Wir sind schlimmer als Alice

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Wir sind schlimmer als die Steuerhinterzieher, denn wir schaden dem Staat viel mehr. Das zumindest versucht uns die WELT einzureden. Dazu wird der Linzer Professor Schneider mal wieder aus der Mottenkiste geholt, um die Steuerhinterziehungen Prominenter zu bagatellisieren. Noch unter Schröder waren seine Ausführungen fast täglich in der Presse nachzulesen. Damals war von 330 bis 360 Milliarden die Rede, die dem Fiskus durch Schwarzarbeit durch die Lappen gehen. Inzwischen scheint Schneider sparsamer bei seinen Vorwürfen zu agieren. Allerdings hat Schneider damals auch nicht von Schwarzarbeit, sondern von Schattenwirtschaft gesprochen. Dabei scheint Schneider unter einer kleinen Rechenschwäche zu leiden, wenn er behauptet, jeder Einzelne von uns hinterzöge rund 200 Euro an Steuern. Selbst einen „zerstreuten“ Professor sollte bekannt sein, dass es in einer Gesellschaft auch Kinder und Jugendliche gibt, in Deutschland ca. 19 Millionen unter 18 Jahren. Das sind ca. 15,8 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die nach dem Jugendschutzgesetz nur in seltenen Ausnahmefällen einer gewerblichen Arbeit nachgehen dürfen, somit kein regelmäßiges Einkommen haben und auch nicht steuerpflichtig sind, auch dann nicht, wenn ihnen mal jemand für einen kleinen Dienst 5 oder 10 Euro zusteckt. Also hätte er als Grundlage seine ermittelten 15 Millionen nicht durch 80 Millionen, sondern allenfalls durch 64,2 Millionen teilen müssen.

Ein Blick auf die Realität ist sicherlich hilfreich. Schwarzarbeit ist sicherlich ein Problem und wird gelegentlich auch in Krimis thematisiert. Da sind z. B. Baufirmen, die mit Illegalen, die sie weder sozial versichern, noch dafür Steuern abführen und ihnen dennoch nur Hungerlöhne zahlen, an erster Stelle zu nennen. Dabei werden von den Bauherren und den großen Baufirmen Subunternehmer beauftragt, wobei die Bauherren und Unternehmen zwar von deren Praxis wissen, ja, sogar fest in ihre Baukalkulation mit einplanen, dafür aber selbst nicht belangt werden können. Eine Praxis, die auch bei staatlichen Bauaufträgen fast immer angewendet wird, mit Wissen der staatlichen und kommunalen Auftraggeber. Der Bundesrechnungshof, sicherlich seriöser als Prof. Schneider, hat diese Praxis mit sehr deutlichen Worten gerügt.

Aber eines ist sicher, die hier angeführten Argumente werden dazu verwendet, der Bevölkerung ein schlechtes Gewissen einzureden, so in der Art, „Ihr seid ja noch viel schlimmer“. Da sind Pauschalangaben eine perfektes Mittel, denn wer kann das schon nachprüfen? Es ist der gleiche Trick, den die Werbung benutzt, wenn sie mit Prozentangaben von 99,7% oder ähnlich argumentiert. Aber wir sind nicht schlimmer, schon aus Mangel an Gelegenheiten. Die Masse hat kaum Spielraum für steuerliche Absetzungen. Arbeitnehmer können in der Regel keine Restaurantbelege steuerlich absetzen und sie bekommen einen Arbeitsraum auch nur in ganz seltenen Fällen genehmigt, selbst wenn sie nachweisen, viel Arbeit von zuhause aus zu leisten. Und sehr viele Leute tapezieren selbst und legen auch ihre Fliesen selbst, Punkte, die übrigens in den Berechnungen des Linzer Professors als „legale Steuerumgehung“ angeführt werden. Auch ihr Auto und dessen Reparaturen können sie nicht absetzen, sondern nur den Weg zur Arbeit. Und da werden heute auch keine Spielchen mehr bei der Angabe der gefahrenen Kilometer gemacht, weil der Finanzbeamte keine 30 Sekunden braucht, die tatsächliche Entfernung zu ermitteln.

Ich habe das in der WELT auch kommentiert und als Antwort hat dann jemand geschrieben, der Artikel solle nur klarstellen, dass wir alle im Glashaus sitzen, uns folglich genau so verhalten, wie wir es bei den Leuten, die nun in der Presse wegen ihrer Steuerhinterziehung publik geworden sind. Tja, so kann man Steuerhinterziehung auch relativieren.

Doch was gibt es da zu relativieren? Wenn man schon von der Steuerhinterziehung des „kleinen Mannes“ spricht, muss man auch betrachten, welche Möglichkeit er überhaupt hat und da ist wohl der Mittelstand eher zu sehen, als der Arbeitnehmer oder der Rentner.

Welche Arbeitnehmer können sich eine Putzfrau leisten, selbst wenn sie schwarz arbeiten würde? Wie oft wird eine Wohnung wohl renoviert und bei wie vielen dieser Renovierungen kommen Schwarzarbeiter zum Einsatz? Wie oft werden seitens Arbeitnehmern oder Rentnern Fliesen verlegt und wie viele davon machen das selbst?

Wenn aber der Besitzer oder Pächter eines kleinen Restaurants, einer kleinen Pizzeria oder eines Cafe seine Waren gelegentlich bei Aldi oder Lidl kauft und diese dann für die seinen Gästen aufgetischten Gerichte usw. verwendet, Gäste, die in der Regel keine Rechnung haben wollen, weil sie sie steuerlich nicht verwenden können, scheint mir das schon öfter zu passieren.

Gravierend für die Betrachtung ist jedoch vor allem die Motivation. Wer sich einen Kumpel holt, um ihm bei der Renovierung zu helfen und mittags eine Erbsensuppe auftischt, ist das nun bereits ein geldwerter Vorteil und damit eine Steuerhinterziehung? Wohl kaum und geschieht vor allem ohne den Hintergedanken, damit Steuern gespart oder hinterzogen zu haben. Selbst wenn er dem Kumpel abends 20 Euro in die Hand drückt, damit der nach getaner Arbeit auf seine Rechnung ein paar Bier trinken kann, ist das keine Steuerhinterziehung und die Hilfe des Kumpels keine Schwarzarbeit, sondern die wohl letzte verbliebene Form von Nachbarschaftshilfe.

Wenn hingegen der Klempner eine Arbeit durchführt, ohne eine Rechnung auszustellen, hinterzieht er damit vielleicht Steuern und erspart u. U. dem Auftraggeber die Zahlung der Umsatzsteuer. Weil diese rechnungsfreie Arbeit nicht in den Büchern erscheint, werden dafür auch keine Steuern fällig. Aber die Sozialabgaben für seine Mitarbeiter werden davon unabhängig entrichtet und so mancher kleine Betrieb kann nur deshalb überleben. Würde er es nicht machen und pleite gehen, säßen seine Mitarbeiter auf der Straße und hätten kaum Chancen, schnell wieder einen Job zu finden. Doch eine solche Pleite kostet den Staat Einnahmen und verursacht Ausgaben. Ich glaube nicht, dass diese Einzelfälle wirklich relevant sind, wenn man sie von der steuerlichen Einnahmeseite her betrachtet.

Rechnen wir mal nach. Nach den Aussagen dieses Berichts hinterzieht jeder 200 Euro Steuern, auch Sie, Ihre Frau und Ihre Kinder, denn die 15 bis 16 Milliarden lt. Schneider bei 80 Millionen Einwohnern ergeben diesen Betrag pro Person und ohne Unterschied. Ich behaupte von mir, ich betrüge niemanden, nicht einmal den Staat, wobei ich bei Letzterem auch nicht einmal die Chance hätte, selbst wenn ich wollte. Hingegen betrügt der Staat mich, auf mehr oder weniger subtile Art und Weise und das am laufenden Band.

Leute wie Schwarzer, Zumwinkel, Hoeneß, Staatssekretär Schmitz und die vielen, die sich mit Selbstanzeigen aus der Schusslinie genommen haben, betreiben aber ihre Steuerhinterziehung vorsätzlich und kommen nun nur deshalb aus ihren Löchern, weil die Gefahr in Form von Steuer-CDs recht groß geworden ist. Und sie alle leben keinesfalls in prekären Verhältnissen, nehmen ohnehin schon alle Möglichkeiten der Steuerersparnis wahr und kassieren nicht selten, so wie z. B. Schwarzer, für ihre Aktivitäten auch noch Subventionen. Bei Ihnen ist es blanke Gier, denn sie haben bereits mehr, als sie bei einem halbwegs normalen Leben ausgeben könnten.

Nein, der Vergleich mit dem Glashaus ist völlig daneben. Auch die genannte Summe von „Jeder hinterzieht 200 Euro“ ist mathematisch völlig daneben, denn Kinder und Säuglinge hinterziehen ebenfalls keine Steuern, was die genannten 200 Euro im Vergleich zu Schneiders angeblichen 15 Milliarden bereits ad absurdum führt. Rechnen wir weiter, statistisch gibt es in Deutschland ca. 41 Millionen Beschäftigte, davon sind allerdings nur ca. 27 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, also die, die man gemeinhin als Arbeitnehmer bezeichnet. Hinzu kommen die Arbeitslosen, die heute derartig überwacht werden, dass ihnen Schwarzarbeit zum Verhängnis werden könnte, was die Mehrheit davon abhält, dieses Risiko einzugehen.

Damit trifft die Schuldzuweisung auch die Unternehmer, die ständischen Berufe, die die Beamten, die Politiker und die Reichen. Glauben Sie wirklich, die würden sich mit so läppischen Beträgen abgeben? Die melden ihre Putzfrau an und zahlen den Anstreicher und Fliesenleger gegen Rechnung, denn sie können das von der Steuer absetzen. Nur den Tagesausflug in die Schweiz, der erscheint nicht auf der Steuerklärung, dafür, oft viele Jahre später, auf einer Steuer-CD.

 

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