Wir Helden der Krise, Teil 2

von Michael Obergfell (fortunanetz)

Verdrängung ist lebensnotwendig, und das auch gerade in Bezug auf den Systemcrash, die Insolvenz und den Verlust der Macht. Das gilt für uns alle und ohne Ausnahme. Die Projektion ist deshalb eine ebenso lebensnotwendige Folge der Verdrängung. Wir knüpfen unsere Hoffnung an Helden die es richten, oder werden selbst zu Helden. Auch dies sind Mittel der Existenzbewältigung, ohne die wir nicht überleben können. Sind wir in der Not, rufen wir im Normalfall nach Hilfe, also nach jemandem der die Rolle übernimmt, die wir selbst nicht leisten können.

Fällt der Retter zu dem man sich flüchten kann aus, steigt die Angst weiter und zwingt uns, selbst „Helden“ zu werden und dann die „Feinde“ und „Gegner“ persönlich zu bekämpfen. Was geschieht, wenn niemand mehr da ist um eine „Muttivationsrede“ zu halten, kann man an vielen Fällen weltweit sehen. Schauen Sie sich die vielen Bürgerkriege und militärischen Konflikte zwischen Staaten an. Dort gehen sich die Leute gegenseitig an die Gurgel, weil jeder Angst davor hat, dass der andere einem ans Leder will. Die Existenzangst vor dem Systemzusammenbruch wandelt sich in die Angst vor den Feinden der eigenen Existenz und mündet in Gewalt. Das extreme Ende eines lange verdrängten und dann doch erlebten Zusammenbruchs ist die Gewalt gegen Andere, um die eigene Welt mit ihren Gedanken, Ideen und Vorstellungen um jeden Preis zu erhalten. Der schon zitierte Hammermörder zeigt diesen Effekt überdeutlich.

Wenn man wissen will, wie das funktioniert, braucht man sich nur an Fälle aus der jüngsten Geschichte der BRD erinnern, die auch auf Fortunanetz besprochen und teilweise dokumentiert wurden. Hierzu gehört der Fall Mollath ebenso wie der Fall Wulff, aber auch der NSA Abhörskandal und die aktuelle Behandlung der AfD.

Nehmen wir den Fall Wulff. Christian Wulff war Bundespräsident der BRD und damit derren höchster Repräsentant. Wulff geriet in die Kritik, weil er angeblich Geschenke angenommen haben soll und daher entweder bestechlich war oder aus seiner Amtstätigkeit Vorteile gezogen hatte. Von den deutschen Leitmedien wurde daraufhin eine Welle von Verdächtigungen losgetreten. So soll Wulff auf Kosten anderer gereist sein, einen üppigen Hauskredit quasi von seinen Freunden geschenkt bekommen haben, Sachgeschenke für seine Kinder wie z. B. „das Bobbycar“ angenommen haben. Seine Frau soll eine Nagelfeile von ihrem Friseur geschenkt bekommen haben, er soll praktisch für Nichts bei einem befreundeten Hotelier abgestiegen sein und schlussendlich einem Freund bei einem Filmprojekt dienlich gewesen sein, nachdem er von diesem Hotelrechnungen bezahlt bekommen haben soll.

Die Lawine an Vorwürfen war so gewaltig, dass sich Bürger auf der Straße augenzwinkernd angesprochen haben mit dem Satz: „Hast du heute schon gewulfft?“ Und bei diesen Vorverurteilungen fanden sich die Meisten auch noch toll. Dass die ganzen Vorwürfe im Rahmen einer Kampagne aufkamen, hat die meisten entweder nicht gestört oder sie haben es gar nicht bemerkt. Seltsam nur, dass Wulff kurz vor Beginn der Kampagne auf einem Wirtschaftsforum in Lindau eine Rede gehalten hatte, in der er programmatisch schilderte, dass derzeit die Politik die wirtschaftlich schwachen Staaten und Banken zu retten versucht und nun Deutschland die Staaten rettet. Am Ende fragte er: „Wer rettet die Retter?“ Und damit hat er die richtige Frage gestellt. Natürlich stellte er damit auch die Möglichkeit in den Raum, dass er Merkels Transferunion und den ESM nicht billigte und möglicherweise die ESM-Verträge nicht unterzeichnen würde. Und just danach ging die besagte Kampagne los.

Die Vorwürfe waren am Ende so heftig, dass die Staatsanwaltschaft sich berechtigt sah, die Aufhebung seiner Immunität im Bundestag zu beantragen. Und auch dort wurde er, wie von der Presse ebenfalls, wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Und das alles führte dann zu einem Rücktritt, weil er „unhaltbar“ geworden war. Mittlerweile sind 2 Jahre vergangen und Wulff ist von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Es gibt in Wahrheit nichts was man ihm vorwerfen könnte, zumindest nicht aus juristischer Sicht.

Dennoch ist es ein Fakt, dass es meines Wissens nur einen einzigen Journalisten gibt, der es öffentlich bedauert, an der Hatz auf Christian Wulff teilgenommen zu haben. Von allen anderen Beteiligten, seien es Journalisten, seien es Politiker oder gar Parteifreunde, kommt kein Wort des Bedauerns. Selbst sein Buch das er geschrieben hat, wird nicht groß beworben. Dass Wulff heute sagt, er hätte eigentlich nicht zurücktreten sollen und er wäre der richtige Präsident gewesen, nutzt ihm natürlich nichts mehr. Christian Wulff wird keine Wiedergutmachung erfahren und keine Entschuldigung bekommen, weder von Mutti noch von irgendjemandem sonst.

Wulff ist mit seiner Frage: „Wer rettet die Retter?“ vom Gesamtsystem BRD ausgespuckt worden wie ein Kirschkern den keiner braucht. Und dort wird er auf der „Müllhalde“ des kollektiv Verdrängten vermutlich für immer liegen bleiben. Und die Menschen in diesem Land werden weiter machen als wäre nichts geschehen. Sie kennen für ihre eigenes Fehlverhalten keinerlei Bedauern.

Ähnlich ist es mit der AfD. Die hat zwar Erfolg bei den Europawahlen gehabt und wirkt auch bei der Europapolitik mittlerweile ein wenig mit, aber die Verunglimpfung dieser Partei und ihrer Mitglieder geht genauso munter weiter, wie es schon seit der Gründung üblich ist. Dabei ist der Mechanismus derselbe und er zeugt von derselben intellektuellen Unredlichkeit wie dies im Fall Wulff der Fall war. Dort waren „das Bobbycar“ und „die Nagelfeile“ der große Aufreger und entpuppten sich hinterher als Lappalien. Aber in dem Augenblick, in dem die Vorwürfe erhoben wurden, war mit den Lesern der Zeitungen einfach nicht zu reden, zumindest nicht rational. Niemand hatte genug emotionalen Abstand. Niemand wollte sich bei Vorwürfen gegen Wulff zurück halten und die objektiven Tatbestände sichten. Keiner wollte den offensichtlichen Verleumdungscharakter sowie den Kampagnencharakter als solchen erkennen.

Bei der AfD ist es das selbe Spiel. Das Muster wiederholt sich. Debattiert wird darüber, ob und wann Bernd Lucke „entartet“ gesagt hat. Das ist sozusagen sein „Bobbycar“. Es wird hoch emotional und mit tiefster Entrüstung darüber debattiert, wer wann was wie und in welchem Zusammenhang gesagt hat, aber über das Programm dieser Partei wird nicht debattiert und ihre Kritikpunkte sind keine ernsthafte Themen der politischen Debatte. Stattdessen wird Hysterie verbreitet um jegliche Debatte zu verhindern. Es soll über alles Mögliche geredet werden, nur nicht über die tabuisierten Themen wie „Euro“, „Staatsschulden“, „unsolide Banken und Finanzmärkte“, etc. Und genau das ist auch so beabsichtigt. Lieber diskutiert man über den Begriff „entartet“ als darüber, dass die Staaten der Eurozone mehrheitlich völlig überschuldet sind und welche Gründe das hat. Solche Leute, die nämlich darüber sprechen wollen, sind „rechtspopulistisch“, „rechts“ oder „populistisch“. Das kommt übrigens einem faktischen Redeverbot in der Öffentlichkeit gleich. Und diejenigen Leute, die solche tollen Themen wie „Er hat entartet gesagt“ ventilieren, gefallen sich dabei auch noch in der Pose des Aufklärers, obgleich sie genau das Gegenteil dessen tun was sie zu tun vorgeben. Das ist zwar grotesk, fällt aber niemandem mehr auf. Stattdessen geht die Verunglimpfung munter weiter und wenn es denn einmal so sein sollte, dass die Kritiker aus den Reihen der AfD mit ihren Warnungen auch noch Recht bekommen, wird kein Wort der Entschuldigung von diesen „Aufklärern“ zu erwarten sein. Sie gefallen sich nach den Verdrängungsaktionen auch weiterhin in ihrer aufklärerischen Pose und meinen das Abendland vor „brauner Sauce“ gerettet zu haben – auch wenn sie tatsächlich daran mitgewirkt haben, den Untergang desselben herbei zu führen. „Self fulfilling prophecy“ ist ein Gedanke der bei ihnen einfach nicht vorkommt….

Leider ist es so, dass wie schon im ersten Teil dieser Analyse ausgeführt, es kein Entkommen gibt. Wir müssen verdrängen und projizieren. Wenn der Tag kommt, an dem es keine „Muttivationsrede“ mehr gibt, weil Mutti nicht mehr da ist, steigt unter Umständen die Gewalt der Verdrängung erheblich und stellt die Bürger dieser Republik vor die Frage, wie es dann weiter geht.

Prinzipiell müssen wir immer verdrängen und projizieren. Aber wie dieser Vorgang stattfindet, das können wir gestalten. Kollektiv verdrängen wir schon jetzt in erheblichem Maße, aber viele bewahren sich doch ihre kritische Distanz. Der Protest der Bürger beim Thema Ukraine gegen eine kriegstreiberische Politik macht auch Hoffnung. Viele gehen schon auf die angebotenen Feindbilder nicht mehr ein und sie haben gelernt, rationaler zu handeln und zu differenzieren. Laut manchen Umfragen unterstützen nur 4 Prozent der Bürger die Haltung, dass Deutschland mit Russland in eine Konfrontation gehen soll. Die große Mehrheit erkennt schon, dass wir als Deutsche kein Interesse an einem derartigen Konflikt haben können, nur Merkel und ihre Mannen regieren munter weiter am Willen des Volkes vorbei.. Kritische Distanz zu gewalttätigen Lösungsansätzen ist auf jeden Fall einmal eine richtige Haltung.

Doch das alleine genügt nicht. Wir können weiterhin die Verdrängung forcieren und damit in der Projektion einen „Anführer“ oder auch einen „Helden“ hervorrufen, der unseren Hintern dann aus der Misere retten soll. Wenn dieser „Held“ oder „Anführer“ dann aber Gewalt anwendet, wird die ursprüngliche gute Absicht endgültig in Misskredit gebracht. So hat sich die Sowjetunion beispielsweise eine „Anführer“ zugelegt, der als „Führer“ (russisch „woshd“) angesehen wurde und der sich selbst Stalin (der Stählerne) nannte und entsprechend agierte. Die brutale Gewalt mit der er regierte, hat die frühe kommunistische Idee für immer diskreditiert, obgleich Stalins Sowjetunion zu den Gewinnern des Zweiten Weltkrieges zu zählen ist. Wird Gewalt eingesetzt, wird die gesamte Idee letztlich für immer in Misskredit gebracht. Der Weg in die Hölle war dann eben mit guten Vorsätzen gepflastert….

In einer sich verschärfenden Krise kann man dem Mechanismus von Verdrängung und Projektion nicht entkommen, man kann nur versuchen, beides anders umzusetzen. Und dabei spielt interessanterweise die Religion bzw. die Spiritualität ganz allgemein eine wichtige Rolle, denn sie bietet ein Modell, wie man mit dem grundlegenden Mechanismus der zur Gewalt führt, anders umgehen kann.

In der Religion, und dabei ist es egal um welche es sich handelt (hier soll nicht für eine bestimmte Religion geworben werden), wird der verdrängte Inhalt nicht auf eine andere Person oder auf ein persönliches Heldenmodell projiziert. Vielmehr wird es auf eine Idee oder einen Gott projiziert, der nicht von dieser Welt ist. Dieses Vorgehen hat einige wesentliche Vorteile. Die Projektion zielt nicht auf einen Menschen oder eine Institution, sie zielt auf ein höheres und nicht menschliches Wesen. Damit wird die Notwendigkeit genommen, dass ein Mensch im Auftrag anderer Menschen tätig werden muss, um verdrängte Inhalte entweder verdrängt zu halten, wie in einer Diktatur üblich, oder um verdrängte Inhalte zu lösen. Die Rettung wird in nicht menschliche Hände gelegt. Und dabei ist das Gottes- oder Schicksalsbild relativ unerheblich. Wichtig ist nur, dass die Projektion umgeleitet wird und so ihre negativen Effekte nicht zu realen Konflikten werden.

Zugleich kennen Religionen mannigfaltige Mechanismen der Selbstprüfung und Selbstreinigung, die in den Alltag integriert werden können. Auch diese Mechanismen funktionieren unabhängig von einer bestimmten Glaubensrichtung und dem jeweiligen Gottesbild. So gibt es beispielsweise die Beichte als einen Mechanismus der „Psychohygiene“. Anstatt das Verdrängte in sich zu behalten, wird es einem Anderen mitgeteilt, der die Verfehlung dann vergibt. Das Bekenntnis zum eigenen Fehler ist schon eine Erleichterung. Der eigenen Wahrheit die Ehre zu geben ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie ist eine Gestaltung der Verdrängung. Das geht natürlich auch anders. Manche Esoteriker empfehlen, die eigenen Verfehlungen die man als Belastung mit sich herum trägt aufzuschreiben und dann zu verbrennen, vor allem dann wenn es sich um Schuldzuweisungen gegen Andere handelt. Auch Meditation als Mittel der Klärung der Gedanken und als Mittel, die verdrängten Inhalte noch einmal anzusehen, kann eine gute Gestaltung der Verdrängung sein. Auch formelhafte oder stille Gebete können in diese Richtung wirken. So gestaltet das Gebet: „Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner“ die Projektion in der Weise, dass angsteinflößende und verdrängte Inhalte keine Gefühle der Rache, der Wut und des Hasses erzeugen. Natürlich kann man beispielsweise als Muslim einfach nur um „Rechtleitung“ bitten, was letztlich nichts anderes ist wie die zuvor angegebene Formel. Und wer nicht betet, kann auch nur affirmieren.

Die Alternative zu diesen Techniken und Strategien die sie selbst in die Hand nehmen können ist es, weiterhin unkontrolliert zu verdrängen und die Realitäten zu verleugnen, bis sie entweder selbst zum Helden werden und im Kampf GEGEN die Realität antreten müssen, oder bis sie einen anderen Helden, einen „Anführer“ damit beauftragen, in ihrem Namen die anstehenden Probleme zu lösen. Aber das tun sie dann mit allen weithin bekannten Konsequenzen, die die Geschichte immer wieder aufzeigt, wenn sogenannte Helden tätig werden…

Eine tägliche Pflege des Verdrängten und der anhängigen Projektionen, eine tägliche Psychohygiene ist ein persönlicher Weg der Bewältigung der Krise. Und diese Lösung hat sogar den Vorteil, dass sie nicht auf eine „Muttivationsrede“ warten müssen oder gar auf einen „Heiland“ und „Erlöser“ oder „Propheten“. Sie können das in dieser Weise auch selbst weitaus besser und sie brauchen so lange keine Erlaubnis von Mutti und Konsorten dafür, wie wir in unserem Land keine Gesetze haben, die Spiritualität oder Religiosität verbieten.

Der Umgang mit der Krise, den Verdrängungen die durch diese Krise ausgelöst werden sowie mit den Projektionen, die sie dann benötigen um „gerettet“ zu werden, braucht eine genau überlegte Strategie. Wenn man unkontrolliert verdrängt und dann ebenso unkontrolliert projiziert, wird man ein Opfer dessen, was man verdrängt hat. Wenn sie eine eigene Psychohygiene entwickeln, die Projektion bewusst gestalten und umlenken, benötigen sie keine Helden und sie müssen auch selbst keiner werden. Sie üben dann innere Klarheit, Freundlichkeit, Güte und Wahrhaftigkeit, ohne ein Held sein zu müssen oder einem Helden hinter zu laufen. Ironischerweise finde ich aber genau ein solches Verhalten und eine solche tägliche Praxis als…. heldenhaft,

meint
Michael Obergfell

 

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