiederwahl Obamas, die für die Republikaner nur schwer erträglich ist, werden die USA nicht in der Lage sein, die Herausforderungen, vor denen sie Ende 2012, Anfang 2013 stehen, zu meistern: Im Bereich der Wirtschaft das „fiscal cliff“, die Erhöhung der Schuldengrenze, die „Staatsanleihenblase“, die Studentenkreditblase. Im Sozialen die Spaltung des Landes zwischen den Weißen, die mehrheitlich für Romney sind, und den Minderheiten, die für Obama sind; das enthält viel Sprengstoff und kann in Unruhen münden, die die Gefahr in sich tragen, in Sezessionsbestrebungen und Bürgerkrieg umzuschlagen, da dafür ausreichend Waffen in dem Land vorhanden sind. Im Politischen eine anhaltende Lähmung Washingtons, die das Risiko eines Militärputsches birgt in einem Land, in dem das einzige, was noch zu funktionieren scheint, die Armee ist, und damit als einziges gesellschaftliches Element in der Lage ist, die Dinge wieder unter Kontrolle zu bringen. Wir werden diese Analyse des Zusammenbruchs der USA in dieser Ausgabe des GEAB weiter entwickeln.
Auch präsentieren wir wie gewöhnlich unsere monatlichen strategischen und praktischen Empfehlungen zu Devisen, den Aktienmärkten usw. und den GlobalEurometer.
Auch wenn wir in dieser Ausgabe wieder einmal das Schwergewicht auf die USA legen, so darf man nicht aus den Augen verlieren, dass die geopolitische Lage explosiv ist, wofür die Gründe ja auch im nachlassenden amerikanischen Einfluss zu suchen sind. Das sieht man insbesondere daran, dass sie sich in den Krisen Libyen, Syrien und Mali ganz bewusst im Hintergrund gehalten haben oder halten. Wegen ihres begrenzten finanziellen Spielraums besteht ihre neue Strategie darin, ihre Interessenwahrung an die Verbündeten zu „delegieren“, Frankreich und Großbritannien in Libyen, die Westafrikanische Wirtschaftsunion CEDEAO in Mali (7), Israel in Syrien (8) usw. Dass die führende globale Macht der letzten achtzig Jahre im Mittleren Osten nicht in Erscheinung tritt, macht dort die Lage besonders schwierig: Jeder versucht borniert seine Interessen durchzusetzen und die Lage degeneriert zum Chaos.
Lösungen könnten von Russland und China oder von Europa vorangetrieben werden, aber die Europäer sind immer noch nicht soweit, sich von ihrem alten amerikanischen Verbündeten zu lösen und verurteilen sich damit zur Untätigkeit; die Russen und Chinesen hingegen genießen noch nicht die ideologische Aura der „Achse des Guten“, also von Staaten, deren Interessen Hand in Hand gehen mit den wahren universellen Werten. Daher sind gegenwärtig weder Russland noch China in der Lage, die gefallene Führungsmacht USA zu ersetzen. Über eines müssen sich Russen und Chinesen jedoch klar werden: Sie werden erst dann zu globalen Führungsmächten aufsteigen, wenn es ihnen gelingt, diese universellen Werte in ihre Politik zu integrieren. Denn auf diese Fähigkeit gründet sich wahre Macht. Ansonsten bleibt nur Gewalt, aber das wäre für Russland und China wie auch für den Rest der Welt die schlechteste Lösung von allen.
Ein anderes Beispiel für die schwindende Macht Amerikas sind die Sanktionen gegen den Irak, die wirkungslos zu bleiben; das einzige, was damit erreicht wird, ist, den Hass der Iraner auf den Westen zu schüren. Das Bein haben sich die Europäer aber selbst gestellt, statt lieber iranisches Öl mit Euro zu kaufen. Nun ist es so, dass der Iran sein Öl ohne Probleme nach China und in die Türkei verkauft; und die Türkei, obwohl Nato-Mitglied, bezahlt das Öl über Dubai (9) in vollkommen legaler Weise mit Gold. Daran lässt sich ablesen, wie brüchig das westliche Bündnis geworden ist und wie einfach Länder ihre Rohölkäufe auch ohne die Verwendung von Dollar bezahlen können. Für die USA ist das eine Katastrophe, denn die Leitwährungsstellung des Dollars (und damit der amerikanische Einfluss) hängt davon ab, dass der Dollar ausschließliches Zahlungsmittel für Rohöl bleibt. In einer kommenden Ausgabe des GEAB werden wir die Bedeutung von Öl als zentrales Element der gegenwärtigen Geopolitik in all ihren Fassetten herausarbeiten.
Abschließend bleibt noch festzuhalten, dass der Einfluss Amerikas auf Europa auch immer mehr an Bedeutung verliert. Wenn die Lage in Europa auch alles andere als rosig ist, angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit und einer zunehmenden Verarmung insbesondere in Griechenland und Spanien, fällt dennoch auf, dass die amerikanischen und britischen Medien nur noch vereinzelt und auch mit weniger Schaum vor dem Mund das Gespenst einer Explosion der Eurozone an die Wand malen; denn ein Auseinanderfallen der Währungsunion kann immer weniger glaubhaft als mögliches Szenario beschrieben werden, und die Probleme der USA wie auch die Englands drängen immer mehr in den Vordergrund. Die Reformen in Euroland, die unter Schmerzen in den letzten vier Jahren umgesetzt wurden, beginnen nun, Früchte zu tragen (10). Die Eurozone emanzipiert sich immer stärker von den Finanzmärkten der Wall street und der Londoner City (11); im Fall der City ist es sogar Großbritannien selbst, dass sich immer stärker ins Abseits manövriert (12). Natürlich wird auch Euroland den Fall Amerikas nicht unbeschadet überstehen, aber genauso sicher ist auch, dass es von dessen Fall nicht mitgerissen werden wird. Viele Herausforderungen harren der Europäer, insbesondere die Tatsache, dass Merkels Einstellung eine Diskussion mit ihren Partnern nicht immer einfach macht. Wir werden im Übrigen in der kommenden 70. Ausgabe des GEAB eine Gesamtschau auf die politische Entwicklung in Deutschland für 2013 und danach anbieten.
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(2) Präzise für den Herbst vorhergesagte entscheidende Entwicklung
(3) Vgl. 1. und 52. Ausgabe des GEAB.
(4) Nach dem Märchen von Andersen „Des Kaisers neue Kleider“. Quelle: Wikipedia
(5) Quelle: Der Spiegel, 05/11/2012
(6) Zur Lektüre wird beispielsweise empfohlen: Die düstere Zukunft Amerikas, neuer Gegner für Obama (Libération und Süddeutsche Zeitung 07/11/2012), „Die getrennten Staaten von Amerika (La Tribune, 06/11/2012), Rebuilding America (Foreign Policy, 14/11/2012), Waarom Amerika niet langer wereldmacht is (Elsevier.nl ) usw.
(7) Quelle: Le Monde, 11/11/2012
(8) Quelle: The New York Times, 12/11/2012
(9) Quellen: Reuters, 23/10/2012; ZeroHedge, 23/10/2012
(10) Neustes Beispiel, eine strengere EU- Regulierung bestimmter Spekulationsprodukte (Verbot des Kaufs von CDS für Staatsanleihen, die man nicht besitzt, und Kontrolle von Leerverkäufen) blieb beinahe unbeachtet, aber stärkt die Verteidigungsfähigkeit der Euroländer gegen Spekulationsangriffe. Quelle: Le Monde, 01/11/2012.
(11) Par exemple dans le domaine, voir Ou la demande des Allemands d’avoir un droit de regard sur leur or stocké aux États-Unis (source).
Siehe hierzu z.B. Seeking Alpha (18/12/2011). Oder die Forderung des deutschen Rechnungshofs, die in den USA gelagerten deutschen Goldbestände zu überprüfen. Quelle: Der Spiegel, 30/10/2012
(12) Quellen: Financial Times (04/11/2012), Le Monde (31/10/2012), Der Spiegel (02/11/2012), etc.