Wir lieben, was uns hasst, und finden großartig, was zerstört

von Helmut Müller

Nous aimons ce qui nous déteste et trouvons grand ce qui detruit

We love what hates us and find great what destroy

Alle Jahre wieder in Salzburg: Jedermann, die Allegorie auf das Leben und das Sterben des reichen Mannes.  Am Ende geht es in dem Stück um Reue und den Glauben an Gott. Allerdings, vor allem Sprache und Form wegen, bei heutigen Kritikern als reaktionär geltendes Stück abgestempelt. Aber diesen und Corona zum Trotz immer noch ein Kult für das Bildungsbürgertum. Ich sehe aber inzwischen in diesem Spiel auch schon eine allegorische Darstellung des Lebens und Sterbens Europas. Unpassend, weit hergeholt? Ist denn das Sündenkapital eines satten in der Blase der Selbsttäuschung lebenden Europas nicht ähnlich groß und die nötige Einsicht noch wenig erkennbar?  Angesichts einer erneuten Entchristianisierung, und diese in mehrfach bedrohlicher Zeit, und damit einhergehenden moralischen und gesellschaftlichen Auflösungstendenzen bis hin zum Selbsthass, vielleicht eine nicht unberechtigte Frage.

A propos Christentum: Dieses funktioniere nicht mehr meint auch der von mir schon einmal* erwähnte Michel Onfray. Aber, so der französische Philosoph, die Entchristianisierung sei nicht der einzige Grund für den Niedergang des Westens. Der zeitgenössische Appetit auf Dekonstruktion sei der Ursprung des Phänomens, meint er nun, und weiter: „Wir befinden uns in einer Zivilisation der Erschöpfung. Wir lieben nur das, was uns hasst. Alles, was uns zerstört, wird als großartig empfunden“, sagt er und fügt hinzu, dass „es eine Leidenschaft für Dekonstruktion gibt. Wir müssen die Wahrheit zerstören, die Geschichte…“.Wie wahr gerade in diesen Tagen, und nicht wenige Idioten applaudieren dazu noch. Aber wie heißt es doch so schön bei Shakespeare: „Schmerbauch hat magres Hirn; von leckren Bissen gibt´s runde Rippen, aber wenig Wissen“.**

Nicht überraschend eine weitere Schlussfolgerung des hinsichtlich seiner europäischen Heimat eher pessimistisch gestimmten Michel Onfray: „Der europäische Kontinent ist das Ziel einer Einwanderung, die er durchmacht, die er nicht organisiert hat und die einer ferngesteuerten Invasion näher kommt, von der wir noch immer nur die ersten Wellen sehen. Die globalistische Oligarchie ist gut etabliert und Frankreich ist nicht mehr souverän“. Dasselbe gilt natürlich für die meisten europäischen Staaten. Deutschland war es seit 1945 ohnehin nie, und daran wird auch keine Alternative etwas ändern, solange diese in der auch in Österreich üblichen opportunistischen Art und Weise die Teile-und-herrsche-Politik der Mächtigen auch noch unterstützt und jene ausgrenzt, die diese, zugegeben, nicht immer mit geeignetem Werkzeug durchbrechen wollen.

Nun ist es ja leider so, dass immer nur eine Minderheit eines Landes in der Lage ist, ein sich annäherndes Unheil rechtzeitig und in seinem vollen Umfang wahrzunehmen, daraus zu erwartende Konsequenzen richtig abzuschätzen und sich darauf einzustellen. Das war zu Beginn der Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts nicht anders. Da gab es einige, die sich außerhalb der Landesgrenzen oder zumindest am Rande des Geschehens aufhielten und so relativ früh zu einer richtigen Beurteilung kamen. So hatte etwa der Literatur- und Kulturwissenschaftler Erich Auerbach in seinem Istanbuler Exil die Möglichkeit, die Vorgänge in Europa richtig einzuschätzen. Aus nötiger Distanz sah er sehr wohl die Konsequenzen eines sich abzeichnenden Konfliktes in Europa und so auch die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Weltkrieges. Bald ein Jahrhundert  später ergäbe sich für ihn vom selben Standort aus dann wohl welches Bild?

Es wäre also von Interesse, zu hören, was der 1936 in Istanbul gut aufgenommene und 1957 in den USA verstorbene (der türkischen Sprache mächtige) deutsch-jüdische Intellektuelle zur Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee heute zu sagen hätte. Wir wissen es nicht, wir wissen aber, wie die herrschende Klasse in Europa jetzt darauf reagiert hat. Nämlich so, dass es ein weiterer Fingerzeig nicht nur für Erdogan sein muss, nach einer de facto Kriegserklärung, und um nichts anderes handelte es sich, die demonstrative Hilflosigkeit eines lendenschwachen und gespaltenen Europas als großzügige Einladung zu verstehen. An Willkommen-Kollaborateuren würde es ja schon heute nicht mangeln. Und damit fiele, von wenigen Widerstandsnestern abgesehen, das an geistigen und kulturellen Reichtümern gesegnete, unvergleichliche Europa eines nicht allzu fernen Tages großteils wie eine reife Frucht in den Schoß seiner Feinde. Übrig bliebe einmal ein Stoff für ein Theaterstück über das Leben und Sterben einer großartigen Zivilisation. Aber wen würde das dann noch interessieren?

*Souveränismus – Neue Politik für Nation und Europa (Klartext 4.Juni 2020)

**Shakespeare: „Vergebliche Liebesmüh“(Insel-Verlag, Leipzig)

(Visited 191 times, 1 visits today)
Wir lieben, was uns hasst, und finden großartig, was zerstört
1 Stimme, 5.00 durchschnittliche Bewertung (98% Ergebnis)

2 Kommentare

  1. Die Ableger des grünen Gesindels, will einfach in die Diktatur!

    Nur wer zahlt dann die leistungslosen Einkommen dieser Versager? Die Eltern sicherlich nicht, da sie auch schon dumm und gewalttätig waren. Siehe den Obergrünen Fischer. Ein Idiot und nur gewalttätig und mit diesen Voraussetzungen kann man Außenminister in Deutschland werden. 

    Qualifikation gleich null!

  2. Die Liebe zum Tod als endgültige Ausprägung des Seins?

    Destruktivität als letztes Mittel der Ehrfahrbarkeit des Ichs?

    Man möchte es fast meinen!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*