Wie tief kann eine Gesellschaft sinken? Teil 1

Kommentar 15. 02. 2014: Michael Obergfell,
Wie tief kann eine Gesellschaft sinken? Teil 1

von fortunato (fortunanetz)

Der Mensch sei die Krone der Schöpfung, dachte man lange Zeit. Und im Grunde denkt man das noch immer, wenn man bedenkt mit welcher Selbstverständlichkeit Tiere immer noch nur Nahrungsmittel auf unserem Teller sind.

Für gebildete Menschen gab es immer „die graue Vorzeit“ mit primitiven Menschen und „Primitive“ gibt es in der Völkerkunde/Ethnologie noch heute. Es gibt Menschen, die sind angeblich höher gestellt wie die Tiere, aber sie sind „niedriger“ im Status als wir selbst. Die Antike galt als die erste Epoche, in der der Mensch zu seiner wahren Kultur kam. Das Mittelalter war angeblich kurzzeitig „finster“, aber eben nur deshalb, weil unsere moderne Kultur der Antiken in bestimmten Punkten gleicht. Wie die griechisch-römische Welt ist die moderne Welt durch ein merkantiles Netzwerk großer Märkte weiträumig miteinander verbunden und an den unterschiedlichsten Orten der Erde bietet unsere Kultur eine überall ähnliche Lebens- und Denkweise an. Wir sehen uns deshalb nicht nur als die Erben der Antike, wir übertreffen sie sogar.

Irgendwie glauben wir meistens daran, dass das Leben eine „Höherentwicklung“ beinhaltet, dass es also automatisch irgendwie besser und nur kurzfristig schlechter wird. Christen glauben, dass sie am Ende ihrer Lebensreise in den Himmel kommen können, Muslime glauben auch daran. In den asiatischen Religionen glaubt man in jeweils anderer Weise an „Erlösung“. Damit hat das Leben ein Ziel und es entwickelt sich „weiter“. Aber leider ist diese Sichtweise einseitig und nicht wahr.

Nehmen wir ein historisches Beispiel, an dem man den Mechanismus des radikalen Zerfalls eindrücklich studieren kann. Das byzantinische Reich existierte fast 1000 Jahre lang. Doch gut die Hälfte seiner Zeit befand sich dieses Staatsgebilde in einem kontinuierlichen Sinkflug bis hin zur totalen Auflösung.

Das Römische Reich wurde im Jahr 395 nach Christus in zwei Hälften geteilt. Eine Hälfte war das Oströmische Reich mit der Neugründung Konstantinopel als Hauptstadt und Sitz des Kaisers. Während das Weströmische Reich im Zuge der Völkerwanderung unterging, konnte das Oströmische Reich seine staatliche Identität wahren und neu eingewanderte Völker assimilieren. In der ersten Phase nach dem völligen Zusammenbruch Westroms träumten die Oströmer davon, das alte Römische Reich in den früheren Grenzen wiederherzustellen. Eine enorme militärische Macht und eine riesige Bürokratie wurden aufgebaut und aus den Erträgen des Landes finanziert. Die damaligen Griechen Ostroms, nannten sich selbst stolz „Romaioi“ um ihrem ambitionierten Programm auch immer eine persönliche Note zu geben. Das waren Griechen, die sich als Römer verstanden!

Ihre Bemühungen führten nicht zum Erfolg. Territoriale Gewinne die zeitweilig über ganz Nordafrika bis nach Spanien und tief nach Italien reichten, waren nicht von Dauer.

Um ihr Reich dennoch zusammenhalten und bewahren zu können, entschieden sich die Byzantiner dafür, neben dem Militärapparat auch eine sehr ausgeprägte zivile Bürokratie zu errichten, die das öffentliche Leben auf das Genaueste kontrollierte. Diese Entwicklung zeigte sich unter dem wohl bekanntesten Kaiser Justinian (527-565) am deutlichsten. Er schuf einen neuen Gesetzeskodex, der im ganzen Land Geltung hatte und auf dem die zivile Bürokratie aufbaute. Dieses System brachte auch ein ausgeklügeltes Steuer- und Abgabensystem hervor, sowie eine völlige Ausrichtung der Politik und Wirtschaft hauptsächlich auf die Hauptstadt Byzanz. Wer politische Karriere machen wollte, musste dort hin, wer außergewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolg haben wollte – musste ebenfalls dort hin. Allein die Nähe zum Kaiserhof lieferte die entsprechende Protektion, vor Übergriffen des bürokratischen Staates einigermaßen geschützt zu sein.

Die Reformen Justinians, die Bürokratie und die starke Rolle des Militärs gaben dem Staatsgebilde „Byzanz“ erst die Dauerhaftigkeit, die seine lange Existenz erklärt. Alles war geregelt, alles wurde kontrolliert, Opposition wurde im Keim erstickt durch die Kontrolle dieses Apparates.

Nach der Schlacht von Manzikert im Jahr 1071 offenbarte sich aber die negative Seite dieser Konstruktion. Im Gefolge dieser Schlacht verlor das byzantinische Reich vor allem mit Ägypten und Syrien sehr reiche und wichtige Provinzen. Natürlich bedeutete dies enorme Einkommensverluste für den byzantinischen Staat, aber das Militär und die Bürokratie wurden dadurch ja nicht kleiner. Die wollten weiterhin ihr Geld und sie wollten weiterhin ihre privilegierte Situation behalten. Und was macht man, wenn die Einnahmen des Staates geringer werden? Richtig! Man erhöht die Steuern und treibt diese einfach mit großem Druck ein.

Die Besteuerung der Bevölkerung wurd für den byzantinischen Staat zu seiner wesentlichen Aktivität. Und natürlich wurden die „Staatsorgane“ dabei immer unnachgiebiger gegenüber den Bürgern. Diese begannen zu opponieren. Da naturgemäß die Steuereinnahmen geringer wurden, nachdem das halbe Staatsgebiet abhanden gekommen war, wurden zwar die Steuereintreiber immer brutaler, aber der militärische Schutz der Bevölkerung wurde zugleich dennoch schlechter. Das motivierte d ie Byzantiner nicht gerade, ihre Steuern gerne abzugeben.

Mit der Zeit wurde der Aufwand, Steuern einzutreiben immer größer und auch gefährlicher. Und dann ging der byzantinische Staat dazu über, diese Aufgabe nicht mehr den Steuereintreibern, sondern den Bürgermeistern zu übertragen. Diesen wurde dann einfach mitgeteilt, wie viele Einnahmen sie abzuliefern hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren schon aufgrund der schlechten militärischen Absicherung des Landes die Städte ummauert. Der Fernhandel war schon zusammen gebrochen. Es gab nur noch kleine, lokale Märkte. Die Leute mussten sich selbst helfen und zugleich waren sie einem räuberischen, bürokratischen Staatsgebilde ausgeliefert.

Doch ein Ende dieser Abwärtsspirale war nicht absehbar. Nachdem die Bürgermeister immer weniger in der Lage waren, die geforderten Abgaben zu entrichten, rückte der byzantinische Staat Bürgermeistern zu Leibe, indem er sie so lange folterte, bis sie die geforderte Summe an Steuereinnahmen der Gemeinde aus ihrem Privatvermögen beglichen. Das hatte zur Folge dass niemand mehr Bürgermeister werden wollte und so erließ der byzantinische Staat kurzerhand ein Gesetz, wonach das Amt des Bürgermeisters erblich wurde.

Zuerst verlor der Staat ökonomisch wichtige Gebiete. Dann wurden die Leute ausgepresst um den teuren Herrschaftsapparat trotzdem aufrecht erhalten zu können. Der Fernhandel brach zusammen, die Städte wurden ummauert, weil die Zentralgewalt diese nicht mehr schützen konnte. Berufe wurden erblich. Die Stadtgemeinschaften wurden sehr fest gefügt. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes wurde auch in den Städten weitgehend abgeschafft. Die Byzantiner verloren ihre (bürgerlichen) Rechte – und das alles nur, um den Staat aufrecht zu erhalten. Am Ende stand kein Staat freier Bürger mehr, sondern ein typischer mittelalterlicher Ständestaat. In dieser Lage gab es dann auch keine Heere mehr, die aus der Bevölkerung rekrutiert wurden, sondern eben nur noch Söldnerheere, möglichst mit Soldaten aus fremden Ländern, damit man auch jederzeit gegen die eigene Bevölkerung zuschlagen konnte.

Der byzantinische Staat verlor aus diesen vorgenannten Gründen immer mehr Territorium und damit auch immer mehr Steuereinnahmen, bis er sich auf das Gebiet der Stadt Byzanz alleine reduzierte. Aus der Millionenstadt, die Byzanz einmal war (zu den besten Zeiten lebten dort ca. 5 Millionen Menschen), wurde am Ende eine Stadt mit ca. 80.000 Einwohnern. Auf dem Gebiet der ehemaligen Rennbahn von Byzanz grasten die Schafe. Innerhalb der Stadtmauern wurde Landwirtschaft betrieben um die Bevölkerung zu ernähren. Der Kontrast zwischen dem ehemaligen Reichtum, den Prachtbauten aus besseren Zeiten und der Armut der Leute hätte nicht größer sein können.

Byzanz fiel am Ende den osmanischen Eroberern wie eine kleine, reife Frucht in die Hände. Und erstaunlicherweise machten die Osmanen aus Byzanz, das dann Istanbul hieß, in recht kurzer Zeit wieder eine Millionenstadt. Man könnte am Ende dieser fast 400 jährigen Abwärtsentwicklung von einen „erlösenden Stoß sprechen, als die Stadt aus diesem Elend befreit wurde.

An diesem „schönen“ Beispiel kann man sehen: Es geht nicht nur aufwärts, es kann auch richtig, richtig abwärts gehen…

Und nun nehmen sie bitte die Meldung, dass die Bundesbank einer Zwangsabgabe auf Sparguthaben zustimmt, und überlegen sich einfach einmal, was dies mit der vorgenannten Geschichte eines Niedergangs zu tun haben könnte. Davon aber morgen mehr…

meint
Michael Obergfell

 

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